von Nick Lüthi

«Einzige Überlebensstrategie»

Die Paywall ist wieder auf dem Tapet, seit letzte Woche bekannt wurde, dass die NZZ im kommenden Jahre eine Bezahlschranke vor sämtliche digitale Inhalte stellen will. Aus diesem Anlass hat die MEDIENWOCHE in der Branche nachgefragt: Bei Ringier und Tamedia ist eine flächendeckende Kostenpflicht für ihr publizistisches Online-Angebot kein Thema. Schaffhauser Nachrichten und Südostschweiz, deren Zeitungsinhalte im Web bereits heute nur gegen Geld zugänglich sind, sehen sich auf dem richtigen Weg. Branchenbeobachter halten eine Paywall gar für überlebensnotwendig.

Stephan Russ-Mohl, Medienwissenschaftler und Professor an der Università della Svizzera italiana

Bei den Amerikanern gibt es den schönen Spruch: ‚You can’t have a cake and eat it.‘ Genau das aber versuchen New York Times uns jetzt demnächst auch die NZZ: Sich ihre Online-Reichweite zu erhalten und trotzdem sich zusätzliche Einkünfte von ihren treuesten Lesern zu verschaffen. Aus meiner Sicht ist das die einzige wegweisende Überlebensstrategie für Qualitätsjournalismus, der nun mal Geld kostet und den die Werbewirtschaft absehbar nicht mehr, wie bisher im Print-Zeitalter üppigst finanzieren wird. Es wird viel davon abhängen, wie die NZZ ihr Ansinnen kommuniziert. Aber journalistische Unabhängigkeit ist nur dort zu haben, wo Leser/Hörer/Zuschauer oder Nutzer für diesen Journalismus bereit sind, zu bezahlen.

Karl Lüönd, Journalist und Branchenkenner

Die NZZ setzt mit diesem Beschluss ein willkommenes und nötiges Zeichen gegen die Gratismentalität. Kein Unternehmen kann sich leisten, auf die Dauer seine Produkte zu verschenken. Über das Inkassosystem, das die NZZ anwenden wird, weiss man noch zuwenig. Entscheidend wird sein, dass sie es ohne die gierigen «Mitesser» aus der Telekom- und der Kreditkartenbranche schaffen.

Christoph Zimmer, Leiter Unternehmenskommunikation Tamedia

Die Medienbranche in der Schweiz kann nur gewinnen, wenn alle Medienhäuser neue Angebote und Strategien ausprobieren. Der Erfolg von Newsnet und das eindrückliche Wachstum von 20 Minuten Online zeigen, dass sich grosse Redaktionen auch über Werbung finanzieren lassen. Bei bezahlten Angeboten stehen wir als Branche hingegen immer noch am Anfang eines vermutlich längeren Weges. Die Paid-Content-Strategie der NZZ ist genauso wie die iPad-App des Tages-Anzeigers ein Schritt auf diesem Weg. Wir werden die neue Strategie der NZZ wie auch die Paid-Content-Angebote anderer regionaler und nationaler Medienhäuser deshalb mit Interesse verfolgen und wünschen den Kolleginnen und Kollegen an der Falkenstrasse viel Erfolg.

Caroline Thoma, Geschäftsführerin Blick-Gruppe

Das Blick-Portal wie die Printausgaben sind Massenmedien. Eine komplett kostenpflichtige Paywall bei Blick einzuführen ist aktuell keine Option für uns. Wir können uns jedoch vorstellen, zukünftig spezifische Inhalte kostenpflichtig anzubieten

Norbert Neininger, Verleger und Chefredaktor Schaffhauser Nachrichten

Bei uns ist die Onlineausgabe schon lange nur für Zeitungsabonnenten gratis, unsere Sonntagsausgabe auf dem iPad (SN am Sonntag) wird nach einer Einführungsphase auch kostenpflichtig sein. Ich habe nie verstanden, warum die Verleger (sei es im Print, sei es Online) ihre Wertvollstes, ihre Inhalte, verschenken. Mit dieser Haltung bin ich auf unzähligen Podien und in vielen Kommentaren in den Social Media- und anderen Onlinewelten jahrelang zum Banausen abgestempelt worden, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Nun dürfte sich diese Beurteilung, nachdem einer nach dem anderen auf den richtigen Weg einschwenkt, etwas mildern.

