von Ronnie Grob

Fussball als Vorbild

Aufgrund fehlender Einstiegshürden drängen viele in den Journalismus, doch einen anständig bezahlten Job erhalten nur wenige. Wie wäre es, wenn sich der Journalismus den Fussball zum Vorbild nehmen würde und sich mit Ablösesummen und Jahresverträgen organisieren würde? Die Branche wäre auf einen Schlag dynamischer, attraktiver, besser.

Während Fussballprofis ihre Jugend vornehmlich mit dem Ball am Fuss verbrachten, haben viele Journalisten ihre Jugend mit Medien verschwendet. Sie haben Bücher, Zeitungen, Blogs gelesen, haben Fernsehen geschaut, Radio gehört, waren oft im Kino und später sassen sie in Cafés und Kneipen herum, um darüber zu diskutieren.

Irgendwann dann wurden sie zum Profi und zum Teil einer Mannschaft, zum Teil einer Redaktion. Mannschaften und Redaktionen gleichen sich darin, dass sie an jedem Spieltag gemeinsam besser sein müssen als die Konkurrenz, das heisst: mehr Tore schiessen, die besseren Geschichten bringen. Jeder Mitspieler, jedes Redaktionsmitglied kämpft ausserdem gegen die interne Konkurrenz. Wird er überhaupt aufgestellt, kommt sein Text ins Blatt, wird sein Beitrag gesendet?

Während die Meisterschaft nach klaren Regeln gespielt wird und am Ende der Meister und die Absteiger bekannt sind, gibt es im Journalismus keine klaren Gewinner und Verlierer. Es kann lediglich die Qualität der Arbeit eingeschätzt werden, die Anzahl der Klicks, der Rückmeldungen oder der Verkäufe gemessen werden.

Doch eigentlich geht es in beiden Branchen um das Gleiche: Die verschiedensten Typen müssen in einem Team zusammenspielen und Tore erzielen bzw. Scoops landen.

Die Stürmer im Journalismus kombinieren sich bis vor’s Tor durch und hauen irgendwann die Story raus, worauf das Publikum jubelt oder weint. Manche Schüsse gehen weit daneben, andere auf wunderschöne Art und Weise mitten rein.

Die Verteidiger sitzen in der Dokumentation, dem Korrektorat, der Rechtsabteilung und manchmal in der Chefredaktion: Sie verhindern böse Niederlagen vor Gericht und ersparen dem Leser Peinlichkeiten.

Die Trainer nennen sich Chefredaktoren: Sie stellen und halten das Team zusammen, motivieren es, entwickeln die Strategie.

Die Besitzer nennen sich Verleger: Manchmal kaufen sie eine Zeitung einfach nur, weil sie das Geld dazu haben.

Was im Fussball die Young Boys Bern oder der FC Sion ist, ist im Journalismus der «Bund» oder der «Blick». Jeder Titel, jede Sendung ist eben auch Club, mit Anhängern, Lesern oder Zuschauern. Mal ist das Stadion bis auf den letzten Platz gefüllt, mal wird kaum ein Exemplar verkauft. Wie die Demonstrationen 1959 gegen die «Blick»-Lancierung oder die jüngsten Auseinandersetzungen um den Medienplatz in Basel zeigen, ist das Medienpublikum keineswegs gleichgültig, sondern nimmt regen Anteil für ein Team oder gegen eines.

Sehr unterschiedlich ist der Umgang mit den Verträgen in den beiden Branchen: Während Fussballer und ihre Berater auf kurze Verträge und hohe Einkommen drängen, geben sich Journalisten mit bescheidenen Einkommen zufrieden, wenn sie denn einen unbefristeten, «sicheren» Arbeitsvertrag erhalten. Manche wollen sogar ihre Arbeitszeit erfasst und abgestempelt haben.

Gleiches gilt bei den Transfers: Man kann ja beklagen, dass im Fussball zum Teil riesige Ablösesummen bezahlt werden und so ein Spielerhandel besteht; aber immerhin ist so sowohl der Spieler als auch der Markt informiert über seinen Marktwert. Im Journalismus hingegen laufen Wechsel höchst intransparent ab; meistens sprechen sich ein paar Entscheidungsträger miteinander ab und verschieben dann den einen oder anderen.

