von Stephan Russ-Mohl

Eine fruchtbare und furchtbare Diskussion

Populistische Medien trügen eine Mitschuld am Abstimmungsergebnis zur «Masseneinwanderungsinitiative», stellte Medienforscher Stephan Russ-Mohl fest. Die anschliessende Diskussion um die Ergebnisse der Medienforschung, auf die sich der Autor stützte, war so fruchtbar, wie sie auch entgleiste. Sein folgender Beitrag dokumentiert die Kontroverse und bewertet die wichtigsten Diskussionsbeiträge.

Mein Ausgangs-Kommentar im Berliner Tagesspiegel berief sich auf zwei Schweizer Forschungsinstitute, die bereits vor der Abstimmung unabhängig voneinander einen Mitschuldigen am Abstimmungsergebnis ausfindig gemacht hatten: die Schweizer Medien.

Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich berichtete, die rechtspopulistische Initiative habe beispielsweise von der mit Abstand grössten Zeitung, dem Gratisblatt 20 Minuten, aber auch von der auflagenstärksten Qualitätszeitung, dem sonst eher linksliberalen und auf Seriosität bedachten Tages-Anzeiger, Zuspruch erhalten. Der «‹horse race›-Journalismus, bei dem Kampagnenstrategien statt der Austausch von Argumenten im Zentrum stehen», habe – so meine Darstellung – mit dazu beigetragen, dass zu guter Letzt die schweigende Mehrheit einen knappen Abstimmungssieg erringen konnte.

Die letzten beiden Halbsätze waren eine naheliegende Schlussfolgerung, die ich gezogen habe, die allerdings so direkt nicht im Forschungsbericht steht – da heisst es wortwörtlich lediglich: Korrespondierend zum «medialen Zuwachs an Pro-Stimmen rücken die Medien jene Lager und Gruppen stärker in den Fokus, die (unerwartet) die Initiative befürworten (z.B. ‹Abweichler› innerhalb der Grünen-, FDP- und CVP-Parteisympathisanten). Im Modus eines ‹horse race›-Journalismus, bei dem Kampagnenstrategien statt der Austausch von Argumenten im Zentrum stehen, setzt sich in der Medienarena das Bild durch, dass die Gegner der Initiative ‹nervös› seien (NZZ). Diese Deutung erhält mehr Resonanz als jene der Initiativ-Gegner, wonach die genannten Umfrageergebnisse einen für die Gegenkampagne ‹heilsamen Elektroschock› (Le Temps) darstellten.»

Ergänzend hatte das Forschungsinstitut Media Tenor (Rapperswil) darauf verwiesen, dass in den Hauptnachrichten-Sendungen des Schweizer Fernsehens die Ausländer «in erster Linie als Problem präsentiert» würden, und somit «jeder Entscheid zugunsten der Ausländer eine Überraschung» gewesen wäre. Media Tenor analysierte Präsenz und Bewertungen der Ausländer in den Schweizer Fernseh-Nachrichten und in anderen Sendungen der SRG seit 2006. «Mehr als 80 Prozent aller Berichte, in denen Ausländer überhaupt von den Nachrichten thematisiert wurden, bezogen sich allein auf das Asylrecht oder Einwanderungsfragen.» Damit habe der Stimmbürger keine Chance gehabt, «die reale Veränderung im Alltag der Schweiz über die Medien zu erfahren»: Kaum ein Krankenhaus komme «ohne Nicht-Schweizer aus» und «Forschung und Lehre wären zwischen St. Gallen und Genf undenkbar, würden Wissenschaftler aus Europa, Amerika, Afrika und Asien nicht ihren Beitrag leisten.»

Sodann zum spannenden Teil der anschliessenden Diskussion: Rainer Stadler hat sich in seinem NZZ-Blog zu Wort gemeldet. Zitat: «In der FÖG-Analyse steht, dass 20 Minuten in der Untersuchungsperiode vom 18. November 2013 bis zum 6. Februar 2014 insgesamt 36 Beiträge zu diesem Thema publizierte. Zum Überhang an positiv gestimmten Beiträgen über die Initiative notiert die Studie die Zahl 3. Demnach hat die Gratiszeitung ziemlich neutral über die Initiative informiert. Der Tages-Anzeiger brachte in dieser Phase 76 Artikel, wobei der Überhang der Artikel mit Initiative-freundlichem Tenor 13 betrug. Eine Art Pro-Kampagne des Tages-Anzeigers kann man aus diesem Resultat sicher nicht herauslesen.»

