«Keine Sekunde damit gerechnet»
Weil «Das Magazin» nicht die vollen Kosten für eine Reportage tragen will, treiben die Journalisten das fehlende Geld mittels Crowdfunding auf. Innert Kürze sind 5000 Franken beisammen. Die Aktion stösst aber auch auf Kritik. Man stört sich daran, dass der prosperierende Tamedia-Verlag nicht selbst die erforderlichen Mittel bereitstellt.
Sie können es selber kaum glauben: «Wir haben keine Sekunde mit einem solch überwältigenden, grosszügigen und spontanen Support gerechnet», schreiben Christian Schmidt und Manuel Bauer auf der Crowdfunding-Plattform «We make it». Nach weniger als drei Tagen haben sie ihr Finanzierungsziel von 5000 Franken erreicht. Die beiden Reporter wollen im Spätsommer in den Himalaya reisen und von dort über den klimabedingten Bevölkerungsexodus aus einem Dorf im Mustang-Tal berichten. Ihre Reportage werden sie in «Das Magazin» veröffentlichen, eine Publikation aus dem Medienhaus Tamedia, die samstäglich mehreren Schweizer Tageszeitungen beiliegt.
Von der Redaktion haben Fotograf Bauer und Reporter Schmidt die Zusage für eine Veröffentlichung erhalten, jedoch nur einen Teil der für Reise und Recherche erforderlichen Spesen. Unter Journalisten sorgte dieser Bescheid für Irritation. Ausgerechnet das Zürcher Medienhaus Tamedia, dem es nach Aussagen seines Präsidenten so gut geht, wie noch nie zuvor und das sich den aufwändigen Recherchierjournalismus auf die Fahnen geschrieben hat, soll es nicht vermögen, zwei Reporter in den Himalaya zu schicken.
«Beobachter»-Reporter Otto Hostettler kommentierte deshalb spitz:
Wow, clever kalkuliert: #tamedia schickt Journalisten auf Spendensammlung, um ihre eigenen Artikel zu finanzieren.wemakeit.ch/projects/wir-m…
— Otto Hostettler (@ottobeobachtet) 31. Mai 2013
Die Realität sieht freilich banaler aus. «Das Magazin» verfügt über ein Honorar- und Spesenbudget. Das ist mit Bestimmtheit grosszügigeres als bei den meisten anderen Redaktionen, aber letztlich auch nur ein endlicher Geldbetrag und nicht einfach ein Bündel Blankoschecks. Nun liegt es im Ermessen der Redaktion, wie sie ihre Mittel einsetzt. Im Fall der Himalaya-Klima-Reportage entschied sie sich, nur einen Teil der Gesamtkosten zu tragen. Eine Situation, die jeder freie Journalist kennt. Auswege gibt es verschiedene. Etwa die Suche nach weiteren Abnehmern, so dass sich mehrere Verlage die Kosten für eine aufwändige Recherche teilen können. Bauer und Schmidt haben sich für einen anderen Weg entschieden. Offenbar den richtigen.
Ihr Aufruf auf «We make it» zur kollektiven Vorfinanzierung der Recherchereise hat das Ziel nicht verfehlt, ja sogar übertroffen. Nach Stand 4. Juni 15.00 Uhr ist ein Betrag von 14’000 Franken zugesagt, fast das Dreifache der angestrebten 5000. Als Gegenleistung erhalten die Unterstützer neben dem guten Gefühl, aufwändigen Journalismus zu ermöglichen, verschiedene Goodies, je nach Höhe des zugesicherten Betrags. Für 100 Franken gibt es eine handsignierte Ausgabe von «Das Magazin» der beiden Autoren, für 1000 Franken erhält man einen Fotoprint, Postkarten, Souvenirs aus dem Himalaya, sowie ein Dankeschreiben des Dorfvorstehers, um den es in der Reportage auch gehen wird.
Mit der Überfinanzierung nimmt das Crowdfunding-Projekt nun eine neue Wendung. «Unsere Reportage verfolgt einen Zweck, der weit über die Publikation hinausgeht», schreiben Bauer und Schmidt nachdem am Sonntag das Finanzierungsziel erreicht wurde. Das Dorf, über das die beiden berichten wollen, soll an einem neuen Standort aufgebaut werden, wo die Wasserversorgung gesichert ist. Das kostet Geld. Die Reportage soll helfen, Spenden zu generieren. Deshalb habe sich «Das Magazin» bereit erklärt, «einen ausführlichen Hilfeaufruf ins Blatt zu rücken».
