«Fatale Allianz zwischen Medien und Politik»
Das Fernsehen habe als Aufklärungsmedium ausgedient, Quote und Konformität erzeugten eine «Seichtigkeitsspirale», diagnostiziert der frühere ZDF-Mann Wolfgang Herles. Verantwortlich dafür sei massgeblich die gleich gelagerte Eitelkeit von Sendungsmachern und Politikern, schreibt Herles in «Die Gefallsüchtigen». Seine Vorschläge würden die Sache aber nicht besser machen, sondern die Unabhängigkeit der Sender erst recht gefährden.
Wolfgang Herles, 1950 geboren, war einer derjenigen, der im ZDF über viele Jahre Verantwortung trug. Er war 1984 stellvertretender Hauptredaktionsleiter Innenpolitik und übernahm 1987 das Hauptstadtstudio des ZDF in Bonn. Schliesslich wurde Herles Redaktionsleiter für Kultur, u. a. zuständig für das Magazin «Aspekte». Pünktlich nach seiner Pensionierung im September letzten Jahres liegt nun sein Buch «Die Gefallsüchtigen» vor. Obwohl er beteuert, dass es sich nicht um eine «Abrechnung» handele, geht er hierin kritisch mit dem Journalismus im Allgemeinen und den öffentlich-rechtlichen Sendern im Besonderen ins Gericht.
Dabei bringt der vermeintliche Insiderblick zunächst nur Bekanntes. Herles beginnt mit dem «Quoten-Hut», vor dem «jeder, der im ZDF arbeitet, das Haupt zu neigen» habe. Zwei Zahlen dominierten die Agenda der Programplaner: Die Anzahl der Zuschauer und der Marktanteil, den eine Sendung erreicht habe. Alles habe sich diesem Diktat zu beugen. Aus dem Fernsehen, dem einstigen «Werkzeug der Aufklärung», sei ein zahlen- und quotensüchtiges Monstrum geworden, das alles diesem Fetisch unterordne, um zum einen Werbeeinnahmen zu generieren und zum anderen die Gebührenmilliarden zu rechtfertigen.
Längst würden, so Herles These, auch die Informationsprogramme mit dem Quotenwahn kontaminiert und boulevardisiert. Dabei stehen den öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland mit insgesamt 8,3 Milliarden «Haushaltsabgabe» im Jahr 2014 (das Buch nennt Zahlen aus 2013) enorme finanzielle Mittel zur Verfügung, die qualitativ hochstehendes und unabhängiges Schaffen ermöglichen sollten. Anspruchsvolles Programm werde jedoch maximal noch in Nischen- und Spartensendern versteckt. «Versimpeln, Personifizieren, Emotionalisieren» – dies seien inzwischen die gepflegten Massstäbe der Berichterstattung. Komplexe Probleme werden reduziert auf «Betroffenheit, Mitgefühl, Entsetzen».
Diese Simplifizierungen seien von den Medien gewollt, um eine möglichst hohe Einschaltquote zu erreichen. Andererseits entspräche sie auch dem Willen grosser Teile der Politik. Herles findet durchaus aktuelle Beispiele für eine Angleichung von politischer mit der journalistischer Rhetorik, etwa wenn sich auf einem Parteitag für sechs Präsidiumsposten sieben Bewerber einfinden, wird der sich in die Parteitagsregie «hineindrängende» Kandidat als «Störenfried» dargestellt und dabei exakt der Duktus der Parteiführung übernommen.
Nach Herles ist das Fernsehen zur Bühne gefallsüchtiger Individuen aus Politik und Medien geworden, die in einer Wechselbeziehung zueinander stehen: «Zwischen Medien und Politik hat sich eine fatale Allianz gebildet. Sie kommt nicht primär von politischer Nähe zwischen Journalisten und Politikern. Vielmehr ist sie die Folge der Gefallsucht auf beiden Seiten. Die einen sind auf der Jagd nach Reichweite und Auflage, die anderen nach Zustimmung von politikmüden Bürgern. Die Medien werden von denselben Strömungen bewegt und geformt, die auch unsere politischen Parteien und Institutionen prägen.»
