«Ich habe so viel mehr erreicht, als ich mir jemals vorgestellt habe»
Als Gründer von Privatradios und Privatfernsehen hat Roger Schawinski das Monopol der Staatssender zum Einsturz bzw. zum Wanken gebracht. Der erfolgreiche und seit Anbeginn polarisierende Medienpionier ist aus der Schweizer Medienszene nicht mehr wegzudenken, denn er hat viele bleibende Spuren hinterlassen und unzählige andere Journalisten beeinflusst und mitgerissen. Schawinski, der sich selbst als «Zeitungsfreak» und «verkappter Introvertierter» bezeichnet, hat uns Auskunft gegeben über seinen Interviewstil, seine Investitionen und seine Beziehung zu ehemaligen Erzfeinden.
Ich treffe einen bestens gelaunten Roger Schawinski in seinem nicht übermässig grossen Büro bei Radio1 an der Hottingerstrasse in Zürich. An der Wand hängt eine Collage der schönsten Blick-Schlagzeilen, in denen es um Schawinski geht. Am Vorabend hat der 67-jährige Journalist in seiner Sendung Gerhard Blocher als Gast empfangen.
Welche nationale Relevanz hat ein auf einer bedeutungslosen Position für den Kantonsrat kandidierender Bruder eines Nationalrats?
Eine grosse, wenn er der Privatseelsorger von Christoph Blocher ist und man das Gefühl hat, die Basis des Blocherschen Denkens sei über Gerhard besser zu knacken, weil er weniger berechnend und damit authentischer ist als sein mit allen Wassern gewaschener Bruder.
War das Gespräch für Dich ergiebig?
Einerseits Ja, andererseits Nein. Die grundsätzliche Frage der Herkunft des Auftrags, den die Blochers ja immer ins Zentrum stellen, beantwortete er mit einem «Ich weiss es nicht». Das ist für mich bemerkenswert, weil ich glaube, dass dies aus dem calvinistischen Denken kommt, also, dass alles göttlich vorbestimmt ist und man nur ein Instrument ist in dieser Welt, das agieren muss. Das führt dann zu dem zum arroganten und oft rüden Verhalten der Blochers, die das Gefühl haben, sie können sich alles erlauben.
Du kommst aus eher einfachen Verhältnissen, durch harte Arbeit bist Du nun Millionär. Wer hat Dir den Auftrag gegeben, das zu erreichen?
Ich würde nie sagen, dass mir jemand einen Auftrag gegeben hat. Das ist meine eigene Motivation. Doch bei den Blochers wird der Auftrag überhöht und verklärt.
Wie würdest Du reagieren, wenn jemand Verwandte von Dir einlädt, um öffentlich über Dich zu spekulieren?
Gerhard Blocher ist ja nicht irgendein Verwandter, sondern der grosse Bruder von Christoph Blocher. Christoph nennt Gerhard seine wichtigste Bezugsperson, telefoniert fast täglich mit ihm, ist sein engster Berater.
Mein Eindruck war: Du bist in diesem Gespräch journalistisch und persönlich fair geblieben, hast aber nur die negativen Seiten und die Schwächen eines 78-Jährigen beleuchtet. Auf mich wirkte es wie eine sehr einseitige Auseinandersetzung.
Ich habe ihm die Gelegenheit eingeräumt, positive Seiten von sich zu erwähnen. Wenn er dazu nichts sagt, wenn er auf meine Fragen nicht eingeht und sich damit verweigert, ist das auch eine Aussage.
Wie schätzt Du die Rolle des Schweizer Fernsehens ein beim Reporter-Film direkt vor der Abwahl aus dem Bundesrat? Christoph Blocher sagt, das SF habe zugesichert, den Film nach den Wahlen auszustrahlen.
Ich kann dazu nichts sagen, da ich nichts darüber weiss. Gerhard Blocher glaubt ja nicht, dass der Film seinem Bruder geschadet hat, wie er in meiner Sendung erklärt hat.
Wie würdest Du Deinen Interviewstil, wie Du ihn aktuell bei «Schawinski» und «Doppelpunkt» pflegst, beschreiben und was möchtest Du damit erreichen?
