von Carmen Epp

#JeSuisCharlie ist kein Sonntagsspaziergang

«Je suis Charlie» – mit diesem Satz stehen derzeit Personen auf der ganzen Welt öffentlich und medienwirksam für die Pressefreiheit ein. Sie reagieren damit auf den barbarischen Anschlag auf die Redaktion von «Charlie Hebdo». So verständlich und wichtig dieses Bekenntnis auch ist – es verkennt, dass nicht erst seit dem 7. Januar die Freiheit des Worts von genau jenen beschnitten wird, die am Sonntag an vorderster Front die «Charlie»-Opfer betrauerten.

Es war ein Akt ungeheuerlicher Grausamkeit, der am 7. Januar Frankreich und die ganze Welt erschütterte: Zwei Attentäter stürmen mit Kalaschnikows und Raketenwerfer die Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» in Paris und richten ein Blutbad an. Zwölf Personen werden getötet, elf weitere zum Teil schwer verletzt. Schnell ist klar: Der Anschlag auf das Satiremagazin, das international mit seinen Mohammed-Karikaturen für Aufsehen sorgte, gilt nicht nur den Journalisten von «Charlie Hebdo»; es ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, auf das freie Wort. Entsprechend tief liegt der Schock bei Medienschaffenden, die seither auf der Strasse oder in sozialen Medien öffentlich bekunden: Ich, Du, wir alle sind Charlie Hebdo!

Diese Solidarität, die kollektive Abscheu über die Mordtat und damit das Bekenntnis für die Pressefreiheit in der ganzen Welt sind wichtig und richtig. Eine solche schreckliche Tat muss in aller Form verurteilt, die Folgen für die Arbeit der Medien mehr denn je thematisiert werden. Der Kampf um die grosse Errungenschaft der freien Rede und ihrer ungehinderten Veröffentlichung ist anstrengender und meist weniger spektakulär als ein Sonntagsspaziergang. Bestrebungen, die Pressefreiheit zu beschneiden, gab es schon vor dem 7. Januar – auch in der Schweiz.

Gemäss dem Ranking von «Reporter ohne Grenzen» belegt die Schweiz in Sachen Pressefreiheit 2014 von 180 untersuchten Staaten und Regionen den 15. Rang. «Im internationalen Vergleich steht die Schweiz in punkte Presse- und Informationsfreiheit gut da, in Europa nimmt sie eine mittlere Position ein», hält die Organisation zum Ranking fest. Anders als in Gebieten, in denen Krieg und Unterdrückung herrscht, ist die Bedrohungslage der Pressefreiheit bei uns zwar nicht lebensgefährlich. Aber sie existiert.

  • So gilt die Veröffentlichung amtlicher geheimer Dokumente laut Schweizer Strafgesetzbuch noch immer als Straftat (Art. 293 StGB). Demnach machen sich Journalisten strafbar, wenn sie Informationen aus geheimen Akten veröffentlichen. Es sei denn, sie können dies mit der «Wahrung berechtigter Interessen» rechtfertigen, deren Latte das Bundesgericht jedoch sehr hoch legt. Zuletzt sollte der besagte Artikel 2011 aufgehoben werden. Das verlangte eine parlamentarische Initiative der nationalrätlichen Rechtskommission. Die ist nun aber gescheitert: Der Nationalrat schlägt vor, den Artikel 293 StGB nicht aufzuheben, sondern mit einem neuen Absatz zu ergänzen: «Die Handlung ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat.» Bedenkt man, dass das Bundesgericht in seinen bisherigen Urteilen die Geheimhaltung meist höher gewichtet hat als die Interessen der Öffentlichkeit an Information, so fällt der Fortschritt für die Pressefreiheit in der Schweiz hier eher ernüchternd aus.
  • Weiter wird im in den Eidgenössischen Räten ein neues Gesetz diskutiert, das Whistleblower zum Schweigen bringen soll. Das Whistleblower-Gesetz soll Angestellten verbieten, beobachtete Missstände in ihren Firmen den Medien zu melden. Und dies selbst, wenn die Firma trotz interner Meldung nichts gegen den Missstand unternimmt.
  • Auch gilt noch immer nicht in allen Schweizer Kantonen das Öffentlichkeitsprinzip. Und auch auf eidgenössischer Ebene werde das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung «teilweise etwas mangelhaft umgesetzt», wie «Reporter ohne Grenzen» schreibt. Bezeichnenderweise stellt sich ausgerechnet Medienministerin Doris Leuthard im Umgang mit Journalisten wenig begeistert von der Pressefreiheit.

Dies sind nur ein paar Beispiele der aktuellen Bestrebungen zur Pressefreiheit auf politischer Ebene – weitere finden sich hier und hier. Sie alle zeigen auf, dass das Thema auch in der Schweiz diskutiert werden muss. Nicht erst seit dem Angriff auf «Charlie Hebdo» und noch lange darüber hinaus. Wir sind nicht nur Charlie, wir waren es schon lange. Höchste Zeit, die Pressefreiheit im eigenen Land mit genau derselben Inbrunst zu verteidigen, wie dies nun Medienschaffende mit ihren «Je-suis-Charlie»-Bekenntnissen tun.