Stadler verwechselt hier zwar Prozentpunkte mit Artikelzahlen – aber das ändert an seiner Einschätzung wenig und erschliesst sich auch aus der Darstellung des FÖG auch für Nicht-Wissenschaftler nicht ohne Weiteres. Zutreffend fügt Stadler hinzu, Redaktionen arbeiteten «nicht mit einem Zählrahmen, um Pro- und Contra-Beiträge punktgenau auszutarieren. Im Tagesgeschäft wirkt auch Meister Zufall mit.» In diesem Sinn solle man in wissenschaftliche Studien nicht mehr hineinlesen, als diese inhaltlich hergeben können.

Ich habe Stadler (für den ich regelmässig als NZZ-Autor arbeite) erst einmal auf Facebook zu seiner vertiefenden Analyse gratuliert und dabei auch Schwächen meines eigenen Beitrags eingestanden: «Als ich … meinen Beitrag unter Zeitdruck geschrieben habe, habe ich mich wohl von den zugespitzten Presseerklärungen der beiden Forschungsinstitute dazu verleiten lassen, vorschnelle Schlussfolgerungen zu ziehen. Fazit: Man sollte auch seinen Wissenschaftler-Kollegen nicht alles glauben. Und: Wir brauchen genau solch einen – leider sehr rar gewordenen – Journalismus, der prüft und hinguckt, auch wenn Wissenschaftler sich auf ihre eigenen Fachkollegen berufen….»

Trotzdem lassen sich auch gegen Stadlers Argumentation Einwände geltend machen. Er nimmt ja nobel den Tages-Anzeiger und auch das öffentliche Fernsehen – beide sind in Zeiten der Medienkonvergenz unmittelbare Wettbewerber der NZZ – in Schutz, so wie sich eben Professionsangehörige – darauf hat auch der Medienforscher Mark Eisenegger vom FÖG in einer privaten E-Mail an mich noch einmal hingewiesen – untereinander gerne in Schutz nehmen, wenn sie von aussen angegriffen werden.

Auf den ersten Blick erscheint der quantitativen Analyse des FÖG zufolge die Berichterstattung sowohl von 20 Minuten als auch von Tages-Anzeiger in der Tat «ausgewogen». Gegner und Befürworter kamen in etwa gleich häufig zu Wort, mein «Populismus-Vorwurf» scheint mithin entkräftet. Auf den zweiten Blick wird man aber doch festhalten müssen, dass der mediale Populismus womöglich gerade darin besteht, dass die beiden Zeitungen den Vereinfachern der SVP gleich viel bzw. sogar etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben als der «grossen Koalition» aus allen anderen Parteien, den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden ebenso wie der Kirchen und Universitäten, die auf die komplizierten Zusammenhänge und Folgeprobleme der Initiative hingewiesen haben. Die Versuchung, im Journalismus zu simplifizieren und auf diese Weise grössere Publika zu erreichen, ist angesichts schrumpfender Werbeerlöse und auf Sparflamme gesetzter Redaktionen gross – und genau das ist hier womöglich passiert.

Auch mit der Analyse des Media Tenor über die Berichterstattung des öffentlichen Fernsehens setzte sich Stadler auseinander. Er hat recherchiert, dass die «Tagesschau”, die «Rundschau”, «SRF Börse” und «Eco” ausgewertet wurden. Man könne «darüber streiten, ob ein solcher Programmfächer aussagekräftige Ergebnisse liefern kann. Von Aktualitäten getriebene Sendungen müssten «an die Themen des politischen und wirtschaftlichen Tagesgeschäfts anknüpfen». Entsprechend verwundere es nicht, dass hauptsächlich über die Asylpolitik und die Einwanderung berichtet wurde.

Sodann fragt Stadler: «Müssten also verstärkt die Leistungen der Ausländer für das Funktionieren der Schweizer Wirtschaft herausgehoben werden, wie der Media Tenor indirekt fordert?» Wissenschaftliche Untersuchungen wiesen seit Längerem darauf hin, dass die Medien die positiven Aspekte der Migration nicht angemessen darstellten. Stadler meint, die  Journalisten sollten die entsprechenden Fakten «in der Tat auf den Tisch legen», fragt aber, ob eine Nachrichtensendung der richtige Ort dafür sei. «Die Gefahr wäre gross, dass gerade das Fernsehen in die Rolle einer Belehrungsinstanz geriete. Das kommt schlecht an und wäre gar kontraproduktiv.»