Ich versuche, sehr gut recherchiert an das Gespräch heranzutreten, ich mache mir viele Gedanken im Vorfeld, ich bin umfassend dokumentiert – um die relevanten Fragen im richtigen Moment stellen zu können und damit sich der Zuschauer eine eigene Meinung bilden kann. Das geht nur, in dem man hinter die Oberfläche der Gäste schaut und sie mit ihren Widersprüchen konfrontiert, was mal besser, mal weniger gut gelingt. Auf jeden Fall ist es ein kritischerer Stil, als man es vom Schweizer Fernsehen bisher gewöhnt war.
Eine halbe Stunde Gespräch zwischen zwei Menschen ist im Fernsehen zu einer seltenen Disziplin, zu einem Anachronismus geworden. Im deutschen Fernsehen glaubt man, mindestens sechs Leute einladen zu müssen, damit der Zuschauer dran bleibt. Ich bedaure das, denn das 1:1-Gespräch ist für mich die Königsdisziplin. Es ist ein Hochseilakt, nur einen Gast zu haben, denn der kann ein Totalausfall sein. Das ist das grosse Risiko, das ich jedes Mal auf mich nehme.
Einer, den ich bewundere, ist Charlie Rose, der bei Bloomberg und PBS zu sehen ist. Er kann, anders als ich, mehr in die elitäre Nische gehen. Das Schweizer Fernsehen dagegen ist Marktführer und bedient ein viel breiteres Publikum. Mike Wallace, der vor kurzem verstorbene grosse amerikanische Fernsehjournalist, hat einmal gesagt, dass ein kritisches TV-Interview immer auch eine Gratwanderung zwischen Sadismus und intellektueller Neugier ist. Ich bewege mich also auf sehr heiklem Terrain.
Das Konzept von «Schawinski» ist gut, doch die Sendung ist so prall gefüllt mit Beweisen gegen den Gast, dass das Gespräch zu kurz kommt.
Ich bin bereit, auf einen Gast, der etwas weiterführt, einzugehen, und dafür einen Teil meiner Vorbereitungen aufzugeben.
Ich habe eine Umfrage gemacht, was es an Deinem Interviewstil zu kritisieren gibt. Das hat folgendes ergeben:
1. Du lässt Gäste Gedanken oftmals nicht zu Ende formulieren, so verhinderst Du möglicherweise interessante Aussagen.
Das ist ein Fehler, den ich zu Beginn oft gemacht habe, richtig. Da hatte ich die Dramaturgie der 28 Minuten noch nicht im Griff. Andererseits werden Leute, die nicht unterbrochen werden, ausschweifend, und das wird für den Zuschauer unerträglich. Man muss immer den Rhythmus des Gesprächs im Blickfeld behalten.
2. Du bist als Person zu präsent, Du präsentierst nicht nur Deine Meinung, sondern Du zelebrierst Voreingenommenheit.
Anders als ich können die meisten Interviewer nicht auf Augenhöhe mit ihrem Gast diskutieren. Ich hingegen versuche genau das, und ich kann dies aufgrund meiner Erfahrung als Interviewer, Unternehmer und Manager über sehr viele Jahre hinweg auch tun. Damit werde ich natürlich auch viel kritisierbarer. Aus einer zweidimensionalen Ebene zwischen dem Interviewer und dem Interviewten, bei dem der Zuschauer aussen vor ist, wird so eine dreidimensionale Ebene zwischen Zuschauer, Interviewer und Interviewten. Der Zuschauer wird also eingebunden und kann laufend entscheiden, auf welcher Seite er in einzelnen Fragen steht. Das ergibt meiner Meinung nach viel spannenderes Fernsehen.
3. Statt einfach nur hart nachzufragen, wirkst Du auf einige Zuschauer frech und stillos.
Im deutschen Fernsehen gibt es Soft Talkers wie Beckmann oder Jauch. Mein Stil ist anders, damit nehme ich in Kauf, dass sich gewisse Gäste dem nicht stellen wollen, und dass das einigen Zuschauern nicht schmeckt, vor allem nicht auf dem Sendeplatz um 22:55 Uhr, zu einer Zeit also, wo viele Menschen bereits am wegdösen sind. Ja, meine Sendung ist intensiver als andere. Von meinen Gästen höre ich aber, dass die Rückmeldungen auf ihren Besuch viel zahlreicher und positiver sind als bei anderen Sendungen. Es wird ihnen teilweise als Heldentat angerechnet, dass sie sich mir gestellt haben. Das heisst, die Sendung zahlt sich für alle aus.
