von Nick Lüthi

Le Service public n’existe pas

Selbstverständnis und Daseinsberechtigung der SRG gründen stark auf einem sogenannten Service public. Ein Begriff, der in der laufenden Diskussion um das Radio- und Fernsehgesetz weiter an Schärfe verloren hat. Das macht aber nichts. Denn der einzige sinnvolle und wirksame Hebel, um den Umfang des öffentlichen Rundfunks zu regulieren, ist das Geld.

Es ist immer der gleiche Stein des Anstosses. Wann immer der Service public der SRG zum Thema wird, führt die Diskussion nicht an «Glanz & Gloria» vorbei. Ein People-Magazin als Service public? Für die Verantwortlichen von Schweizer Radio und Fernsehen SRF steht das ausser Zweifel. Zurecht? Durchaus. Unterhaltung steht explizit in der Konzession als Teil des Programmauftrags. Wie diese genau auszusehen hat, entscheidet der Sender alleine. Schliesslich garantiert die Verfassung die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen.

Wenn man den Buchstaben von Verfassung und Konzession als Richtschnur bemüht, dann dürfte es eigentlich keinen Sport geben. Weder im Radio- und Fernsehartikel, noch im Programmauftrag steht namentlich irgendetwas von Sport. Das sei quasi eine Querschnittskategorie, irgendwo zwischen Unterhaltung, Information, ja sogar Kultur angesiedelt, sagen Fachleute im Bundesamt für Kommunikation. In Deutschland definiert der Rundfunkstaatsvertrag den Sport als Teil der Information. Trotz der regulatorischen Unschärfe verkörpert der Fernsehsport mit seinem Massenpublikum geradezu idealtypisch den medialen Service public.

Die Service-public-Debatte gleicht dem aussichtslosen Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Reihum müht man sich an Definitionsversuchen ab. Zwar weiss jede Fernsehzuschauerin, jeder Politiker und vor allem alle Journalisten, die über Radio und TV schreiben, ganz genau, wo die Grenze zu ziehen wäre und welche Sendungen sicher nicht als Service public durchgehen würde. Als kleinster gemeinsamer Nenner bleibt nur die Leerformel: mein Geschmack ist Service public.

Nicht viel mehr Klarheit herrscht bei der SRG selbst. Wer in offiziellen Dokumenten nach dem konstituierenden Schlüsselbegriff sucht, findet zwar eine Fülle an Erklärungen und Definitionen. Mal griffig und knapp, mal länglich und schwurbelig. Aber ein zentrales Dokument, das die Raison d’être der SRG verbindlich festhält, gibt es keines. Manchmal reichen drei Punkte, ein andermal gibt der Generaldirektor vier Antworten, aber auch Definitionen mit fünf und mehr Elementen finden sich in unzähligen Dokumenten zum Thema.

Die vom früheren Generaldirektor Armin Walpen geprägte Tautologie, was die SRG mache, sei Service public, gilt im Grundsatz auch heute noch. Somit schliesst sich ein Kreis: Die Kakophonie bei Publikum und Politik in Sachen Service public schallt letztlich nur als Echo des definitorischen Defizits bei der SRG selbst zurück.

In einer breit angelegten Übung versucht nun die Eidgenössische Medienkommission Emek das Undefinierbare zu definieren und so die Grundlagen zu liefern für jene Diskussion, die manche schon gerne vor der Abstimmung über das neue Finanzierungsmodell für den öffentlichen Rundfunk geführt hätten. Man kann der Kommission zugute halten, dass sie den ernsthaften Versuch unternimmt, sich dem Service public aus allen Richtung zu nähern.

Die bisher zusammengetragenen Dokumente und Präsentationen zeigen schon heute eine breite Auslegeordnung mit sich teils diametral entgegenstehenden Positionen. Ob der daraus zu destillierende Schlussbericht es dereinst schaffen wird, die Diskussion in Bahnen zu lenken, die am Ende zu einer konzisen Formel für einen medialen Service public führen, darf schon heute mit Fug und Recht bezweifelt werden. Davon geht auch Doris Leuthard aus, wenn sie sagt: «Ich persönlich glaube nicht, dass wir zu völlig neuen Erkenntnissen gelangen».

Der Aufwand wird sich allerdings auch dann gelohnt haben, wenn dabei herauskommen sollte, dass die geltende (Nicht)-Definition mit den Bestimmungen in Verfassung, Gesetz und Konzession grundsätzlich für die Zukunft taugt. Den Mix zwischen zielgruppenspezifischer Nischenproduktion und massentauglichem Kitt, der das Gesamtpaket zusammenhält, darf nicht die Politik als heimlicher Programmdirektor diktieren. Hierzu braucht die SRG maximale redaktionelle Freiheit, sonst droht sie die Unabhängigkeit als ihr wichtigstes Grundsatz.

