«Wie heisst er, Köppel?»
Interviewerfinder Tom Kummer beklagt ein seit zehn Jahren andauerndes Schreibverbot, dabei publiziert er immer wieder in Schweizer Medien. Doch statt seine Verfehlungen einzusehen und aufzuarbeiten, verdrängt er sie, nicht mal an Roger Köppel mag er sich erinnern. Der Mythos Tom Kummer lebt und Tom Kummer lebt vom Mythos Tom Kummer. Zu Besuch bei einer Lesung in Berlin.
Was ist schon Wahrheit? Das MEDIENWOCHE-Gespräch mit Helmut-Maria Glogger ist übertitelt mit «Alle möchten mit mir befreundet sein». Im Text dann findet sich der Satz «Alle, über die ich geschrieben habe, möchten mit mir mehr befreundet sein als ich mit ihnen». Tatsächlich gesagt hat er wohl einen irgendwie ähnlichen Satz oder auch zwei, vermutlich in Dialekt, womöglich mit Füllwörtern, Pausen oder Ähs. So sprechen wir Menschen. Journalisten haben die Aufgabe, die gefallenen Sätze in eine gefällige Form zu bringen, ohne den Inhalt zu verfälschen. Doch was ist noch eine zulässige Verkürzung und was schon eine unzulässige Verfälschung? Darüber streiten sich Journalisten mit Gesprächspartnern und Pressestellen jeden Tag.
Tom Kummer hat nicht unzulässig verkürzt, er hat unzulässig verlängert oder einfach erfunden. Öffentlich bezweifelte zuerst der Focus im Mai 2000 die Echtheit von Interviews, die er mit Sharon Stone, Kim Basinger, Brad Pitt und Courtney Love geführt zu haben vorgibt. Mit oder ohne Wissen der Redaktion? «Das Verhältnis zwischen uns blieb ungeklärt», sagt Tom Kummer dazu in Berlin, sie seien süchtig gewesen nach dem Stoff, den er geliefert hat, nach den Bändern hätten sie nie gefragt. Roger Köppel, der mehrere Interviews im Magazin des Tages-Anzeigers druckte, bevor er nach einem Jahr misstrauisch wurde, Kummer auf die Schliche kam und die Zusammenarbeit beendete, sagte dazu im MEDIENWOCHE-Interview:
«Kummer erzählte danach gerne, dass er seine Stücke mit Wissen der Chefredaktoren als Kunstform verkaufte – das ist eine dreiste Lüge. Schliesslich verrechnete er dafür Spesen – die waren sehr real und kein artistisches Konzept.»
Wir sitzen im Freitag-Store in Berlin, ich konfrontiere Kummer mit diesem Zitat, er antwortet so (ab 0:40 Minuten):
«Der Spesen-Vorwurf ist natürlich gravierend [Gelächter im Publikum]. Vergessen wir dabei, dass ich natürlich recherchiert habe für die Interviews (und auch wirklich, wie ich finde, Spesen verdient habe). Es ist ein total bescheuerter Vorwurf, weil … ich habe … ich kann mich auch gar nicht mehr richtig erinnern, wie das ablief eigentlich. Aber, wie heisst er, Köppel? Köppel nimmt das immer wieder auf, ich denke, das ist seine einzige Verteidigungsstrategie in diesem Fall. Er hat immerhin etwa 15 Interviews gedruckt von mir, nie nach Bändern gefragt, nie nach irgendwelchen Beweiselementen – und er sagt, es habe etwas mit Vertrauen zu tun. Wie ich schon gesagt habe, das Verhältnis mit den Redaktionen war nicht definiert, sie haben die Geschichten auf die Titelblätter gebracht und offenbar hat es für die Chefredaktion auch funktioniert.»
Kummer sieht blendend aus an diesem Juniabend, ein braungebrannter California Boy, von dem niemand denken würde, dass er schon 50 Jahre alt ist. Gewisse Sätze spricht er aus wie ein Amerikaner, der gerade deutsch lernt, auch Hollywood kommt als Halliwud aus seinem Mund. Er trägt schwarze Converse, blaue Jeans, später dann auch seine dickrandige schwarze Brille. Und ein ausgewaschenes graues T-Shirt mit dem Schriftzug «Woodstock», über dem ein gelber Vogel auf einer Gitarre steht.