Ein Wechsel zu einem anderen Team fällt meist nicht allzu schwer, denn loyal zu seiner Mannschaft, zu seiner Marke sind die wenigsten Spieler und Journalisten. Ein Ryan Giggs (seit 1990 bei Manchester United) oder ein Roger Benoit (seit 1969 beim «Blick») sind die Ausnahme der Regel; wenn man sich einig ist, kann man einen Vertrag eben auch x-fach verlängern.

Der Journalismus sollte lernen vom Fussball: Öffentlich gemachte Abslösesummen würden den Marktwert von Journalisten transparent machen. Wäre doch interessant, wenn Kleinreport.ch vermelden könnte, dass Philipp Gut für 400 000 Franken Ablösesumme als neuer Chefredaktor der «Schweizerzeit» gekauft wurde. Wenn Persoenlich.com vermelden könnte, dass Constantin Seibt für 500 000 Franken von Zürich nach Frankfurt wechselt. Oder wenn Werbewoche.ch vermelden könnte, dass Ronnie Grob für 10 Millionen Franken in die PR wechselt.

Und mit Verträgen, die auf wenige Jahre befristet sind, wäre die Branche auf einen Schlag sehr viel dynamischer. Jeder Journalist müsste bei jedem Auftritt eine Arbeit abliefern, die sowohl den Chefredaktor als auch die Konkurrenz überzeugt. Niemand hätte ein Interesse an stundenlangen, wenig einbringenden Sitzungen, wird da doch nur Zeit verschwendet, die besser in die Erarbeitung von Artikeln und Sendungen investiert wird. Durchschnittliche Stücke, wie sie derzeit die Schweizer Medienlandschaft prägen, gehörten irgendwann der Vergangenheit an.

Anderenorts im Journalismus ist ein solcher, wettbewerbsorientierter Umgang längst Alltag: Mit freien Journalisten und mit Praktikanten verfährt man, wie es einem grade in den Kram passt. Kolumnen werden nur auf Zeit vergeben. Und auch Ablösesummen gibt es: bekannt ist beispielsweise, dass Hansi Voigt für 500 000 Franken zu Ringier wechseln sollte, dann aber doch lieber die Watson-Geschäftsführung und -Chefredaktion übernahm. Auch die «Welt» kaufte sich in den letzten Jahren grosse Namen ein: Roger Köppel (2004), Henryk M. Broder (2010), Matthias Matussek (2013), Stefan Aust (2013).

Warum also sollen festangestellte Journalisten einen speziellen Schutz erfahren? Weil feste Arbeitsverträge älteren Journalisten ein verdientes Gnadenbrot ermöglichen? Falsch. Geistige Leistung hat nur sehr bedingt etwas mit dem Alter zu tun: Margrit Sprecher, Jahrgang 1936, haut immer mal wieder Hammer-Storys raus, und als Urs Paul Engeler 2011 zum Journalist des Jahres gekürt wurde, war er auch schon 61. Viele weitere ältere Journalisten beweisen täglich, dass sie keinesfalls zum alten Eisen gehören. Gleiches gilt auch für sehr junge Journalisten, denen fälschlicherweise gerne nahegelegt wird, sie seien zu jung, um journalistisch tätig zu sein.

Würde der Journalismus per sofort nur noch Jahresverträge anbieten und einander gute Mitarbeiter mit konkreten Geldsummen abwerben, dann wären die Spiesse der Teilnehmer am journalistischen Markt wieder gleich lang. Die Gewerkschaften und Journalistenorganisationen könnten sich wieder einsetzen für alle Journalisten und nicht nur für jene, die sich einen Platz im etablierten System sichern konnten. Und jene Journalisten, die sich nicht beweisen können, hätten auf kurz oder lang keine Zukunft mehr in der Branche. So wären am Ende die Produkte besser, was zu mehr und zufriedeneren Kunden, und somit auch zu mehr Einkommen für die Journalisten führen würde.

