von Antonio Fumagalli

Der kleine Königsweg

Nach der Matura an die Uni – das ist für viele junge Leute eine Selbstverständlichkeit. Doch was bringt der akademische Weg, wenn man Journalist werden will? Nicht alles, aber Entscheidendes, wie etwa einen einfacheren Berufseinstieg.

Reif waren wir damals, maturi. Das zumindest suggerierte die Überschrift des Dokuments, das wir nach Abschluss des Gymnasiums ausgehändigt bekamen. Reif, uns ins Leben der Erwachsenen zu stürzen. Reif, die Welt zu entdecken. In erster Linie aber reif, ein Studium zu beginnen. Doch welches?

Die Frage trieb mich um. Zwar wusste ich spätestens seit dem dritten Gymnasiumsjahr, dass ich Journalist werden möchte. Auch war mir klar, dass es dafür im Gegensatz zum Beruf des Kardiologen oder Astrophysikers keinen (akademischen) Königsweg gibt. Aber es gibt Studienfächer, die nach einem Job in den Medien riechen. Ein halbes Jahr nach der letzten Maturaprüfung fand ich mich in einer Probevorlesung der kommunikations-wissenschaftlichen Fakultät der Uni Lugano wieder.

Ein Glück, dass mir der Unterricht im Tessin nicht zusagte. Zu schulisch, zu partizipativ, zu intim. Das hatte ich zuvor schon sechs Jahre lang am Gymnasium. Ich sehnte mich nach einer grossen Aula und dem klassischen Professor am Stehpult. Vor allem aber riet mir ein erfahrener TV-Reporter und Vater eines Freundes: Willst du Journalist werden, studiere alles – nur nicht Kommunikationswissenschaften oder Publizistik. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Im Gegensatz zu einer Journalistenschule à la Ringier oder MAZ sind diese Studienfächer keine eigentliche Vorbereitung auf den Alltag in einer Redaktion. Gleichzeitig wird es mangels Expertise in einem spezifischen Fachbereich umso schwieriger, sich in der Masse all jener zu behaupten, die den gleichen Berufswunsch haben.

Ich liess mich vom Fernsehmann überzeugen und entschied, Internationale Beziehungen an der Uni Genf zu studieren. Auch dies ein breit gefächertes Studium. Im Gegensatz zur Publizistik beabsichtigten aber wenigstens nicht gefühlte 80 Prozent der Kommilitonen, später in der Medienbranche Fuss zu fassen. Viel eher standen für sie die in Genf ansässigen internationalen Organisation hoch im Kurs, wobei am Ende der anteilsmässig grösste Teil der Absolventen in der Finanzbranche landete. Für mich war das ein Vorteil: Bei späteren Stellenbewerbungen hatte mein akademisches Profil eine gewisse Exklusivität.

Aber was brachte mir das erworbene Lizentiat konkret? Ganz sicher war es ein Türöffner, zumindest für den ersten Job im Journalismus. Kaum hatte ich etwas Fuss gefasst, krähte aber kein Hahn mehr nach dem akademischen Papier. Ich bin ziemlich überzeugt, dass einige Chefredaktoren, die ich erlebte, keine Ahnung hatten, was ich studiert hatte – es war ihnen verständlicherweise auch egal, solange ich die Arbeit zu ihrer Zufriedenheit ausführte.

Waren also aus rein beruflicher – und damit letztlich volkswirtschaftlicher – Optik die tausenden Seiten geschichtswissenschaftlicher Literatur, die endlosen Tage in der Bibliothek, die Seminar-Hausaufgaben für die Katz? Natürlich nicht – auch abgesehen davon, dass es in Zeiten von unsicheren Zukunftsaussichten nicht schaden kann, einen Studienabschluss in der Hinterhand zu haben. Wir fassten schwer verständliche Texte auf wenigen Zeilen zusammen. Wir hinterfragten Informationen kritisch. Wir schrieben umfangreiche Seminararbeiten. Wir lernten, korrekt zu zitieren.

Es sind dies Eigenschaften, die im Nachrichten-Journalismus von tragender Bedeutung sind. Nur sind sie schwer messbar – und man kann sie sich mit entsprechendem Aufwand auch auf anderem Weg aneignen. Ich würde mir niemals die Aussage anmassen wollen, dass Akademiker die besseren Journalisten sind. Es ist eine Tatsache, dass ich bei der Recherche nicht allzu regelmässig sachliche Kenntnisse aus den Vorlesungen abrufe, sofern sie überhaupt noch vorhanden sind. Was ich im Redaktionsalltag den fünf Genfer Jahren am direktesten entnehme, ist paradoxerweise etwas, das gar nichts mit dem Studium selbst zu tun hat: Die beiläufig erworbenen Französischkenntnisse.