von Redaktion

«Würden es wieder so machen»

Dürfen Medien Fotos von tödlich verunfallten Kindern zeigen? Der «Blick» hats getan. Prominent und grossformatig nach dem schweren Carunfall im Wallis von letzter Woche – und würde es wieder tun. «Blick»- Chefredaktor Ralph Grosse-Bley sagt, weshalb.

Fratze des Boulevards, scheinheilige Betroffenheit, Grenzüberschreitung als Geschäftsprinzip oder schlicht: Arschloch-Journalismus. All dessen bezichtigen in den letzten Tagen Schweizer Journalisten ihre Kollegen vom «Blick».

Die Boulevardzeitung aus dem Hause Ringier hatte nach dem schweren Unfall eines Reisecars im Wallis, bei dem 28 Menschen, darunter 22 Kinder ums Leben kamen, mehrfach Fotos der verstorbenen Kinder gezeigt; am prominentesten am vergangenen Freitag auf der Titelseite. Dafür hagelte es nicht nur Kollegenschelte. Auch der Präsident des Presserats sieht keinen «öffentlichen Informationswert» in den Bildern. Und schliesslich meldete sich die flämische Medienministerin Ingrid Lieten zu Wort und fand zur «Blick»-Berichterstattung: «Das geht viel zu weit.»

Bisher nicht öffentlich zu Wort gekommen ist jene Person, die den kritisierten Bilderreigen letztlich zu verantworten hat: «Blick»-Chefredaktor Ralph Grosse-Bley. Gegenüber der MEDIENWOCHE wollte er sich nicht äussern. Stattdessen bot uns die Ringier-Medienstelle an, ein Kurzinterview zu übernehmen, das Kommunikationsleiter Edi Estermann mit Grosse-Bley geführt und am letzten Freitag im Intranet von Ringier veröffentlicht hat.

Weil wir die Aussagen des «Blick»-Chefs für aufschlussreich und relevant halten, haben wir uns entschieden, das kurze Gespräch zu dokumentieren, obwohl wir die Fragen nicht selbst stellen konnten.

Edi Estermann: Die flämische Medienministerin hat die Berichterstattung über das schlimme Busunglück im Wallis kritisiert. Nur weil Bilder im Internet verfügbar seien, dürften diese noch lange nicht verwendet werden. Der Blick hat Bilder von Opfern gebracht – sind Sie damit zu weit gegangen?
Ralph Grosse-Bley: Schauen Sie, um dieser Tragödie ein Gesicht zu geben, um sie fassbar zu machen, kann man nicht einfach nur bloss einen Tunnel, einen zerstörten Bus und eine Pannen-Nische zeigen. 22 tote Kinder – das ist keine Zahl, das ist eine Katastrophe. Die Bilder von Menschen, von Betroffenen, machen das Ausmass des Dramas wenigstens ansatzweise fassbar. Das war auch beim Breivik-Amoklauf in Norwegen so. Auch damals gingen die Fotos der Getöteten um die Welt.

Estermann: Der Präsident des Presserates kritisierte konkret und ganz explizit Berichte des Blick, insbesondere jenen vom Freitag, 16. März, mit dem verunglückten Mädchen Emma auf der Titelseite. Zu Recht?
Grosse-Bley: Wer den berührenden Artikel über Emma und auch über Andrea, die die Tragödie auf wundersame Weise überlebt hat, gelesen hat, erkennt, dass wir mit einem Team vor Ort in Belgien sind. Wir haben den Vater von Emma getroffen, mit dem Opa von Andrea gesprochen. Beide haben der Veröffentlichung ausdrücklich zugestimmt, uns selbst Fotomaterial zur Verfügung gestellt. Unser Team in Belgien und auch im Newsroom hat ganz hervorragende Arbeit geleistet und sich absolut nichts vorzuwerfen. Wenn der Presserat das anders sieht, dann kann ich das nicht nachvollziehen.

Estermann: Würden Sie in einer vergleichbaren Situation wieder so entscheiden?
Grosse-Bley: Ich hoffe sehr, dass es kein vergleichbares Unglück geben wird – aber wenn doch: Ja! Wir machen den Blick für unsere Leserinnen und Leser, die enorm Anteil nehmen am Schicksal der Opfer von Siders. Wir machen die Zeitung nicht für den Presserat und die Medien-Journalisten der Konkurrenz.

Leserbeiträge

Ugugu 20. März 2012, 12:19

Arschlochjournalismus ist und bleibt die adäquate Umschreibung.

Dino Cardelli 20. März 2012, 13:27

Die Frage ist nicht, ob man so etwas schreiben darf, sondern wie man so etwas schreiben kann, ohne sich selbst über die Tastatur zu kotzen.

Leo Nauber 20. März 2012, 13:32

„Wir machen den Blick für unsere Leserinnen und Leser, die enorm Anteil nehmen am Schicksal der Opfer von Siders.“ soll Herr Grosse-Bley gesagt haben. Und ich sage, man kann den LeserInnen auch mal zumuten, einen Mindestrespekt gegenüber den Hinterbliebenen etc. zu wahren und trotzdem Anteil am Leid zu übernehmen. Ich finde diese Fotos nur widerlich. Als ich in einem Restaurant den Blick sah und lesen wollte, sah ich zuerst Fotos toter Kinder, also flog der Blick ungelesen in die Ecke. Diese Zeitung ist für mich definitiv gestorben, solange der Respekt vor den Menschen in Leid so tief ist bzw. gar nicht vorhanden ist.

