von Ronnie Grob

Unterhaltungsarbeit für Verwöhnte

Das RTL-Dschungelcamp erwärmt den hiesigen Couch-Potatoes wieder mal den frostigen Januar mit harter Unterhaltungsarbeit. Dank «Stars» wie Ailton oder Brigitte Nielsen sowie den exzellenten Texten des Moderatoren-Teams ist «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» ein Lichtblick in der sonst so niederträchtigen Welt des deutschen Privatfernsehens.

Das Feiern von Luxus
Es regnet oder schneit in der Winternacht, draussen pfeift der Wind, der Zuschauer sitzt mit einem heissen Tee in einer Decke vor dem Fernseher, das Feuer im Cheminée knackt oder wenigstens die Heizung. Und irgendwo weit weg, im australischen Dschungel, kämpfen elf Prominente und Pseudoprominente gegen Schlangen, Kakerlaken und Mehlwürmer. Sowas ist nur in einer Welt lustig, in der niemand gegen Schlangen, Kakerlaken und Mehlwürmer kämpfen muss, also in einer Welt des Luxus, wie sie der westlichen Welt die letzten Jahrzehnte (zu weiten Teilen) vergönnt war. Wer selbst kein Obdach hat, wird womöglich nur bedingt lustig finden, wenn sich andere freiwillig in die Obdachlosigkeit begeben. Wer selbst Ungeziefer in der Wohnung hat, ein typisches Problem der Armut, wird womöglich nur bedingt lustig finden, wenn Brigitte Nielsen mit Kakerlaken tanzt (Video). Wer selbst hungert, wird womöglich nur bedingt lustig finden, wenn Ungeziefer aufgetischt wird (Video).

Die ehrliche Arbeit
Während RTL für viele Sendungen Laiendarsteller aus den mittleren und unteren Schichten des Volks mit Knebelverträgen ausnützt und vor der Kamera demütigt, werden die Teilnehmer des Dschungelcamps vergleichsweise anständig bezahlt. Für zwei Wochen öffentliches Rumliegen im australischen Urwald und einige wenige «Prüfungen» winkt den in Vergessenheit zu geraten drohenden «Stars» nicht nur eine Gage in der Höhe von mehreren zehntausend Euro, sie kriegen auch die dringend erwünschte, oft auch dringend benötigte Aufmerksamkeit. Denn viele, viele Medien berichten ausführlich über die Show und ihre Kandidaten, auch in der Schweiz: Blick.ch, sonst stets freudig erregt bei nackten Tatsachen, mahnt Kandidatin Micaela Schäfer zur Zurückhaltung bei ihrer Kleiderwahl («krankhaft anmutende Entblössungen», «immer bizarrer»). Und auch 20min.ch stellt fest: «Seit zehn Tagen streckt das Erotikmodel ununterbrochen ihren Hintern und ihre Brüste in die Kameras. Keine Gelegenheit lässt sie aus, um über Sex zu reden.» Und Medien lassen keine Gelegenheit aus, um darüber zu berichten. Was wiederum nicht geschähe, ignorierte das Publikum solche Berichte.

Den Kandidaten geboten wird eine einzigartige Bühne und eine Chance. Der Kluge wird sie zu seinen Gunsten nutzen. Im Vergleich zu verlogenen PR-Veranstaltungen oder Privatanlässen, die zum Einkommen vieler Pseudoprominenten gehören, ist «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» erfrischend ehrliche Arbeit. Wer sich für den Anlass bereit erklärt, weiss von den bisherigen fünf Staffeln der Sendung genau, auf was er sich einlässt. Der heroische Kampf mit Ungeziefer zur Belustigung des Publikums ist echte und ehrlich geleistete Unterhaltungsarbeit. Gezwungen dazu wird niemand, nur gelockt.

