Afrika feiert Meilensteine
Die Nachricht der Woche: der Ivorer Tidjane Thiam ist der neue CEO der Credit Suisse Group. Die Schweizer Medien sind bewegt von seiner Hautfarbe, handeln das Thema aber korrekt ab. Das Stellen von fragwürdigen Fragen überlassen sie bereitwillig ihren Lesern.
«Afrika feiert Thiams Ernennung als Meilenstein», titelte der Tages-Anzeiger auf Seite 4 der Ausgabe vom 11. März 2015 zur Ernennung des Ivorers Tidjane Thiam als CEO der Credit Suisse Group. Na, Afrika, Sie wissen schon: Dieses «Land» da im Süden, in dem 1,1 Milliarden Menschen leben und in das die Fläche von Europa dreimal reinpasst. Die NZZ kennt es auch:
Noch nie haben so viele Bewohner Afrika verlassen. Was sind die Gründe und wer genau verlässt das Land? http://t.co/TETrrK8R9I #NZZGlobal
— Neue Zürcher Zeitung (@NZZ) March 10, 2015
Während «die Afrikaner» wahrscheinlich grade um einen «Meilenstein» tanzen, fragen sich «die Schweizer», warum nach dem US-Amerikaner Brady Dougan 2007-2015 und nach der Doppelspitze Oswald Grübel (Deutschland) und John J. Mack (USA) 2003-2007 schon wieder ein Ausländer an die Spitze «ihrer» Grossbank gewählt wurde. Also vor allem die Leser. Die Journalisten wissen recht gut, dass die Credit Suisse Group ein internationales Unternehmen ist und nur rund 18 000 der insgesamt 46 000 Mitarbeiter überhaupt in der Schweiz arbeiten. Ein Schweizer leitete die Firma zuletzt vor 13 Jahren: Lukas Mühlemann. Dennoch wurde auch Brady Dougan kritisch empfangen, so beispielsweise von Susanne Mühlemann im Sonntagsblick vom 18. Februar 2007: «Dougan wird beweisen müssen, dass er als Amerikaner kein Problem hat, eine Schweizer Grossbank zu führen. Die Skepsis ist da, zumindest hierzulande.» Seine etwas hellere Hautfarbe jedoch war nie ein Thema: in der Schweizerischen Mediendatenbank SMD finden sich zu Brady Dougan keine mit diesem Begriff verknüpfte Texte.
Die etwas dunklere Hautfarbe des Dougan als CEO ablösenden Thiam aber schon. Nicht zu Unrecht, immerhin war er «2009 der erste Konzernchef mit schwarzer Hautfarbe eines Unternehmens aus dem britischen Leitindex FTSE 100», wie die NZZ festhält beziehungsweise «der erste Afrikaner, der einen internationalen Konzern leitet», wie der Tages-Anzeiger schreibt. Der «Blick» setzte die Frage nach der Hautfarbe gleich in die Schlagzeile, titelte «Schwarz und Spitze». Und druckte Leserbriefe ab unter dem Titel «Ein Schwarzer führt die Grossbank Credit Suisse: ‹Gibt’s keine fähigen Schweizer?›». Andere Journalisten thematisierten Thiams Hautfarbe in ihren Berichten überhaupt nicht, so zum Beispiel Seraina Gross von der Basler Zeitung, Thomas Wyss von der Finanz + Wirtschaft oder Fabian Hock und Andreas Schaffner von der Aargauer Zeitung.
Zu beobachten ist: Die medienkritikgestählten Journalisten bleiben aus Angst, nicht die richtige Formulierung zu erwischen und womöglich von einem Rassismus-Vorwurf getroffen zu werden, in ihren Äusserungen vorsichtig. Den emotionalen Umgang mit dem Neuen, dem Ungewohnten überlassen sie bereitwillig ihren Lesern. So dürfen die Onlinekommentatoren und die Leserbriefschreiber als Kinder und Narren auftreten und die fragwürdigen Fragen stellen. Ihnen ist es erlaubt – freigeschaltet und abgedruckt von den Medienhäusern – zu publizieren, was beispielsweise Gabriel Vetter als «rassistisch geprägte Diskussion» bezeichnet:
Es soll ja ernsthaft Journalisten geben in diesem Land, die finden, die Diskussion um den neuen CS-Chef sei nicht rassistisch geprägt. #höhö
— Gabriel Vetter (@gabrielvetter) March 12, 2015
Ich finde: Tidjane Thiam hat keine Schonung verdient. Die Öffentlichkeit sollte ihn hart kritisieren, sobald Anlass dazu besteht. Und bitte auch Witze über ihn machen, so wie das ein (leider bereits wieder suspendiertes) Parodie-Twitter-Konto versucht hat. Dass er kein Schweizer ist, das weiss Thiam auch. Und seine Hautfarbe kennt er so gut wie jeder von uns. Es gibt nur wenige Gründe, sich darüber zu unterhalten.