Der Boulevard-Vorwurf
Als Journalistin setze ich mich immer wieder Kritik aus. Das ist manchmal erwünscht, manchmal auch irritierend. Neulich warf mir ein Leserbriefschreiber vor, «am Boulevardjournalismus vorbeizuschrammen». Ein kühner Vorwurf.
Im kritisierten Artikel ging es nicht etwa um Sex and Crime oder um People und Skandale. Ich habe auch nicht boulevardmässig emotionalisiert und selbstredend darauf verzichtet, eine Sensation heraufzubeschwören, die keine ist. Was beim Leser den Boulevardverdacht weckte, war etwas anderes: Ich habe einfach mal wieder ein Müsterchen aus dem agrarpolitischen Kuriositätenkabinett unseres Landes gebracht – und nichts anderes gemacht, als faktentreu dargestellt, wie manche Herren in Bern derzeit ins Schleudern kommen, nur weil ein neuer Gesetzesartikel keine Unterschiede mehr vorsieht zwischen Kuh (gemolken von Mensch oder Maschine) und Kuh (gemolken vom Kalb). Diese Gleichstellung führt nämlich dazu, dass ab sofort Dutzende, Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Schweizer Alpen rein rechnerisch als «überbestossen» gelten, was gleichzusetzen ist mit Übernutzung, Überdüngung, Schäden an der Biodiversität etc. und das, obwohl sich genau gleich viele Tiere auf den Weiden tummeln, wie in den Jahren zuvor.
Die Faktenlage für meinen Artikel war bereits derart schräg, dass man den Inhalt kaum noch boulevardmässig verzerrt darstellen konnte. Von einer boulevardesken, und damit verpönten, Verkürzung des Sachverhalts konnte auch keine Rede sein. Im Gegenteil: Je ausführlicher ich den Sachverhalt schilderte, desto deutlicher wurde, wie absurd das Ganze ist. Dass die Bauern bislang für die genau gleichen Arbeits- oder Investitionsaufwände abhängig von der Art der Euterentleerung unterschiedlich viel Geld vom Staat erhalten haben, lässt sich logischerweise nur schwer nachvollziehen.
Ich hätte es verstanden, wenn der Boulevard-Vorwurf vom Bundesamt für Landwirtschaft gekommen wäre. Denn die haben die realitätsfernen Messgrössen ja ursprünglich erfunden und sich sicherlich eine Erklärung dafür zurecht gelegt. Aber nein, der Leserbriefschreiber war Agronom und Bauer. Er ist damit selbst ständig den agrarpolitischen Ränkespielen ausgesetzt. Hätte sich die Kritik nur gegen den ironischen Unterton in meinem Artikel gerichtet, hätte ich auch noch gesagt okay. Denn es fällt mir tatsächlich schwer, derart abstruse Dinge zu erklären, ohne dabei in Ironie abzudriften.
Aber muss man wirklich staubtrocken beschreiben, dass so mancher Alpbesitzer nun Tausende von Franken für ein Alpwirtschaftskonzept aufwerfen muss, nur weil das Parlament kürzlich entschieden hat, dass eine Kuh auch dann noch eine ganze Kuh ist, wenn sie ein Kalb bei sich hat? Damit tut man den Lesern doch auch keinen Gefallen. Nach langem Nachdenken kam ich zum Schluss, dass es vielleicht gar nicht die Nähe zum Boulevard war, die den Leser so sehr ärgerte, dass er in die Tasten griff. Sondern die Nähe zur Realität. Und mit dieser Kritik kann ich gut umgehen.
Kaspar 08. April 2014, 11:29
Ich denke die Geschichte der Landwirtschaft und deren Subventionen ist generell prall gefüllt mit schier unvorstellbar absurden Fehlentwicklungen.
Beispiel: Subventionierte Milch wird mit subventionen in Käse verwertet der dann mit ebenso gefördertem Marketing im Ausland mit Verlust verkauft wird.
Die Milch wird dabei mit aus Brasilien importiertem Kraftfutter produziert das über Importerleichterungen ebenfalls gestützt wird.
Und all dass passiert im Namen der «Selbstversorgung»! Wäre dieser Schildbürgerstreich nicht Realität würde ich darüber ja noch herzhaft lachen können.