4. Deine Gäste bestehen aus Deinem Altherrennetzwerk, Junge und Frauen kommen zu kurz.
Ich kenne einfach viele Leute. Es gibt wenige Frauen in Führungspositionen. Und Junge haben einfach viel weniger zu erzählen. Ich brauche Leute mit einem Lebensentwurf, die eine halbstündige Sendung füllen können. Und «alt» ist relativ, im Vergleich zu «Menschen bei Maischberger» habe ich fast schon jugendliche Gäste.
Wieso wollen Frauen wie Natalie Rickli oder Bettina Weber nicht zu Dir in die Sendung?
Jene Frauen, die in meiner Sendung waren, haben hervorragende Rückmeldungen erhalten. Bettina Weber machte mir den Vorwurf, zu wenige Frauen einzuladen. Dann fragte ich sie an, und sie schrieb mir zurück, sie sei keine öffentliche Person und sage deshalb ab, und dies, obwohl sie für den «Tages-Anzeiger» ganze Seiten mit Meinungsartikeln vollschreibt. Das ist leider ein typisches weibliches Verhalten, das ich oft erlebe. Die meisten Frauen stellen sich weniger gern der Kritik – und beklagen sich dann, dass sie nicht zu Wort kommen.
Von Berlin aus wirkt die Schweiz noch harmoniebedürftiger als von Zürich aus. Ist die Angst vor Konfrontation in den letzten Jahren gestiegen?
Die Leute an der Spitze sind nicht das grösste Problem, das sind ihre überquellenden Medienabteilungen. Es läuft so: Die Medienberater trauen ihren Chefs zu wenig zu und wollen sie nur in einem absolut sicheren Umfeld platzieren, zum Beispiel in einem Zeitungsinterview, das sie 37x redigieren können, bis es absolut blutleer ist. Sie haben wohl Angst, dass sie, wenn etwas schief läuft, ihren Job verlieren. Sie wollen die absolute Kontrolle und verunmöglichen ihren Chefs damit, sich als Mensch öffentlich zu profilieren. Für mich ist diese Angsthaltung vieler Medienabteilungen unprofessionell. Ich hatte schon Zusagen von Bundesrätinnen, doch als die Medienabteilungen davon erfuhren, wurden plötzlich Terminprobleme vorgeschoben. Ich finde das verheerend, weil die Macht der ausufernden Medienabteilungen echte öffentliche Kommunikation immer mehr verhindert.
Hat der Einfluss von PR im Schweizer Journalismus zugenommen?
Massiv. Dies und der gewaltige Einfluss der Medienstellen entwickeln sich immer mehr zu einer Pest.
Du hast Dich damals mit Radio24 gelangweilt, und darum ein Fernsehen aufgebaut. Langweilst Du Dich nicht auch mit Radio1?
Nein, Radio1 ist ein Wunschkind von mir. Das ganze Leben die Nummer 1 sein wie bei Radio24, das kann für mich ja keine echte Challenge sein. Mit Radio1 habe ich wieder bei Null angefangen und den Einstieg in einen sehr stark besetzten Zürcher Radiomarkt geschafft. Die Konkurrenz besteht ja nicht nur aus dem SRG-Programm, sondern auch aus sechs Privatsendern. Ich habe mir hier eine schwierige Aufgabe gestellt, doch ich suche Herausforderungen. Dabei ist es mein vorrangiges Ziel, den qualitativ besten Privatsender des Landes zu betreiben. Wir sind auf diesem Weg schon sehr weit vorangekommen.
Im Trailer zum Film «Jolly Roger» sagst Du: «Die, die uns den den Sender kaputt gemacht haben, der Staat, die Macht, die Gewalt – das macht mir Angst.» Wie ist Dein Verhältnis zum Staat heute?
Ich habe immer noch eine kritische Haltung. Prinzipiell aber glaube ich, dass das Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen ein Fundament ist, das man nicht willkürlich zerstören sollte, wie das die SVP versucht. Das grundsätzliche Vertrauen in die Institutionen ist unser Fundament, die Basis des Erfolgsmodells Schweiz.