Stadler hat wohl die Dynamik der Konkurrenz um Aufmerksamkeit im Hinterkopf, wenn er so fatalistisch akzeptiert, dass sich in den Medien meist schlechte statt gute Nachrichten durchsetzen – und damit auch sensationsgierige, populistische Darstellungsweisen gegenüber solchen, die sich um Ausgewogenheit und «Objektivität» bemühen, die Oberhand gewinnen. Daran anzuknüpfen wäre allerdings die Frage, inwieweit sich ein öffentlicher Sender, der sich aus steuerähnlichen Gebühren finanziert und einen Integrationsauftrag hat, diesen Auswahlprinzipien des kommerziellen Journalismus umstandslos fügen muss. Vielleicht dürften die Ausländer, die immerhin einen Bevölkerungsanteil von knapp 25 Prozent in der Schweiz stellen und ja ebenfalls die Empfangsgebühr bezahlen, da doch etwas mehr «Minderheitenschutz» erwarten – allein schon, was die Sprache anlangt, in der die öffentlichen Sender mit ihren Publika kommunizieren (aber das ist zugegebenermassen ein anderes Thema). Dass man zudem publizistisch sogar als kommerzieller Nachrichtenanbieter auch mit «good news» punkten kann, hat in den 80er und 90er Jahren USA Today mit seinem kometenhaften Aufstieg zur grössten Tageszeitung der Vereinigten Staaten vorgemacht.

Auch optisch war Stadlers Diskussionsbeitrag übrigens hübsch inszeniert: Mit Handschellen, als wollten wir Medienforscher die Journalisten in Geiselhaft nehmen. Mein öffentliches «Schuldeingeständnis» auf Facebook, dass mein Beitrag unter Zeitdruck (zwei Stunden bis zum nächsten Sitzungstermin und damit vor Redaktionsschluss) und Platzmangel (2000 Zeichen) zustande gekommen ist, und dass ich mich im Wesentlichen auf öffentliche Erklärungen der beiden Forschungsinstitute gestützt habe, ohne die mitgelieferten Daten gründlicher analysiert zu haben, hat der Tages-Anzeiger zum Anlass genommen, um meine Aussagen für seinen eigenen Diskussionsbeitrag zu instrumentalisieren, der ihn von jedweder Mitschuld reinwäscht, dafür aber einmal mehr «die Medienforschung» auf die Anklagebank setzt.

Schon die Rubrik des Beitrags von Daniel Foppa lässt wenig Gutes erwarten: «Forschung aus der Hüfte. Wenn Medienforscher in Hektik verfallen» heisst es da – und bringt mich als Kronzeugen gegen das FÖG in Stellung. In Stil und Inhalt bestätigt sodann der Tages-Anzeiger auch im Umgang mit Medienforschung genau meinen Vorwurf, den ich – nach nunmehr gründlicherer Überprüfung – weiterhin aufgrund der Datenlage auch zur Berichterstattung über die Masseneinwanderungsinitiative aufrechterhalte: Es wird eher «populistisch» berichtet statt hinreichend «inhaltlich-sachlich» argumentiert. Das FÖG hat recht, wenn es in seiner eigenen Stellungnahme festhält, der Tages-Anzeiger habe es «gesamthaft verpasst, sich seriös mit unseren Studienresultaten auseinanderzusetzen.»

Höchste Zeit wohl, dass Chefredaktor Res Strehle das Versprechen einlöst, das er vor knapp einem Jahr gemacht hat. In Solothurn hat er vor der Creme de la creme der Schweizer Medienforscher und Journalisten feierlich versprochen, der Tages-Anzeiger werde seine Kompetenz in der Berichterstattung über Medien und Journalismus stärken. Bleibt zu hoffen, dass der neue Kollege oder die neue Kollegin bald gefunden wird, und vielleicht ja auch von Medienforschung eine Ahnung hat.

Abschliessend noch ein paar weitere Anmerkungen:

  1. Wenn Wissenschaftler im Kampf um mediale Aufmerksamkeit sich Gehör verschaffen wollen, müssen auch sie ihre Botschaften zuspitzen. Zugespitzt habe im konkreten Fall allerdings ich, nicht das FÖG – und diese Zuspitzung hat sich dann in anderen Medien weiter verselbstständigt. So «trommelte» dann laut Schweiz am Sonntag derTages-Anzeiger zu guter Letzt für die SVP.
  2. Wenn Journalisten über Forschungsarbeiten schreiben, sollten sie sich möglichst nicht allein auf Medienmitteilungen stützen, sondern diese zum Anlass nehmen, um nachzufragen und nachzurecherchieren. Rainer Stadler hat das erfreulicherweise getan, den meisten anderen Redaktionen fehlen dazu freilich oftmals die Ressourcen und die Zeit. Die meisten Pressestellen wissen das inzwischen und beuten diesen Umstand leider gelegentlich in ihrem eigenen Interesse aus.
  3. Das Beispiel der beiden zitierten Studien zeigt einmal mehr, wie unterschiedlich sich Daten interpretieren lassen, die mit wissenschaftlichen Methoden erhoben wurden.

