von Nick Lüthi

Folgenreiche Döpfner-Tweets

Der Club der Zürcher Wirtschaftsjournalisten hatte seinem Gast Vertraulichkeit zugesichert. Dennoch fanden Aussagen von Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner via Twitter den Weg an die Öffentlichkeit. Das blieb nicht ohne Konsequenzen. Ein Lehrstück über alte Spielregeln für neue Medien.

Auf der Einladung stand es klar und deutlich zu lesen: Die Generalversammlung des Clubs der Zürcher Wirtschaftsjournalisten findet off-the-record statt. Weniger wegen brisanter Vereinsinterna, als wegen des prominenten Gasts. Für die GV vom 31. Oktober war Mathias Döpfner als Referent geladen.

Mit der Vertraulichkeit war es dann aber nicht weit her. Was der CEO von Axel Springer zu berichten wusste, sollten alsbald auch Aussenstehende erfahren. Die drei Clubmitglieder David Strohm (NZZ am Sonntag), Beat Schmid (Der Sonntag) und Peter Hossli (Sonntagsblick), sowie der als Gast anwesende Ringier-Mediensprecher Edi Estermann twitterten munter drauf los. Insgesamt zwanzig Kurzmeldungen setzten die vier Medienschaffenden ab.

Zwar nichts Brisantes, geschweige denn Börsenrelevantes, aber doch interessante Aussagen eines der mächtigsten Medienmanager Europas. So schrieben die vier Twitterer wie Döpfner den Kulturpessimismus der Zeitungsbranche geisselte und den Online-Optimisten gab, sie nannten die Gewinnmarge von 20 Prozent, die Axel Springer mit dem Online-Geschäfte anstrebt und erwähnten, wie Döpfner das Konzept Newsroom als «von gestern» kritisierte.

Wer den Twitter-Konten der vier Medienschaffenden oder den einschlägigen Hashtags folgte, konnte zeitnah mitlesen, was Mathias Döpfner den Zürcher Wirtschaftsjournalisten zu berichten wusste. Das hätte aber nicht sein dürfen. «Off-the-record gilt auch für Twitter», sagt Birgit Voigt, Präsidentin des Clubs Zürcher Wirtschaftsjournalisten. Davon ging auch die Axel Springer AG aus. Als sie dann die Döpfner-Tweets entdeckte, meldeten sich Mitarbeiter beim CZW und zeigten sich enttäuscht und irritiert über das Kommunikationsleck.

Die twitternden Journlisten waren sich im Moment nicht bewusst, dass sie gegen die Spielregeln verstiessen. «Eine Generalversammlung hat für mich einen öffentlichen Charakter, im Gegensatz zu den anderen Anlässen des Clubs», sagt Beat Schmid. Der ehrenamtlich organisierte Club mit rund hundert Mitgliedern lädt mehrmals pro Jahr CEOs zu Hintergrundgesprächen ein. Dabei wurde erst ein einziges Mal die Vertraulichkeit gebrochen. Einer der vier Twitterer argumentiert, dass bei Twitter andere Regeln gälten als für herkömmliche Medien. Ausserdem hätten es die Club-Verantwortlichen versäumt, vor Döpfners Auftritt noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Anlass off-the-record stattfinde. Hinterher sieht das auch der Club-Vorstand so und räumt diesbezüglich ein Versäumnis ein.

Abgesehen von diesem Eingeständnis, gibt es aber keinen weiteren Interpretationsspielraum: Wer die Regeln verletzt, muss mit Sanktionen rechnen. Und genau so erging es auch den drei Journalisten und dem Mediensprecher, die sich nicht an das Vertraulichkeitsgebot gehalten hatten: Ein Jahr Ausschluss von den Veranstaltungen des Clubs. Die so Sanktionierten zogen selbst die Konsequenzen und traten aus dem Club aus. Doch damit begannen die Diskussionen über Sinn und Unsinn von Off-the-record-Veranstaltungen im Zeitalter von Twitter erst.

Beat Schmid, einer der gescholtenen Twitterer, hält das Öffentlichkeitsverständnis der Zürcher Wirtschaftsjournalisten für «überholt». Selbst bei zugesicherter Vertraulichkeit werde sich ein Top-Manager davor hüten, mehr zu sagen als an einer Medienkonferenz. Deshalb könne man auch gleich on-the-record reden. Schmid nimmt seine Einschätzung von einer Aussage Döpfners am besagten Anlass: «Auf eine Frage sagte er, dass seine Antwort nichts Börsenrelevantes enthalte, weil er diese Angaben bereits an einer Medienkonferenz gemacht hatte.»

