Drei Minuten Staatsfernsehen
Wenn Regierungsmitglieder vor Abstimmungen am Fernsehen zu einer Vorlage Stellung nehmen, tun sie dies ohne formelle Rechtsgrundlage. Die Bundesratsauftritte basieren lediglich auf Weisungen aus dem Jahr 1971. Für die SRG gibt es gute Gründe, am Status quo festzuhalten.
Die drei Minuten gehören zu den Ritualen der Mediendemokratie wie die Abstimmungsarena oder die Elefantenrunde: Wenn Bundesrätinnen und Bundesräte in den Wochen vor eidgenössischen Abstimmungen am Radio und Fernsehen zu den Vorlagen Stellung nehmen, dann stört sich selten jemand an der prominenten Plattform für die Regierung; die Auftritte sind eine eidgenössische Tradition. Und das im wahren Wortsinn verstanden als Überlieferung ohne formelle Rechtsgrundlage. Weder im Radio- und Fernsehgesetz und der zugehörigen Verordnung noch in der Konzession findet sich ein Passus, der die Bundesratsauftritte regeln würde. SRG und Bund stützen sich einzig auf heute nicht mehr auffindbare Richtlinien aus dem Jahr 1971, mit denen der damalige Generaldirektor Marcel Bezençon die Beziehungen von Rundfunk und Regierung geregelt hatte.
Die SRG, auf deren Kanälen die Regierung Gastrecht geniesst, hält das juristische Manko nicht etwa für ein Problem. Im Gegenteil: «Die Tradition [der Bundesratsauftritte] ist umso breiter akzeptiert, als es sich gerade nicht um einen gesetzlichen oder konzessionsrechtlichen Auftrag handelt», teilt SRG-Mediensprecher Daniel Steiner auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Bei aller Akzeptanz haftet aber dem obrigkeitlichen Eingriff in die Programmautonomie ein schaler Beigeschmack an. Ausgerechnet die SRG, die als privatrechtlich organisiertes Unternehmen immer wieder (und völlig zurecht) darauf pocht, nicht als Staatsrundfunk tituliert zu werden, muss sich hier berechtigterweise genau diesen Vorwurf gefallen lassen.
Für die jeweils sechs Auftritte der Bundesräte zu einer Abstimmungsvorlage in den ersten Programmen von Radio und Fernsehen der drei Sprachregionen übergibt sie die redaktionelle Kontrolle komplett der Regierung. Den Inhalt bestimmt der Bundesrat, höchstens auf die Länge der Ansprachen haben die zuständigen Redaktionen einen Einfluss. Über jedes andere Programmelement kann das Schweizer Radio und Fernsehen frei entscheiden, ob es ausgestrahlt wird oder nicht. Nicht so bei den Ansprachen der Bundesratsmitgliedern. SRF wollte zu diesem tolerierten Eingriff in ihre Programmautonomie vorerst nicht Stellung nehmen. Nur so viel: Das Thema sei Gegenstand der nächsten Chefredaktorenkonferenz.
Nun ist es durchaus möglich, die Bundesratsauftritte auf eine solide Rechtsgrundlage zu stellen. In der Vergangenheit war der obrigkeitliche Zugriff auf die SRG-Programme bereits einmal verbindlicher geregelt. So stand im ersten Radio- und Fernsehgesetz festgeschrieben, das 1992 in Kraft getreten und bis 2007 gültig war, dass die SRG «einer Behörde angemessene Sendezeit einräumen» müsse. Unter diesen Artikel, der in erste Linie die Information in Katastrophenlagen betraf, liessen sich auch die Bundesratsauftritte subsumieren. Bei der Totalrevision des Gesetzes hat das Parlament die Bestimmung gestrichen. Die Räte folgten damit dem Bundesrat, der in der Botschaft festgehalten hatte, dass eine solche Einschränkung der Programmautonomie «in einem freiheitlichen System mit staatsunabhängigen Medien kaum zu rechtfertigen» sei. Die SRG hat die Streichung des Artikels indes nicht zum Anlass genommen, eine spezifische rechtliche Regelung für die Bundesratsauftritte in Radio und Fernsehen zu suchen. Seit 2007 dienen Tradition und die Weisung von 1971 als einzige Grundlagen.
Dass die SRG an dieser diffusen Regelung festhält, hat einen guten Grund. Aus dem Umfeld des mit dem Ablauf der Bundesratsauftritte vertrauten Kreis ist zu erfahren, dass eine klarere rechtliche Grundlage bei den politischen Parteien Begehrlichkeiten wecken könnte. In der Vergangenheit forderten Politiker immer wieder (aber bisher erfolglos), den Parteien sei im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen Sendezeit einzuräumen. Eine programmrechtlich verbindlichere Grundlage für die Bundesratsauftritte, könnte diesem Bestreben erneut Auftrieb verleihen. Indem die SRG am Status quo festhält, verhindert sie, dass das Tor zu noch mehr Fremdbestimmung im Programm nicht ohne Not aufgestossen wird. Ausserdem finden die bundesrätlichen Botschaften in ihrer heutigen Form eine breite Akzeptanz bei Politik und Publikum. Selbst die (abgelehnte) «Maulkorb»-Initiative, die den Bundesrat in seinen Propaganda-Aktivitäten vor Abstimmungen deutlich einschränken wollte, hatte die Radio- und Fernsehansprachen explizit ausgenommen von ihren ansonsten weitreichenden Forderungen.