Die neue Nähe
Kommerzielle Inhalte werden auch in Zukunft den Medien als wichtige Erlösquelle dienen. Aber statt abgegrenzte Werbeflächen, werden harmonischere Native-Advertising-Formate gefragt sein. Doch dann braucht es dringend auch neue Spielregeln.
Es ist verständlich, dass die Medienhäuser mit dem Begriff Content Marketing ihre Mühe haben. Was soll denn das jetzt bedeuten, wenn Unternehmen, die ursprünglich mit Journalismus nichts am Hut hatten, nun plötzlich mit eigenen redaktionellen Inhalten an die Öffentlichkeit drängen? Die sollen doch gefälligst Inserate buchen, fürs Redaktionelle sind die «richtigen», unabhängigen Journalisten zuständig. Und doch können die Medien nicht umhin, sich mit dem Thema zu beschäftigen, denn die klassischen Werbeinserate werden immer weniger und die – im weitesten Sinne – publizistischen Ambitionen der Unternehmen immer grösser.
Bei aller Veränderung im Kommunikationsverhalten der Unternehmen, ist doch der Wunsch nach Reichweite und Kontaktqualität geblieben. Ebenso konstant ist die Abhängigkeit der Medien von den Streubudgets der Wirtschaft. Also geht es darum, dass sich die Publizisten auf Firmenseite mit den Publizisten auf Verlagsseite irgendwie arrangieren. Und genau da wird es hochbrisant. Wie rot ist der Teppich, den die Medienhäuser für bezahlten Content ausrollen? Was lässt sich mit dem Berufsethos einer unabhängigen Presse vereinbaren und was mit den kaufmännischen Sachzwängen nicht?
«Publireportage, kennen wir doch»
Aber was erwarten diese Content Marketer selber von den Medien? Am liebsten würden sie wohl an den Redaktionsmeetings teilnehmen und ihre eigenen Ideen einbringen. So weit wird es hoffentlich nicht kommen. Das Schlüssel- und Reizwort in diesem Zusammenhang heisst Native Advertising. Unter Native Advertising versteht man Werbung, die im redaktionellen Umfeld nicht als störende Werbung hervorsticht, sondern integrativ mit ihm verschmilzt. Also keine grossflächigen Bilder mit photoshop-veredelten Models oder blinkende Banner mitten im Lesefluss, sondern gewohnte Augen- und Ohrenkost ohne formale Extravaganz, schwerelos im Auge des Betrachters.
Für gestandene Verleger und Werbeprofis riecht das nach altem Wein in neuen Schläuchen: «Publireportage, kennen wir doch». Die Publireportage oder das Advertorial kann man durchaus als eine Form des Native Advertising bezeichnen. Allerdings von der Sorte, die weder die Leser noch die Content Marketer freudig stimmt. Allzuoft haben Unternehmen den journalistischen Jargon und die typografischen Look-alikes genutzt, um lobende Worte über Produkte und Unternehmen als «offiziell» erscheinen zu lassen. Die meisten Leser durchschauen den oft ätzenden Approach gähnend. Die Verleger kriegen bei der Durchsicht wohl leicht gerötete Ohrläppchen, nehmen sich aber mit dem mehr oder weniger gut sichtbaren Vermerk «Anzeige» aus der publizistischen Verantwortung. Der Kunde bezahlt ja die Fläche, also darf er da auch machen, was er will. Und wer selber nicht zensuriert werden will, ist gerne tolerant, schliesslich gibt es Geld dafür.
Keine Schleichwerbung
Für einen überzeugten Content Marketer ist die Publireportage nach alter Väter Sitte ein totaler Unsinn. Wer die tägliche Anstrengung auf sich nimmt, im Namen eines Unternehmens hoch- und mehrwertige Inhalte zu publizieren, damit dessen Reputation langsam aber stetig steigt, hat für plumpe Publireportagen nur Verachtung übrig. Sie möchten Inhalte schaffen, die qualitativ im redaktionellen Umfeld bestehen und die Lesererwartung erfüllen, und sie sind bereit, für die höhere Reichweite Geld zu investieren. Wenn die Medien auf dieses Bedürfnis aber mit dem alten Publireportage-Angebot reagieren, werden sich die Content-Marketer nach anderen Optionen umsehen – die Auswahl ist gross. Denn mit der Kennzeichnung «Werbung» oder «Publireportage» möchte man nicht abgekanzelt und mit Schleichwerbern schon gar nicht in einen Topf geworfen werden.