Sind populistische Medien also mit Schuld am Abstimmungsergebnis zur Masseneinwanderungsinitiative? Nachdem jetzt die verfügbaren Analysen auf dem Tisch liegen und die Argumente ausgetauscht sind, mag sich im konkreten Fall darüber jeder selbst seine Meinung bilden.

Stadler zitiert in seinem Diskussionsbeitrag abschliessend den Schriftsteller Thomas Hürlimann. Dieser hatte in der FAZ darauf aufmerksam gemacht, dass die schweizerische Demokratie vor allem dann funktioniere, «wenn es bei Volksabstimmungen nur eine relativ geringe Beteiligung gibt». Denn dann gingen die politisch Informierten an die Urne. Kluge Resultate seien die Folge. Das sieht Hürlimann nicht mehr gewährleistet, wenn die Mobilisierung stark sei und mehr als fünfzig Prozent der Stimmberechtigten aktiv würden, wie im aktuellen Fall. Diese Feststellung klingt für Stadler «etwas hochnäsig». Die Annahme, dass «bei steigender Stimmbeteiligung die Anzahl der wenig informierten Urnengänger wächst», scheint indessen auch ihm naheliegend: «Entsprechend», so Stadler, «erhalten die massenwirksamen Botschaften eindimensionaler Schlagzeilen und einprägsamer Bilder ein grösseres Gewicht. Dann entwickelt die stereotyp und unreflektiert wiederholte Rede von «überfüllten Zügen und verstopften Strassen, wie es in diesem Abstimmungskampf geschah, ihre gefährliche rhetorische Kraft.»

Damit ist eine weitere Grundsatz-Frage aufgeworfen: Besteht Demokratie ausschliesslich aus der Mehrheits-Regel – oder nicht doch aus einem sehr viel komplexeren Gefüge wechselseitiger Machtkontrolle von Volkssouverän, Regierung, Parlament und Justiz? Wie sind Mehrheitsentscheidungen und Minderheitenschutz gegeneinander auszubalancieren? Wie ist in hochkomplexen, die Lebensqualität entscheidenden Fragen eine 50,3-Prozent-Mehrheit zu gewichten, wenn eine Minderheit von 49,7 Prozent anderer Meinung war und 44 Prozent der Stimmbürger sich an der Abstimmung gar nicht beteiligt haben?

Es bleibt zu hoffen, dass gerade die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie, ihrem hochdifferenzierten Föderalismus und ihrem klugen System der Konsenssuche und Konkordanz-Demokratie einen Weg aus dem Schlamassel finden wird, das das Votum vom 9. Februar angerichtet hat. Dazu wird es allerdings im Umgang mit dem Volksentscheid auch Fingerspitzengefühl auf der anderen Seite, in Brüssel, brauchen. In Deutschland oder Belgien, in Frankreich oder Italien würde trotz eines sehr viel niedrigeren Ausländer-Anteils an der Bevölkerung eine solche Abstimmung wohl kaum anders ausgehen als in der Schweiz, wenn sie denn in diesen EU-Ländern stattfinden dürfte.

In einem höheren Sinne haben «die Medien» im Übrigen wohl an jedem Abstimmungs- oder Wahlergebnis eine Mitverantwortung. Denn fast alles, war wir wissen, wissen wir aus den Medien – so schon vor vielen Jahren der Soziologe Niklas Luhmann. Daran hat sich auch im Zeitalter der sozialen Netzwerke wenig geändert. Dass die Medien sicherlich nicht die «Hauptschuldigen» sind und es eben noch viele andere, diffuse Gründe gibt, die das Abstimmungsergebnis mit erklären helfen, haben wenige Diskussionsbeiträge so einfühlsam veranschaulicht wie eine Reportage der NZZ, die am Beispiel des Dorfs Hellikon in der Nähe von Basel zeigt, welche Wunden der Globalisierungsprozess auf lokaler Ebene auch dann hinterlässt, wenn vor Ort kaum Ausländer zugegen sind.

