Vom Lauffeuer zum Strohfeuer
Das Video «Kony 2012» verbreitete sich vor zwei Jahren wie ein Lauffeuer und brach alle Rekorde. Joseph Kony, Anführer der Lord’s Resistance Army aus Uganda, sollte damit als mutmasslicher Kriegsverbrecher gefasst und vor Gericht gebracht werden. Auch in der Schweiz löste der Film einiges Echo aus. Sein eigentliches Ziel hat er aber bis heute nicht erreicht.
Die Schlagzeile
Im Frühjahr 2012 sorgt ein YouTube-Video weltweit für Aufsehen. Der 30-minütige Film «Kony 2012» ist Teil der gleichnamigen Kampagne der US-amerikanischen Organisation Invisible Children, die damit auf die Verbrechen des ugandischen Warlords Joseph Kony aufmerksam machen und seine Ergreifung erwirken will. Das Video verbreitet sich im Rekordtempo im Netz. Innerhalb von nur sechs Tagen wird es auf YouTube 100 Millionen mal aufgerufen.
«Kony 2012» ist das bisher erfolgreichste Beispiel dafür, wie man im Zeitalter der neuen Medien erfolgreiche Kampagnen organisiert. Der Film setzt auf eindrucksvolle Bilder, unterlegt mit emotionaler Musik und den eindringlichen Worten von Regisseur Jason Russell, und drückt damit ordentlich auf die Tränendrüsen. Um die Verbreitung zusätzlich anzuheizen, führt Invisible Children zahlreiche Aktionen durch, gewinnt Popstars, Schauspieler und Politiker für ihr Anliegen.
Der Plan geht auf: «Kony 2012» ist bald in aller Munde – was umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, dass der Film im Grunde nichts anderes als eine militärische Intervention der USA in Uganda fordert (mit dem Ziel der Auslieferung Konys an einen Gerichtshof, den die USA nicht anerkennen).
Auch in der Schweiz sorgt das Video für Aufsehen. «Gesucht: Eine der übelsten Gestalten auf Erden», titelt 20 Minuten Online (08.03.2012). Blick am Abend schweizert die Geschichte sogleich ein, findet einen Zürcher Blogger, der sich an der Aktion beteiligt, und zimmert daraus die Schlagzeile: «Zürich jagt den grausamen Kony» (09.03.2012). Das gleiche funktioniert natürlich auch mit anderen Städten («Bern jagt brutalen Kony», 12.03.2012).
Allerdings mischen sich bald auch kritische Töne in die Berichterstattung. «Vom Sofa aus gibt es keine Revolution», mahnt die NZZ (08.04.2012). Und der Tages-Anzeiger kritisiert den «falschen Mythos vom weissen Helfer» (20.03.2012). Fast schon schadenfreudig schreiben einige Zeitungen über den Zusammenbruch Russells, der auf dem Höhepunkt des Erfolgs seines Films halbnackt auf der Strasse herumschreit und in ein Spital eingeliefert werden muss («Gestürzter Retter der Welt», NZZ am Sonntag, 25.03.12).
Insgesamt registriert die Mediendatenbank SMD für den ersten Monat, nachdem der Film hochgeladen wurde, 62 Artikel über «Kony 2012». Auch über die Person Joseph Kony berichteten die Medien. Sein Name liefert 162 Treffer für das gesamte 2012 – im Jahr zuvor waren es nur 31 gewesen.
Was seither geschah
Für Invisible Children hat sich der Medienhype um «Kony 2012» ohne Zweifel gelohnt. Im Rahmen der Kampagne nahm die Organisation nach eigenen Angaben 19,4 Millionen Dollar durch Spenden und den Verkauf von Merchandising-Produkten ein. Gemessen am eigentlichen Ziel, dass Kony bis Ende des Jahres 2012 gefasst wird, muss die Kampagne hingegen als Misserfolg gewertet werden. Der Warlord läuft noch immer frei herum. Gegenwärtig wird er mit seiner Rebellengruppe Lord’s Resistance Army, die zu einem Grossteil aus Kindersoldaten besteht, in der Grenzregion der Zentralafrikanischen Republik und dem Südsudan vermutet. Nach jüngsten Informationen führt er Friedensverhandlungen mit dem Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik. Solche Verhandlungen gab es in der Vergangenheit allerdings schon mehrfach, ohne dass sie je zu einem Ergebnis geführt hätten.
Invisible Children argumentiert, man habe immerhin die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für Joseph Kony und seine Kriegsverbrechen geweckt. Dem ist nicht zu widersprechen, auch wenn die Aufmerksamkeit inzwischen längst abgeflaut ist. Im Jahr 2013 tauchte der Name Joseph Kony 63 mal in der Schweizer Presse auf. Das ist zwar weniger als 2012, aber immerhin mehr als doppelt so viel wie in einem durchschnittlichen Jahr vor der Veröffentlichung des Videos.
Die Frage bleibt, wie nachhaltig das erhöhte Interesse am kriegerischen Konflikt in Uganda beziehungsweise in Zentralafrika ist. Ein im April 2012 veröffentlichtes Folgevideo erreichte mit knapp 3 Millionen Klicks nur noch einen Bruchteil der Aufmerksamkeit, die das erste Video ausgelöst hatte.
«Kony 2012» ist ein Lehrstück darüber, was neue Medien bewirken können. Zugleich zeigt es die Grenzen dieser Wirkung auf. Die 100 Millionen Klicks vermögen zwar viel Aufmerksamkeit und Spenden zu generieren, aber um einen Kriegsverbrecher zu stoppen, reichen sie allein offensichtlich nicht aus.
Inzwischen hat Invisible Children übrigens eine neue Kampagne unter dem Titel #zeroLRA gestartet. Das zugehörige Video hat bisher knapp 35’000 Aufrufe verzeichnet.
Sarah G. 12. März 2014, 10:43
Gut geschrieben. Deckt sich inhaltlich in etwa mit meinen Einschätzungen vor zwei Jahren zur Kampagne im Beobachter.