Wie ich zum «verdammten, huren Landesverräter» wurde
Was man in Online-Kommentaren an Unflat zu Gesicht kriegt, ist nur die Spitze des Müllbergs. Die übelsten Absonderungen werden schliesslich herausgefiltert. Doch der besonders erregte Wutleser greift zum Telefonhörer und beschimpft den Journalisten höchstpersönlich. Ein irritierender Moment, wie unser Kolumnist kürzlich selbst erfahren musste.
Kaum war ich am vergangenen Freitag im Büro, klingelte das Telefon. Dass der Herr am anderen Ende der Leitung nicht guter Laune war, verriet schon sein Tonfall. «Jetzt muss ich Sie mal etwas fragen, Herr Fumagalli», brüllte er in den Hörer. «Haben Sie in Ihrem Leben auch schon mal gearbeitet?» Ich wusste nicht recht, ob ich lachen sollte – schliesslich hielt er ja ganz offensichtlich das Produkt meiner Arbeit in den Händen.
Das Produkt war in diesem Fall eine Reportage über die Al Husnis, eine achtköpfige syrische Flüchtlingsfamilie aus der Bürgerkriegshölle Homs. Sie entschlossen sich, die Heimat zu verlassen, als die Regierungstruppen dem Vater Leichenteile seiner vermeintlichen Schwester präsentierten. Über Umwege gelangten sie in die libanesische Hauptstadt Beirut und mithilfe des Roten Kreuzes schliesslich ins Bernische Schwarzenburg. Zusammen mit einer Übersetzerin habe ich sie dort besucht und ein Porträt geschrieben.
Den älteren Herr aus Dietikon, der seine Rufnummer unterdrückte, schien es emotional ziemlich aufgewühlt zu haben. Aber nicht in der Weise, die ich erwartet hatte. «Wissen Sie, was Sie sind?», fragte er. Die Antwort lieferte er gleich selbst nach: «Ein verdammter, huren Landesverräter». Spätestens dann wusste ich, dass ich es mit einem dieser Zeitgenossen zu tun hatte, die wir unter Journis gerne als Amok betiteln. Was er mir an den Kopf warf, war so grotesk, dass ich tatsächlich etwas schmunzeln musste.
Doch Mister Hass hatte es nicht in erster Linie auf mich abgesehen. Die nächsten zwei Minuten fluchte er in schlicht nicht zitierbaren Worten über die Familie Al Husni, die er selbstverständlich nicht kannte und über die «Schweinerei», dass wir sie in der Schweiz «durchfüttern». Irgendwann mochte ich der Schimpftirade nicht mehr zuhören und legte auf.
Gibt es doch schwachsinnige Menschen, dachte ich und erzählte meinen Bürokollegen, die die Szenerie so halb miterlebt hatten, die Details des Anrufs. Ich versuchte mir den Herrn vorzustellen und irgendwie tat er mir fast ein bisschen leid. Ich tat es als Einzelfall ab – in dieser Heftigkeit ist mir dies schliesslich noch nie passiert – und liess einen Kaffee aus der Maschine.
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon erneut. Diesmal war es die Lokalredaktion aus dem Limmattal, die sich erkundigte, ob ich auch schon Anrufe von empörten Lesern erhalten habe. Bei ihnen hätten sich seit dem Morgen schon mehrere Personen gemeldet und sich in unflätiger Weise über den Artikel beklagt. Es kam mir bekannt vor.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Weder hatte ich ein Plädoyer für die bedingungslose Aufnahme sämtlicher Flüchtlinge verfasst, noch die Schweizer Politik angeschwärzt – auch wenn es angesichts der katastrophalen Lage in Syrien durchaus Gründe dafür gäbe. Woher also der Hass? Klar ist Migration ein Reizthema. Aber wer sollen „echtere“ Flüchtlinge sein als eine Familie aus dem zerbombten Homs, deren Haus in Schutt und Asche liegt?
Ich fühlte mich an meine Zeit als Redaktor bei 20 Minuten Online erinnert. Da habe ich manchen Kommentar freigeschaltet – und dabei die Illusion eines einigermassen gepflegten Umgangs zwischen den Lesern schnell verloren. Ein beträchtlicher Teil wird gar nie erst veröffentlicht. Denn was da beleidigt, geflucht und orthographisch misshandelt wird, präsentiert man dem Publikum besser nicht, will man sich nicht strafbar machen. Es gibt auch unter den freigeschalteten Kommentaren noch genügend, die die Grenzen des Anstands strapazieren.