Das Aufblitzen der Wahrheit
Für Freunde der Wahrheit sind Extremsituationen ein kleines Eldorado. Wer sich bis an und über seine Grenzen hinaus fordert, lässt die Maske fallen und zeigt den Mensch dahinter, was sowohl erfreuliches als auch unerfreuliches zu Tage fördert. Radost Bokel und Brigitte Nielsen etwa diskutierten am Sonntag mit Tränen in den Augen über die Schattenseiten von Männern, an die sie geraten sind (Video). Wie sagte es Dirk Bach am Montagabend? «Dies hier ist eine Therapiestätte, eine Entzugsstätte, in vieler Hinsicht eine Stätte, um zu gesunden, zu sich zu finden, Gutes zu tun, und, in unserem Fall [er zeigt auf Sonja Zietlow und sich], mild und gütig zu sein.»

Auf jeden Fall einer der Höhepunkte der diesjährigen Staffel war der Auszug von Ex-Fernsehgarten-Frau Ramona Leiss, die ihre Zigaretten lieber aus dem Camp entführte, als sie ihren Leidensgenossen zu überlassen («Ich hab keine im Hotel. Ich brauch die jetzt.»). Der Kommentar folgte sogleich. Dirk Bach: «Ramona, eine starke Frau. Sie hat übrigens direkt nach der Brücke mit dem Rauchen aufgehört, ihre Kippen zerbrochen und weggeworfen» (Video, Minute 8).

Einschränkend dazu muss man sagen, dass die den Zuschauern gezeigten Ausschnitte nicht nur subjektiv, sondern auch manipulierend ausgewählt werden. Das ist aber Usus bei vielen RTL-Sendungen.

Der Brillanz der Moderation
Die charmant bösartigen, sprachlich oft exzellenten Moderationen von Sonja Zietlow und Dirk Bach gehören zu den intelligentesten Texten, die auf RTL vom Teleprompter abgelesen werden. Die beiden erlauben sich einiges und teilen auch abseits des Geschehens in Australiens tüchtig aus: So witzelt Zietlow über die Namen der Kinder von Uwe Ochsenknecht (dessen Sohn Rocco Stark Teilnehmer ist) und Bach führt fiktive Telefongespräche mit Veronica Ferres (deren Partner Carsten Maschmeyer auch immer wieder dran kommt). Hauptopfer sind aber natürlich die «Stars», die sich für Geld während zwei Wochen einem alles überwachenden Fernsehsender ausliefern. Dieses Jahr scheint den beiden das verbale Quälen der Kandidaten besonderen Spass zu machen. Zietlow wirkt so unheimlich gutgelaunt, dass man ihr schon bald glaubt, es sei so. Der Job, Pseudostars etwas zu quälen, scheint ganz auf sie zugeschnitten. Auf ihrer Website steht der Satz «eigentlich bin ich nämlich ganz nett!». Das will man ihr zwar gerne glauben, aber einen Grund wird es wohl haben, dass das dort steht.

Die Kurzhaarfrisur der grossen Blondine erinnert etwas an die von Brigitte Nielsen 1985 als Ehefrau von Ivan Drago in Rocky IV (Video). Allerdings hat Zietlow die seltene Fähigkeit, Grimassen zu schneiden, die als echt komisch bezeichnet werden müssen. Wenn sie sich den Weg durch den Dschungel bahnt und der kugelige Bach ihr nachhoppelt wie ein in ein kleines Zirkuszelt eingekleideter Gummiball und sie dann gemeinsam den Namen der Sendung in gleicher Tonhöhe in den Wald schreien, dann entstehen schon fast ikonenhafte Bilder für die deutsche Fernsehgeschichte.

Die Eigenarten der Teilnehmer
Dass sich Brigitte Nielsen als absoluter Glücksgriff für die Show und als bisher einzige mit internationaler Klasse herausstellt, haben wohl nicht alle erwartet. Ailton dagegen hat seine unterhaltsame Art, deutsch zu reden (einfach den Buchstaben «e» vermeiden, rät Sonja Zietlow), schon nach vielen Bundesliga-Spielen zum Besten gegeben. Die meisten anderen kannte bisher natürlich niemand, aber das ist bei einem Auflauf von C- und D-Promis auch nicht weiter verwunderlich.