Über seinen Auftritt in Berlin geschrieben wurde einige Artikel, in den Leads dazu heisst es: «Ein Gefallener kehrt zurück» (spex.de), «Jetzt hat er wieder eine Reportage geschrieben» (tagesspiegel.de), «jetzt ist er wieder da» (berlinergazette.de). Tatsächlich war er nie weg, seine Rückkehr ist ein Mythos, wie auch seine Abwesenheit: Schon 2001 durfte er wieder Kolumnen schreiben für das inzwischen aufgegebene Post-Portal yellowworld.ch. 2003 verfasste er drei Reportagen für den Trend-Bund der «SonntagsZeitung», von 2007 bis 2009 neun lange Texte für den «Bund» und am 5. Februar 2009 eine Reportage über die Super Bowl in der WOZ. 2005 gründete er übrigens die «School of Borderline Journalism». Bei Borderline-Journalismus, erzählte er damals der Werbewoche, handle es sich um eine «Sonderform des New Journalism».
Mal sagt Kummer, er sei kein Journalist, mal bezeichnet er sich als einer, und das am gleichen Abend. Ein Borderline-Journalist sei er aber keiner, dieser Titel sei ihm von den Medien angehängt worden, auch um ihn zu isolieren:
«Ich sehe mich als erzählenden Journalist, vielleicht als Schriftsteller. Das einzig Borderline-ige war das Verhältnis zu den Redaktionen. (…) Das Spannende am Journalist sein für mich ist, dass man mit einer sehr festgefahrenen Form, dieser Objektivitätserwartung des Lesers, spielen kann. Das mag ein gemeines Spiel sein, für einige ein faszinierendes Spiel. Es gibt viele Leser, die sich genau das wünschen, dieses Spiel zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Diese nicht definierte Position des erzählenden Journalisten finde ich spannender als die des Schriftstellers.»
Überhaupt, die Leser hätten sich nie beklagt über seine Texte, nur die Journalisten. Das sei heute noch so, bestätigt Daniel Puntas Bernet von «Reportagen». Die im aktuellen Heft abgedruckte Tom-Kummer-Geschichte über den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA habe sehr viele positive Reaktionen ausgelöst: «Wir haben nur zwei negative Rückmeldungen gekriegt, beide von Journalisten.» Der Roadtrip unter dem Titel «Borderline» wurde mit einem Vorwort als Beipackzettel versehen: Kummers Wort, keine «Anreicherung der Realität» betrieben zu haben, sei «derselbe Grad des Vertrauens, den wir auch allen anderen Autoren zukommen lassen». «Obwohl wir nicht selbst auf seiner Reise mit dabei waren, können wir sie immerhin anhand der Fotos nachvollziehen, die Kummer unterwegs geschossen hat.»
Er habe Personen immer intelligenter gemacht, als sie möglicherweise sind, sagt Kummer, und das könnte ein Grund sein, warum es kaum je zu Protesten gekommen ist – die Stars, die Agenten, die Redaktoren, die Leser, glauben möchten das alle gerne. Was Wahrhaftigkeit angeht, dürfen sich alle an die eigene Nase fassen, gibt es doch kaum jemanden, der die wahrgenommene Realität noch nie etwas zugespitzt hat, um eine bessere Wirkung zu erzielen. Aus dem Publikum fragt einer, ob er auch schon Protagonisten gecastet habe. Es sei doch durchaus Usus bei grossen Reportagenschreibern, einige für eine Geschichte in Frage kommende Personen zuerst mal zu casten, und dann mit einer von ihnen die Geschichte zu machen. Tom Kummer hat davon noch nie gehört (ich bisher auch nicht).
Nach der Veranstaltung gibt es Biere, auf denen «Bier» steht und Weissweinschorlen auf denen «Weinschorle» steht, ein Besucher, ein Leser, bemerkt, dass Tom Kummer stets Ausflüchte hat, sobald ihn jemand festnageln will. So ist es: In den dreizehn Jahren seit dem Skandal ist ihm nichts besseres als die Verdrängung eingefallen. Statt die Geschichte mal ehrlich aufzuarbeiten, lässt er es bis heute zu, sich von diesen Fragen in unangenehmer Weise löchern zu lassen. Spricht man ihn konkret auf Fakten an, windet er sich, entzieht er sich, blockt er ab. «Ich hatte zehn Jahre lang Schreibverbot, ist das nicht genug?», sagt er dann, «die Entrüstung ist mir auch zehn Jahre danach nicht erklärbar», und: «Es sind nun dreizehn Jahre vergangen seit dieser Affäre, ich mag mich nicht mehr erklären. Das ist jetzt Pressegeschichte.»