Leserbeiträge

Gabriella 18. Februar 2014, 11:13

Interessanter Artikel. Wo ist aber die Forschung, ob die Auflagenstärkste Zeitung der Schweiz Blick eine Mitschuld trägt? Diese Zeitung wird hier gänzlich totgeschwiegen, obwohl ich behaupte, dass ein grosser Anteil der Stimmenden ausschliesslich nur Blick lesen. Und interessant wäre in diesem Zusammenhang nicht einfach nur die Artikel für oder gegen die Initiative, sondern die ganzen Artikel gegen Ausländer, sowie die Verweildauer eines Artikels auf der Hauptschlagzeilenseite im Online-Teil etc. (vermutlich aber nicht mehr nachvollziehbar).
Interessant ist ebenso, wie oft wurde ein Artikel irgendeiner Zeitung in der Social Media Welt weiterverlinkt, ist dies auch geprüft worden?
Heutzutage reicht es nicht mehr, nur zu prüfen, was schreibt die eine oder andere Zeitung, sondern auch wo und wie oft wurde das ganze multipliziert. Das trägt wesentlich zu Meinungsbildung bei.

Dies sind aber nur Beobachtungen von mir, keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

Thierry Blanc 18. Februar 2014, 13:34

Nachdem die letzte Meinungsumfrage überraschend ein JA-Stimmenanteil von 46% ergab, titelte der Tagi mit „Eine politische Sensation liegt in der Luft“, ein Titel, der mir, wäre ich Befürworter gewesen, sicherlich Auftrieb gegeben hätte. Warum die Formulierung „politische Sensation“ anstelle „(aussen)politische Katastrophe“ oder „Die Schweiz bald ein europäisches Nordkorea“ ?
Drei Tage vor der Abstimmung erschien der Titel „Ecopop-Initiative droht das Aus“, womit verschreckte Ecopop-Befürworter schnell noch ein Ja in die Urne warfen …

Fred David 18. Februar 2014, 15:32

Ich glaube auch, dass zu viele Blattmacher und Deskchefs sich angewöhnt haben, zu simpel zu denken.

Natürlich kann man jeder Story leicht einen Spin verpassen, auch wenn es der Artikelinhal nicht hergibt, zumal es gerade online viele Leser nur Schlagzeile und bestenfalls den Vorspann überfliegen – und dann munter drauflos kommentieren.

Beispiel: In nahezu allen Medien „droht“ die EU unablässig der armen, unschuldigen Schweiz. Sie „erpresst“ , sie „macht Druck“. Auch dann, wenn ausländische Politiker lediglich ihren Standpunkt definieren und erklären.

Den gleichen Spin gab und gibt die Mehrheit der CH-Medien Stories und Berichten über den Schwarzgeld-Sumpf (dieser Begriff ist übrigens bewusst auch ein Spin, genau gleich wie „Dichtestress“ und „Massneinwanderung“).

Die USA, die EU, die Deutschen, die Oecd „machen Druck“ auf die kleine heile Schweiz, und zwar unablässig. Das Ausland ist in dieser schrägen Wahrnehmung nahezu permanent böse mit der Schweiz, und die EU sowieso.

Dieser Reflex hat sich dermassen in den Köpfen festgefressen, dass es viele für die Realität halten. Das führt zwangsläufig in einen masslos überzogenen Nationalismus, der von der SVP gewollt ist und als Machtinstrument genutzt wird.

Man sollte den „Spin Doctors“ in Redaktionen schärfer auf die Finger gucken. Die machen das nicht, weil sie SVP-hörig wären. Sondern weil sie zu simpel denken.

Richard Scholl 18. Februar 2014, 15:51

„diffuse Gründe“. Sind jährlich 80 000 Nettoeinwanderer diffus? Ist die ökologische Ueberbelastung der Schweizer Natur diffus? Ist die Ohnmacht ob des Ansturms seit 20o7 diffus? Sind Grenzen des Wachstums diffus? Ist das Unbehagen, dass die Schweiz ungewollt zum Hongkong Europas wird, diffus?

Fred David 18. Februar 2014, 16:11

@) Richard Scholl: Nein, nicht alles ist diffus, aber es lässt sich nicht einfach alles über das Thema „Ausländer“ abnudeln. „Ausland“ und „Ausländer“, das ist inzwischen hierzulande eine negativ besetzte (Massen-)Obsession. Das ist nicht mehr normal. Die Medien müssen selbstkritisch über die Bücher.

