von Ronnie Grob

Die Lösung heisst Rückschritt

Die gedruckten Zeitungen verfügen über eine unterschätzte Zukunftschance: Wenn das Internet eine totalüberwachte Zone ist, werden Redaktionsräume und -systeme, auf die Regierungen und Geheimdienste keinen Zugriff haben, zur Geheimwaffe. Gedruckte Zeitungen auf dem technischen Stand des 19. Jahrhunderts könnten wieder zur Speerspitze der Medienfreiheit werden.

Seit doch schon einigen Jahren sind Texte zu lesen, die Fragen stellen zur Zukunft der Zeitungen, insbesondere der Tageszeitungen. Die Antwort darauf ist kurz und schmerzvoll: Tageszeitungen in ihrer bekannten, gedruckten Form haben keine Zukunft – es sei denn, die aktuellen Trends ändern sich grundsätzlich. Vielleicht gibt es sie auch in Jahrzehnten noch, als überkommenes und verzichtbares Luxusprodukt, wie beispielsweise Schallplatten. Die Bedeutung der letzten Jahrhunderte werden sie wohl aber einbüssen. In dieser ganzen Flut an Debattenbeiträgen ist aber noch kaum jemand auf die – eigentlich naheliegende – Idee gekommen, die Lösung in der Vergangenheit zu suchen.

Denn mit einer Totalüberwachung des Internets eröffnen sich neue Chancen. Die keine Rückmeldungen erzeugenden Papierprodukte könnten den rückverfolgbaren Digitalprodukten bevorzugt werden – von Konsumenten, die ihre Privatsphäre bei der Lektüre bewahren möchten. Wer die Zeitung auf Papier liest und vernichtet, kann verheimlichen, welche Artikel seine besondere Aufmerksamkeit gefunden haben. Ein weiterer Vorteil bietet sich in der konsequenten Verweigerung aller überwachbaren Kommunikationsmittel.

Ich rede von der Zeitung als …
… hermetisch abgeschlossene, unverwanzte Redaktionseinheit.
… private und durch das Redaktionsgeheimnis geschützte Zone.
… Hafen für Daten und Informationen, die dem Zugriff von Staaten und Geheimdiensten verwehrt bleiben sollen.

Um alte Stärken zu neuer Blüte zu bringen, benötigt es den Rückschritt, also die Abschaffung von überwachbaren Kommunikationsmitteln wie E-Mails, Telefonen oder dem Internet. Um eine sichere Anlaufstelle für Informanten zu werden, müssen Journalisten so vorgehen, als wären sie Bewohner einer Diktatur in einer vormodernen Zeit.

Ich rede von …
… Treffen von Informanten in der abhörsicheren Öffentlichkeit.
… Notizen auf Papier oder einem anderen leicht zu vernichtenden Stoff.
… einem Verzicht auf jegliche Recherchemethoden, die eine Mitaufzeichnung ermöglichen.

Das klingt höchst unrealistisch? Ein Leben ohne Kommunikationshilfsmittel ist für Journalisten durchaus möglich, wie Selbstversuche wie «Ich bin dann mal offline» (Christoph Koch) oder «Ohne Netz» (Alex Rühle) bewiesen haben. Und auch sonst könnten sich Recherchemethoden des 19. Jahrhunderts (vor die Tür gehen, mit Menschen reden, Dinge mit eigenen Augen sehen) als Vorteile gegenüber einer im Mainstream schwimmenden Konkurrenz herausstellen.

Verleger Axel Springer wurde im 19. Stock des Berliner Verlagsgebäudes abgehört – in seinem eigenen Büro von seiner eigenen Sekretärin «Rosie», auch bekannt unter dem Kürzel «IM Grunewald». Sie berichtete der DDR-Staatssicherheit stets brühwarm, was im Verlegerbüro so passierte (vgl. «Bespitzelt Springer! Wie die Stasi einen Medienkonzern ausspähte»). Im Vergleich zum damaligen Coup der Stasi ist es für den Staat und die Geheimdienste heute eher einfacher, an Informationen zu gelangen: Sie sind zuhauf vorhanden und was fehlt, wird irgendwann geleakt.

Wer den Überwachungstätigkeiten des Staats selbst etwas entgegensetzen möchte, findet im Netz viele Websites, die Abhörgeräte zu einem bezahlbaren Preis offerieren: Der Tonspy Pro für 239 Euro beispielsweise ruft an, sobald in der Nähe des Geräts geredet wird («Dadurch können Sie ganz bequem vom Büro aus prüfen, wie es Ihren Kindern zu Hause geht»). Aber warum sollte ein Zeitungsverlag nicht grösser planen? Er hat die Mittel, um eine private Gegenoffensive zu starten und ein abhörsicheres Gebäude mit rigider Zutrittskontrolle in bescheidenem Umfang zu bauen. Ganz so gross wie die neue Zentrale des Bundesnachrichtendiensts in Berlin Mitte (4000 Arbeitsplätze in 3300 Büros auf 10 Hektaren Fläche, voraussichtliche Fertigstellung 2015) kann es ja schon aus finanziellen Gründen gar nicht werden.

Leserbeiträge

Jörg Weber 16. August 2013, 17:59

Herziger Beitrag. Weder die NSA noch sonst wer interessiert sich für die Daten von Herrn und Frau Bünzli. Diese dürfen ruhig weiter im Netz jeden Mist los werden. Die ganze mediale Aufregung über die «Überwachungstätigkeit» ist Nonsens. Also auch kein Argument pro Printmedia.

Roswitha Schäfer-Neubauer 16. August 2013, 20:11

Das Zeitalter des being totally hirnwashed nähert sich hoffentlich abrupt seinem Ende, und die Leute fangen wieder an, selbst zu denken. Auch wenn diese Politik natürlich alles dransetzt, dies tunlichst zu konterkarieren.

Matthias Giger 18. August 2013, 11:58

Drei Gründe dagegen:
1. Dafür ist die Paranoia in der Schweizer Bevölkerung dann doch nicht gross genug
2. Eine Zeitung mit Methoden des 19. Jahrhunderts zu produzieren hört sich für mich verdammt teuer an, da aufwändig und passt nicht ins Kostenkorsett von heute
3. Das mit dem vor die Tür gehen erinnert mich an ein Comic, bei dem einer in der U-Bahn mit dem Handy telefoniert und wohl dem Sekretär die Kreditkartendetails diktiert und betont: Aber nutze dann bitte 264bit Verschlüsselung (draussen vor der Tür ist nicht unbedingt abhörsicher, vor allem nicht, wenn man telefonisch den Termin vereinbart hat. Ansonsten siehe 2.