Dass das Verfassen eines Online-Kommentars sowohl kinderleicht wie auch in vielen Fällen anonym erfolgt, animiert ganz offensichtlich viele User überhaupt zu einer Reaktion. Das ist ja an und für sich erfreulich und – wie es beispielsweise 20 Minuten bei vieldiskutierten Themen macht – immer wieder auch Ursprung eines Folgeartikels, der den Tenor der Leser aufnimmt. Im Idealfall nimmt die Geschichte aufgrund eines Leserhinweises gar einen ganz neuen Dreh.
Doch bis anhin bin ich davon ausgegangen, dass es genau die Einfachheit des Onlinekommentars ist, die eine emotionale – und oftmals grobschlächtige – Reaktion überhaupt ermöglicht. Nicht, dass der traditionelle Zeitungsleser sich nicht empören würde, aber es kostet ihn mehr Aufwand und Überwindung, das Mailprogramm zu öffnen oder gar zum Telefonhörer zu greifen, um seinen Unmut (oder auch seine Freude) zu äussern. Ein Aufwand, der auch als Filter funktioniert. In der Tendenz gilt das wohl weiterhin. Wie mir der vergangene Freitag zeigte, aber nur in der Tendenz.
Ihr Name*Fred David 26. Mai 2014, 12:30
Ja, Journalisten müssen auch ein wenig leiden. Aber man muss mal Politiker fragen, was die so zu sehen und zu hören kriegen. Bei beiden ist es Teil des Jobs.
Politiker wie Journalisten sollen ruhig veröffentlichen, was sie so alles aus dem Volk erreicht. Vielleicht mal in einem Sammelband. Vorgeschlagener Titel:“Stimmen aus dem Volk /Das glücklichste Land der Erde 2014″. Das lässt sich dann auszugsweise im Print bz. nachdrucken. Dokumentierten Stoff gibt es mehr als genug.
Ich hab mir letzte Woche einmal ein paar Kommentare wörtlich notiert, aus dem Anhang zu einem kritischen Blog-Beitrag des SVP-Politikers Lukas Reimann. Er beschäftigte sich sehr kritisch, aber nicht ausfällig mit der Rolle von Finanzministerin Widmer-Schlumpf in Sachen Steuersumpf Schweiz-USA.
Alle Kommentare – die Verfasser stehen mit vollem Namen samt Foto dazu -, beziehen sich auf die Person der Finanzministerin. Es sind keine Amoks, ganz normale Zeitgenossen, fast ausschliesslich Männer, nur eine Frau ist dabei.
„Hirnrissige alte Tusse“
„Die schlimmste Hexe, die es je in der Schweiz gab, früher hätte man sie verbrannt.“
„Dreifach.“
„Entsorgen und zwar DALLI.“
„Sie ist ein total verlogener Teufel.“
„Hirnrissiger Müll.“
„Auf den Scheiterhaufen mit ihr. Ich liefere den Kanister Benzin und werfe das erste Streichholz.“
„Volksverräterin.“
„Da ist doch schon Alzheimer & Co. am Werk“
„Sie sieht aus wie Geisterbahn und Zombi zusammen“
„Für sie ist eine Kugel noch zu schade.“
(Ich verbürge mich für wortgetreue Zitierung).
Vielleicht lindert das den „Hörsturz“ von @)Antonio Fumagalli ein wenig…
Gisela Strohm 26. Mai 2014, 14:45
Traurig. Aber sinnbildlich für eine Zeit, in der sich das Saatgut von gewissen Parteien in den Köpfen zu setzen beginnt.
Frank Hofmann 26. Mai 2014, 20:21
Die Linksautonomen schreiten lieber zur Tat: werfen Torten gegen Nationalräte oder schlagen sie zusammen.
Ueli Custer 30. Mai 2014, 14:56
Die absolut hemmungslosen Kommentare auf 20min.ch sind für mich immer wieder mal eine (erschreckende) Konfrontation mit der Realität. Je mehr sie durch völlige Abwesenheit irgendwelcher Kenntnisse zum Thema glänzen, desto krasser die Verunglimpfungen. Aus vielen dieser Kommentare spricht nach meiner Meinung eine unheimliche Wut auf ein Leben, das der Schreiber irgendwie nicht auf die Reihe gekriegt hat. Schuld daran sind natürlich immer die andern – und weil die SVP das Niveau im Umgangston in den letzten 25 Jahren immer tiefer geschraubt hat, glauben diese Wutbürger, vor allem gegenüber Ausländern aber auch gegenüber allen anders Denkenden sei alles erlaubt. Mir gibt diese Entwicklung zu denken.