Unter dem Gesichtspunkt, dass die Reportagereise auch als PR-Vehikel für eine Spendensammlung dient, ja sogar als primäres Ziel deklariert wird, erscheint der Entscheid der Redaktion verständlich und nachvollziehbar, nicht die vollen Kosten zu tragen, sondern einen Anschub zu leisten. Und zwar einen, der seine Wirkung bereits mit dem Crowdfunding voll entfaltet hat.
Andreas Jäggi 04. Juni 2013, 16:09
Stellt sich da nun nicht die Frage der Transparenz? Wer waren die Spender und was erhoffen sie sich vom Artikel? Man könnte noch weiter fragen: Einiges Geld kam ja vielleicht auf Grund der im Spendenaufruf formulierten These zusammen, die Quellen des Bergdorfes seien wegen des Klimawandels versiegt. Inwieweit tangiert das die Unvorgenommenheit der Journalisten?
Frank Hofmann 05. Juni 2013, 09:01
Die These ist vermutlich nicht nur, dass der Exodus eine Folge des Klimawandels ist, sondern dieser Klimawandel durch den Menschen verursacht wurde. Da wirkt natürlich eine Flugreise von zwei Schweizer Medienleuten besonders glaubwürdig. Wie viele Al Gores brauchen wir noch?
bugsierer 04. Juni 2013, 18:49
den beiden journalisten ist dieser erfolg zu gönnen. der tamedia ist zu wünschen, dass das ein einzelfall bleibt. ich möchte mir keine presse vorstellen, bei der jede ausgewachsene repo gecrowdfunded ist.
es stellt sich auch die frage, ob es legitim ist, als journalist eine spendenaktion anzuleiern. lautet nicht einer der wichtigsten journalistischen leitsätze, dass man sich mit nichts gemein machen soll?
christian schmidt 07. Juni 2013, 10:32
Dass unser Crowdfunding über die eigentliche Aktion hinaus eine medienpolitische Diskussion auslöst, begrüssen Manuel Bauer und ich sehr. Natürlich ist jedes Sponsoring letztlich fragwürdig, doch bei der Zahl von aktuell knapp 90 Supportern sind wir viel besser abgefedert als durch ein Sponsoring von einer einzelnen Firma (mit deren Logo auf der Brust wir uns dann in Mustang ablichten lassen müssten).
Über die Frage, weshalb heutzutage solche Reportagen ohne Unterstützung nicht mehr realisiert werden können, lässt sich endlos diskutieren. Sowohl Manuel und ich haben beide über Jahre aktiv bei der damaligen SJU für bessere Konditionen gekämpft. Das Resultat war, dass mit der Beerdigung von „NZZ Zeitbilder“ eines der letzten Gefässe für grosse Reportagen verschwand.
Aktuell bleibt nicht viel mehr als „Das Magazin“. Weshalb die Redaktion des Magazins, trotz einem Superabschluss der TA Media AG im Jahr 2012, nicht besser dotiert wird, ist eine Frage, die extrem laut gestellt werden muss. Manuel und ich sind der Redaktion jedenfalls dankbar für ihr Engagement, insbesondere, dass man zusammen mit der Reportage einen Spendenaufruf (für den Neubau des Dorfes Sam Dzong) ins Blatt zu rücken gedenkt. Das ist nicht selbstverständlich.
Das Ausmass des Erfolgs des Crowdfundings hat uns überwältigt. Weshalb wir mehr als drei Mal soviel Spenden erhalten haben wie geplant, wissen wir selbst nicht. Entweder hungert das Publikum nach grossen Reportagen, oder wir haben ein überzeugendes Thema erwischt, oder wir kennen die richtigen Leute. Für uns – und insbesondere für Manuel, der das Thema entdeckt hat und bereits fünf Mal in Mustang vor Ort war – ist die Geschichte des Dorfes Sam Dzong auch keine Eintagsfliege. Das zeigt die geplante Spendenaktion für den Wiederaufbau des Dorfes. Diese Aktion wird nur dank unserer Reportage möglich, und unsere Reportage wird nur dank Crowdfunding möglich. Wer schliesslich profitiert, sind die Menschen in Mustang. Das war von Anfang an unser Ziel.
