Ordnung in die Medienwelt
In seinem Buch «Lautsprecher & Widersprecher» versucht Roger Blum Ordnung in die Mediensysteme der Welt zu bringen. Der frühere Berner Medienprofessor schlägt dazu eine Aufteilung der Länder der Welt in sechs Modelle vor.
Mit Mediensystemen, also der Ordnung der Rahmenbedingungen von Medien, befasst sich Roger Blum schon lange. «Die bisherige vergleichende Mediensystemforschung war stark auf den Westen zentriert. Ich habe nun elf Kritierien formuliert, mit denen jedes Land der Welt analysiert und in ein Modell eingeteilt wird». Dass sein Ansatz dennoch Schwächen aufweist, gibt er im Buch freimütig zu. Nicht nur zwinge die geringe Anzahl der Modelle zu einer Reduktion der tatsächlichen Komplexität, es sei «geradezu waghalsig, die Mediensysteme der ganzen Welt in sechs Modelle zu pferchen». Man werde ihm deshalb «die eine oder andere Ungenauigkeit oder Fehleinschätzung nachweisen können», schreibt Blum, der hofft, dass die Debatte dazu weitergeht, denn seine Aufteilung ist natürlich nicht die erste.
Die Pole dabei sind auf der einen Seite das liberale Modell, für das die USA steht, aber auch zum Beispiel Brasilien oder Luxemburg: hier sind die Medien so frei wie nur möglich, finanzieren sich aus dem Markt, sind Widersprecher der politischen Macht. Auf der anderen Seite des Spektrums steht das Kommando-Modell, dessen Prototyp am ehesten die ehemalige Sowjetunion darstellt und wie es heute in China, Nordkorea oder Kuba zu finden ist: Die Medien werden vom Staat ununterbrochen kontrolliert und weitgehend von ihm finanziert, sie sind Lautsprecher des politischen Systems. Dazwischen definiert Blum, freiheitlich-absteigend geordnet: Medien in Public-Service-Systemen (Schweiz, Frankreich, Grossbritannien), Medien in freiheitlich-klientelistischen Systemen (Italien, Libanon, Ghana), Medien in kontrolliert-halboffenen Systemen (Russland, Türkei, Thailand) und Medien in patriotisch intendierten Systemen (Ägypten, Iran, Weissrussland).
Dass die Wahl des Medienmodells eine Auswirkung auf den Wohlstand haben könnte oder umgekehrt die Wahl des Wirtschaftsmodells auf die Medienfreiheit, zeigt eine Ordnung der vorgestellten Länder nach Pro-Kopf-Einkommen: Am meisten verdienen Menschen in liberalen Modellen wie der USA, am wenigsten in unfreien Modellen wie Nordkorea. Das liberale Modell der USA ist auch ein Innovationstreiber, wie Blum in den «Grundlagen» festhält: Ausser dem in Frankreich und Deutschland geborenen Kino gingen im Medienbereich seit dem 19. Jahrhundert sämtliche Innovationen von Amerika aus, so der erste Telegraf, das erste Interview, der investigative Journalismus, das Radio, der Aufstieg des Fernsehens zum Massenmedium, das Internet.
Wie unterschiedlich Journalismus auf der Welt ausgeübt wird, ist in den 23 Länderporträts zu erfahren, die den Kern des Buchs ausmachen und die man sich gut auch vorstellen könnte in einem auf alle Länder der Welt ausgebauten Nachschlagewerk. In Nordkorea müssen Journalisten der Staatspartei angehören, das Zentralkomitee wählt sie aus. Wenn sie «Fehler» machen, werden sie in Revolutionslager geschickt, um Stall- und Feldarbeit zu verrichten. Im Senegal werden Journalisten von denen, über die sie berichten sollen, bestochen – für die Begleitung einer Wahlkampagne von Abdoulaye Wade erhielten sie fast das Doppelte eines durchschnittlichen Journalistenlohns. In Österreich riefen FPÖ-Minister auch mal direkt in die Redaktion der Nachrichtensendung «Zeit im Bild» an, «um bestimmte Gewichtungen und Deutungen der Nachrichten durchzusetzen».
In Frankreich weist der Journalismus eine enge Verbindung zur Literatur auf. Bekannt ist auch die «Promotion canapé», also dem Einräumen von Vorteilen gegen Sex. Zwischen Politikern, die Einfluss auf die Medienberichterstattung nehmen und Journalisten, die sich in die Politik einmischen, besteht eine enge Beziehung. Und in der Schweiz beobachtet Roger Blum einen Hang zur Harmonie sowie «Rückfälle in frühere Zeiten» der Parteipresse. Rückfälle deshalb, weil sich Medien historisch gesehen erst in einer letzten Phase in Distanz zu den Parteien begeben hatten (in der Schweiz «zwischen 1970 und 1990»), während sie zuerst Organisatoren der Parteien waren und dann ihre verlängerten Arme. Die Mehrheit der Schweizer Medien charakterisiere ein «konkordantes Verhalten zum politischen System», man sei zwar «durchaus personen- und themenkritisch, aber wenig systemkritisch».
Mit viel (auch empirisch erarbeitetem) Wissen skizziert der Autor in den Länderporträts zunächst ausführlich die Geschichte und die politische Lage des jeweiligen Landes, um dann auszubreiten, welche Medien im Land existieren und wie sie miteinander verknüpft sind. Blum entfernt sich hier etwas von der strengen Medienwissenschaft und gefällt sich darin, seine Sicht der Lage darzulegen, wobei ihm seine Eigenschaft als Historiker zugutekommt. Doch mit Grund, denn erstens ist kein Mediensystem zu verstehen ohne die politischen und historischen Grundlagen und zweitens macht es das Buch lesenswert für alle, die sich mit internationalen Machtfragen befassen.
Anders als viele Werke der Medienwissenschaft ist dieses Buch nicht theoretisch-abgehoben, sondern informiert recht lebensnah über Medien und Politik der jeweiligen Länder. Sinnlose Sätze wie «Der Staat spielt eine wichtige Rolle im Mediensystem, indem er entweder stark interveniert oder durch ‹Laissez faire› wenig reguliert» (Elemente des Modells der freiheitlich-klientelistische Systeme, Seite 195) sind eine Ausnahme. Was dem Werk fehlt, sind die grundlegenden Umwälzungen der Medienwelt durch das Aufkommen des Internets. «Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt im modernen Thailand das Internet», heisst es etwa lapidar im Länderporträt von Thailand. Die Medienwissenschaft kommt hier wohl an ihre Grenzen; die raschen und fundamentalen Folgen des Medienwandels können mit traditionellen Herangehensweisen kaum noch vernünftig erfasst werden.