Du bist jede Woche auf der Gegenseite von Roger Köppel bei «Roger vs. Roger». Du kannst also nur links sein?
Weiter rechts zu sein, als er es ist, wäre ja selbst theoretisch nicht vorstellbar. Aber hie und da sind wir sogar ähnlicher Meinung.
Im September 1973 schriebst Du für die «Schweizer Illustrierte» einen Text unter dem Titel «Nach Allendes Tod wird Blut fliessen.» Deine Sympathien für Salvador Allende, dem chilenischen Präsidenten, der einen demokratischen Sozialismus anstrebte, sind unübersehbar. Trotzdem hältst Du wahrheitsgetreu fest, dass die wirtschaftliche Lage im dritten Jahr der Regierung Allende katastrophal war, die Inflation einen Weltrekord erreichte, die Produktion in allen Bereichen sank und die Versorgung mit Lebensmitteln und Brennstoffen zeitweise beinahe zusammen brach. Wie hältst Du es mit dem Sozialismus?
Der Sozialismus ist gescheitert, auch die demokratischen Versuche. Der letzte Versuch war vielleicht derjenige unter Allende. Ich habe vor Ort gesehen, dass dieses System am Ende unfähig war, weil es im Rahmen der demokratischen Ordnung von seinen Gegnern gezielt destabilisiert wurde. Sozialismus funktioniert eben nur mit einem Terrorregime, weil ihn sonst die kapitalistischen Gegenkräfte wie im Fall Chile mit aller Macht zerstören. Also ist Sozialismus keine Option, mit der wir uns befassen sollten.
Drei Wochen vor 9/11 hast Du die unter dem Namen Belcom zusammengefassten Radio24 und Tele24 für 92 Millionen Franken an die Tamedia verkauft, rückblickend ein Glücksdeal, weil danach die Kurse abstürzten.
Drei Monate vorher hatte ich noch eine schriftliche Offerte in der Höhe von 162 Millionen. Dann kam das Platzen des Dotcom-Hypes. Ich habe verkauft, weil ich keine grosse Herausforderung mehr sah bei Radio24 und weil selbst das damals angedachte Radio- und Fernsehgesetz einen Erfolg des Privatfernsehens verunmöglichen würde. Zudem war ich etwas ausgebrannt, auch durch die vier «Talk-Täglich»-Sendungen jede Woche mit zum Teil sehr boulevardesken Gästen. Wenn ich nicht verkauft hätte, dann wäre ich nie Chef von Sat.1 geworden, hätte nie als Geschäftsführer eines grossen Senders im Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Berlin gelebt, was mich sehr bereichert hat. Loslassen ist vielleicht das Schwierigste überhaupt, aber das Wichtigste. Ich habe es mehr als einmal im richtigen Moment getan.
Nach dem Verkauf dachte ich: Roger, jetzt musst Du Dich nie mehr um Geld kümmern. Das war ein grosser Irrtum, denn Geld will verwaltet sein. Mein Banker sagte mir einmal: «Roger, Geld ist flüchtig» – und er hat recht. Es kann jederzeit wieder weg sein, durch falsche Anlagen, durch eine Finanzkrise oder andere Ereignisse. Ich bedaure, dass ich mich seither fast mehr mit Geld beschäftigen muss als vorher.
In der Reihe der letzten Sat.1-Chefs warst Du der mit der längsten Amtszeit. Wie ist der Zustand des Senders heute?
Das, was ich befürchtet habe und weswegen ich auch gegangen bin, ist eingetroffen: Die Sendergruppe wurde verkauft, die neuen Käufer haben einen unheimlich hohen Preis bezahlt und die Kosten wurden gemäss McKinsey-Beratung massiv reduziert. Der teure, aber wichtige Senderstandort Berlin wurde aufgegeben. Heute wird die ProSiebenSat.1 Media AG zentral aus Unterföhring bei München geführt, und die Senderchefs sind nicht mehr so wichtig wie früher. Finanziell funktioniert die Gruppe offenbar, doch was das Image und die Quote betrifft, steht Sat.1 heute leider nicht besonders gut da.
Mir scheint, seit Deiner Zeit bei Sat.1 bist Du besessen von der Quote. Kann Dir das als «Schawinski» auf einem öffentlich-rechtlichen Kanal nicht egal sein? Bist Du nicht auch in dem Alter, in dem Du machen kannst, was Du willst?
