von Ronnie Grob

«Bei Tamedia sind die Chefredaktoren frei»

«Tele Züri»-Zampano Markus Gilli macht jedes Jahr 200 Live-Sendungen. Im Gespräch mit «Medienwoche» bestreitet er, der SVP nahe zu stehen und freut sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Besitzer, den AZ Medien. Zum Schweizer Fernsehen würde er nie gehen.

Durch den Kauf von «Tele Züri» durch die AZ Medien werden Sie ja nun irgendwie zum Aargauer. Trifft Sie das hart? Würden Sie es wagen, mit einem AG-Kennzeichen durch Zürich zu fahren?
(Lacht) So einschneidend wird der Verkauf ja gar nicht sein. Der neue Besitzer hat klar gesagt, dass Tele Bärn, Tele M1 und Tele Züri regional bleiben müssen. Wir werden weiterhin Zürcher Kontrollschilder haben an unseren Fahrzeugen, da bin ich fast überzeugt. Ich würde aber auch mit einem Aargauer Kontrollschild herumfahren, denn Aargau ist für mich kein Schreckgespenst und keine Abwertung. Ich kenne den Aargau doch auch etwas, und ich finde, das ist ein prosperierender Kanton. Wie ich feststelle, gibt es aber offenbar viele Vorurteile von Zürchern.

Wie stehen Sie zum neuen Besitzer?
Peter Wanner ist ein ausgezeichneter Unternehmer. Die ersten Gespräche sind sehr gut verlaufen, auch, weil man merkte, dass er aus einer publizistischen Ecke kommt. Auch auf der operativen Ebene werden wir mit Christoph Bauer eine gute Zusammenarbeit haben.

Tamedia hat ja mit dem Regional-TV offenbar zu wenig Geld gemacht hat und es deshalb verkauft. Weshalb sind die AZ Medien die besseren Eigentümer?
Das Gute bei AZ Medien ist die Abdeckung: Bern, Solothurn, Aargau, Zürich – dazu wir, die bis in die Zentralschweiz und die Ostschweiz senden. Wir werden mit diesen drei TV-Kanälen rund 800.000 tägliche Zuschauer erreichen. Bei AZ Medien werden E-Medien [Gilli meint damit Fernsehen und Radio] rund 20 Prozent des Umsatzes ausmachen, das war bei Tamedia viel weniger – unsere Bedeutung innerhalb des neuen Verlags ist darum grösser.

Unter dem AZ-Dach gibt es zwei Kategorien Sender: TeleBärn und Tele M1 haben Konzession, Gebührengelder und Leistungsauftrag, TeleZüri ist frei im Markt. Wie schränkt diese Konstellation das Synergiepotenzial der drei Sender ein?
Der Kauf durch AZ Medien war nur möglich, weil Tele Züri keine Konzession hat, denn das Radio- und Fernsehgesetz schreibt ein Maximum von zwei Sendern pro Verleger vor.

Wie stehen Sie selbst zu den Konzessionen?
Es ist eine Gnade, keine Konzession zu haben (publizistische Freiheit, keine staatlichen Kontrollen) – und gleichzeitig eine verdammte Ungerechtigkeit. Während andere Sender 2 bis zu 3 Millionen Franken im Jahr erhalten, müssen wir ohne Gebührengelder auskommen. Trotzdem: Tele Züri wird 2011 das erfolgreichste Jahr seit Bestehen feiern und ohne Konzession fühlen wir uns frei und unabhängig.

Wenn es nach Ihnen ginge: die Konzessionen abschaffen oder nicht?
Das Radio- und Fernsehgesetz hätte bereits am ersten Tag revidiert werden müssen. Ich rede nicht über die Konkurrenz, aber es geht doch nicht, dass subventioniert wird, was kaum gefragt ist. Ich war immer ein Anhänger des freien Marktes und freien Wettbewerbs – und demzufolge für eine Liberalisierung des Gesetzes. Darum habe ich vor über 30 Jahren bei Radio 24 angefangen: Um staatlich gestützte Monopole zu beenden.

Bietet die neue Eigentümerschaft weitere Wachstumsperspektiven in Richtung sprachregionales TV?
Der Deal heisst nicht, dass die Idee des damaligen Tele24 neu belebt wird, das wäre vollkommen falsch. Wir müssen die Regionen sehr stark regional behandeln, so müssen die Nachrichtensendungen weiterhin ein regionales Schwergewicht haben. Das ist unsere Nische, das ist unsere einzige Chance, die wir gegenüber den deutschen Privaten und der SRG haben. Doch bei überregionalen Ereignissen wie Bundesratswahlen oder grossen Sportanlässen werden wir in der neuen Senderfamilie zusammenarbeiten. Dies gilt auch in den Bereichen Talk und Unterhaltung.