Politiker vernachlässigen die Parlamentsdebatten und gehen lieber in Talkshows, die wie Soaps inszeniert werden (einzelne Teilnehmer werden vorab nach ihrer Meinungstauglichkeit gecastet). Journalisten kreieren Etiketten für Ereignisse oder Protagonisten; ein Schlagwortjournalismus, der «Denkschablonen» erzeugt, die es dem Zuschauer «ersparen (…) Ereignisse zu hinterfragen, abzuwägen und einzuordnen. Sie sind verkoppelt mit Einstellungen und Vorurteilen, die schwer zu erschüttern sind».
Zuschauern wird ein Ereignis nicht einfach zur Kenntnis gebracht, sondern sofort eine Verknüpfung mit «weitreichenden Vorstellungen und Gefühlen» suggeriert. So werden Assoziationen hervorgerufen, die komplexe Sachverhalte radikal vereinfachen. Ein Sturm oder Tornado werde meist, so Herles‘ Beispiel, mit dem Klimawandel verknüpft. Und spätestens seit der Ukraine-Krise genüge die Erwähnung des russischen Präsidenten Putin, um entsprechende Reaktionen hervorzurufen. «Verdichten, Verkürzen, Verfälschen», nennt er dies.
Auf diese Weise entsteht mit der Zeit eine Konformität in der Berichterstattung, die weniger auf äusseren politischen Druck erzeugt wird, sondern eine Art vorauseilender Gehorsam darstellt, um in der Hierarchie des Senderapparats zu reüssieren. «Wer sich konform verhält, hat nichts zu befürchten». Quote und Konformität erzeugten eine «Seichtigkeitsspirale».
Herles diagnostiziert die Lust nach Konformität auch als Symptom einer unsicheren Gesellschaft. Und da er Medienkritik als Gesellschaftskritik versteht, begibt er sich auf das Feld des Gesellschaftskritikers. Als Wurzel allen Übels macht er die Grosse Koalition zwischen den beiden konservativen Schwesterpartien CDU und CSU und der sozialdemokratischen SPD aus, die derzeit 80 Prozent der Sitze im Deutschen Bundestag innehaben. Dies nutzt er zu einer vernichtenden Charakterisierung des eher opportunistisch-populistischen Politikstil der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hier erweist es sich als ein Nachteil, dass das Buch vor den Ereignissen um die Flüchtlingsströme erschienen ist. Viele Anschuldigen an Merkel wirken danach mindestens fragwürdig.
Leider gefällt sich Herles zu sehr in der Pose als Politikkritikers und betreibt schliesslich selbst die Art von Personalisierung die er zuvor zu Recht beklagte. Dabei hätte mindestens ein Beispiel von ihm das Zeug zu einer genaueren Analyse gehabt. Herles beschreibt, dass das, was man in Deutschland «Europa-Politik» nennt, nie einem öffentlichen Diskurs unterzogen wurde. Die Europäische Union sei stets das Projekt von Funktionseliten gewesen; parteiübergreifend goutiert. In der Tat hat man in Deutschland die fundamentalen Veränderungen (Schengen, Euro-Einführung, EU-Verfassung) stets einvernehmlich im parlamentarischen Rahmen beschlossen – assistiert von den Medien, die parallel zu den politischen Vertretern jegliche Kritik sofort als «europafeindlich» stigmatisieren. Dies hat so lange funktioniert, bis sich Erosionserscheinungen beispielsweise durch die sogenannte Eurorettung zeigten.