Das heisst aber nicht, dass alle Türen und Tore offen stehen sollen. Im Gegenteil. Die SRG braucht Schranken. Und zwar verbindlichere als bisher. Während der letzten zwanzig Jahre wuchs das Angebot unablässig und in alle Richtungen. Mehr von allem, lautete die Devise. In einer ersten Phase unter Generaldirektor Armin Walpen stand der Expansionsdrang vor allem im Zeichen der Machtpolitik: lancierten Private ein neues Angebot, zog die SRG sofort nach. Daneben erfolgte der kontinuierliche Auf- und Ausbau «eigenständiger Online-Welten». Heute gilt das breite Angebot als Abwehrdispositiv gegen globale Giganten wie Google, Facebook & Co.

Als wirksames Instrumente, den Aktionsradius des öffentlichen Rundfunks abzustecken, bieten sich die Finanzierung und eine strengere Aufsicht an, mit dem Ziel einer effizienten SRG. Das wiederum würde die Akzeptanz bei Politik und Publikum stärken. Ein schlankes Unternehmen bietet weniger Angriffsflächen als eines, das den Eindruck erweckt, es leide an strukturellem Übergewicht. Konkret könnte das bedeuten, die Finanzierungsbeiträge (unabhängig davon, ob Gebühr oder Abgabe) von Haushalten und Unternehmen substanziell zu reduzieren, zum Beispiel auf 200 Franken pro Haushalt und Jahr und für Unternehmen proportional weniger zur heutigen Bemessung.

Grundsätzlich geniesst die SRG bis heute eine grosse Akzeptanz. Gleichzeitig waren aber noch nie so viele Stimmen zu vernehmen, die tiefere Gebühren verlangen. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse einer Umfrage von tagesanzeiger.ch/Newsnet. Der weitaus am häufigsten genannte Betrag, den die Umfrageteilnehmer bereit wären zu zahlen für die Nutzung von Radio und Fernsehen, lag bei 200 Franken. Während der Nationalrat eine Petition mit genau dieser Forderung vor vier Jahren mit 107 zu 56 Stimmen ablehnte, könnte eine Plafonierung der Gebühren schon bald wieder aufs Tapet kommen, etwa als Gegenvorschlag zur radikalen «No Billag»-Initiative, die eine Abschaffung der SRG verlangt.

Als partielle Kompensation für die wegbrechenden Mittel könnte der SRG Online-Werbung erlaubt werden. Ein Schritt, den der Bundesrat in den letzten Jahren bereits mehrfach grundsätzlich gutgeheissen hat, aber noch zuwartet mit dem grünen Licht. Wenig Freude an einer Ausweitung der kommerziellen Aktivitäten hätten selbstverständlich die Verleger. Wegen deren Widerstand befindet sich die SRG mit der Online-Werbung weiterhin in der Warteschleife. Nur: Ein Verbot hiesse auf längere Sicht de facto ein komplettes Werbeverbot für die SRG, weil die Nutzung der linearen TV-Programme kontinuierlich ab- und jene der digitalen Plattformen zunimmt und die Werbegelder diese Bewegung auch mitmachen, wenn auch nicht linear.

Wer den Finanzierungsmix des öffentlichen Rundfunks aus Nutzerabgabe und Werbeeinnahmen grundsätzlich für richtig hält, muss irgendwann Online-Werbung zulassen. Den richtigen Moment dafür gibt es nicht. Für die einen ist es immer zu früh und für die anderen schon jetzt zu spät. Ein medienpolitisch sinnvoller Anlass für diesen Schritt wäre dann, wenn auch andere Elemente der Finanzierungsmodalitäten angepasst würden. Unabhängig davon wie die Abstimmung über den Systemwechsel bei den Radio- und TV-Gebühren ausfällt, bleibt das Thema Rundfunkfinanzierung in den nächsten Jahren ein heisses Eisen.

Für einen effizienteren und letztlich verfasssungsgemässeren Mitteleinsatz (Art. 93, Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf andere Medien) könnte sich die SRG auf ihre eigene Maxime besinnen. Sie erbringe Leistungen, stand im Geschäftsbericht 2011, «die der Markt nicht erbringt». In einem dualen Rundfunksystem, wo private und öffentlich finanzierte Medienunternehmen nebeneinander auskommen müssen, erfordert dies die maximal mögliche Rücksichtnahme des privilegierten Akteurs auf die Konkurrenz. Umso mehr in einem kleinen Medienmarkt wie dem schweizerischen, wo den rein kommerziellen Medien klare (Sprach)grenzen gesetzt sind. Da diese Rücksichtnahme nicht von selbst erfolgt, müsste man hier gesetzlich und regulatorisch nachhelfen, damit nicht die SRG allein definiert, welche Leistungen «der Markt nicht erbringt».

