Vorerst gescheitert
Trotz ihrem Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft hat es die SRG bisher nicht geschafft, mit der Hausgewerkschaft SSM den Gesamtarbeitsvertrag zu erneuern. Stillstand in GAV-Verhandlungen ist nichts Neues. Doch diesmal ist der Graben zwischen den Sozialpartnern tiefer als in früheren Jahren.
Wie es weitergeht, weiss niemand. Weder die SRG noch das Schweizer Syndikat Medienschaffender SSM wagen derzeit eine Prognose, ob sie die gescheiterten Verhandlungen um einen neuen Gesamtarbeitsvertrag wieder aufnehmen werden. Bis Ende Juni gehen die beiden Sozialpartner über die Bücher.
Während sich die SRG gar nicht in die Karten blicken lässt, ob sie noch einmal an den Verhandlungstisch zurückkehren mag, weist die Gewerkschaft auf einen möglichen Ausweg aus der blockierten Situation hin. «Wir können uns vorstellen, den geltenden Vertrag um ein Jahr zu verlängern, damit wir Zeit gewinnen für weitere Verhandlungen», sagt Stephan Ruppen, der die SSM-Delegation geleitet hat. Auf diese Weise konnten schon vor fünf Jahren die blockierten GAV-Verhandlungen wieder in Gang gebracht werden.
Doch 2012 ist nicht 2007 und zurückblicken will die SRG nicht. «Relevant für uns ist der Blick nach vorne», teilt SRG-Generalsekretär Walter Bachmann auf Anfrage mit. Für den Leiter der SRG-Delegation bei den Vertragsverhandlungen heisst das auch, dass es für neue Zeiten neu Rezepte braucht. «Mit den zu erwartenden schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen auch im Bereich der Anstellungsbedingungen Vereinfachungen und moderate Einsparungen umgesetzt werden.»
Unter Vereinfachung versteht die SRG beispielsweise eine Harmonisierung der Anstellungsbedingungen. So werden heute Überstunden und Pikettdienste in der Westschweiz finanziell besser abgegolten als in der Deutschschweiz und im Tessin. Das sei nicht mehr haltbar, findet die SRG. Immer häufiger komme es vor, dass Mitarbeitende aus verschiedenen Unternehmenseinheiten in Projekten zusammenarbeiten und feststellen, dass sie unterschiedlichen Regelungen unterlägen. «Das verstehen die Mitarbeitenden nicht», weiss SRG-Generalsekretär Walter Bachmann. Gegen eine Vereinheitlichung hat die Gewerkschaft grundsätzlich nichts einzuwenden. «Aber die SRG strebt eine gesamtschweizerische Harmonisierung auf tiefem Niveau an», kritisiert SSM-Zentralsekretär Ruppen. «Und das geht zulasten der mittleren und kleineren Einkommen.»
Grund für das Scheitern der GAV-Verhandlungen ist indes nicht ein einzelner Streitpunkt, sondern eine ganze Reihe ungeklärter Fragen. Insbesondere wolle die SRG jene Konzessionen, die sie bei den Verhandlungen im Jahr 2008 gemacht hatte, um die Jahresarbeitszeit durchzubringen, bereits wieder streichen, schreibt die Gewerkschaft. Nun liege der Ball bei der SRG. Diese wiederum betont, dass beide Parteien gleichermassen für das Ergebnis der Verhandlungen verantwortlich seien; alles in allem denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen.
Nun gehören Blockaden zu jedem Verhandlungspoker, bei dem es um Geld, Macht und Prestige geht. Auch die letzten GAV-Verhandlungen waren 2007 an einem toten Punkt angelangt. Damals gelang es, den Knoten zu lösen. Als Anleitung für eine Deblockierung der aktuellen Situation taugt der Blick zurück allerdings nur beschränkt. Zum einen sind die Differenzen zwischen den Sozialpartnern heute grösser als 2007. Zum anderen half damals die öffentliche Aufregung um die Erhöhung der SRG-Verwaltungsratshonorare ein Klima zu schaffen, in dem sich die SRG als verlässlicher Sozialpartner zu beweisen hatte.
In zwei anderen Punkten besteht indes der gleiche Spielraum wie damals. Um Zeit für weitere Verhandlungsrunden zu gewinnen, könnte man – wie von der Gewerkschaft vorgeschlagen – den geltenden GAV um ein Jahr verlängern. Des weiteren brächte möglicherweise eine Neubesetzung der Verhandlungsdelegation frischen Wind. Vor fünf Jahren war genau das der Fall.
Die damalige Einsetzung von Bernard Cathomas, Direktor des rätoromanischen Radios und Fernsehen, als neuen Verhandlungsleiter habe einen positiven Einfluss auf den Dialog und die Konsensfindung gehabt, erinnert sich Gewerkschafter Ruppen. «Cathomas ging gelegentlich auch Kompromisse ein, die so in der SRG vorher nicht abgesprochen gewesen war.»
An dieser Flexibilität scheint es der aktuellen Verhandlungsdelegation der SRG gemangelt zu haben. Das mag auch damit zu tun haben, dass kein Mitglied der Geschäftsleitung an den Gesprächen genommen hat. Eine personelle Umbesetzung ist kein Allheilmittel, sondern höchstens ein Mosaikstein in einem komplexen Gefüge von Interessen. Doch manchmal reichen kleine Signale, um grosse Bewegungen auszulösen.
Obwohl in der gegenwärtigen Lage vieles darauf hinweist, dass die 5000 Radio- und Fernsehmitarbeiter künftig ohne Gesamtarbeitsvertrag dastehen könnten, geht man auch bei der SRG nicht von einer vertragslosen Zukunft aus. Ein hochrangiger Kadermitarbeiter spricht von einem «Poker auf hohen Niveau» bei dem aber am Ende alle zur Vernunft zurückkehren würden.