Herles‘ Irrtum liegt darin, neben der Quotenhörigkeit die aktuelle politische Lage für das steigende Unbehagen an den Medien als massgeblich verantwortlich auszumachen. Beides spielt sicherlich eine Rolle. Aber mit nur wenig Aufwand hätte man das gesteigerte Medienmisstrauen als einen über viele Jahre gewachsenen Prozess herausarbeiten können, der sich unabhängig von politischen Regierungskoalitionen entwickelt hat. Der skeptische Rezipient kann mittlerweile die medialen Fehlgriffe und Inkorrektheiten jederzeit über das Internet rekapitulieren, was Herles anscheinend unterschätzt, weil er dem Netz sehr misstrauisch begegnet.
Wie war es beispielsweise mit der nationalen Euphorie in Deutschland kurz nach der Wiedervereinigung zu Beginn der 1990er Jahre? Jegliche kritische Berichterstattung über politische und ökonomische Fragen suchte man in den Informationssendungen der Hauptprogramme fast vergeblich. Herles selber musste seinen Posten als Hauptstadtleiter 1990 auf allerhöchste politische Intervention räumen, unter anderem weil er Bedenken zu Art und Tempo des Wiedervereinigungsprozesses Raum gegeben hatte.
Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ab 2001. Sowohl in ARD wie auch ZDF wurde von einer mehr oder weniger harmlosen Mission zum Aufbau einer Infrastruktur für das von Krieg und Diktatur gezeichnete Land gesprochen. Deutsche Soldaten wurden beim Brunnenbohren, Schule bauen und Strassenbau gefilmt. Als 2010 der deutsche Verteidigungsminister den nicht mehr zu leugnenden Zustand im Land als «kriegsähnlich» beschrieb, sprachen die Medien scheinheilig von einem «Tabubruch». Dabei waren es ihre Vertreter und Korrespondenten, die jahrelang eine Harmlosigkeit des Einsatzes suggerierten, die so nie bestand.
Besonders deutlich werden die allzu gleichförmigen Berichterstattungen bei Kriegen: Irak 1991 (die «Brutkastenlüge» hätte mit ein wenig Recherche als PR-Aktion aufgedeckt werden können), der Kosovo-Einsatz 2006 (später bekannte der damalige Bundeskanzler Schröder, der den Einsatz befohlen hatte, dass dieser formal völkerrechtswidrig war) oder der kurze Krieg zwischen Georgien und Russland 2008, der als russische Aggression dargestellt wurde, obwohl das Gegenteil der Fall war. In einem Interview mit Wladimir Putin, das in der Nachrichtensendung der ARD gezeigt wurde, hatte man eine entsprechende Stelle einfach entfernt.
Stets fungierten Medien als Stimmungsverstärker im Sinne der Regierenden, in dem einfachste journalistische Standards nicht angewendet wurden. Auf die einseitige und zum Teil falsche Berichterstattung in der Ukraine-Krise ab 2014 weist Herles zwar hin, aber statt einen zeithistorisch-kritischen Überblick über Berichterstattungen in den Medien zu liefern um die Entfremdungen des potentiellen Publikums daran zu illustrieren, verliert er sich in eher belanglose Szenarien in Talkshows, die er damit als relevante Medienereignisse adelt.
Herles erwähnt den Schmähbegriff «Lügenpresse» nur am Rande und stimmt ihm auch nicht zu. Aber er entdeckt eine mediale Dramaturgie beim Umgang mit sensiblen Fragestellungen: «Zuerst werden politisch kontroverse Diskussionen zu Themen wie ‚Islam‘ und ‚Zuwanderung‘ unterdrückt. In den Parteien wie in den Medien. Dann, wenn sich abweichende Haltungen oder auch Ängste ein Ventil suchen, wird skandalisiert. Dies führt wiederum zur Verdrängung des Unverdauten, bis es erneut hervorbricht.» Dieser Teufelskreis ist das Ergebnis von unterdrückten bzw. unehrlich geführten Diskursen. Er hilft am Ende nur selbsternannten «Tabubrechern», sich als Bestsellerautoren in Szene zu setzen.
