Frühling in den Schreibstuben
Die «Magazin»-Journalisten werfen sich ins Netz, das NZZ-Feuilleton gibt sich etwas lockerer und wagt Debatten, Rico Bandle bringt etwas Leichtigkeit in die Weltwoche. Eine leichte, frische Frühlingsbrise erfasst die Schweizer Feuilletons.
«Um Himmels willen – selber schuld! Ich finde das in der Regel weder intellektuell noch ästhetisch ergiebig», sagte mir NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer im MEDIENWOCHE-Interview über meinen Konsum von US-Fernsehserien. Und doch erschien im NZZ-Feuilleton vom 2. April das Ergebnis eines zweieinhalbstündigen Besuchs von Jonathan Fischer bei David Simon, dem Macher von «The Wire», der Serie, die von Richard Kämmerlings 2010 in der FAZ mit dem Werk von Honoré de Balzac verglichen wurde. Ein aufschlussreicher Text, der den Serienproduzent und Schriftsteller unter anderem als enttäuschten Journalist outete. Auf die Frage, ob er noch die gesellschaftliche Kraft des Journalismus glaube, antwortet Simon: «Als junger Journalist, ja! Aber dann lernte ich bei der Baltimore Sun, dass nur billige Empörungs-Geschichten gedruckt werden. (…)»
Selbst die jahrelange Debattenmüdigkeit des NZZ-Feuilletons scheint etwas gewichen. Roman Bucheli beklagt am 6. März die Inkonsequenz von Georg Diez, der seine ungeheuerlichen Vorwürfe gegenüber Christian Kracht nur zwei Wochen lang aufrecht erhält. Am 17. März gibt er sich in der Kulturinfarkt-Debatte angriffig gegen Pius Knüsel. Am 10. April erstaunt ihn, «dass es abermals jemandem gelungen ist, sich mit einer vermurksten Polemik in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken» – gemeint ist damit natürlich Genosse Grass. Und Roman Hollenstein schreibt durchaus nachvollziehbar, der Neubau des Niederländischen Filminstituts in Amsterdam gleiche «einem riesigen weissen Frosch, der gerade aus dem IJ gehüpft ist, um den Overhoeks-Turm zu bestaunen». Ja, gemessen an allem, was sonst im NZZ-Feuilleton erscheint, ist das frisch und frech.
Bei den anderen Luxusjournalisten, den gutgekleideten Herren und Damen vom «Magazin» an der Werdstrasse, ist das Internet-Fieber ausgebrochen. Es wird nicht nur fast täglich ein neuer Eintrag im «Magazin»-Blog online gestellt, die Beiträge werden auch fleissig bei Facebook und Twitter (@finncanonica, @DBinswanger, @thomaszaugg) angekündigt. Auch wenn der Dialog durch die versteckte Facebook-Kommentarbox nach wie vor schwer fällt, nach dem beleidigten Rückzug 2009 ist die aktuelle Internet-Offensive eine erfreuliche Entwicklung, an der sich andere, möglicherweise unterforderte Journalisten messen können.
Und auch ein Lichtblick bei der Weltwoche: Wer nach Politik, Politik, Politik und Wirtschaft kurz vor dem Luxusteil rechtzeitig eine Pause einlegt, könnte auf einen der wenigen leichten Artikel im Blatt stossen, die nicht selten von Rico Bandle kommen, der sich, mit beachtlichem Output und scheinbar unbeeindruckt von seiner mehrheitlich bleiernen Umgebung um die schönen Dinge des Lebens kümmert oder alternative Sichtweisen zu einigen unveränderlichen Urteilen anderer Kulturjournalisten anregt. Dazu liefert er jede Woche eine scharf beobachtete und flott geschriebene Fernsehkritik.
Aber sollen sich Kulturjournalisten mit US-Fernsehserien und vermeintlich seichten Debatten befassen? Sollen sie mit Spass an die Arbeit und dem Publikum vermitteln, was sie selbst begeistert oder aufregt? Ja, und sie sollen sich auch mit dem auseinandersetzen, was das Publikum beschäftigt. Niemand braucht Texte, die sich nach dem Konsum wie Steine im Magen anfühlen. Was nicht gelesen wird, ist dem Tod geweiht.
Viele verwechseln das Leichte mit dem Gemeinen. Doch man kann über das Gemeine leicht schreiben und auch über das Herausragende. Wie ist es in «Gradus ad Parnassum», einem Werk des österreichischen Komponisten Johann Joseph Fux, festgehalten? «Das Leichte ist schwer.»
Bild: Ausschnitt «Gradus ad Parnassum» von Johann Joseph Fux, Seite 180, bzw. 196.