1.6 Kilogramm Altpapier
Sonntagszeitungen landen spätestens am Montag im Altpapier, während klassische Wochenzeitungen eine mehrtägige Haltbarkeit haben. Warum sind Zeitungen mit «Sonntag» im Titel so rasch vergänglich? Und weshalb positioniert sich kein Sonntagstitel als Wochenzeitung? Über die Bedeutung von Sport und Samstagsaktualität und die unterschätzte Langlebigkeit.
Am Sonntag kaufe ich Zeitungen. Weil ich noch immer herkömmlich lese, wiegt meine Sonntagslektüre sage und schreibe 1.619 Kilogramm, denn ich kaufe die «SonntagsZeitung», die «NZZ am Sonntag», den «Sonntag» und den «Sonntagsblick». Nach dem Aussortieren der Werbebeilagen bleiben noch 0.955 Kilogramm und ich weiss aus Erfahrung: Lange muss ich sperrige Papierlast nicht ertragen, denn die Sonntagszeitungen landen spätestens am Montag auf dem Altpapier-Stapel. «Weshalb», frage ich mich, «liegen sie eigentlich nicht eine Woche lang im Wohnzimmer wie klassische Wochenzeitungen, wie etwa die «Weltwoche», die «WoZ», «Die Zeit» oder der «Spiegel»?
Martin Spieler, Chefredaktor der «SonntagsZeitung», will nicht gelten lassen, dass sein Produkt, bereits am Wochenstart zu Makulatur wird. «Unsere Geschichten haben eine lange Haltbarkeit. Das belegen entsprechende Leserbefragungen». Als Beispiel nennt er die alle zwei Jahre publizierte, repräsentative Bundnutzungsstudie. Diese zeige, dass einzelne Bünde auf die Seite gelegt und auch noch unter der Woche genutzt werden. «Die Werte reichen von 12,3 Prozent beim Nachrichtenbund bis zu 34,5 Prozent beim Bund «Wissen», der bis Donnerstag gelesen wird.»
Ähnlich argumentiert Felix E. Müller, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag»: «Unsere Zeitung wird, wie wir aus Befragungen und auch von anekdotischen Beobachtungen wissen, durchaus als Wochentitel genutzt. Das heisst, dass die Zeitung im Gegensatz zur Konkurrenz nicht am Sonntagabend ins Altpapier wandert, sondern bundweise im Verlauf der Woche gelesen wird.»
Okay, zugegeben: Einzelne Seiten habe ich auch schon auf dem Nachttisch oder in der Laptop-Tasche untergebracht, um sie dann am Montag oder Dienstag im Tram zu lesen. Doch hier interessiert die Frage: Wie unterscheiden sich die Sonntagszeitungen von den klassischen Wochenzeitungen? Wäre es überhaupt möglich, zum Beispiel die «NZZ am Sonntag» als Wochenzeitung zu positionieren? «Man müsste im Titel auf den Begriff ‚Sonntag‘ verzichten und die Zeitung letztlich zu einem Magazin umwandeln, das am Sonntag erscheint», sagt Chefredaktor Müller. Ein Magazin hätte aber aufgrund der längeren Produktionszeiten den Nachteil, dass kaum Samstagsaktualität berücksichtigt werden könnte. Man würde also ein Magazin ohne aktuellen Sport am Sonntag verkaufen, was sicher nicht optimal wäre.
Die Unterschiede zwischen Sonntagszeitungen und klassischen Wochenzeitungen liegen also vor allem in der Aktualität. Trotz gleicher Periodizität orientieren sich die Sonntagszeitungen am samstäglichen Geschehen. Dies im Gegensatz zu den an Wochentagen erscheinenden Wochenzeitungen (Donnerstag: «Weltwoche», die «WoZ», «Die Zeit». Montag: «Spiegel»), welche auf tagesaktuelle Berichterstattung verzichten. «Sonntagszeitungen schliessen letztlich die Lücke, welche Tageszeitungen aus demselben Verlag am siebten Tag hinterlassen. Sie übernehmen damit die gleiche Funktion wie eine Tageszeitung – einfach mit dem Unterschied, dass aufgrund der längeren Lesedauer am Sonntag mehr Hintergrund- und Lifestyle-Berichte publiziert werden», sagt Manuel Puppis, Oberassistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.
Die Aussagen der beiden Chefredaktoren zeigen: Die Sonntagszeitungen setzen vor allem auf die Tatsache, dass wir Leser am Sonntag genügend Zeit haben, um Zeitung zu lesen – Zeit für samstagsaktuelle Texte, Recherchen und Hintergrundberichte. Mit dieser Positionierung fahren die Sonntagszeitungen gut und dies soll auch so bleiben. «Sie sollen sich nicht als klassische Wochenblätter positionieren», sagt Kurt W. Zimmermann, Medienexperte und ehemaliger Chefredaktor der «SonntagsZeitung». «Die Samstagsaktualität ist ihr grosser USP. Anders als Wochenzeitschriften sind Sonntagsblätter durch den aktuellen Tagesbezug nicht dem Risiko der Beliebigkeit ausgesetzt, sondern haben ein zwingendes Leseargument. Die Samstagsaktualität, wie man immer wieder sieht, ist auch der wichtigste Treiber der Verkaufsauflage.»