Ob auch für herausragende Korrektoren und Dokumentalisten Ablösesummen gezahlt würden, entscheidet der Markt. Aber keine Frage, es gibt auch im Fussball Jobs, für die keine Ablösesummen bezahlt werden. An diese Gruppen richtet sich der Reformvorschlag nicht.

Leserbeiträge

Dennis Bühler 28. März 2014, 10:48

Mit Verlaub: eine grausige Vorstellung.
Nichts gegen mehr Transparenz auf dem Job- und Lohnmarkt, aber: Würden Ablösesummen bezahlt und offen kommuniziert und müsste sich jeder Angestellte jeden Sommer für das Team der nächsten Saison qualifizieren, inszenierten sich die Journalistinnen und Journalisten doch noch weit mehr als heute schon selbst, statt die Sache in den Vordergrund zu stellen. Keiner wäre mehr bereit, Gelson Fernandes darzustellen, der mal dieses, mal jenes Loch stopft. Keiner wollte in diesem System beispielsweise noch die Texte seiner Redaktionskollegen redigieren und produzieren, jeder wäre nur noch gewillt, seinen eigenen Glanz zu polieren. Jeder wollte Cristiano Ronaldo sein. Wäre das wünschenswert?

Ronnie Grob 28. März 2014, 11:04

Ich fände es wünschenswert, wenn die Branche wenigstens einen Cristiano Ronaldo hätte.

Natürlich müssten Texte weiterhin von qualifizierten Personen gegengelesen werden, aber Fussball funktioniert ja auch nur im Team. Die Eigenverantwortung und die Team-interne Konkurrenz würde jedenfalls gestärkt. Wofür man so weniger Zeit aufwenden könnte, sind endlose Diskussionen darüber, was nun „die Leser“ angeblich lesen wollen und was nicht.

Journalisten, die die Sache in den Vordergrund stellen, hätten nach wie vor gute Chancen. Wer eine grossartige, sachliche Recherche oder Reportage hinkriegt, erhält doch jetzt schon genügend Aufmerksamkeit.

T-Roll 28. März 2014, 19:37

Interessantes Gedankenspiel.

Ja natürlich wird es den Ronaldo geben. Aber der Fernandes hat auch seine Fans. 😉

Und am Ende zählt das nur Resultat. Wenn es sein muss im Penaltyschiessen, wenn sich der Goalie (Fotograf) auszeichnen und den entscheidenden Akzent im Spiel setzen kann.

Fred David 01. April 2014, 22:34

Auch wenn es auf dem zunehmend monopolistischen Schweizer Medienmarkt nicht praktikabel sein mag: der Ansatz gefällt. Wie kitzelt man mehr Spitzenleistungen aus dem mausgrauen Alltag raus? @) Ronnie Grobs Frage ist echt gut gestellt. An der Antwort darf man sich gern ein wenig die Zähne ausbeissen.

Philip Kübler 07. April 2014, 09:10

Bei aller Freude und Lust an dieser Idee kann ich es mir nicht verkneifen, Spielverderber zu sein. Und zwar gleich doppelt. 1. Ablösesummen entstehen ja nur, wenn Verträge eine mehrjährige Laufzeit haben. Arbeitsverträge mit Journalisten sind rasch auflösbar, Kündigungsfristen von 3, vielleicht 6 Monaten dürften üblich sein. Ronnies Zusammenspiel von Kurzvertrag und Ablösewettbewerb hängt aus meiner Sicht schief. Logischer für dieses Gedankenspiel wären 5- oder 7-Jahresverträge für Journalisten, ähnlich wie im Fussball oder z.T. im deutschen Management, der Verlag übernähme das langfristige Risiko – jetzt wird der Gedanke interessant, denn so würden Edelfedern zu Investitionen, und Transferverhandlungen würden möglich. Doch nun kommt Spielverderb Nr. 2: Diese Branchen-Absprache wäre ein Kartell und deshalb verboten. Man müsste zuerst das Wettbewerbsrecht ändern und die Medien vom Kartellgesetz ausnehmen – vielleicht ein Einfall für den nächsten Text … Danke jedenfalls fürs Gedankenspiel.