Ich bin nicht besessen davon, aber ich finde sie wichtig. Im Schweizer Fernsehen wird die Quote durchaus analysiert. Etwas bedenklich ist vor allem der kontinuierliche Rückgang der Zuschauer unter 50 Jahren. Dasselbe Problem haben die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender wie ARD und ZDF ebenfalls, ohne dass sie ein Rezept gegen diese Verluste gefunden haben, und dies, obwohl sie unvergleichlich mehr Mittel haben als SRF.
In Deutschland gibt es Portale wie quotenmeter.de, dwdl.de oder kress.de, die TV-Quoten täglich abbilden und bewerten. Ich bedaure, dass der Schweizer Medienjournalismus diese Aufgabe nur sporadisch und punktuell betreibt. Ich bin seit meiner Sat.1-Zeit von Quoten angefixt. Das bringe ich einfach nicht aus meinem System raus. So ziehe ich mir auch heute noch täglich die Quoten der deutschen Sender rein, lese die Kommentare und überlege, welche Massnahmen auf welchen Sendeplätzen ich vornehmen würde.
Du bist Teilhaber einer TV-Produktion in Berlin, was macht die?
Ich bin Minderheitsaktionär bei Solis TV, einer Firma, die sehr erfolgreich ist. Ich habe dieses Projekt ehemaliger Sat.1-Kollegen von Anfang an unterstützt. Wir produzieren etwa für den WDR «Der grosse Haushaltscheck» und «Der Vorkoster» oder für RTL «Helena Fürst – Anwältin der Armen». Das sind alles journalistische Projekte, Scripted Reality machen wir keine [Hier eine Übersicht der Projekte].
Deine Investitionen sind aber auch sonst vielfältig: Du bist Verwaltungsratspräsident der Radio1 AG und im Verlag Kein & Aber, dazu beteiligt an der Medizinfirma Qvanteq AG.
Qvanteq ist ein Startup im Medizinbereich, ich wollte hier jungen Unternehmern finanziell unter die Arme greifen. Kein & Aber ist nach Diogenes der zweitgrösste Schweizer Belletristikverlag. Es macht mir grossen Spass, dort aktiv beteiligt zu sein. Peter Haag ist ein sehr erfolgreicher Verleger, der für den grossen Ruf von Kein & Aber gerade auch in Deutschland gesorgt hat.
1997 sagtest Du dem «Klartext»: «Ich bin ein Internet-Pionier, indem ich als einziger im Internet überhaupt nichts mache.» Ist das immer noch so?
Ich bin nicht in die Investitionsfalle im Jahr 2001 getreten, weil ich schlicht und einfach die Geschäftsmodelle nicht verstanden habe. Viele, die damals investiert haben, verstehen sie ja heute noch nicht. Ich möchte nur in Projekte investieren, die ich verstehe.
Und darum hältst Du Dich konsequent fern vom Internet?
Wirtschaftlich gesehen hat Radio1 relativ wenige kommerzielle Möglichkeiten im Internet. Aber die nutzen wir konsequent. Bei Kein & Aber ist das anders, wir verkaufen E-Books und Apps. Für Bücher ist das Internet die Zukunft.
Als Konsument ist das Netz eine meiner Hauptinformationsquellen. Ich war jetzt zwei Wochen in Sardinien und verfügte während zwei Wochen nur über Internet. Als ich zurückkehrte, dachte ich: Wenn ich nochmals zwei Wochen geblieben wäre, dann hätte ich es wohl aufgegeben, Zeitungen zu lesen. Zeitungen haben ein Riesenproblem! Bei mir handelt es sich nicht nur um einen, der mit Zeitungen sozialisiert wurde, nein, ich bin ein Zeitungsfreak! Ich kann mich erinnern, wie ich meiner heutigen Frau nach der ersten gemeinsamen Nacht sagte: «Du, das gibt es jetzt wohl nur einmal, dass ich am Morgen keine Zeitung lese. Die lese ich sonst immer zuerst.» Seit einiger Zeit lese ich sogar die «Sunday Times» aus England, weil ich die im Vergleich zu unseren vier Schweizer Sonntagszeitungen, die bei mir im Briefkasten liegen, herausragend finde. Die liefert mir echten «additional value» mit viel und ausführlichem Lesestoff. Und die «New York Times» konsumiere ich täglich auf dem iPad. Heute kann sogar ich mir vorstellen, den Zeitungen einmal untreu zu werden.