Exemplarisch ist die von Herles beschriebene Dramaturgie nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln zu beobachten, als Kritik gegen die ausbleibende, beziehungsweise zögerliche Berichterstattung über die Ereignisse aufkam. Als dann die Herkunft der mutmasslichen Täter dem Publikum nicht mehr vorenthalten werden konnte, versuchte man sich zunächst in Schadensbegrenzung, in dem versucht wurde, die Taten nicht mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik zu verknüpfen.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer, der bei solchen Vorgängen gerne als Experte herangezogen wird, berichtete dazu in einer Diskussion im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Phoenix, dass man ihm in Vorgesprächen zu Stellungnahmen gesagt hatte, er dürfe in keinem Fall einen solchen Zusammenhang konstruieren. Als Pfeiffer dies ablehnte, habe man nachgegeben und ihn trotzdem eingeladen.
Nach einer kurzen Zeit der Zerknirschung hat man inzwischen bei ARD und ZDF festgestellt, dass man bis auf Kleinigkeiten alles richtig gemacht hat. Das war nicht anders zu erwarten, denn schon seit Jahren klebt man sich bei jeder Gelegenheit selber das Etikett «Qualitätsjournalismus» auf; der Chefredakteur Fernsehen des Westdeutschen Rundfunks erklärte den Rundfunkbeitrag gar zur «Demokratie-Abgabe».
Wenn aber jetzt ein verdienter Medien- und Fernsehkritiker wie Hans Hoff in einer Mischung aus Selbstbezichtigung und Beichte den öffentlich-rechtlichen Mitarbeitern eine «zu 99 Prozent hervorragende Arbeit» bescheinigt, so kommt dies einer Kapitulation der Medienkritik nahe. In dieser armseligen Anbiederung eines verdienten Kritikers spiegelt sich eine merkwürdige Furcht vor dem, was man vielleicht als «Müller-Syndrom» bezeichnen könnte: Die Publikation von Texten sollte immer dann unterbleiben, wenn sie «Wasser auf die Mühlen» von Extremisten sein könnten. So begegnete ernsthaft der deutsche Justizminister Heiko Maas in einer Antwort in der FAZ einem Aufsatz des ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der die Möglichkeit eines Rechtsbruchs des Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik ausmachte. Abweichende Meinungen werden nicht mehr argumentativ behandelt, sondern als potentielle Gefahren für die Störung der öffentlichen Ordnung angesehen.
Und plötzlich bekommt Herles‘ Feststellung von der «miserablen Streitkultur» des Landes, die er als Folge eines Programms bestehend aus «Krimis ohne Ende, Sportevents, Talk, Talk, Talk, Talk» festmacht, eine neue Dimension. Öffentlich-rechtliche Medien sind für ihn zwar notwendig, in der aktuellen Verfassung jedoch, die dem Auftrag (§ 11 Rundfunkstaatsvertrag) nicht mehr gerecht wird, möchte er die Werbung abschaffen (was, wie Herles etwas naiv meint, die Quotenhörigkeit abschaffen würde) und am Ende sogar die Mittel halbieren.
Aber ob weniger Geld tatsächlich zu einem besseren Programm führt? Er erwägt sogar die Möglichkeit der Abschaffung der «Haushaltsabgabe» und regt ein Stiftungsmodell oder eine Finanzierung über Steuern an. Medienschaffende könnten sich dann für Programmgelder bewerben; entschieden würde dies von einer Kommission. Die Gefahr eines Staatsfernsehens sieht Herles merkwürdigerweise nicht. Mit dem grassierenden Meinungsjournalismus scheint er nur so lange Probleme zu haben, als seine eigenen Meinungen nicht genügend Berücksichtigung finden. Seine Vorschläge zur Verbesserung der Programmqualität wirken unausgegoren und nicht genug durchdacht. Auch das ist eine Schwäche des Buches, das trotz allem eine interessante, wenn auch emotionale Sichtweise eines Status quo des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland liefert.