Ein kleines, aber symptomatisches Beispiel, das zeigt, wo Sparpotenzial besteht, ohne dass damit die SRG strukturell geschwächt würde. Seit einem Jahr bietet das Schweizer Radio und Fernsehen eine Meteo-App an, kostenlos und werbefrei. Nun gab es bereits zuvor zahlreiche andere, teils kostenpflichtige, aber durchaus vergleichbare Wetterdienste für das Smartphone. Dass die Wetterprognosen ein integraler Bestandteil des Radio- und Fernsehprogramms darstellen, stellt niemand in Frage. Für eine App besteht hingegen null Notwendigkeit. Die Meteo-App sei selbstverständlich konzessionskonform und damit Teil des Service public, versichert SRF. Was auch zeigt: Zur Definition des Angebotsumfangs des öffentlichen Rundfunks taugt der Begriff nicht. Gelegenheit, den Umfang des SRG-Angebots neu zu definieren, biete sich schon bald, wenn 2017 die geltende Konzession ausläuft.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 15. Juni 2015, 15:00

Eine ausgezeichnete Zusammenfassung am Tag 1 nach der RTVG-Abstimmung. Und um die heutige SRG zu verstehen fällt mir vor allem dieser Satz von Nick Lüthi auf:

“Während der letzten zwanzig Jahre wuchs das Angebot unablässig und in alle Richtungen. Mehr von allem, lautete die Devise. In einer ersten Phase unter Generaldirektor Armin Walpen stand der Expansionsdrang vor allem im Zeichen der Machtpolitik: lancierten Private ein neues Angebot, zog die SRG sofort nach. Daneben erfolgte der kontinuierliche Auf- und Ausbau «eigenständiger Online-Welten».“

Abgesehen davon, dass die SRG schon 1983 – also vor über DREISSIG Jahren, bei der Einführung der „offiziellen“ Lokalradios mit DRS3 – unablässig expandierte, zeigt der Autor auf, dass die SRG von einem falschen Konkurrenzdenken gelenkt wird.

Eigentlich ist der Service public eine fruchtbare Marktnische, und reichlich Gebühren-finanziert, liesse sich die Qualität des Service public auch immer weiter erhöhen. Was aber geschah, war nicht die Erhöhung der Qualität, sondern der Quantität.

Ein, maximal zwei Sender pro Sprachregion, würden vollauf genügen, um den „nationalen Kitt“ zu bilden. Sie würden gar verdichten, also verbessern. Doch die SRG geht weiter und breitet sich jetzt auch im Internet (wo die Privaten Medienhäuser den Service public bereits in einer grossen Vielfalt besorgen) unstatthaft aus.

Weniger wäre mehr.

bugsierer 15. Juni 2015, 20:01

tolles stück, danke.

ob glanz & gloria gekippt wird, ist mir eigentlich wurscht, aber die machart verrät viel über den leutschenbach.

viel wichtiger wäre mir eine qualitätsoffensive in den „ernsten“ fächern. allen voran müsste man 10vor10 journalistisch aufpeppen. beim club ist eine komplett überforderte moderatorin am werk. ein klapproth bei sternstunde philosophie ist eine zumutung und eine protegierte fehlbesetzung. die kindergartisierung von einstein mit den z.t. unsäglichen acting-reporter-storys sollte korrigiert werden. die verherrlichung des landlebens von srf bi de lüt ist realitätsfern. der kulturplatz könnte etwas mehr bodenhaftung und einen mann als zweiten moderator vertragen. ich kenne keinen bücherwurm, der den literaturclub noch mag oder ernst nimmt. das wort zum sonntag und die ziehung der lottozahlen gehören an diesem sendeplatz (sa abend primetime) abgeschafft.

Thomas Läubli 26. Juni 2015, 00:34

Ich kann mich dem bugsierer anschliessen. Die SRG hat ein Stück weit selber dazu beigetragen, dass sie nicht mehr überall ernst genommen wird. Ein Beispiel dafür ist auch die Nivellierung von DRS2 von oben herab zu „SRF2Kultur“, der aufgrund des Bildungsdünkels seiner Funktionäre zu einem weiteren Plappersender ohne Anspruch und ohne breitere Zeitfenster zu verkommen droht.

Die Service-Public-Debatte wird allerdings einseitig geführt, wenn man nur überlegen soll, was Sache des Staates sei und was nicht. Es ist genauso mit Nachdruck eine Debatte darüber zu fordern, was denn eigentlich die privaten Medien leisten sollten. Schliesslich subventionieren wir diese Sender ebenfalls via Umverteilung der Kundengelder zur Werbung. Dafür bekommen wir von den Online-Zeitungen oft nur billiges Entertainment (von anspruchsvoller Kultur keine Spur, und wenn, dann nur, um Kulturschaffende lächerlich zu machen), PR-Artikel (siehe z.B. Autos, auf Einladung gefahren) sowie Politpropaganda, die von Schreibwerkstätten (für den aufmerksamen Beobachter hat sich seit den bezahlten Studenten von Economiesuisse nichts geändert, und die Redaktionen denken aus Kalkül nicht daran, die Kommentarforen zu personalisieren!) unterstützt wird.

Die Trennung von öffentlichen und privaten Medien verschleiert hier Machtinteressen, die unseren Land und seiner demokratischen Kultur Schaden zufügen. Es ist ein Skandal, was man sich von den privaten, aber öffentlich zugänglichen Medien alles gefallen lassen muss, und wie es gewisse Journalisten nur noch darauf abgesehen haben, bestimmte Gruppierungen gezielt zu demütigen.