Aus diesem Blickwinkel sind die Medien vielmehr angehalten, ihr Haus gepflegt zu halten, wenn sie fürs Content Marketing attraktiv sein wollen. Das funktioniert nur, wenn die Medienhäuser für den Einlass von externen Inhalten klare und verbindliche Spielregeln aufstellen, die nichts mit einer Geldüberweisung zu tun haben. Der Journalist und Autor René Zeyer schreibt: «Durch Schleichwerbung wie Branded Content oder Native Advertising verspielen die Medien ihre Glaubwürdigkeit.»
Mit dem selben erhobenen Zeigefinger wenden sich die Verfasser der «New Clues» an Werbetreibende: «Wenn du Native Ads platzierst, untergräbst du nicht nur deine eigene Vertrauenswürdigkeit, sondern auch die Vertrauensbasis für ein ganz neues Miteinander». Beide haben recht, wenn sie Native Advertising als das sehen, was ungezügelte Werber daraus machen und nicht als das, was selbstbewusstes Verlegertum und ernsthaftes Content Marketing daraus machen könnten. Die Medienkonsumenten, und um die geht es ja auch noch, lesen gemäss Hansi Voigt von Watson ohnehin «… nur das, was sie interessiert und nicht das, was Werber wollen.»
Neue Spielregeln
Diese verlegerischen Regeln müssen so gestaltet sein, dass die Kennzeichnung «Anzeige» oder «Publireportage» in keiner Weise mehr passt. Bereits etabliert ist «Sponsored Content», «Präsentiert von …» oder «in Zusammenarbeit mit …». Aber da wäre noch Platz für neue Ideen. Warum nicht «Ein Beitrag der Firma Huber, geprüft von unserem Wirtschaftsredaktor Peter Müller» (wobei Peter Müller das Recht hätte, einen solchen Artikel zurecht zu stutzen oder auch gänzlich abzulehnen).
In Anlehnung an Bewertungsplattformen wäre auch eine Beizeile wie «Firmenbeitrag mit Redaktorenrating 5,4» denkbar. Das wäre ein Ansporn für Werbetreibende, sich Mühe zu geben. Dass ein fremdfinanzierter Artikel als solcher deutlich gemacht werden muss, ist auch bei vorbildlicher Qualität im Sinne der Transparenz nötig. Ausserdem liegt es auch im Interesse der zahlenden Firma, mit ihrem Content in Verbindung gebracht zu werden.
Neue Regeln setzen auch neue Prozesse voraus. In der Schweiz schreitet beim Thema Native Advertising das Newsportal Watson voraus. Will hier zum Beispiel ein Unternehmen als Content Sponsor auftreten, kann es zwar die thematischen Leitplanken vorgeben; die Redaktion aber entwickelt die konkreten Vorschläge zur möglichen Aufmachung. Und zwar in einem Blindverfahren: Die Journalisten wissen nicht, um welchen Auftraggeber es sich handelt und gehen so unbeeinflusst ans Werk. Der zahlende Kunde indessen kann lediglich aus dem Brainstorming der Redaktion die passendste Umsetzungsidee aussuchen. Andrerseits erfahren die Macher erst nach Fertigstellung, wer der Sponsor hinter ihrer eigenen Story ist. So bleibt die Unabhängigkeit gewahrt, und die Firma profitiert vom Imagetransfer eines hochwertigen Artikels, der vielleicht ohne Sponsor gar nicht zustande gekommen wäre.
Solche Win-win-win-Situationen sollten die Verlage vor Augen haben, wenn sie sich mit zeitgemässen Werbeformen auseinandersetzen. Es ist anspruchsvoll, das Arrangement zwischen Wirtschaft und Medien neu zu erfinden. Aber es ist höchste Zeit, es zu tun.