Zwischen Zensur und Informationsoffensive
In der Berichterstattung zur Krise in der Ukraine geben Medien aus Russland und dem Westen den Ton an. Was ukrainische Medien zu sagen haben, interessiert kaum. Derweil fährt der ukrainische Staat den Zensurapparat hoch und ein Oligarch versucht mit «Ukraine Today» ein Gegengewicht zu «Russia Today» aufzubauen.
Für Aufregung sorgt derzeit das «Ministeriums der Informationspolitik», das zwar noch nicht offiziell eingerichtet wurde, aber dessen Ankündigung via Facebook und der unmittelbar darauf folgenden Beschluss des Parlaments gibt Journalisten Anlass zu grosser Besorgnis. Die Behörde, im Volksmund «Wahrheitsministerium» genannt in Anspielung an Geroge Orwells Roman «1984», will die «russische antiukrainische Desinformation» abwehren.
Für das Jahr 2015 soll das Budget vier Millionen US-Dollar nicht überschreiten, Ausgaben darüber hinaus sollen durch Sponsorengelder gedeckt werden. Als Minister nominiert ist bereits Jurij Stez, der vorher als Fernsehjournalist und Produzent von Channel 5 in der Ukraine tätig war. Er gilt als ein Vertrauter von Staatspräsident Petro Poroschenko. Stez sieht die Aufgabe der Behörde darin, die «Informationsattacken von aussen auf die Ukraine zu stoppen, in dem die Wahrheit über die Situation in der Ukraine in der Welt verbreitet werde». Sein Ministerium werde keine Zensur einführen oder die Redefreiheit beeinträchtigen, versucht Stez die Bedenken zu zerstreuen.
Die Journalismus-Initiative «Stop Censorship», deren Mitglieder vor dem Parlament in Kiew demonstrierten, sehen hingegen die Pressefreiheit in Gefahr. Sie glauben, dass auch die Aggression der Russischen Föderation in der Ostukraine keine Entschuldigung für die Errichtung einer staatlichen Zensurbehörde sein. Sie sei «bedrohlich und schädlich» für das Land. Das Journalistenbündnis wurde im Mai 2010 gegründet, um den zunehmenden Repressalien entgegentraten, die unter dem damaligem Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch gegen die Medien unternommen wurden.
«Nach den Protesten der Journalisten hat es am 9. Dezember einen entschärften Entwurf gegeben, der das Eingreifen des Staates mildert, aber er ist immer noch schrecklich», äussert sich Oksana Romaniuk, Vertreterin von «Reporter ohne Grenzen» in Kiew, gegenüber der Medienwoche. Genaue Verfahrensweisen seien nicht aufgelistet, doch könnte der Staat nach der ersten Version beliebig gegen die Medien vorgehen. «Wir leben in einem digitalen Zeitalter, wir haben Internet, man kann nicht mit sowjetischen Methoden unliebsame Nachrichten verhindern», sagt Romaniuk weiter.
Nach dem zweiten Entwurf habe der Staat mittels des Ministerium immer noch die Möglichkeit, in die Verbreitung von Informationen einzugreifen und er wolle auch eigene Kampagnen starten. Gegen die Behörde spricht weiter, dass ihr Zuständigkeitsbereich nicht klar definiert ist. Dies wurde Stez auch im ukrainischen Parlament vorgeworfen. So legte sich Stez bislang noch nicht fest, wann das Ministerium seine Arbeit aufnehmen will und auch das Ende bleibt unklar, offiziell soll die Behörde nur während der Kriegszeit bestehen. Doch wann endet diese? Experten rechnen mit einem lang andauernden «Hybridkrieg» mit Russland.
Die Regierung fürchtet neben dem grossen Nachbarn auch die Gefahr von Innen, die Unzufriedenheit in der ukrainischen Bevölkerung, diese kann nicht nur durch russische Informationspolitik, sondern auch durch die Härten der nahenden Wirtschaftsreformen wachsen. Gemäss Umfragen sind 40 Prozent der Ukrainer bereit, auf die Strasse zu gehen, sollte die Regierung unter Arsenij Jazenjuk ihre Erwartungen enttäuschen. Jazenjuk hat darum den Westen erneut um Hilfe gebeten. Auch darum nimmt der Druck auf die Journalisten zu.
Das «Institute of Mass Information», dem Oksana Romaniuk vorsteht, registrierte zwischen dem Beginn der russischen Aggression im März und dem 30. November 709 Fälle von Übergriffen gegen Journalisten sowie gegen ihre Berichterstattung in der Ukraine. Davon fanden 440 auf der russisch annektierten Krim sowie in den «Separatistengebieten» Donezk und Lugansk statt, der Rest in der Region, die von der Region in Kiew kontrolliert wird. Die Nichtregierungsorganisation, die durch europäische und amerikanische Stiftungen sowie Spendengelder finanziert wird, veröffentlicht täglich Übergriff auf Medienschaffende und ihre Arbeit. Dazu zählen auch Manipulationsversuche, wo sich Unbekannte als Vertreter westlicher Kamerateams ausgeben.