Noch zur vielleicht drängendsten Frage: Was machen wir mit dem vielen Geld? In erster Linie werden wir natürlich die Reisekosten und unseren Aufwand damit decken. Allein die Anreise nach Sam Dzong (ab Kathmandu) dauert fünf bis sieben Tage (per 4 x 4, per Pferd und teils zu Fuss), also auch die Rückreise. Insgesamt werden wir rund ein Monat an der Arbeit sein. Über unsere Ausgaben werden wir genau Buch führen. Bleibt danach ein Überschuss, werden wir dieses Geld in den Wiederaufbau des Dorfes Mustang stecken. Es bleibt nichts in unseren Kassen.
bugsierer 09. Juni 2013, 19:40
@christianschmidt: ihre freude in ehren, aber nach ihren ausführungen stellt sich mir noch viel mehr die frage, ob ihr projekt eine repo oder ein hilfsprojekt ist. bisher scheint es beides zu sein, resp. letzteres ein bisschen mehr. das finde ich problematisch. natürlich finde ich es auch bedauerlich, dass dass tagimagi quasi die letzte heimat von kostspieligen repos ist. aber ihre verquickung von repo und hilfsprojekt geht mir dann doch etwas weit. da sind mir plattformen wie greenpaece et all doch viel lieber, da kommt das gleiche prinzip zum tragen (repos aus krisenherden), aber es ist wenigstens klar, wer der absender ist und was seine interessen.
und eine zusatzfrage hätt ich auch noch: ihr kollege war schon 5x dort? warum hat er nicht spätestens beim dritten mal eine repo geschrieben? oder eine kleine website mit spendenkonto aufgesetzt?
bugsierer 13. Juni 2013, 18:50
tja, lieber herr schmidt, keine antwort ist auch eine antwort. und leider typisch für so viele schurnos. böse gedacht: solang die leser geld geben ist alles in butter, wenn sie kritische fragen stellen, ist funkstille. crowd? hallo?
christian schmidt 17. Juni 2013, 15:31
@Bugsierer. Über die Frage, ob man Reportagen und Spendenaufrufe vermengen kann, darf, soll oder gar muss, kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Den Menschen in Mustang ist es jedenfalls total wurst; Hauptsache, sie kommen zu neuen Häusern. Das ist auch mein Ziel.
Und zum anderen Punkt, weshalb Manuel Bauer nicht schon beim dritten Besuch spendenmässig aktiv geworden ist: Ist er. Bauer hat in diversen Vorträgen über Mustang bereits Geld gesammelt. Nur reicht es noch nicht. Deshalb gehen wir nochmals – und haben das Glück, dass uns DAS MAGAZIN anschliessend die richtige Plattform bietet.
bugsierer 18. Juni 2013, 19:37
merci für ihre antwort.
dass man darüber unterschiedlicher ansicht sein kann, war mir allerdings schon vorher klar. aber henusode, dieser punkt scheint weder sie noch sonst einen journalisten hier besonders zu interessieren. auch das ist nichts neues im schweizerland. egal, ich wünsche ihnen beiden eine erfolgreiche reise.
Finn Canonica 09. Juni 2013, 18:09
Die Kollegen Bauer und Schmidt haben auf ihrer Webseite etwas missverständlich informiert: Das Magazin zahlt das branchenübliche Honorar (sogar eher etwas mehr) an Fotografen und an den Autoren. Es ist also nicht so, dass wir kein Geld mehr haben für unsere Reportagen. Das reicht aber bei weitem nicht, um eine derart teure Aktion zu finanzieren.
Eine Nachfrage beim Magazin vor der Veröffentlichung dieses Artikels wäre eigentlich zu erwarten gewesen. Das hätte viele Missverständnisse ausgeräumt.
Frank Hofmann 11. Juni 2013, 08:01
Der Dativ bzw. Plural ist dem Genitiv bzw. Akkusativ sein Tod. Nicht wahr, Herr urbaner Chefredaktor.