Stephan Russ-Mohl 18. Februar 2014, 17:28

@Gabriella: Zum „Blick“ gibt es auf der FÖG-Website Daten, aber er ist in puncto „Mitschuld“ wohl keiner der Haupt-Verdächtigen dieser ausschliesslich quantitativen Analyse. Den Wirkungen der Medien-Berichterstattung in den sozialen Netzwerken nachzuspüren, wäre ein spannendes, aber nicht ganz billiges eigenes Forschungsprojekt.
@Fred David: Herzlichen Dank für Ihre Ergänzungen und Beispiele. Es gibt in der Tat in den Redaktionen solche aktiven „Spin Doctors“, aber alltäglicher (und vielleicht auch gefährlicher…) ist wohl, wenn Journalisten eher gedankenlos das nachplappern und per „copy paste“ weitertransportieren, was sich PR-Strategen zuvor an Wortschöfpungen ausdenken….

Werner T. Meyer 18. Februar 2014, 23:09

Ich halte den Ausgang dieser Abstimmung für eine Katastrophe für die Schweiz. Die Medien haben mich Im Abstimmungskampf aber weniger geärgert als bei der gleich katastrophalen Minarettinitiative. Mindestens wurde der knappe Ausgang vorausgesagt.

Der Schwarzpeter liegt aber bei den Parteien.

Seit nunmehr etwa 2 Jahrzenten ist klar, dass mit der Blocher-SVP Konkordanzpolitik nicht mehr zu machen ist.
Daher ist die einzig gangbare Lösung in einer Demokratie eine Koalition auf Bundesebene, welche die SVP dauerhaft (sagen wir für weitere 2 Jahrzehnte) in die Opposition schickt. Eine Mitte-Links-Koalition. Am Ende dieser Periode werden die rechtsradikalen Ränder auch nicht mehr fähig sein, die Demokratie auf direktdemokratischem Wege zu destabilisieren. In Europa, wo diese Ränder gefahrlos bis 15 % Wähler erreichen, haben nur die Schweiz und Österreich die Option Einbindung durchgezogen und haben sie zu Gefahrenpotentialen aufgepäppelt. A la Weimar. Stopp damit jetzt oder nie.

Werner T. Meyer

Frank Hofmann 19. Februar 2014, 13:54

@Meyer: Auch die CVP sollte man in die Opposition schicken, denn bestimmt hatte es bei denen Abweichler. Auch die BDP, und die FDP sowieso. So hätten wir eine Linksregierung, die es bestimmt schaffen würde, die Schweiz unter Umgehung einer Volksabstimmung in die EU zu manövrieren. (Das Tessin sollte zwecks Verhinderung von Unruhen durch Italien manu militari annektiert werden.) Ich bin sicher, dass gegen 90% der Medienschaffenden Ihre Ansicht teilen. Und die Journalisten haben schliesslich die Deutungshoheit.

Kaspar 19. Februar 2014, 23:03

Wenn ich mir im Tagesanzeiger.ch die Leserkommentare anschaue, so komme ich zum Schluss, das der Tagesanzeiger halt einfach seinen „Mob“ bedienen will.

Es ist mir eigentlich nicht recht so über diese Leser zu schreiben. In Anbetracht der Wutentbranntheit und der unverfrohrenen Menschenverachtung, finden sich in meinem bescheidenen Wortschatz keine Bezeichner die es für mich besser treffen.

Vor der Abstimmung, hatte ich mir immer gedacht, es sei wohl kein echter Querschnitt der Leserschaft, viele sich gar nicht die Mühe machten dort etwas zu hinterlassen. Das Resultat hat mich nun aber belehrt. Es sieht so aus, als könnte man beginnen, dort Meinungsforschung zu betreiben – zum guten Glück bin ich nicht Meinungsforscher.

Es zeigt: Ta-Media folgt einfach den Klicks. Nur TM können die echten Klickstatistiken sehen, aber die inflationären reisserischen Überschriften mit angehängtem Kommentar-Amphitheater zeigen deutlich, wo die Klicks anscheinend zu holen sind.

Ich hoffe, es sind auch in Zukunft noch die guten Pressekörner zu finden, wie diejenigen des Autors dieses Artikels. Ich finde es Stark, das man zu Fehlern seiner Artikel steht, und diese berichtigt!
Danke für diesen Artikel.

Ich schätze übrigens auch als nicht Medienshaffender medienwoche.ch sehr. Auch für mich gab es hier immer wieder sehr interessantes zu lesen.