Vinzenz Wyss 26. Juni 2011, 17:17
Noch ein Gedanke zum wesentlichen Unterschied zwischen Sonnatgs- (7. Tageszeitung) und anderen Wochenzeitungen. Sonntagszeitungen konstruieren ihre Hauptgeschichten so, dass sie Chancen haben, von Tageszeitungen am Montag zitiert zu werden. Das ist die Referenz. Die Substanz und Hablwertszeit ihrer Recherche muss eigentlich nur bis Montag reichen. Insofern spielt Tagesaktualität eine grosse Rolle. Wochenzeitungen müssen sich wegen der möglichen Konkurrenz durch Tageszeitungen schon was anderes einfallen lassen.
Marcuccio 26. Juni 2011, 20:39
Ich wüsste auch nicht, warum Sonntagszeitungen ihre Strategie ändern sollten. Die Mischung aus Aktualität und Hintergrund-Lesestücken ist doch gerade ihre Stärke – und das an einem Zeitungs-Lesetag, der langfristig als einziger überleben dürfte, zumindest enorme Zuwachsraten hatte (in Deutschland etwa wurde die »FAZ« von der »FAS« in Sachen Reichweite glatt überholt).
Ein weiterer Grund, warum Sonntagszeitungen nicht Wochenzeitungen werden können ist auch, dass sie sich ja im eigenen Haus Konkurrenz machen würden. »Spiegel«, »Zeit«, »Weltwoche« haben interessanterweise keine werktäglich erscheinenden Mutter-/Schwesterblätter!
Fred David 27. Juni 2011, 10:46
Die „FAZ am Sonntag“, die beste Sonntagszeitung im deutschssprachigen Raum, ist eine echte Wochenzeitung. Schweizer Sonntagszeitungen hingegen sind 7.Tageszeitungen, etwas dicker halt. Da aber Tageszeitungen inzwischen richtigerweise viele Eleemente von Wochen- und Sonntagszeitungen aufnehmen, müssen sich die Sonntagszeitungen schon deutlich mehr anstrengen.
Ich merke das an meinem eigenen Leseverhalten: Früher postete ich mir drei Schweizer Sonntagszeitungen auf einen Chlapf, das gehörte zum Wochenendritual. Heute keine einzige mehr. Wenn wirklich etwas drin steht, das ich wissen muss, erfahre ich es montags sowieso, oder noch am Sonntag im web. Einzige Ausnahme ist der Sport.
Aufgeblasene Newsli, die das Morgenrot des Dienstags nicht überleben, und von Medienberatern erkennbar arrangierte Interviews reichen einfach nicht mehr. Auch nicht am Samstag noch rasch geschriebene Kommentare und Kolumnen (abgesehen natürlich von üblichen Ausnahmen). Das ist oft einfach zu dünn, wenn man sechs Tage zum Produzieren hat.
Öfter mal „FAZ am Sonntag“ posten: frische Ideen, markante Autoren mit einer eigenen Meinung, grosszügiges Layout. Und nöd immmer nume: Schwiiz!Schwiiz!Schwiiz! Denn Lesern, die ihrem Berufsalltag laufend mit dem Ausland zu tun haben – das sind inzwischen viele und es werden immer mehr – ist das einfach zu wenig.
(Dies hier ist kein Werbespot, sondern Lesererfahrung).
Fred Davied 27. Juni 2011, 10:57
…und noch was: Am Sonntag erwarte ich einfach besser geschriebene Texte als unter der Woche: origineller, auch in Recherche und Stil sorgfältiger, pointierter, lustbetont, verführerisch, mit einer nachvollziehbaren Dramaturgie, – und erkennbar nicht in der Einheitsküche eines newsrooms zusammengekocht.
Harald Güntzel 27. Juni 2011, 11:33
ich kaufe mir schon lange keine sonntagszeitung mehr. anstatt vertiefte analysen und hintergründe bekommt man konstruierte (von pr-agenturen auf das wochenende gelegte geschichten). die zeiten, in denen die montagszeitungen voll von richtigstellungen des sonntags sind, haben zugegebenermassen etwas nachgelassen. dafür gibt es immer mehr people, luxus und logischerweise sport – wo man kaum einklagbare fehler machen kann. dieses wochenende habe ich bei den schwiegereltern zeit gehabt und einen blick in die SonntagsZeitung geworfen, nach 20Min (sic!) war ich durch und hatte nicht die geringste lust, etwas vertieft – über den lead hinaus – zu lesen, geschweige denn mir etwas für montag, dienstag aufzubewahren. ich plädiere hier (auch kein werbespot) dafür, öfters ein buch, eine deutsche wochenzeitung oder die nzz vom samstag durchs wochenende zu nehmen. und auch Fred David stimme ich zu, am sonntag erwartet man einfach auch etwas besser geschriebens, ausgefeilter fromuliertes…
ihr habt ja eine ganze woche dafür zeit!
Niethammer Raymond 05. September 2012, 09:32
Sie sprechen im Artikel 1,6 Kilogramm Altpapier von klassischen Wochenzeitungen und nennen dabei auch den „Spiegel“. Für mich ist der „Spiegel“ aber ganz klar keine Wochenzeitung, sondern ein Wochen-Magazin.
Niethammer Raymond