Der Mythos Tom Kummer lebt und Tom Kummer lebt vom Mythos Tom Kummer. Jedes Jahr werden journalistische Neueinsteiger mit den Taten bekannt gemacht, von denen sein Ruf lebt und über die er nicht mehr sprechen möchte. «Kummer ist Unterrichtsgegenstand, wenn man Journalismus studiert», bemerkt Puntas. Es überrascht nicht, dass die Lesung rappelvoll ist mit Menschen um die 30, die alle diesen doch sehr sympathischen «Bad Boy» sehen wollen. Ein Image, das Kummer selbst und jene, die ihn in ihren Veröffentlichungen aufnehmen, sorgfältig und ausdauernd pflegen.
Diese Marke, dieser Mythos ist nach wie vor stark und zieht verlässlich Aufmerksamkeit an. Seine Story heisst auch 2013 «Borderline», wie kokett, wie vorhersehbar, wie langweilig. Kommt auch noch mal etwas Neues? Will er seinen Lebensabend damit verbringen, den Mythos zu pflegen und ihm auch noch den letzten Cent abzupressen? Werden sich Leute wie ich damit beschäftigen und ihm dabei behilflich sein? Oder hat er die Kraft, sich neu zu erfinden?
Als Schreiber hat Tom Kummer eine Zukunft verdient, denn schreiben kann er sehr gut, und er tut es auch: «Ich schreibe unter Pseudonymen, in Blogs, in den USA, in Kunstkatalogen». Vielleicht ist er ja längst wieder zurück in der Welt des Journalismus. Ein ungeläuterter Tom Kummer bleibt ein guter Schriftsteller, aber Journalist sollte einer, der die Suche nach der Wahrheit als Faktenhuberei belächelt, wohl besser nicht sein, auch nicht unter Pseudonym.
Bei aller berechtiger Kritik nicht vergessen sollte man:
– Kummer hat stets bestens unterhalten, was man leider von den wenigsten Schweizer Journalisten behaupten kann.
– Kummer hat ein Motiv für seine Taten, nämlich die unerträgliche Ödnis PR-getriebener «Star»-Interviews.
– Kummer hat die Herren, die seine Werke druckten und als Journalismus durchgehen liessen, einfach herrlich genarrt, mit oder ohne ihr Wissen.
Die Lesung in der Reihe „Freitag am Donnerstag“, eine Kooperation des Magazins «Reportagen» und der Taschenmanufaktur «Freitag», fand am 27. Juni 2013 im Freitag-Store an der Max-Beer-Strasse 3 in Berlin statt.
Siehe dazu auch: Tom Kummer – Ein Blick in das Archiv
bugsierer 11. Juli 2013, 16:57
ich erinnere mich mit grösstem vergnügen an die verdutzten gesichter von köppel & co. die schockstarre in der branche war auch nicht ohne. was für ein spass, was für eine gnadenlose blossstellung von ach so seriösen redaktionen. das gelächter an der barkante war gross, anwesende schurnis mussten sich unter schnappatmung den mund fusslig reden.
dass kummer nichts aufdröseln will ist ein punkt. der grössere ist aber, dass es die verlage auch nicht wollen. bei kummer ist das nachvollziehbar, er hält mythos und marke am glühen, und gross zuzugeben gibts eh schon lange nichts mehr, alle wissen um die erfindungen. ganz anders sieht es bei den verlagen aus. aus purer menschenliebe haben sie ja wohl auf juristische schritte nicht verzichtet. warum dann? ig dänke mer mi sach.
Frank Hofmann 18. Juli 2013, 14:39
Selbstverständlich darf man sich lustig machen über Köppel. Am schadenfreudigsten sind immer jene, die es selber nie zum Chefredaktor gebracht haben. Die Ironie ist nur, dass es genau Köppel ist, der ihm eine zweite Chance gibt. Wer spottet jetzt?
Klaus Jarchow 19. Juli 2013, 10:16
Ob ein irrelevantes Interview mit einer irrelevanten Kim Basinger ein Fake war oder nicht – das ist so etwas von irrelevant. Solange er keine Snowden-Interviews fälscht … Roger Köppels ‚Fakes‘ mit bewaffneten Albanerkindern auf dem Titel sind schon ein ganz anderes Kaliber.
Mara Meier 22. Juli 2013, 10:23
Kummers Hingis-Stück in der Weltwoche hervorragend.
Kummer als Kunst-Performer, als Sprengmeister auf der Metaebene? Statt merda d’artista (Manzoni), merda di giornalista (Kummer).