Du hattest in Deiner Karriere eine Reihe von Erzfeinden: Armin Walpen, Peter Schellenberg, Hanspeter Lebrument, Frank A. Meyer, Kurt W. Zimmermann, Jürg Wildberger. Aber eigentlich bist Du nicht lange nachtragend, oder?
Nein, mit einigen von Ihnen habe ich wieder Kontakt, das waren halt Interessenskonflikte. Mit den meisten bin ich heute im Reinen, einige sind abgetreten von der Bühne, aber ich beschäftige mich jetzt auch nicht mit ihnen.
Was muss an den aktuellen Schweizer Mediengesetzen geändert werden?
Alle Chancen sind verpasst worden. Das Radio- und Fernsehgesetz hätte man vor 15 Jahren ändern müssen. Moritz Leuenberger hat das verhindert, weil er eben ein Etatist ist. Es ist schade, dass die Schweiz als einziges Land nur ein einziges grosses Informationsfernsehen hat.
Du hast mal erzählt, man könne es kaum glauben, aber Du seist ein eher introvertierter, stiller Jugendlicher gewesen.
Bei meiner ersten Arbeitsstelle wurde ein graphologisches Gutachten gemacht, und dort ist herausgekommen, dass ich äusserst introvertiert sei. Vielleicht bin ich ein verkappter Introvertierter, der das verstecken muss, in dem er sich extrovertiert gibt (lacht). Doch ja, ich habe eine introvertierte, eine stille Seite.
Mit der Gründung von Radio24 hast Du ziemlich früh, mit 34, einen Karrierehöhepunkt erreicht. Die Begeisterung damals ist kaum noch nachvollziehbar: Innerhalb von fünf Tagen wurden 212.000 Unterschriften für Radio24 gesammelt, Du wurdest gefeiert mit «Roschee, Roschee»-Rufen, was Du zurückgewiesen hast, es gehe um die Sache, nicht um Dich (Video, ab 37:45 Minuten). Radio DRS kam darauf erstmals auf die Idee, rund um die Uhr zu senden, das Monopol war Geschichte.
Wenn ich mir die heutigen 34-Jährigen ansehe: Ich muss damals eine grosse Unbekümmertheit gehabt haben – die ich sicher nicht mehr besitze. Die Chance, dass ich mit Radio24 nach drei Schliessungen erfolgreich sein würde, lag wohl weit unter einem Prozent. Doch verschiedene Umstände haben dazu geführt, dass es trotzdem geklappt hat, es war fast wie ein Märchen.
Der Erfolg muss Dich doch auch selbst überrascht haben.
Total, aber wenn man mittendrin steckt, sieht man das nicht, das erkennt man erst hinterher. Wenn alle Journalisten und alle Mitarbeiter gesagt haben, nun ist alles vorbei, dann hat mich das genau 30 Sekunden lang lahm gelegt. Und dann suchte ich die eine Chance, die Geschichte doch noch zu drehen. Aber ohne Glück geht es nicht, Leistung und Einsatz genügen nicht. Ich sehe mich als glücklichen und zufriedenen Menschen: Ich habe so viel mehr erreicht, als ich mir jemals vorgestellt habe. Und ich habe mich nie verkauft, nie das Lager gewechselt, bin mir immer treu geblieben.
Reden wir über Religion: Ich habe lange nicht gewusst, dass Du jüdischer Herkunft bist. Aber eigentlich bist Du Buddhist?
Das ist kein Gegensatz, denn ich sehe Buddhismus nicht als Religion, sondern als Philosophie. Ich war vor kurzem nach längerem Unterbruch wieder in einem buddhistischen Meditationsseminar. Mit den Techniken, die dort angewendet werden, komme ich auf eine Art und Weise an mich heran, die eine neue Dimension zu mir selbst eröffnet. Ich muss das nicht immer praktizieren, aber ich bin froh, dass ich weiss, dass es das gibt.
