Abbau ermöglichte Ausbau
Seit mehr als 20 Jahren fordern Politiker und die Geschäftsleitung von Schweizer Radio International/swissinfo die Einführung eines russischsprachigen Nachrichtenangebots. Der Bundesrat war aber stets dagegen, den Kurzwellensender und seinen Online-Nachfolger auszubauen. Nun ist es so weit: Seit Mitte Januar gibt es Swissinfo auch auf Russisch. Direktor Peter Schibli erklärt den Ausbauschritt.
Mal war es die Technik, mal das Geld und immer auch die Politik, die es nicht für opportun hielt, das internationale Nachrichtenangebot der SRG um einen russischsprachigen Dienst zu erweitern. Schliesslich brachten ein erfolgreicher Pilotbetrieb sowie politischer Druck den Durchbruch. Seit Mitte Januar führt Swissinfo mit russisch die zehnte Sprache im Angebot.
«Die Motion von Alt-Nationalrätin Brigitta Gadient brachte uns ein grosses Stück weiter», sagt Peter Schibli, Direktor von Swissinfo. Zusammen mit 50 Nationalrätinnen und -räten aus allen politischen Lagern forderte die Bündner BDP-Politikerin im Sommer 2010 den Aufbau einer russischsprachigen Redaktion bei Swissinfo. Angesichts der guten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland, brächte ein solches Nachrichtenangebot der Schweiz nur Vorteile. Welche genau, liessen Gadient und ihre Mitstreiter im Motionstext zwar offen, aber der Grundstein war gelegt – gegen den Willen der Regierung. Ein Ausbau von Swissinfo sei mit den Sparzielen nicht vereinbar, schrieb der Bundesrat in seiner Antwort auf den Vorstoss. Swissinfo wird zu Hälfte mit Bundesmitteln finanziert.
Die entscheidende Dynamik setzten schliesslich SRG und Swissinfo selbst in Gang. 2009 erbrachte Swissinfo mit einem Pilotbetrieb in russischer Sprache der Nachweis, dass es ein Bedürfnis gibt für ein solches Angebot. Und zweitens: So paradox es klingen mag, erst der Abbau ermöglichte den Ausbau. Mit dem Abschied von Swissinfo als Nachrichtenplattform für die Auslandschweizer und dem damit verbundenen Leistungs- und Stellenabbau bei den drei Landessprachen wurde 2012 der erforderliche Spielraum für eine zusätzliche Sprache geschaffen. Neu positioniert sich Swissinfo als mehrsprachige Nachrichtenplattform für ein internationales Publikum in den jeweiligen Ländern und Weltregionen.
MEDIENWOCHE: Wen will Swissinfo mit dem neuen russischsprachigen Angebot ansprechen?
Peter Schibli: In erster Linie ein Publikum in Russland und in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dazu zählen wir Medienschaffende, Investoren, Diplomaten, Beamte, Studenten, Touristen – kurz: alle, die sich für die Schweiz interessieren.
Und die Russinnen und Russen in der Schweiz?
Die sollen das Angebot natürlich auch nutzen. Aber ich gehe davon aus, dass Russinnen und Russen, die länger in der Schweiz leben, irgendwann eine Landessprache beherrschen und sich in den regionalen Medien über das Geschehen in der Schweiz informieren. Die russischen Expats in der Schweiz verfügen zudem über ihr eigenes Magazin «Russische Schweiz».
Welchen Journalismus bietet der russischsprachige Dienst?
Das neue Angebot ist eingebettet in das redaktionelle Gesamtkonzept von Swissinfo, das im Kern aus einem multimedial aufbereiteten Tagesthema besteht, das in alle zehn Sprachen adaptiert wird. Insgesamt werden etwa zwei Drittel der Berichterstattung in Russisch aus den anderen Sprachen übernommen. Für russische Eigenleistungen stehen Themen im Zentrum rund um das Verhältnis Schweiz-Russland. Sei dies politisch, wirtschaftlich oder kulturell.
Was heisst das konkret?
Ein Thema, das uns in den kommenden Wochen und Monaten beschäftigen wird, sind russische Fluchtgelder in der Schweiz, Vermögenswerte, welche neo-kapitalistische Oligarchen in der Schweiz parkiert haben. Darüber werden wir einiges zu lesen kriegen. Unsere russischen Kolleginnen und Kollegen wissen dazu mehr, als die meisten Schweizer Journalisten.
