Noch etwas brav, aber entwicklungsfähig
Seit Oktober 2011 erscheint in Basel die TagesWoche. Nach einem Jahr fällt die Bilanz zwiespältig aus: Die Wochenzeitung mit tagesaktueller Online-Berichterstattung hat die Basler Medienlandschaft zweifellos belebt. Aber sie kann bisher die hohen Erwartungen der Leserschaft noch nicht in allen Punkten erfüllen.
Es war wohl die erfreulichste Folge des Trauerspiels um die Basler Zeitung: Im April 2011 wurde die von Roche-Erbin Beatrice Oeri alimentierte «Stiftung für Medienvielfalt» gegründet. Und ein halbes Jahr später erschien erstmals die von der Stiftung mitfinanzierte Tageswoche, eine neue Wochenzeitung mit tagesaktueller Website. Der gedruckte Inhalt der Zeitung, so die Idee, sollte online weiterentwickelt werden und so ein Zusammenspiel zwischen alten und neuen Medien entstehen.
Von Anfang an musste die TagesWoche versuchen, den hohen Ansprüchen der Leserschaft gerecht zu werden. Die Enttäuschung und der Ärger über den Kurs der BaZ trieb der Alternative nachgerade erwartungsfrohe Leser in die Arme. Nach einem Jahr auf dem Markt lässt sich eine erste Bilanz ziehen. Liest man die Leserkommentare und -wünsche zum ersten Geburtstag, wird schnell klar: Die junge Zeitung hat in kurzer Zeit eine feste Anhängerschaft gefunden. Die meisten Leser loben die Frische, die Themensetzung und die Meinungsvielfalt des Blatts.
Auch der Basler Autor und Schriftsteller Guy Krneta, der als Initiator der Aktion «Rettet Basel» den Weg für die Gründung der TagesWoche ebnete, äussert sich gegenüber der Medienwoche grundsätzlich zufrieden: «Nach einem zu vorsichtigen Start ist die Zeitung unterdessen pointierter geworden.» Besonders die Papierausgabe sei aber noch optimierungsfähig: «Ein feuilletonistisch-politischer Blick auf die Welt wäre mir lieber als der gegenwärtige ‚magazinhafte’.»
Wenn man sich in Basel umhört, sei es unter Zeitungslesern oder unter Medienschaffenden, fällt manches Urteil verhalten aus. Die meiste Kritik betrifft dieselben Punkte: die fehlende Abdeckung des gesamten Lokalgeschehens, der fehlende Biss sowie eine gewisse Belanglosigkeit in der Themenwahl.
Tatsächlich wirken manche Ausgaben der Tageswoche etwas selektiv und zufällig zusammengestellt. Zwar bildet die regionale Politik einen klaren Schwerpunkt, aber dennoch informiert die TageWoche ihre Leser weniger umfassend als die Basler Zeitung. Remo Leupin, Co-Redaktionsleiter der TagesWoche, betont im Gespräch mit der Medienwoche die Fokussierung der Zeitung auf besonders relevante Fragen: «Wir bringen wichtige Themen wie die Stadtentwicklung oder das Verhältnis zwischen Universität und Pharmaindustrie auf die Agenda. Am vergangenen Wochenende haben wir aber auch als Erste Analysen und Kommentare zu den Basler Regierungsrats- und Grossratswahlen publiziert.» Für eine komplette Abdeckung beispielsweise aller Grossratsdebatten würden die personellen Kapazitäten nicht reichen: «Unsere gesamte Redaktion, inklusive Sport- und Kulturjournalisten, ist schliesslich etwa gleich gross wie die Regionalredaktion der BaZ.»
Auch in anderen Bereichen macht sich die Grösse der Redaktion bemerkbar. So ist etwa das Kulturressort stark auf Populärkultur fokussiert. Für Literatur, klassische Musik, Museumsaustellungen bleiben wenig Kapazitäten. Die inhaltliche Qualität der Print-Ausgabe schwankt stärker als bei anderen wöchentlich erscheinenden Publikationen. Und für ein sorgfältiges Layout scheint es nicht ganz immer zu reichen. Immerhin: Über die schlimmste Phase des grafischen Experimentierens scheint die Zeitung hinweg zu sein. Und die Bildredaktion wurde erst kürzlich von zwei auf drei Personen ausgebaut.