Lukas Joos, Leiter Unternehmensentwicklung der Südostschweiz Medien

Für uns ist klar, dass unsere Inhalte im Internet kostenpflichtig sein müssen, deshalb sind die «wichtigsten» Inhalte seit bald 10 Jahren hinter einer Paywall. Eine solche hält auf der einen Seite User ab, bildet aber auf der anderen Seite einen Mehrwert für unsere Abonnenten. Viel Traffic auf der Seite und den Apps wünscht sich vermutlich jeder Verlag, aber immer wichtiger wird die Qualität respektive das Profil der User. Eine Paywall schafft Transparenz. Zudem gilt meiner Meinung nach immer noch, was etwas kostet, ist (zumindest meist) auch etwas wert oder dessen Umkehrschluss.

Leserbeiträge

Vladimir Sibirien 29. November 2011, 13:05

Die Verlage haben bis jetzt sehr unoriginell auf Kostendruck reagiert, indem sie Redaktionen eingedampft haben. Auf dieser Basis lässt sich kein Bezahldienst umsetzen. Bezahlt wird nur für beste Qualität, das war früher am Kiosk so und wird auch im Internet sein. Dass Newsnet überhaupt in diesem Zusammenhang erwähnt wird… ein dpa-Durchlauferhitzer, der das Lektorat durch einen „Fehler melden“-Formular ersetzt hat, kann als gescheitert bezeichnet werden. Vielleicht nicht wirtschaftlich (Werbung) aber qualitätsjournalistisch.

Markus Böniger 30. November 2011, 09:27

Die NY Times hat keine Paywall aufgebaut sondern einem Print Abo automatisch eine ‚All Digital Access subscription‘ hinzugefügt. Und dieser Zugang funktioniert dann auch auf den meisten Betriebssystemen. Zudem kann auch abgestuft nur ein digitales Abo bezogen werden. Die Preise sind sehr moderat und das Angebot überzeugt. Könnte funktionieren.

Was aber sich nicht funktioniert sind PDF Ausgaben oder IPad-only Krimschkramsch.

Die Musikindustrie musste sich den Massen beugen. Es nimmt mich wirklich wunder wie die CH-Medienbranche in den nächsten Jahren mit diesen Veränderungen umgehen wird.

B. Manz 02. Dezember 2011, 16:44

Die NZZ möchte anscheinend wie die New York Times eine «Soft Paywall» (z.B. 20 Gratis-Artikel pro Monat) einrichten. In der Praxis heisst das im Fall der New York Times, dass der User einfach seine Browser-Daten löschen und dann weitere 20 Gratis-Artikel konsumieren kann. Das Angebot bleibt also vollständig kostenlos – mit einem ganz kleinen Mehraufwand. Analog würde das für die Leser der NZZ-Online bedeuten, dass sie neu deutlich mehr Artikel online lesen können – und das erst noch gratis.

Nick Lüthi 05. Dezember 2011, 01:54

«Browser-Daten löschen» alleine bringt nichts, denn die metered Paywall ist nicht dumm. Die Bezahlschranke wird von bis zu acht Parametern gesteuert, Cookies und IP-Adresse sind dabei nur zwei von mehreren Komponenten. Aber klar: Wer den Aufwand nicht scheut, kommt gratis rein, dessen ist man sich auch bei der NZZ bewusst. Man schätzt aber die Bequemlichkeit des (zahlenden) Publikums grösser ein, als dessen Basteltrieb.

Michael 08. Dezember 2011, 20:53

Warum wird denn nicht wenigstens von EINEM major CH-Player mal sowas wie Flattr wenigstens probiert? Wahrscheinlich wurde hier wieder ‚was verschlafen. Technisch ist das so leicht zu realisieren, aber es braucht Zeit bis sich so etwas etabliert und es würde helfen, wenn mal jemand beginnt.
Im Web braucht es auch ein Belohnungs-Zahlungsmodell, ein Zahlen-nach-dem-Lesen, gehört glaub zu dieser neuen Art Medium fast zwingend dazu.

Nick Lüthi 09. Dezember 2011, 02:22

Ich bin aufgrund eigener Erfahrungen skeptisch geworden Flattr gegenüber, sowohl als Spender, wie auch als potenzieller Geldempfänger. Bei der Medienwoche kann man Artikel mit Flattr honorieren. Das tut aber praktisch niemand. Und auch selbst flattere ich nicht mehr, weil ich diese Buttons auch nirgends (mehr?) sehe.
Auf grössere Medien bezogen behaupte ich, dass Flattr bei jenen funktionieren könnte, wo das Publikum schon auf anderen Kanälen eine grosse Zahlungsbereitschaft zeigt, wie etwa bei der WOZ. Wenn sie die hohle Hand macht, dann ist das Teil des Geschäftsmodells. Einen NZZ-Artikel zu flattern, fände ich dagegen eine etwas seltsame Vorstellung.