Die Favoriten der Lieblinge
Im Finger Magazine erscheinen keine Texte über Musiker. Stattdessen erzählen und schreiben Musiker selbst, welche Songs und Tracks sie hören. Zum Beispiel beim Sex oder zum Frühstück. Die intimen Einblicke in den Musikgeschmack prominenter Musiker eignet sich ideal als WC-Lektüre.
Verleger und Chefredaktor Adrian Hoenicke, seit einiger Zeit wohnhaft in Berlin Kreuzberg, findet diese Form des Musikjournalismus viel interessanter als das, was Medien sonst über Musik schreiben. Für seinen Geschmack wiederholen sich die Formulierungen der Musikjournalisten zu oft. An die Einordnung von Musik, also an die Arbeit von Musikbloggern und Musikjournalisten, glaubt er trotzdem: «Es braucht irgendwelche Guides, die Dich durch den Dschungel des Backkatalogs leiten.» Empfehlungen aufgrund gesammelter Daten, wie man das von Amazon oder Last.fm her kennt, können ihm allerdings keine Abhilfe liefern. «Die sind oft sehr eindimensional, das bringt selten etwas. Vielleicht einem Musikkonsument, der sich nur oberflächlich interessiert.»
Die erste Platte, die Suzanne Vega kaufte, war «Abbey Road» von den Beatles. Heidy Happy hört beim Zubereiten des Frühstücks das Weihnachtsoratorium von Bach. Wenn Nicolas Godin von Air an die Schule denkt, dann an «The Head On The Door» von The Cure. Und wenn Jay-Jay Johanson mit seiner Frau Liebe macht («when I make love to my wife»), dann ist sie es, die die Musik auflegt (in letzter Zeit Air, Jarvis Cocker und Phoenix).
So ziehen sich Fragen und Antworten durch das Heft. 60 bis 70 Prozent davon beruhen auf E-Mails mit den Musikern, der Rest wurde persönlich oder telefonisch aufgenommen. Interviews mit Deutschsprachigen sind in deutscher, Interviews mit Englischsprachigen in englischer Sprache zu lesen. Weil letztere die grosse Mehrheit bilden, ist das Finger Magazine zu einem guten Teil auf englisch – nur gelegentliche deutschsprachige Künstler und die Einleitungen zu den Gesprächen erinnern an die Zürcher Herkunft. Mit dem Journalisten Philipp Anz hat Finger weiterhin einen Ableger in Zürich.
Die halbjährliche Erscheinungsweise des Hefts hat mit dem Inserateaufkommen zu tun, jedoch wäre dem langjährigen Werbetexter Hoenicke ein monatliches Magazin fast zu viel: «Es ist ein ja kein aktuelles Heft, sondern mehr eins, das in der WG auf dem WC rumliegt.» Eigene Inputs bezieht er von Websites wie Testpressing.org, Dangerousminds.net, Allez-allez.co.uk, Kraftfuttermischwerk.de, Drownedinsound.com, Pitchfork.com oder dem Schweizer 78s.ch. Und Musikmagazinen wie dem «Mojo Magazine» aus London oder dem deutschen «Groove». «Spex» dagegen habe «einen zu intellektuellen Aufsatz, der manchmal fast etwas lächerlich wirkt.» Als Inspirationsquelle dienen ihm auch Figuren wie der Zürcher DJ Lexx oder Gilles Peterson, der eine Radiosendung auf BBC hat.
Viel wichtiger für die Zukunft des Finger Magazine ist aber die mit einigen interessanten Features aufwartende Website. Einzelne Songs in den Antworten der Musiker werden mit Musikdateien verknüpft, die zum Beispiel auf YouTube verfügbar sind. So kann man sich die gegebenen Antwort auch gleich anhören.
Die Akquise von Online-Werbung ist aber viel schwieriger, sagt Hoenicke: «Das Internet ist global. Das Problem ist, dass die Werbebudgets immer noch sehr regional eingegrenzt sind. Ein möglicher Ausweg könnte das Sponsoring einer ganzen Website oder Teile davon sein, so wie es Redbullmusicacademyradio.com macht – für die publizistische Unabhängigkeit find ich das nicht problematisch.»
Abgesehen von wenigen Grossverdienern ist es für die Musiker schwierig geworden, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen. Einnahmen sind vor allem durch Auftritte und Merchandising zu erzielen. Selbst kauft Hoenicke aber nach wie vor Vinyl: «In meiner Jugend hat man ja noch Platten und CDs gekauft. Die Zukunft gehört aber wohl den Streaming Services, heute muss man ja zum Musikhören keine Dateien mehr besitzen.»