Das neue Informationsministerium, obwohl offiziell erst provisorisch, könnte andere staatliche Einrichtungen der Medienaufsicht verdrängen. So ist etwa das «Staatliche Komitee für Rundfunk und Fernsehen» nach Meinung von Stez nicht mehr nötig. Für eine Auflösung Schritt braucht es jedoch unwahrscheinliche 300 von 450 Parlamentsstimmen. Vorläufig sollen darum beide Behörden zusammenarbeiten – an einem Radioprogramm, das im europäischen Russland zu empfangen sein wird und dabei ein positives Bild der Ukraine vermitteln soll.
Auch der Nationale Rat für Radio und Fernsehen, dessen Chef Yuri Artemenko seit Juli wirkt, hat mit der Mission «Schutz des ukrainischen Informationsraum» exekutive und ähnliche Aufgaben wie die neue Behörde. Der Rat rückte Anfang Dezember «espreso tv», zu Leibe. Der private Nachrichtenkanal, der zu Beginn der Majdan-Proteste als Internet-Sender gegründet wurde, muss mit einer Anklage wegen «Aufforderung zum Hass» sowie wegen «Herabwürdigung der Ukraine und ihrer Staatsbürger» rechnen. Das Vergehen des prowestlichen Senders: die Übertragung der Putin-Rede am 2. Dezember.
Die Ausstrahlung mehrerer russischer Sender soll nach Antrag des Rates in der Ukraine hingegen ganz gestoppt werden. Auf der schwarzen Liste steht selbst «Belsat», ein von Polen aus sendender und in Weissrussland produzierter Nachrichtenkanal, der über die Regierung in Minsk kritisch berichtet.
Der Fernsehrat arbeitet auch auf dem Feld der Unterhaltung mit Bannsprüchen. Alle Sendungen mit den russischen Schauspielern Michail Porrentschenko und Ivan Ochlobystin sollen unterbunden werden. Beide hatten sich in den von Separatisten kontrollieren Gebieten im Osten des Landes als Unterstützer der russlandfreundlichen Kräfte präsentiert. Der Action-Held Porrentschenko ballerte sogar mit dem Maschinengewehr auf den Flugplatz von Donezk, der von der ukrainischen Armee gehalten wurde und wird. Bislang machen russische Produktionen zwanzig Prozent der Sendungen in der Ukraine aus.
Aber auch im Ausland soll der russische Einfluss in der Berichterstattung zurückgedrängt werden. Igor Kolomoisky, OIigarch und Gouverneuer der ostukrainischen Oblast Dnipropetrowsk, gründete im August «Ukraine Today». Wie der Name leicht erkennen lässt, handelt es sich beim ersten englischsprachigen Sender der Ukraine um ein Gegenmodell zu «Russia Today». Der Schwerpunkt des Nachrichtenkanals liegt zwar auf ukrainischen Themen; aber ein Ressort trägt den bezeichnenden Namen «Geopolitics». Über Satellit ist der Sender in ganz Europa zu empfangen, für das kommende Jahr ist eine Verbreitung in den USA vorgesehen.
Der Ton, der oft nicht über eine Minute dauernden Nachrichten von «Ukraine Today» ist ein wenig verhaltener, der Blickpunkt ukrainisch. So werden Bewohner der ostukrainischen Stadt Charkiw porträtiert, die in Waffenkunde unterrichtet werden, oder es wird die illegale Grenzüberschreitung russischer Hilfslieferungen angeprangert. Da Igor Kolomoisky auch eine Privatarmee im Kampf gegen die Separatisten finanziert, wirkt die Ankündigung des Senders, objektiv berichten zu wollen, nicht besonders glaubwürdig. Mit rund 35’000 Likes auf Facebook fällt der Zuspruch bisher eher bescheiden aus.
Derzeit hat Kiew den Zugang für Medienschaffende zu den Kampfzonen mit Restriktionen belegt, was auch «Stop Censorship» kritisiert. «Eine Berichterstattung in Gebieten der prorussischen Separatisten ist derzeit für ukrainische Journalisten, (die von aussen kommen), kaum möglich, da sie zur Zielscheibe werden», sagt Romaniuk vom Kiewer «Institute of Mass Information». Die Regierung solle es darum ermöglichen, dass Journalisten aus dem westlichen Ausland besseren Zugang zu den umkämpften Gebieten erhalten.
Über die Situation der Medien in der Ukraine ist ausserhalb der Landes wenig bekannt. Bislang wurde in den deutschen Medien vor allem über und weniger mit der Ukraine gesprochen. Dabei hätte Pawlo Klimkin, der Mitte Juni vom Botschafter in Berlin zum Aussenminister avancierte, mit seinen hervorragenden Deutschkenntnissen und seinem medialen Auftreten, ein guter Gast in deutschen TV-Debatten abgegeben. Erst nach dem Abschuss der MH14 wurde mit dem Gesandten Wassili Chiminez bei Anne Will ein Auftritt eines ukrainischen Regierungsvertreters vor deutschen Fernsehkameras ermöglicht.
Fabian Burkhardt, der als Wissenschaftler von November 2013 bis Ende April 2014 die Präsenz von Ukrainern in deutschen Talkshows untersucht hat, stellte fest, dass die Ukraine tendenziell «eher Objekt als Subjekt der Diskussion» war. Für die darauffolgende Zeit habe er die Talk-Shows nicht mehr wissenschaftlich verfolgt, doch «eine grundsätzliche Trendwende habe ich aber nicht festgestellt, und das Verhältnis zu Russland stand weiterhin im Mittelpunkt», sagte Burkhardt gegenüber der Medienwoche.