Dann bleiben wir doch lieber per Sie
Nirgends kommen sich Journalisten und Politiker so nah wie im Bundeshaus. Im Klüngel die professionelle Distanz zu wahren, ist nicht immer ganz einfach. Ein Duzis anzunehmen, fällt oft leichter, als auf dem «Sie» zu bestehen.
Kürzlich traf ich an einem Samstagnachmittag mitten in Zürich auf eine Nationalrätin. Sie mit Kinderwagen auf dem Weg in ein Café, ich auf dem Velo unterwegs zu einem Freund. Wir kennen uns, so wie man als Inlandredaktor manche Parlamentarier kennt – man trifft sich allvierteljährlich in der Wandelhalle, telefoniert dazwischen ab und zu und begegnet sich an Pressekonferenzen.
Besagte Nationalrätin ist nicht viel älter als ich. Würden wir uns an einer Party, im Flugzeug oder an der Migros-Kasse begegnen und wüssten wir nicht voneinander, was unser beruflicher beziehungsweise politischer Hintergrund ist, würden wir uns zweifellos duzen. Doch nicht hier an der Strassenkreuzung im Kreis 4. Wir unterhielten uns völlig entspannt über die (angeblich) stimmfaule Jugend, Doppelbürgerschaften und die Bepflanzung von Dachterrassen. Nach einer Viertelstunde verabschiedeten wir uns, wie wir uns schon begrüsst haben: Mit einem «Sie».
Das ist auch gut so. Das Duzis schafft eine Nähe, die im Umgang mit Politikern problematisch sein kann. Wie kaum eine andere Berufsgattung haben die Volksvertreter ein ureigenes Interesse daran, sich mit den Journalisten gut zu stellen. Als ich das erste Mal in der Wandelhalle war, hatte ich noch dieses überhöhte Bild der «Arena»-Matadoren vor mir. Schnell merkte ich, dass der Hase anders läuft: Es ist einfacher, mit einem Parlamentarier ins Gespräch zu kommen als mit einem Amnesty-Vertreter an der Bahnhofsstrasse. Das gilt sogar für diejenigen, die im Ratssaal sitzen. Müssen sie nicht gerade ein Votum halten oder findet nicht gerade eine Abstimmung statt, lassen sich die Damen und Herren National- und Ständeräte von den Weibeln gerne nach draussen bitten.
Sie tun dies in aller Regel beflissen und äusserst zuvorkommend. Dabei ist es nicht immer einfach, die Distanz zu wahren, die zur Ausübung unseres Berufs nötig ist. Ich versuche zumindest in der Grussform eine Abgrenzung aufrechtzuhalten. Die Parlamentarier sind nicht unsere Feinde. Sie sind aber auch nicht unsere Freunde – obschon einem gewisse Parlamentarier selbstverständlich sympathischer sind als andere.
Als Neuling im Bundesberner Medienkuchen – ich bin seit November dabei – habe ich da natürlich leicht reden: Ich bin selten in eine Situation geraten, in der ich meine journalistische Unabhängigkeit zu hinterfragen begonnen hätte. Das Duzis wurde mir noch nicht oft angeboten – und wenn, habe ich es bei der nächsten Begegnung auch schon wieder «vergessen».
Dass die Situation für altgediente Redaktoren schwieriger ist, liegt auf der Hand. Wer seit zehn Jahren durch die Wandelhalle spaziert, ist unter den Parlamentariern bekannter als manch einer ihrer Ratskollegen. Da lässt sich eine gewisse Kumpanei kaum vermeiden. Und sie kann journalistisch durchaus fruchtbar sein: Der Parteipräsident, der Kommissionssprecher und im besonderen Mass der Hinterbänkler sind eher versucht, einem ihnen seit langem bekannten Journalisten eine potentielle Geschichte zu stecken.
Doch auch für die langjährigen «Bundeshäusler» ist der Grat zwischen der nötigen Empathie, um an möglichst exklusive Informationen zu kommen, und der Gefahr der Beeinflussung schmal. Die Grussform muss nicht zwingend ein Ausdruck von zu viel Nähe sein, kann aber. Legt man das «Sie» und das «Du» in die journalistische Waagschale, finde ich, dass sie auf die Seite des «Sie» kippen sollte. Es ist ja auch das längere Wort.
Fred David 28. April 2014, 15:21
Zehn Jahre lang darf kein „Bundeshäusler“ sitzen. Niemals. Vier, fünf Jahre höchstens. Alles andere korrumpiert zwangsläufig und verstellt den kritischen Blick. Botschafter werden nicht umsonst im Schnitt alle vier Jahre ausgewechselt. Connections aufzubauen ist in Bern nicht so schwierig, dass man dort so lange an den Drähten hocken müsste. Viele „Bundeshäusler“ haben sich sehr bequem eingerichtet. Zu bequem. Und duzen mit dem Gegenüber geht schon gar nicht. Das „Du“ gegenüber Gesprächspartnern muss ein Journalist – nicht nur in Bern – ablehnen, und zwar absolut konsequent. Auch private Einschleimer-Kontakte „zum Grillen“ oder „zur Party“ muss man ablehnen. Man verliert dadurch nichts und gewinnt nur. An Freiheit.