Der Biss, der von der TagesWoche immer wieder eingefordert wird, ist nicht in allen Ausgaben gleichermassen vorhanden. Remo Leupin bestreitet aber, dass die Zeitung zu zahm sei: «Der Vorwurf stimmte vielleicht in Bezug auf die ersten Ausgaben, aber unterdessen schreiben das viele Journalisten, die über uns berichten, einfach voneinander ab. Es gab auch schon Leute, die uns des Boulevardjournalismus bezichtigten, nur weil wir ihnen auf die Füsse getreten sind.» Die scharfen Reaktionen auf gewisse Artikel seien der beste Beweis, dass die TagesWoche auch bissig sein könne. «Wir wollen aber nicht bissig sein um des Bissigseins willen; das ist auch eine Frage der Seriosität und Ethik.»
Es gibt tatsächlich einige positive Beispiele. Zu den Höhenpunkten des ersten Jahrs gehörten zweifelsfrei Michael Rockenbachs schonungslose Analyse der basellandschaftlichen Politik sowie eine Reihe kritischer Artikel zur Politik der rotgrünen Basler Regierung. In diesen wie in vielen anderen Artikeln ist die politische Linie der TagesWoche linksliberal, wobei man ihr nicht vorwerfen kann, parteigebunden zu argumentieren. Auch die linken Parteien werden regelmässig kritisiert.
In einem Punkt verdient die TagesWoche uneingeschränktes Lob: Wie kaum ein anderes Schweizer Medium hat sie es schon im ersten Jahr geschafft, die Leser einzubeziehen und eine Community-Atmosphäre zu schaffen. Will man die Artikel online kommentieren, ist die Registrierung obligatorisch. Mit erfreulichen Resultaten: Im Unterschied zu den üblichen Schimpftiraden der anonymen Besserwisser und Wutbürger bleibt die Diskussion auf dem Portal der TagesWoche praktisch immer sachlich und freundlich. Laut Leupin mussten in einem ganzen Jahr erst drei oder vier Kommentare entfernt werden. Da die JournalistInnen sich nicht scheuen, auf Kritik direkt einzugehen, entsteht oft ein Dialog, in den sich bisweilen auch Vertreter der Lokalpolitik einmischen. Diese Form von Interaktion zwischen Medienschaffenden, Leserschaft und Politik ist vorbildlich.
In der Print-Ausgabe hingegen ist der Einfluss der Leser noch weniger spürbar. Überhaupt ist die Aufgabenverteilung zwischen Online und Print noch nicht eindeutig wahrnehmbar definiert und wird meistens recht konventionell gehandhabt. Es wird im zweiten Jahr eine zentrale Herausforderung für die Redaktion, den Mehrwert der gedruckten Zeitung klarer aufzuzeigen, ohne dass die Online-Ausgabe an Attraktivität verliert.
Die Verkaufszahlen der TagesWoche lassen sich bisher durchaus sehen. Die verkaufte Auflage liegt bei über 22’500 Exemplaren (davon 18’600 Abos) ; das ist rund ein Drittel der Auflage der Basler Zeitung (noch 68’000). Laut Leupin hat die TagesWoche damit die eigenen Erwartungen im ersten Jahr deutlich übertroffen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass viele Basler vor einem Jahr die Zeitung blind abonniert haben, weil sie damit ein Zeichen gegen die BaZ setzen wollten. Diese Leser gilt es nun bei Stange zu halten, will man das Ziel, innert vier Jahren selbsttragend zu sein, erreichen und der Basler Zeitung weiterhin Konkurrenz machen. Wobei: Auch wenn der Kontrast von der politischen Ausrichtung und der Themensetzung her augenscheinlich ist, greift die TagesWoche die BaZ bisher nur selten direkt an. Die Redaktion scheint es verinnerlicht zu haben, dass man sich nicht als Anti-BaZ profilieren will. Gleichwohl dürfte die TagesWoche manchmal etwas mehr Gegensteuer zum Rechtskurs der BaZ geben.
Trotzdem: Das Fazit nach dem ersten Jahr TagesWoche fällt vorsichtig positiv aus. Die Zeitung hat ihre definitive Form noch nicht gefunden. Sie hat die Medienlandschaft nicht revolutioniert. Aber das Experiment läuft weiter und hat das Potential zu einer erfolgreichen Weiterentwicklung.