von René Zeyer

Vernetzte Dummheit?

Immer mehr Menschen schlagen ob der unendlichen Dummheit in den Kommentarspalten der Medien und auf sozialen Plattformen im Internet die Hände über dem Kopf zusammen. Jüngst auch Sascha Lobo in seiner «Spiegel Online»-Kolumne. Ein ganz falscher Ansatz.

Seit das Internet zu dem geworden ist, was sich Netzeuphoriker und Optimisten schon immer gewünscht hatten, nämlich eine Plattform, wo sich alle jederzeit über alles austauschen und auslassen können, gehört es zum guten Ton, sich über das mentale Grounding der Menschheit zu beklagen. Vor zehn Jahren bezeichnete Starwerber Jean-Remy von Matt die Blogs als «Klowände des Internets» – und zog einen Shitstorm der empörten Blogger auf sich. Heute würden ihm mit Blick auf die Kommentarspalten viele beipflichten.

Shitstorms, abstruse Verschwörungstheorien, Gerülpstes und Gekotztes, meist in bedenklicher Orthographie und frei von jedem Realitätsbezug, jeder Logik oder Kausalität, ergiesst sich ins Internet und über alle sogenannten sozialen Plattformen. Im deutschen Sprachraum noch um die Besonderheit ergänzt, dass auch eine Diskussion über Kochrezepte oder Briefmarkensammeln spätestens beim zehnten Kommentar einen Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit enthält – Godwin lässt grüssen.

Selten bis nie ergibt sich eine anregende Diskussion, entweder herrscht die Grundhaltung vor «das wollte ich schon immer mal sagen», oder die Kommentarschreiber oder Poster verbeissen sich schnell in Privatscharmützel, bei denen das einzig erkennbare Ziel zu sein scheint, verzweifelt das letzte Wort zu behalten und allen anderen Saures zu geben. Nicht selten sind sogar pathologische Fälle, in denen die gleiche Person unter verschiedenen Pseudonymen mit sich selbst diskutiert.

Der «Spiegel»-Online-Kolumnist Sascha Lobo spricht sogar vom «Deppenmagnet deutsches Facebook» und schliesst seine aktuelle Kolumne mit einem verzweifelten Hilferuf: «Bitte, mindestens durchschnittlich Begabte, kommt zu uns ins Netz! Diskutiert mit, redet mit, zeigt euch! Lasst uns nicht allein mit den stumpfen Horden. Kommt! Wir halten nicht mehr lange durch im digitalen Stalingrad der Vollidiotie.»

Hat er recht? Ich meine, nein. Sein Hilferuf ist nämlich durch die Enttäuschung motiviert, dass er «die breite Bevölkerung dieses Landes bisher für kognitiv geschmeidiger halten wollte». Etwas weniger verschwurbelt ausgedrückt, will er uns damit sagen: Ich wusste nicht, dass ich von so vielen Deppen umzingelt bin. Damit wären wir bei einer klassischen Huhn-oder-Ei-Frage angelangt: Verdummt das Internet oder führt es uns nur die auch schon vorher vorhandene Dummheit breiter Bevölkerungskreise vor Augen? So kann man diese Frage nicht stellen, hätte Elder Statesman Helmut Schmidt selig in souveräner Arroganz geantwortet.

Das Internet führt nämlich Kolumnisten, Feuilletonisten, Meinungsträgern und Publizisten nur vor Augen, dass sie vor sehr kleinen Lagerfeuern wilde Kriegstänze aufführen, die die überwältigende Mehrheit der Zeitgenossen schlichtweg einen feuchten Dreck interessieren. Wobei eigentlich überall, wo die Einladung existiert, munter kommentiert wird. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne eines Europäers liegt bei ca. 60 Sekunden, bei Jugendlichen im Internet bei acht Sekunden. Fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes der Dichter und Denker ist nicht in der Lage, einen einfachen Satz mit Nebensatz nach Lektüre problemfrei wiederzugeben. Schon am Wort «kognitiv» scheitern mindestens so viele. Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Absondern eines Kommentars im Internet das Überspringen einiger technologischer Hürden, die Beherrschung einer Tastatur sowie Zeit und Energie zur Voraussetzung hat.

Das «digitale Stalingrad der Idiotie», das Lobo beklagt, wird also nur von Idioten betreten, die zumindest weniger blöd als weite Kreise der Bevölkerung sind, die nicht im Traum daran denken würden, etwas ins Netz zu stellen und wohl dazu auch gar nicht in der Lage wären. Um das Stalingrad herum liegen noch unendliche Weiten. Abgesehen davon, dass dem tapferen Kämpfer gegen Idiotie hier selbst eine idiotische Metapher eingefallen ist: In Stalingrad hat ja nicht die Dummheit, sondern das Gute gesiegt.