Mark Eisenegger 20. März 2012, 17:17

Die Hemmschwellen der Medien zur Veröffentlichung problema­tischen Bildmaterials sind in der Tat bedenklich gesunken. Allerdings nicht nur beim Blick. Dies belegt eine Studie des fög – Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft der Univer­sität Zürich zum Umgang der Medien mit den Todesbildern des libyschen Machthabers Muammar Gaddhafi. Vgl. http://jahrbuch.foeg.uzh.ch/medienundqualitaet#Ghadhafi

bugsierer 20. März 2012, 20:28

höseler, elende.

R. Bönzli 21. März 2012, 09:24

Für mich viel schlimmer als die Fotos der verstorbenen Kinder sind die Bilder der weinenden Angehörigen in Belgien. Das ist ein schrecklicher Eingriff in die Privatsphäre.

coolray 21. März 2012, 10:56

die bilder wurden garantiert nicht gezeigt um auf das leid der hinterbliebenen hinzuweisen oder um die ausmaße der tragödie aufzuzeigen..sondern ganz eindfach um mit ihnen die auflage zu steigern und auf kosten der opfer und der hinterbliebenen geld zu machen…man bekommt auch ohne bilder der opfer das ausmaß des unglückes mit..aber es gibt viele zeitungen die keinen respekt vor opfern und deren angehörigen haben

Christian 21. März 2012, 12:50

Der Herr Chefredaktor sollte sich fragen, ob er gleich handeln würde, wenn ein eigenes Kind betroffen gewesen wäre. Ich bin mir sicher, dass er seine absurden Argumente dann fallen lassen würde.

Dominik Schmid 23. März 2012, 13:24

Peinlich, einfach nur peinlich. Diese Argumentation ist dumm und arrogant zugleich, die schlimmste Kombination, die es gibt.

Sam Loew 23. März 2012, 13:25

Ein schönes Beispiel für Arschlochjournalismus findet man auch bei Infosperber. http://www.infosperber.ch

Die Infosperber veröffentlichen ein aus Facebook geklautes Photo eines Mannes, der ebenfalls Mohammed Merah heisst, bebildern einen Artikel damit und schreiben in der Bildlegende: Der Dschihadist Mohammed Merah.

(Screenshot vorhanden).

Auf dem Photo zu sehen ist aber der Boxer Mohammed Merah aus dem Norden Frankreichs, aus Douhai. Sein Spitzname ist «Parigo» und so wird er auch auf zahlreichen Photos von seinen FB-Freunden genannt.

Gerade gestern ist in der Sportpresse ein Bericht darüber erschienen, dass der Boxer ein Opfer seines Homonyms ist – und die unprofessionellen Journalisten von Infosperber sind zuoberst mit dabei, einen Unschuldigen des Massenmords zu bezichtigen, einen Boxer einen Dschihadisten zu nennen. Offensichtlich ist es zu viel verlangt, zuerst das Hirn einzuschalten, bevor man sich an die «journalistische» Arbeit macht.

http://www.lobservateurdudouaisis.fr/22032012mohamed–merah–parigo–toulouse–douai–boxe–boxing-club,1.media?a=3472

Wer auf Facebook ist, kann sich die Bilder des Boxers Mohammed Merah anschauen, und erkennen, dass das Bild von dort geklaut wurde.

Ninon 27. März 2012, 18:14

@ Löw: Das Foto des unschuldigen Namensvetters von Mohamed Merah auf dem Altherrenportal Infosperber ist mir auch aufgefallen. Es zirkulierte zuvor auf rechtsextremen Blogs wie PI. Aber sogar die hatten den Anstand das Bild auf zahlreiche Reklamationen hin zu entfernen, während PPQ, die „seriöse Quelle“, wie sie von Urs P. Gasche genannt wird, es noch immer auf dem Blog hat und einen Unschuldigen einen Massenmörder nennt. Es gibt Blogs, die sich an journalistische Regeln und ethische Grundsätze halten, und dann gibt es jene, die es nicht tun.
Tragisch aber ist, wenn Journalisten die unprofessionellen und unbedachten Publikationen der Hobby-Journalisten übernehmen.

Sophias 17. April 2012, 07:33

Die Aussagen der Blick Reporter sind erbärmlich heuchlerisch. Es geht einzig und alleine um die Anzahl der verkauften Zeitungen. Dafür schreiben und zeigen sie das, was ihre Leserschaft – der Mob – aufgeilt. Ein Reporter mit Stil, der was kann und was auf sich hält, würde sich nie dazu herablassen für den Blick zu schreiben.

rita amalin surber 19. April 2012, 19:54

die meinung von chefredaktor grosse-bley kann ich nachvollziehen.

was ich nicht in ordnung finde, wenn der bitte der eltern, die bilder nicht zu veröffentlichen (schweizer illustrierten, nicht nachgekommen wird. hier fehlt eindeutig der respekt der zeitung gegenüber den trauerfamilien. 🙁