Bernd H. 28. Mai 2014, 13:31
Na dann schaut euch erst mal die deutschen Foren an. Bei Heise gehört Autoren- und Redakteursbeschimpfung zum Alltag, auch wenn sich die Leser meist gegenseitig beschimpfen. Was da an Anrufen kommt, will ich gar nicht wissen und es wird auch keiner verraten, damit nicht noch mehr Blöde anrufen…
Thierry Blanc 18. Juni 2014, 16:50
Ein kleiner Auschnitt sog. “Israelfreunlicher” Kommentaren auf Journal21.ch:
…Sie sind ein unverbesserlicher Antisemit, zugehörig zur braunen Gülle…das haben Sie mit der Muttermilch aufgenommen. Unverständlich ist Ihre Dummheit und Ignoranz.
Herr Simonitsch, warum schreiben Sie nicht über Faeces? Davon verstehen Sie offenbar mehr als von der Politik im ME.
… Auch Sie sind ein unverbesserlicher Israel- und Judenhasser. Und Sie kennen die … Geschichte der Juden … von Ihrem Lieblingsbuch „Die Protokolle“, von Flottau und seinen braunen Genossen.
.. „Wer seine Vorurteile durch Hetz-Texte wie den von Flottau bestätigen will, bitteschön. …
… Mit fanatischen Israel- und Juden-Hasser gehts eben nicht.
Eine journalistische Plörre. … – Israel und Juden mag er nun gar nicht. Will er gar das Buch „Die 8. Soilen der Weisheit“ schreiben?
… Eine typische Lüge von einem ungebildeten Judenhasser.
Auch Ihr Kommentar strotzt vor Judenhass. Kein Wunder, ist Ihnen angeboren. Im übrigens sind auch Ihre Angaben braun-dümmlich.
Toll, einen Helm brauchen Sie nicht, Sie sind das braune Wurfmaterial.
… Im Journal 21 werden keine proisraelischen Beiträge veröffentlicht, nur solche von Gegnern … Es sind nur Israel- aber auch Judenhasser. … Ich habe inzwischen gelernt, …, Israelkritik und damit auch Judenkritik ist immer Antisemitismus.
Was sie von jüdischem weltlichen Machaspirationen und imperialistischen Uebermut verzapfen ist Antisemitismus in Reinstkultur. Sie sollten sich bei jüdischen Volk und Israel entschuldigen.
Herr Reiner Bernstein wäre ein Nestbeschmutzer, falls er Israeli oder Jude wäre. Verhalten tut er sich nämlich wie ein Israel- und Judenfeind. …
Herr Guth, gegen den Herrn Werner_T_Meyer haben Sie keine Chancen. Der ist ein Berufsantisemit und passionierter Israelhasser. … Er ist halt so, er hat es mit der Muttermilch aufgenommen. …
Adrian Heid 19. Juni 2014, 02:25
Das Problem ist, dass Sie mit dem Löschen von Beiträgen Zensur betreiben und die ist grundsätzlich schlimmer als eine Beleidigung zu gewichten, sofern der Inhalt nicht ebenfalls gegen Gesetze verstösst. Meinungsfreiheit sollte gerade Journalisten äusserst wichtig sein.
Persönlich würde ich in Foren darauf bestehen, dass sich alle mit echten Namen und Adresse Anmelden müssen und dann unkomentiert alles stehen lassen was geschrieben wird. Wer sich blamiert – selber schuld. Man muss im dümmsten Fall damit rechnen, dass man einen Job wegen einem dummen Spruch oder eben einer Beleidigung nicht kriegt.
Und sehen Sie es mal von einer anderen Seite. Es gibt Firmen die würden alles geben, wenn sie so direkte Kundenrückmeldungen über ihre Produkte haben, wie Sie. Aus negativen und konstruktiven Meldungen kann man sich weiterentwickeln und ich kann Ihnen nur empfehlen von Ihren Kunden zu lernen. Ausserdem locken die Foren Kunden immer wieder in ihre Webseite, auf der Sie dann teure Werbung dank hohen Klickraten schalten können.
Wenn aktuell der Springerverlag massiven Gewinneinbruch hat, weil die Kunden merken, dass der Verlag Kriegspropaganda betreibt und deren Texte nicht mit YouTube live Bildern übereinstimmt.., tja, selber Schuld. Lügen haben kurze Beine. Minus 93 Millionen in einem halben Jahr sind happig, anscjheinend hat die grosse Masse keine Lust mehr auf diese Berichterstattung.
Generell haben Musik, Film, Games, Verlage und eben Newsmedien das Problem, dass sie das Internetzeitalter alle zusammen total verschliefen. Ich empfehle allen nochmals über die Bücher zu gehen und ihr Konzept so auszurichten, dass sich die Kunden aufgehoben fühlen und immer wieder zu Ihnen kommen wollen, ja sich sogar bei Ihnen beteiligen.