Wen meint nun Lobo mit «wir», denen geholfen werden sollte? Nun, offenbar alle Menschen, die wie er und wie ich das Bedürfnis haben, ihre Meinung, ihre Ansichten, ihre Analysen oder was auch immer als Autoren, Journalisten, Schriftsteller einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen. Das Vertrackte am Schreiben ist ja, dass man sich nur ungern den Papierkorb oder die Festplatte als geeigneten Empfänger vorstellen will. Man gibt sich vielmehr der Illusion hin, dass ein zweifellos bedeutendes, gut lesbares und wichtiges Werk von möglichst vielen aufmerksam gelesen, verstanden, rezipiert wird und einen unverzichtbaren Beitrag zur Aufklärung, zur Beförderung von Erkenntnis und überhaupt zur Besserung der Menschheit darstellt. Das interaktive Internet ist nur ein gnadenloser Spiegel, der jedem Autor, jedem Journalisten die Reaktion des breiten Publikums auf seine Werke vor die Nase hält.

Im vordigitalen Zeitalter konnte man sich in kleinen Kreisen von Gleichgesinnten am Lagerfeuer der eigenen Bedeutung erwärmen, erhielt vielleicht auch Zuspruch aus dem eigenen sozialen Umfeld, das man mit der Frage belästigte: «Hast du meinen letzten Artikel schon gelesen?» Wurde das dann noch durch gelegentliche Zuschriften von mehr oder weniger begeisterten Lesern ergänzt, war man sich sicher: Das hat aber in der breiten Öffentlichkeit für Hallo gesorgt. Das Internet tut nun nichts weiter, als einen brutal aus dieser Illusion zu reissen.

Der Leser von Geschriebenem, der es zu Ende liest und sogar ansatzweise verstanden hat, ist eine klitzekleine Minderheit, die «happy few», wie das Stendhal nannte, als man ihn fragte, für wen er eigentlich schreibe. Was sich ins Internet ergiesst, ist also keinesfalls Anlass, «o tempora, o mores» zu rufen, über kognitive Defizite zu lamentieren oder nach Hilfe zu rufen. Im Gegenteil. Es ist heilsam und fördert Erkenntnis. Die Einsicht, dass die Letztbegründung fürs Schreiben ganz banal ist: Man tut’s, weil man muss und eigentlich auch nichts anderes kann.

Leserbeiträge

Kaspar 31. Januar 2016, 10:47

Als ich las, das es in den Kommentaren der Online-Medien keine richtigen Diskussionen gebe, zu dem Thema übrigens bei weitem nicht der erste Artikel den ich lese, ging mir mal wider ein Gedanke durch den Kopf:

# Warum wird denn nicht Diskutiert in den Kommentarspalten der Online-Zeitungen?

Ehrlich gesagt, ist mir das völlig klar, denn es sind ja eben Kommentarspalten, und technisch geben diese halt leider nur wenig mehr her, als ein «Senf»-Abort zu sein.
Will das Medium mehr als das, muss der Herausgeber meiner Meinung nach technisch seinem User auch die Möglichkeit dazu bieten.

# golem.de und heise.de

Für mich zwei Beispiele aus der IT-Online-Presse, die das was ich meine in ihren Kommentarspalten zu einem gewissen Teil umsetzen.

1. Es muss für die User mittels einer Baumstruktur klar ersichtlich sein, wer wem auf was genau antwortet.
2. Es muss möglich sein ein Zitat dessen, auf das man antworten will ein zu fügen.
3. Es sollte eine strikte On-Topic-Regel geben. Thread-Starter müssen sich an den Artikel halten, alles andere fliegt raus oder wird gar nicht erst auf geschaltet.
4. Die, welche auf den Thread-Starter antworten, müssen sich nach dem gleichen Regelwerk auch an genau das Thema auf das sie Antworten halten. Alles andere kann auch verschwinden oder gar nicht erst auftauchen.
5. Jeder soll für sich selber entscheiden dürfen, was er lesen möchte:
– Die User können, für sich selber, Kommentare/Postings anderer User, die sie nicht sehen möchten unsichtbar machen.
– Wenn sie überhaupt keine Postings eines bestimmten Users mehr sehen wollen, dann können sie dessen Postings für sich auch komplett verschwinden lassen.

So wird es, da bin ich mir sicher, noch immer ausreichend User «Diarrhö» geben, da mache ich mir keine Illusionen. Aber, ich bin der Meinung das so wenigstens auch das andere erheblich besser möglich wäre, und hätten die User das neue Paradigma einmal besser kennen gelernt, würde es wohl auch mehr konstruktive Diskussionen geben.

So, das war jetzt halt wider mal meine «Diarrhö». Hoffentlich war es, trotz meiner Orthographischen unzulänglichkeiten für Literatur-Sensible ertragbar.

Grüsse

Kaspar