Fred David 20. Februar 2014, 09:04

@) Kaspar, Sie sprechen etwas an, was sich Journalisten in der Regel nicht trauen. In Foren, die von Reaktionen entsprechend bedient werden, schaut man gelegentlich in Abgründe, die viele nicht für möglich gehalten haben. Sich darüber in Zynismus zu retten, ist eine Möglichkeit. Aber keine gute. Sich damit nicht einfach abzufinden, ist besser.

Annebelle Huber 20. Februar 2014, 19:26

„In Foren, die von Reaktionen entsprechend bedient werden, schaut man gelegentlich in Abgründe, die viele nicht für möglich gehalten haben.“
Also Fred David. seit wann sind Sie so naiv ?
Da schreiben die Journalisten im Boulevard beinahe täglich über Mord und Totschlag. Abgründe.
Und dann sind dieselben Leute überrascht über Abgründe, welche sich in den Foren auftun.
Als ob eine unüberwindliche Kluft bestünde zwischen den Akteuren in ihren Stories und den Lesern, welche in den Foren schreiben.
Die Illusion, das Böse im Boulevard bannen zu können ?
Die eingebildete Macht von Journalisten ?

Kaspar 21. Februar 2014, 10:17

Damit abfinden kann ich mich natürlich nicht, jedoch sehe ich mich auch nicht in der Lage daran etwas zu ändern. Das einzige was ich machen kann, beispielsweise den Tagesanzeiger.ch nicht mehr zu lesen, habe ich bereits in die Tat umgesetzt.
Zynismus mag vielleicht nicht eine sonderlich beliebte Ausdrucksweise sein, jedoch ist es für mich ein Mittel des passiven, nicht aggressiven Wiederstands.

Annabelle Huber 20. Februar 2014, 19:06

ICH WEISS, was der Autor dieses Artikels gestimmt hat, wenn er Schweizer ist, oder was er gestimmt hätte, wenn er Schweizer wäre.
Und das ist auch für jeden anderen klar ersichtlich, der zwei und zwei zusammenzählen kann.
Und somit wird auch klar: Hier geht es nicht um Forschung, hier geht es um Meinungsterrorismus.
Wie in der heutigen Weltwoche so schön zu lesen steht über die Intoleranz der Nein-Sager Motoren:
alles an Meinung wird mit der Kettensäge abgeholzt, was ausserhalb des eigenen Schrebergartens liegt .
Was uns hier präsentiert wird ist Forschung für eine totalitäre Gesellschaft.
Oder wie die Nein-Sager Motoren in solchen Fällen zu sagen pflegen:
BRAUNE SOSSE.

Fred David 20. Februar 2014, 19:51

@) Professor Russ-Mohl, bitte notieren: Sie werden dringend des „Meinungsterrorismus“ verdächtigt. Wetten, dass Ihnen das in Ihrer Jahrzehntelangen Lehrerfahrung noch nie irgendwo anders auf der Welt widerfahren ist als in der basisdemokratischen, friedliebenden, harmlosen Schweiz?

Werner T. Meyer 20. Februar 2014, 22:54

@Frau Huber: Was SIE gegen Totalitarismus und BRAUNE SAUCE haben wird nicht ganz klar. Dass SIE da wenig Kontrast abgeben?

Stephan Russ-Mohl 20. Februar 2014, 23:14

@Fred David: Sie sind ein Hellseher, Kompliment!!! Auch dass ich mit „brauner Sosse“ hantieren würde, ist neu und irgendwie kreativ. Bin übrigens noch kein Schweizer, würde aber (trotz alledem…) gerne einer werden, schon um bei der nächsten Volksabstimmung als Zünglein an der Waage den Ausschlag in die „richtige“ Richtung zu geben…

Werner T. Meyer 21. Februar 2014, 08:31

@Herrn Russ-Mohl: Unsere Spezialisten für Hebelwirkung von der Bahnhofstrasse schlagen vor, das in ein strukturiertes Produkt zu verpacken à la Shalit-Deal. Wir bürgern Sie ein im Austausch gegen 44 SVP-ler. Nehmen Sie bitte Kontakt auf mit der Deutschen Bank, die wissen auch, wie man das macht.

