Aufruf zum Gemeinsamen
Übergriffe auf Journalisten häufen sich – nicht nur in Deutschland. Eine brandgefährliche Entwicklung, die jeden Medienschaffenden persönlich betrifft. Und die Pressefreiheit. Nun heisst es gemeinsam Einstehen für die elementare zivilisatorische Errungenschaft der freien Rede. Ein Aufruf.
Im Kampf um die Lufthoheit über die öffentliche Meinung spielen die redaktionellen Medien weiterhin eine entscheidende Rolle. Als Transmissionsriemen, Multiplikatoren und Pulsgeber. Daneben existiert bereits ein weitgehend rechtloser Sumpf von asozialen Hetzplattformen wie Facebook und Co., wo der Kampf um Sitte und Anstand längst verloren ist.
Zum Alltag auch in seriösen Massenmedien gehört, dass jede Seite jeder anderen vorwirft, Stimmung zu machen, Hetze zu betreiben, mitverantwortlich zu sein für Extremismus, Übergriffe, Gewalt, ja möglicherweise für zukünftige bürgerkriegsähnliche Unruhen.
Objektive Umstände wie Staatsverschuldung und Arbeitslosenheere, immer grösser werdende gesellschaftliche Randgruppen von Verlierern mit ihren Zukunftsängsten sorgen unabhängig davon für ein raues Klima. Vielleicht ist es dort einfach am besten dokumentiert, aber in letzter Zeit häufen sich in Deutschland Übergriffe auf Medienschaffende, werden sie beschimpft, angerempelt, bei ihrer Arbeit behindert, ja sogar tätlich angegriffen. Zuletzt „Tagesspiegel“-Kolumnist Helmut Schümann, der in Berlin-Charlottenburg als «linke Drecksau» beschimpft und dann von Unbekannten niedergeschlagen wurde.
Das ist nicht mehr länger der Moment für gegenseitige Schuldzuweisungen wie «rechtskonservativer Kampfjournalist» versus «linker Gutmensch». Das ist der Moment für einen Aufruf, tatsächlich für Kampfmassnahmen. Zur Verteidigung der Pressefreiheit, neben der Gewaltentrennung wohl unsere wichtigste zivilisatorische Errungenschaft in Kerneuropa. Es obliegt den staatlichen Ordnungsorganen, wem denn sonst, das ungehinderte Arbeiten von Journalisten zu gewährleisten. Nicht, weil ein attackierter Journalist etwas Besonderes oder Wertvolleres als jeder andere Mensch wäre. Sondern weil ein Angriff auf ihn ein Angriff auf die Pressefreiheit ist. Greift der Staat hier nicht konsequent durch, versagt er in seinem Kern.
Es obliegt sämtlichen Beteiligten am öffentlichen und politischen Meinungsprozess, solche Übergriffe auf das schärfste zu verurteilen. Es obliegt sämtlichen journalistischen Standesorganisationen, Redaktionen, ja allen Journalisten, alle ihnen zur Verfügung stehenden Massnahmen zu ergreifen, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ein Aufruf wie dieser hier kann nur der Anfang sein. Es braucht mehr, viel mehr. Öffentliche Wortmeldungen, Manifeste, Demonstrationen, Streikmassnahmen. Sonst kehren auch auf einer der letzten Inseln der Pressefreiheit, in Kerneuropa, Zustände wie in weiten Teilen der übrigen Welt ein.
gaem 05. November 2015, 18:46
ein sehr guter artikel
Thomas Läubli 07. November 2015, 00:44
Ich bin nicht bereit, eine Pressefreiheit zu verteidigen, die sich selber zum Anwalt von Beleidigungen, Bashing von Andersdenkenden und (politisch motivierten) Empörungsjournalismus macht. Dieser Ton hat Einzug gehalten mit der Weltwoche und ist mittlerweile auch auf die Tageszeitungen übergeschwappt. Im speziellen werden in den Onlineforen der Gratiszeitungen Wutbürger geradezu gefördert, während anspruchsvollere Voten oft der Zensur zum Opfer fallen. Mittels Schreibwerkstätten wird der Diskurs in die gewünschte Richtung gelenkt, was die Macher fahrlässig oder gezielt zulassen. Dies hängt wiederum damit zusammen, welche Art von Werbung auf dem Portal angeklickt werden soll.
Der Werbezahler zahlt also dafür, dass er die politisch korrekte Meinung vorgekaut erhält, i.e. die rechtsbürgerliche Meinung über Themen wie Billag, SRF, SBB, Parkbussen, Autoverkehr, Abgasanlagen, Antirassismusstrafnorm, akademische Elfenbeintürme, abgehobene Intellektuelle, wahnsinnige Literaten, schmarotzende Staatskünstler, dumme wissenschaftliche Studien etc. etc. Ein Blick in eine bekannte Gratiszeitung genügt, um dies zu verifizieren.
Dass damit – wie Medienbeobachter treffend feststellen – der demokratische Diskurs durch manipulative Praktiken unterwandert wird und dass die Medien durch ihre Politisierung an Sachlichkeit einbüssen, müssen die betreffenden Journalisten der gekauften und dank Verwaltungsräten nach rechts gerutschten Medien gleich auch noch lächerlich machen, um nicht darüber diskutieren zu müssen. In dieser Hinsicht sollten sich Medienschaffende und Politiker hierzulande zuerst selber an der Nase nehmen, bevor sie auf einen Strohmann eindreschen.