Mit dem Berner Vincent Raven hat auch die Schweiz einen Abgesandten – der gelegentlich Latein spricht und die Zuschauer bisher vergeblich darum gebeten hat, ihn abzuwählen. Mitgenommen ins Camp hat er ein Rabenpendel (289 Euro) und ein Amulett der Pforten (299 Euro), wie auf vincentravenshop.de in einer Laufschrift zu erfahren ist. «Meine zwei persönlichen Dinge, die ich mitnehme, werden mir im Dschungel eine grosse Hilfe sein.»

Leserbeiträge

Martin Stutz 25. Januar 2012, 11:27

Die anonyme Kritik: Geben Sie mir meine 2,5 Minuten zurück, die ich für diesen Wisch verschwendet habe.
Und jetzt die konstruktive Kritik: Habe ich nicht. Ich hoffe einfach, dass der ganze Text ironisch gemeint war und ich zu verblendet bin, es zu bemerken.

Ronnie Grob 25. Januar 2012, 13:24

Also wenn Sie den Text nicht gelesen haben, zweifle ich etwas daran, ob Ihre Kritik konstruktiv ist.

Martin Stutz 25. Januar 2012, 16:19

Herr Grob, ich habe den Text gelesen, sonst würde ich keinen Kommentar schreiben.

Sie schreiben: „ein Lichtblick in der sonst so niederträchtigen Welt des deutschen Privatfernsehens.“ Ein Lichtblick? Sind Sie schon derart abgestumpft?

Ich weiss schon, was Sie meinen: Dass die üble Scripted Reality mal weggelassen wird. Andererseits. Wissen Sie das so genau? Sind Sie felsenfest davon überzeugt, dass RTL nicht kleine Einmischungen vornimmt – und ich rede jetzt nicht von der passiven manipulativen Bildauswahl.

Es spielt ja auch keine Rolle. Betrachten Sie die Sendung mal von weiter weg. Noch weiter. Noch ein Stück. So. Erklären Sie bitte einem eben auf der Erde angekommenen Ausserirdischen, was die im leuchtenden Kasten gerade so treiben. Und fragen Sie sich, was dieser danach von uns Menschen denkt.

PS. Die Moderatoren sind sprachlich tatsächlich exzellent, daran gibts nichts zu rütteln.
PPS. Disclaimer: Ich habe mir die Sendung ein (1) Mal angeschaut – nach 40 Minuten habe ich abgeschaltet.

Ronnie Grob 26. Januar 2012, 09:21

Dann habe ich Ihren Kommentar „Habe ich nicht“ falsch verstanden. Zur Frage, wie viel davon „Reality“ und wie viel „Scripted“ ist: Das ist wirklich sehr schwierig zu entscheiden, auch im Dschungelcamp. Ich denke aber, es ist eine der RTL-Sendungen, bei denen, schon nur aus den Umständen vor Ort, weniger nach Drehbuch passiert. Welche Passagen ausgewählt werden und wie, das sind selbstverständlich redaktionelle Entscheidungen, die, wie ich schreibe, „nicht nur subjektiv, sondern auch manipulierend“ vorgenommen werden.

Vladimir Sibirien 25. Januar 2012, 13:49

Die Ironie erschliesst sich mir auch nicht, weshalb ein leicht maues Gefühl zurückbleibt, dass es sich hier nicht um einen walraffschen Selbstversuch handelt sondern um die Berichterstattung eines belanglosen Sofa-Abends.

Die Sendung unkritisch zu portraitieren grenzt an Billigung des Konzepts: Die Zuschauer ergötzen sich an den fleischgewordenen Qualen eines Karriereabsturzes. Es ist das einzige RTL-Sendeformat, welches ex-Sternchen mit Tattoo auf Zellulitis akzeptiert. Letztlich geht es darum, dass vormals erfolgreiche Individuen ihren Absturz nicht verkraften. Der Show-Erfolg sollte nicht das Ziel sein, sondern die Konsequenz einer Eigenleistung, die man gerne entgegennimmt aber nicht voraussetzt. Und an diesem unausweichlichen Scheitern erfreut sich der Zuschauer. Ein tolles Konzept für eine wertebefreite Zuschauerschaft, die der Misere vom Sofa aus zuglotzt, Irrelevantes per SMS zur Breaking News macht („hesch au gseh… Nielsen chotztet Kakerlake… so cool“) und dabei nicht merkt: Die wahren Akteure sind nicht die C-Promis sondern die Zuschauer. Der gesellschaftliche Verlust lässt sich darin bemessen, dass er oder sie stattdessen auch http://www.youtube.com/watch?v=hHO6a1kMe1Q hätte anschauen können. Das sind die Opportunitätskosten des Hartz-IV-TVs.