Sie und auch Hugo Bigi sind schon sehr lange auf den Bildschirmen und beide Mitte 50. Bei den AZ Medien gibt es ja ein paar fixe Köpfe, die Sie ersetzen können. Haben Sie Angst um Ihre persönliche Zukunft?
(Ruft laut und lacht) Nein! Ich mache seit zehn Jahren über zweihundert Livesendungen im Jahr – wenn ich nur noch hundert hätte, dann wäre das kein Unglück! Ich hege zwar keine Rücktrittsgedanken, aber ich bin doch auch schon 56, aber irgendwann muss ja auch mal die Nachfolgefrage gestellt werden.

Haben Sie Angst um eine Einschränkung ihrer Unabhängigkeit, bzw. Narrenfreiheit?
Narrenfreiheit wäre das falsche Wort. Ich darf aber sagen, dass es einer der ganz grossen Vorteile bei Tamedia war, publizistisch unabhängig arbeiten zu dürfen. Die Chefredaktoren bei Tamedia sind frei. Es gibt keine Absprachen unter den Redaktionen, es gibt keinen Konzernjournalismus. Und ich bin überzeugt, dass das bei den AZ Medien auch so ist.

Sie sind Programmleiter, Chefredaktor und einer der Geschäftsführer von „Tele Züri“, machen „Talk Täglich“ und „Sonntalk“. Haben Sie überhaupt noch Freizeit?
Ja, die erkämpfe ich mir, auch wenn ich sechs Tage die Woche arbeite. Morgens nehme ich mir jeweils das Recht heraus, zuhause ausführlich Zeitung zu lesen – und erst am späteren Morgen einzutreffen.

Sie haben eine ganz eigene Art gefunden, zu reden: Sie bilden klare schweizerdeutsche Sätze. Und streuen darin viele boulevardeske Ausdrücke (zB „Kampfzone“) und viele stehende Wendungen und Floskeln, gerne auch auf hochdeutsch, seltener auch auf englisch. Stimmen Sie da zu?
Ja, das ist ein bewusst gewähltes Stilmittel.

Mir fällt auf, dass sie sich eigentlich nie in öffentliche Debatten einschalten, sondern einfach ihr Ding durchziehen. Warum halten Sie sich zurück?
Meine Meinung trägt da nichts zur Sache bei. Ich sehe mich in einer neutralen Funktion als Journalist.

Aber neutrale Journalisten gibt es doch gar nicht, jeder hat einen Standpunkt (vgl. «Das Märchen der Objektivität», «Medienwoche» vom 1. Februar 2011).
Sehen Sie, wenn ich eine Antwort gebe auf die Frage einer Einschätzung eines bestimmten Themas, sagen wir die Ständeratskandidatur von Christoph Blocher, dann bin ich doch gleich auf einer Schiene – und das will ich nicht. Es gab mal eine Umfrage auf 20min.ch, die fragte: „Wo steht Gilli politisch?“ Je ein Viertel teilte mich in die Lager SP, SVP und FDP ein, ein Viertel wusste keine Antwort. Für mich ist das das grösste Kompliment!

Was wählen Sie denn am 23. Oktober?
Ich nehme eine leere Liste und stelle sie querbeet mit Kandidaten verschiedener Parteien zusammen. Mitglied einer Partei bin ich nicht.

Aber viele Journalisten nehmen Sie als SVP-nah wahr.
(Ruft laut) Sonen Chabis! Ich weiss das, aber ich verwahre mich dagegen. Das grosse Problem in diesem Land ist doch, dass die Journalisten immer noch nicht mit dieser Partei umgehen können. Das Blocher-Bashing, das sich so viele Journalisten offenbar zur Lebensaufgabe gemacht haben, bringt ja eher eine gegenteilige Wirkung mit sich. Wenn sie ihn nur wie jeden anderen nehmen könnten. Die SVP wie alle anderen Parteien zu behandeln und dabei keine Schaumkrone vor dem Mund zu haben, bedeutet noch lange nicht journalistische SVP-Nähe. Dieses Verhalten würde ich fair und ausgewogen nennen.

2007 hat Hugo Bigi den Radfahrer und Entertainer Beat Breu eingeladen, der durfte dann ein Wunderwasser namens «H2Ohoch3» vorstellen. Können Sie sich erinnern?
Diese Sendung ist mir absolut präsent.

Ich hatte den Eindruck, dass der Auftritt von Beat Breu mit der Präsentation dieses Wassers verknüpft war. War das ein Deal?
Wir machen keine Werbedeals mit dem Programm, das gibt es nicht. Soweit mir die Sendung in Erinnerung ist, hat Hugo Bigi sehr kritisch nachgefragt. Bei uns kann man, anders als bei anderen Sendern, keine Gesprächsformate buchen, wir trennen das sehr genau. Wir gehen vom Thema aus und fragen uns, ob das die Leute interessiert. Wenn das nicht so ist, dann lehnen wir das Thema ab, und wenn der Druck aus der PR und der Werbung hoch ist.