Ihr mischt euch also auch in russische Innenpolitik ein?
Nein, gar nicht, das ist kein Thema. Wir berichten nur über Themen mit einem Schweizer Aufhänger. Oder über grosse internationale Ereignisse. Wenn in Moskau die Revolution ausbricht, liest man darüber selbstverständlich auch bei uns. Dann berichten aber alle unsere Redaktionen. Wenn Putins Politik die ganze Welt beschäftigt, dann beschäftigen auch wir uns damit. Was uns aber nicht interessiert, ist russische Innenpolitik, losgelöst von grösseren Entwicklungen. Wir müssen in erster Linie die Schweiz und ihre Positionen erklären.
Was kostet die neue Redaktion?
Die drei Vollzeitstellen, verteilt auf den Redaktionsleiter und drei Journalistinnen, kosten uns 400’000 Franken. Das ist weniger als die Hälfte des in früheren Jahren geforderten Betrags.
Habt ihr die Stellen ausgeschrieben?
Ja, allein für den Posten des russischen Redaktionsleiters erhielten wir 40 Bewerbungen aus ganz Europa.
Wie viele davon waren qualifiziert für diesen Job?
Eine einzige Person. Jene von Igor Petrov. Da er zum Zeitpunkt seiner Bewerbung in Moskau lebte, mussten wir nachweisen, dass kein Schweizer oder EU-Bürger diesen Job übernehmen könnte. Aber es gab für uns nur einen: Petrov. Dank den richtigen Referenzen und einem vollständigen Dossier erhielten wir schliesslich die Arbeitsbewilligung. Am 1. November hat er hier zu arbeiten begonnen.
Weshalb Petrov?
Kein russischer Journalist kennt die Schweiz besser als er. Petrov hat unter anderem eine Landeskunde der Schweiz und weitere Bücher verfasst. Seine Landeskunde gilt als umfassendstes Standardwerk, das es in Russisch über die Schweiz gibt. Er kann schreiben, ist mit den sozialen Medien vertraut, kennt beide Länder perfekt und spricht fliessend Deutsch, Englisch und seine Muttersprache Russisch. Und er verfügt über ein grosses Netzwerk. Der ideale Kandidat also.
Petrov ist ein erklärter Gegner von Putins Politik. Das dokumentiert er unter anderen auf seinem Facebook-Profil. Ist das eine Hypothek?
Es ist nicht Aufgabe von swissinfo, Putin-Bashing zu betreiben oder die russische Innenpolitik zu kommentieren. In diesen Fragen halten wir uns alle zurück, auch Petrov. Aber privat darf er seine Meinung frei äussern. Das ist sein gutes Recht. Ich lege ihm keinen Maulkorb an. Mit der russischen Botschaft in Bern hat er keine Berührungsängste. Botschaftsrat Makarov hat mir kürzlich sogar gesagt: Mit Petrov hat Swissinfo den besten Mann, den es für diese Stelle gibt.
Wer sind die drei Redaktorinnen?
Wir konnten drei erfahrene Journalistinnen mit Russisch als Muttersprache rekrutieren, die sich die restlichen 200 Stellenprozent teilen. Dass es Frauen sind, ist nicht untypisch für Russland. Journalismus ist dort ein typischer Frauenberuf. Ich denke, wir haben ein starkes Team gebildet. Die Frauen bringen alle den richtigen Hintergrund mit. Eine der Kolleginnen kommt von der Internetplattform Nasha Gazeta in Genf und kennt die Schweiz hervorragend aus ihrem bisherigen journalistischen Arbeitsumfeld.
Wie soll sich der neue Dienst entwickeln?
Ich habe Erwartungen an unser redaktionelles Gesamtangebot. Die russische Site muss einen substanziellen Beitrag an den künftigen Traffic leisten. Aufgrund der bisher bekannten Zugriffszahlen und des Potentials gehe ich davon aus, dass sich der neue russische Dienst irgendwo im Bereich unserer mittelgrossen Redaktionen, wie dem chinesischen oder dem arabischen Angebot, positionieren wird.