Annabelle Huber 21. Februar 2014, 09:00

Die Diskussion schiesst bezüglich einer Verbesserung hin zu einem ausgewogenen Medienwirken meilenweit am Ziel vorbei.
Alleine dass Tausende von wichtigen Berichten und Artikeln von den Medien nicht gebracht wurden , WEIL sie die Masseneinwanderungsinitiative beflügelt hätten, wird nicht berücksichtigt.
Wie gearbeitet wird, sieht man auch daran: Die wichtigste Publikation im Zusammenhang mit der Abstimmung wird ebenfalls nicht berücksichtigt bei der Auswertung des medialen Wirkens auf das Stimmvolk.
Die Publikation welche 100 Prozent der Wähler in Händen gehalten haben.
Das Abstimmungsbüchlein des Bundesrates.
Dabei ist die Auswertung ganz einfach zu vollziehen.
4 Seiten gegen die Initiative und 1 Seite Pro.
4:1 da kommt kein Aufschrei von den Medienwissenschaftlern, das scheint dem von ihnen geforderten Mass an Ausgleich entgegen zu kommen.
Vielleicht getrauen sie sich auch nur nicht Kritik am BR zu üben.
Es war womöglich die 1 PRO Seite, welche das Stimmvolk zum Kippen brachte.
5:0 die Formel des neuen demokratischen Verständnisses.

Gabriella 21. Februar 2014, 09:23

@Frau Huber: Dann hätten wir aber noch eine Publikation, die dank sehr speziellem Postgesetzt an alle Haushalte gegangen ist, und zwar an ALLE alle (nicht wie das Abstimmungsbüchlein, das „nur“ an Stimmberechtigte verschickt wurde): Das Extrablatt der SVP, welches zu 100% nur für die Initiative geschrieben hat.
Ich bin fast sicher, dass diese „Zeitung“ mehr Einfluss hatte, als ein Abstimmungsbüchlein.

Kaspar 21. Februar 2014, 09:56

Das man das Abstimmungsbüchlein in einer wissenschaftlichen Arbeit als Pressepublikation werten soll, halte ich dann doch für ziemlich sonderbar.
Wie ja auch schon trefflich geschrieben wurde, berücksichtigen Sie, Frau Huber, dann aber anscheinend die schon viel eher als Presse zu wertende Schweizerzeit nicht in ihrer Argumentation.
Ob wir nun die Parteizeitungen generell (die Weltwoche z.B.) in so eine Wissenschaftliche Arbeit einbezogen haben sollten, möchte ich den Fachleuten, also den Medienwissenschaftern überlassen. Glücklicherweise steht es den Forschern zur Zeit noch frei, ihre Probanden selber zu wählen. Vielleicht wird ja die SVP demnächst auch noch eine Initiative zur Forscherkontrolle lencieren. Ob es bis dahin in diesem Land hier überhaupt noch kompetente Forscher gibt? – es wäre gut denkbar, das sie unserem Land den Rücken gekehrt haben könnten.

Wozu brauchen wir auch Forscher, wenn wir Kühe auf den Weiden haben! Unsere echten Gras-Spezialistinnen, die fleissig die vergilbten Traditionen dieses schönen Landes wiederkäuen.

ABER SCHON IHR STIL, FRAU HUBER, also ich meine die exzessive Verwendung der CapsLock-Taste zeigt mir, das eine vernünftige Diskussion mit Ihnen nicht ohne weiteres zu Stande kommen dürfte. Im richtigen Leben, also Live, würde ich dies wohl als Schreien zu Ohr bekommen. Ein Gesprächsstil der mir generell nicht so liegt.

irgendeiner 22. Februar 2014, 20:35

Wenn der Autor von einem Schlamassel schreibt ist es ja wohl klar, dass von ihm keine neutrale Bewertung der Einflüsse mehr erwartet werden kann.
.
Ich denke dass der Einfluss der Medien gewaltig überschätzt wird. Eine einseitige Berichterstattung würde erst dann stark wirksam, wenn die missliebige Meinung komplett unterdrückt werden könnte.

Man sieht genügend oft, dass schönfärberische Darstellungen in den Abstimmungsbroschüren kontraproduktiv wirken!

Fred David 24. Februar 2014, 11:49

Einfach noch zur Ergänzung, weil wir es hier oben schon von „Meinungsterror“ hatten: Thilo Sarazzin redet im TA-Interview (24.2.) nun auch noch vom „Moralterror“ (der Linken, natürlich). Die Medien sollten die Ohren spitzen: Wir sind von Terroristen umzingelt.

Und langsam findet zusammen, was zusammen gehört.

Annabelle Huber 25. Februar 2014, 15:48

Sie, mein lieber Fred David haben nichts zu fürchten.
Sie werden nicht von Terroristen umzingelt,
Sie leben mitten unter Ihnen.
Und fühlen sich dabei auch noch wohl.
🙂