Auf telezueri.ch sind Videofunktionen zwar vorhanden, aber kaum benutzbar, auf jeden Fall, was Formate wie „Talk Täglich“ oder „Sonntalk“ angeht. Wie alt ist die Website von „Tele Züri“ eigentlich?
Die wurde in Deutschland gemacht und ist heute eher vernachlässigt. Der geplante grosse Wurf, zusammen mit 20 Minuten oder Newsnetz, wurde nie umgesetzt. Nun haben wir Nachholbedarf: Wenn mich Schulklassen hier besuchen, dann sagen mir viele, dass sie die Sendungen im Web schauen. Das Web ist sehr wichtig für die Zukunft.

Ich habe meine Grossmutter gefragt, was ich Sie fragen soll und sie bat mich darum, zu fragen, ob Sie nicht Einfluss nehmen können, dass nicht immer alle durcheinander reden. Ältere Leute wie sie würden dann nämlich nichts mehr verstehen.
Diesen Vorwurf höre ich sehr oft, vor allem von älteren Menschen. Auch wenn ich selbst es meistens noch verstehe, schreite ich jeweils ein und erteile den Teilnehmern das Wort. Doch es fragt sich, ob man überhaupt etwas dagegen tun soll – weil es natürlich dynamisch ist, wenn zum Beispiel Christine Goll und Ulrich Giezendanner gleichzeitig rufen [O-Ton «heeped»]. Diese lebhafte Diskussion ist ein Markenzeichen des „Sonntalk“ – es war ja bei der „Arena“ zu beobachten, was passiert, wenn jegliche Dynamik herausgenommen wird.

Gibt es Fragen, die Sie niemals stellen würden?
Das entscheide ich intuitiv. Es gibt Gesprächspartner, bei denen man sehr weit gehen kann, und andere, die unglaublich nervös und sensibel sind – bisher konnte ich noch mit jedem auch nach der Sendung noch reden. Überhaupt kann man Sendungen nur bedingt planen: Ich habe zwar ein Manuskript und bin eingelesen, doch es gibt Situationen, gerade bei hochemotionalen Themen, wo einem das nichts mehr nützt. Ich möchte mit meinen Fragen niemals einen Menschen verletzten und nehme deshalb bei Gästen, die einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben, grosse Rücksicht.

Haben Sie noch Ziele? Gehen Sie auch zum Schweizer Fernsehen wie Roger Schawinski?
Nein, nie im Leben! Das ist für mich unvorstellbar. Ich erlebe die SRG als teilweise unangenehmen Konkurrenten. Ich kann doch nicht über Jahrzehnte einen Moloch bekämpfen – und dann dort arbeiten. Aber jeder soll machen, was ihm Freude macht.

Wie fühlen Sie sich nach diesem Gespräch?
(Lacht) Absolut pudelwohl.

Das Gespräch mit Markus Gilli wurde am 13. September 2011 in Zürich geführt.

Leserbeiträge

Philippe Wampfler 05. Oktober 2011, 12:56

Obwohl die Frage direkt gestellt wurde, weigert sich Gilli offenbar, seine politische Position darzulegen. Hätte man ihm nicht in Bezug auf bestimmte Dossiers etwas auf den Zahl fühlen können?

Ronnie Grob 05. Oktober 2011, 13:12

@Philippe Wampfler: Noch am 3. Februar dieses Jahres hast Du hier auf dieser Website bestritten, dass sich die politische Haltung von Journalisten negativ auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkt. Warum sollte ich Deiner Ansicht nach hier genauer nachhaken?

Klaus Rózsa 05. Oktober 2011, 13:14

„Die Chefredaktoren bei Tamedia sind frei.“ Na so ganz „frei“ sind sie, die Chefredakteure, dann doch nicht, bei Tamedia. Wie sonst erklärt Markus Gilli, dass er eine Teilnahme meiner Person am „SonnTalk“ – zu dem er mich eingeladen hatte – wieder absagte, mit den Worten „Es tut mir sehr leid, aber es ist eine Weisung von ganz oben“.

Claude Bürki 08. Oktober 2011, 07:13

Ein Interview mit zwei Profis — sehr erfrischend! Super, die Haltung von Markus Gilli (siehe zweitletzte Frage, ob er auch zum Schweizer Fernsehen gehen würde). Und: Gilli ist besser als der selbsternannte „beste Interviewer der Schweiz“. You know who I mean?! Who cares…

Ernst Huwyler 23. November 2012, 16:34

Das interessante Gespräch vom 13. September 2011 hat eigentlich Spass bereitet. Ist dies die Wiederholung eines Gespräch von 2011, haben Sie statt ein neues Gespräch nochmals dies von 2011 veröffentlicht? Markus Gilli ist nun doch schön über ein Jahr länger ‚Aargauer‘.

Ronnie Grob 23. November 2012, 17:20

Das Gespräch wurde am 13. September 2011 geführt und am 5. Oktober 2011 veröffentlicht. Freut mich, Ihnen „Spass bereitet“ zu haben.