Meine jüdischen Wurzeln sind da und bleiben da. Mein Vater vermittelte mir eine Grundethik des Helfens, er wollte selbst Arzt werden, aber das war finanziell nicht zu machen. Dann hoffte er, dass ich Arzt werde, nun ist meine ältere Tochter Ärztin geworden, was mich beglückt. Ich versuche auch immer, auf der Seite der Schwächeren zu stehen. Religion ist für mich eher Teil der Kultur, der Traditionen. Meine 15-jährige Tochter hat zu meiner Überraschung ein grosses Interesse für jüdische Fragen entwickelt. Durch sie bin ich mit dieser Kultur wieder vermehrt in Kontakt gekommen.
Ich habe gelesen, Du schaust regelmässig US-Serien.
«The Newsroom» schaue ich derzeit religiously, da kommen Fragen über Journalismus auf, die ich mir auch selbst stelle: Ist es das Konzept, das die Quote treibt oder bestimmen Quoten die Inhalte? Wie weit muss man gehen? Wo muss man Kompromisse machen? Das interessiert mich unglaublich. Ich schaue aber auch gerne andere spannende Serien von «Breaking Bad» über «Mad Men» bis zu «The Wire», «Sopranos», «West Wing» und selbst «Big Love», wo es um Polygamie in Utah geht.
Warum ist aus Dir eigentlich nie ein Late-Night-Host geworden?
Klassische Late-Night ist ja Unterhaltung, und ich sehe mich mehr als Journalist. Ich glaube nicht, dass ich das könnte.
Du hast mal an der Seite von Timo Konietzka auf «Tele Züri» das Bundesligaspiel Borussia Dortmund gegen Bayern München kommentiert. Bist Du ein guter Fussballreporter?
Nein, natürlich nicht. Aber das war ein Jugendtraum, den ich mir erfüllt habe: Zuerst wollte ich wie so viele andere Nationalspieler werden, dann Fussballreporter, letzteres hat dann kurzzeitig geklappt. Als Sat.1 die Champions-League-Rechte inne hatte, durfte ich als Schweizer jeweils entscheiden, welches Spiel pro Spieltag die Deutschen sehen dürfen. Das war eine Machtposition, die ich genossen habe, und dies in einem Bereich, den ich liebe und in dem ich mich kompetent fühlte. Ich bin ja ein grosser Fussballfan.
Man könnte sagen, Du bist ein journalistisches Allroundtalent. Gibt es auch Disziplinen im Journalismus, die Du nicht beherrschst, an denen Du gescheitert bist?
Ich schreibe zwar ganz gut, aber ich bin keine Edelfeder. Immerhin habe ich sieben Bücher geschrieben, fast alle Bestseller. Eher stolz bin ich, dass ich mit 67 noch selbst Radiosendungen fahre, was technisch ziemlich anspruchsvoll geworden ist und wo auch Jüngere kapitulieren. Auch bei «Schawinski» muss ich ja einen Teil der Technik selbst bedienen. Das ist zusammen mit der Präsenz im Gespräch Gehirnjogging vom Feinsten und ich mache das, solange es keine grösseren Ausfälle gibt. Was ich sicher nicht kann, ist Literatur: Ich habe zwar schon versucht, Drehbücher zu schreiben und deswegen in Los Angeles sogar einen Kurs besucht, doch zu meinem Leidwesen ist es dann bei Fingerübungen geblieben.
Was Du allerdings sehr gut kannst, ist einen Input unglaublich schnell aufnehmen, ihn verarbeiten und beantworten. Ist das ein Talent? Oder kann man das lernen?
Ja, ich glaube, es ist ein Talent von mir, Fakten zu behalten und sie im richtigen Moment präsent zu haben. Alles präsent zu haben, ist die Quintessenz einer Sendung wie «Schawinski».
Das Gespräch mit Roger Schawinski wurde am 28. August 2012 in Zürich geführt. Die Sendung mit Gerhard Blocher erreichte 137.000 Zuschauer und 21,5 Prozent Marktanteil.
Ueli Custer 07. September 2012, 13:39
So offen habe ich Roger noch nie in einem Interview erlebt. Kompliment!
Clyde Burke 19. November 2013, 14:06
Auf Doppelpunkt ist der Schawi recht gut, im Fernsehen eher durchwachsen.