Ronnie Grob 25. Januar 2012, 14:16

Immerhin bietet RTL Geld gegen die „Qualen eines Karriereabsturzes“, ich sehe das als Chance, diese Situation zu überwinden. Das Geld annehmen muss ja niemand.

Vladimir Sibirien 26. Januar 2012, 13:44

Es geht nicht darum, ob sich ein Flötenschlumpf findet, der bei der Sendung mitmacht. Die Redaktion kann sich wohlmöglich kaum retten. Die Frage ist, was ich als Zuschauer unterstütze und wo die Grenze gezogen wird. Wo unterscheidet sich Dschungelcamp von irgendeiner anderen Rotzsendung wie Big Brother, DSDS etc.? Schadenfreude, Scheitern, Respektlosigkeit sind die Grundlage aller dieser Sendungen. Wie übrigens auch bei Gladiatorenkämpfen, aber das ist schon eine Weile her, intellektuell scheint sich jedoch nicht allzu viel getan zu haben. Dass man die Sendung auf ein paar pointierte Aussagen der zwei im Muppet-Show-Balkon reduziert hätte ich auf diesem Kanal nicht erwartet. Das Niveau enttäuscht.

Ronnie Grob 26. Januar 2012, 16:21

Ich finde die Bezahlung einer Gage über 10.000 Euro plus an alle Kandidaten schon ein Unterschied zu den anderen Wettbewerben. Es melden sich aber für alle Sendungen alle Teilnehmer freiwillig an, dazu gezwungen, mitzumachen, wird auch dort niemand (das geschieht dann erst nach Unterzeichnung von irgendwelchen Verträgen).

Die beste Lösung, wenn man nichts von diesen Sendungen hält (was ich sehr gut verstehe), ist, sie zu ignorieren.

bugsierer 25. Januar 2012, 18:44

klasse, dass du die sendung hier besprichst. die moderationen sind in der tat vom feinsten und vom giftigsten. grosses kino, auch die ausstattung und die kostüme. das ist alles top gemacht. – mir hats vor zwei jahren erstmals den ärmel reingenommen, obwohl ich diese krawalligen rtl formate eigentlich hasse und immer überzappe. aber der dschungel hat irgendwie was besonderes, ist ja nicht vergebens die erfolgreichste show weltweit.

henusode – es ist auch die frage interessant, was das für unsere medienlandschaft generell bedeutet. ich meine: dass sich srf ohne grossen protest jetzt auch das unteriridische voice of switzerland dings gekauft hat, hat doch mit solchen vorreitern zu tun, die immer weiter in die öffentlich rechtlichen eindringen. das halte ich für fatal.

und ich würde gerne mal wissen, wieviele journalisten und medienforscher, die sich regelmässig zu medienthemen äussern, solche formate überhaupt angucken.

Ronnie Grob 26. Januar 2012, 09:26

Richtig, wer über den Einfluss von Medien auf Menschen forscht oder schreibt, sollte den Fernseher unbedingt auch mal vormittags, nachmittags und nachts einschalten, gerade auch auf Sendern, die im TV-Gerät auf der 48 oder der 97 abgespeichert sind. Die Website Fernsehkritik.tv leistet da übrigens manchmal gute Arbeit.

brigitt 27. Januar 2012, 23:06

ein Lichtblick? Wie dumm gehts denn noch? Die Sendung ist so etwas von daneben. Am Schlimmsten sind die Moderatoren, vor allem Sonja Z; diese Frau ist einfach nur oberpeinlich.

Matthias Giger 26. Januar 2014, 09:31

Je länger man solchem Quatsch Beachtung schenkt oder sich ihn sogar noch schön schreibt, desto mehr solcher Quatsch wird gesendet.