Auch Birgit Voigt ist sich im Klaren, dass kein CEO vor versammelten Wirtschaftsjournalisten irgendwelche Geschäftsgeheimnisse ausplaudern würde. Doch darum gehe es gar nicht, sagt die Wirtschaftsredaktorin der NZZ am Sonntag. «Mit der off-the-record-Regel schaffen wir ein Klima, in dem die Führungspersonen freier auftreten können als bei einer Medienkonferenz.» Mit Geheimniskrämerei habe das nichts zu tun. Vielmehr sei die Zusicherung der Vertraulichkeit auch eine Bedingung, dass CEOs überhaupt vor dem Club der Wirtschaftsjournalisten auftreten würden.

Deshalb sei auch klar, sagt Voigt weiter, dass eine solche Veranstaltung keine Form der unmittelbaren und identifizierenden Berichterstattung vertrage. «Da sind keine Ausnahmen möglich. Twitter ist ein Medium, wie jedes andere auch.» Das stimmt insofern, als dass man mit Twitter ein potenziell globales Publikum erreichen kann. Ausserdem bleibt ein Tweet über eine Web-Suche auch später auffindbar. Die twitternden Journalisten gingen offenbar davon aus, mit ihren Kurzmitteilungen nur einen überschaubaren und ihnen bekannten Nutzerkreis zu informieren. Die Posse um die Döpfner-Tweets dürfte dem Club und den gerügten Medienschaffenden eine Lehre sein, dass alte Spielregeln auch für neue Medien gelten.

Leserbeiträge

Peter Hossli 19. Dezember 2011, 13:53

Der Club der Zürcher Wirtschaftsjournalisten ist ein privater Verein. Er darf seine Regeln selber festlegen. In der Einladung zur Jahresversammlung stand, der Anlass sei Off-the-Record. Das habe ich überlesen.

An der Veranstaltung mit Herrn Döpfner wurde die Off-the-Record-Regel nicht bekannt gegeben.

Das ändert an meinem Verstoss nichts. Deshalb habe ich sofort die Konsequenzen gezogen und bin aus eigenem Antrieb aus dem Club ausgetreten.

Es ist für den Beruf essentiell, dass Journalisten sich an Off-the-Record-Abmachungen halten.

Jeeves 20. Dezember 2011, 15:03

„off-the-record“ = Da das zu keiner der in der Schweiz üblichen Sprachen gehört, sondern nur aufgeblasenes Angeber- und Reklamefuzzi-Sprech ist, …wie sollten aufrechte Schweizer um die Bedeutung wissen?

Vladimir Sibirien 20. Dezember 2011, 20:30

Da steckt eben mehr dahinter als nur ein Buzzword. Es erlaubt den (potentiell) echten, konstruktiven Meinungsaustausch, ohne dass Alle ständig im Gesichtswahrmodus herumeiern. Wer „off the record“ oder „Chatham House rules“ nicht versteht, hat als Journalist grundsätzlich etwas verpasst.

Es ist Sache des Veranstalters, die Diskussionsregeln kristallklar zu Beginn darzulegen. Das ist, wenn ich das richtig verstehe, nicht geschehen.

Wo wir gerade bei Angebersprech sind: Das mit den „aufrechten Schweizern“ ist seit den letzten Bundesratswahlen total out. JFYI. 🙂

Marcel Bernet 18. Januar 2012, 15:29

Learning: Stell Regeln auf, wiederhole sie, rechne mit Regelbrüchen. Ist in Ordnung. Aber es kann nicht sein, dass man am Anfang des Anlasses die Vertraulichkeit nicht wiederholt, erwähnt. Sogar dann, wenn jemand verspätet eintrifft. Mir ging’s ähnlich bei einem Vortrag: Bei Beginn hatten sich alle einverstanden erklärt, nicht zu twittern – bis einer mit Verspätung reinkam. Und wir erst nach dem Anlass auf Twitter zahlreiche Meldungen feststellten. Wir hätten die Regel wiederholen müssen…