Ich liebe Facebook. Facebook stresst mich.
Man möchte es lieber nicht wissen und erfährt es trotzdem: Facebook ist nicht nur ein Fenster zur Welt, sondern auch eines in den Intimbereich von vermeintlichen Freunden, die uns eigentlich ganz fremd sind. Unser Kolumnist über seine Hassliebe zur grössten Social-Media-Plattform.
Ein einziges Mal nur möchte ich erleben, dass Herr H. einen Pups seiner zweijährigen Tochter nicht in die digitale Welt rotzt. Einmal nur wünsche ich mir, Frau M. möge ihre Füsse am Strand von Maspalomas nicht in die Kamera strecken. Und Herr K. soll bitteschön den Mund halten, wenn er mit seinem Zwergpudel wieder für grosse Hunde war. Es. Interessiert. Mich. Nicht.
Ich habe mich Herrn Zuckerberg lange verweigert. Er will die virtuelle Weltherrschaft. Warum soll ich ihn dabei unterstützen? Warum soll ich mein Privatleben mit der Öffentlichkeit teilen? Warum? Am 15. Juni 2011 um 15.46 Uhr bin ich doch schwach geworden. Ein typischer Fall von Gruppendruck: Es kann nicht schlecht sein, was eine Milliarde Menschen gut findet (inzwischen sind es 1,6 Milliarden). Seit fünf Jahren nun erlebe ich mit Facebook anregende, aufregende, langweilige und kurzweilige Momente. Und ein paar Mal musste ich mich dermassen ärgern, dass ich gar nicht mehr vom Baum runter wollte.
Bevor Sie fragen: Es gibt von mir nullkommanichts Privates auf Facebook. Keine überbelichteten Selfies vor Burgruinen in der Abendsonne, weder vorteilhafte noch unvorteilhafte Familienbilder, keine Fotos von frühreifen Spargeln, die mir im hippen Landgasthof gereicht wurden, keine «Eingecheckt»-Posts aus Niederhelfenschwil.
Facebook fragt mich jeden Tag ziemlich direkt und ziemlich fantasielos: «Was machst Du gerade?» Meistens antworte ich nicht. Geht dich überhaupt nichts an, denke ich. Andere sind da entschieden mitteilsamer. «6 Kilometer gejoggt». Die Info wird sofort ins Netz gestellt. Mir wär die Nachricht peinlich. Nur 6 Kilometer… – «Bin mit Rosie im Sternen». Die Welt muss es wissen. Sofort. Ich denke: Wer ist Rosie? Und was hat sie mit ihrem Haupthaar gemacht?
Vielleicht ist es Ihnen auch schon aufgefallen: Intelligenz schützt nicht vor peinlichen Posts.
Da gibt es den Geltungssüchtigen, der von seiner Geschäftsreise nach Hamburg aus dem Hotel postet: «Bin grad aufgestanden». Zum Fremdschämen. Es gibt den Witzbold, der unlustige Filmchen verbreitet («Ich schmeiss mich weg») und sie immer als erstes liked. Und es gibt den Essensposer, der von jedem randvollen Tellern Bilder verschickt mit dem Vermerk «Lecker».
Es gibt die «Mein-Kind-ist das-Tollste-Mutter», die mich am Leben ihres Fünfjährigen teilhaben lässt. Ich kenne ihn inzwischen so gut wie einen kleinen Bruder, obwohl wir uns nie begegnet sind. Ich weiss, dass er mit Lego-Star-Wars spielt und Fischbrötchen mag. Ich weiss, dass er einmal Polizist werden möchte und Müllwagenfahrer und Sprengmeister. Ich weiss, dass er vor kurzem zum ersten Mal beim Freund übernachtete und schlecht geschlafen hat, weil sein Tigerpijama zwickte. Ich würde die Frau ja gerne einmal fragen, ob sie die privatesten Geschichten und Bilder ihres Sohnes auch in den Hausflur hängen würde. «Ich doch nicht», würde Sie vermutlich entrüstet antworten! Sehen Sie…
Wo ich grad dabei bin: Ich mag keine Weltverbesser-Poser, die mich nötigen, eine Petition zum Schutz des Breitmaulfrosches zu unterschreiben. Ich verabscheue Baby-Spammer, die mich mit unscharfen Bilder ihrer verhunzelten Neugeborenen belästigen. Ich bin genervt ob der «Wir-sind-Spitze-drauf-Mitteiler», die am thailändischen Strand um einen Stein tanzen und für das Video unfassbare 179 Likes einsammeln.
Was also tun? Ich strafe Facebook-Trolls mit Nichtbeachtung. Auch der Post der neuen Wandleuchte mit 257 «Gefällt mir» wird stoisch ignoriert. Wer nervt, hetzt, niveaulosen Mist postet, Gewaltfantasien gegen Flüchtlinge ins Netz kübelt oder einen Artikel der AfD teilt, fliegt bei mir raus. Verschwörungstheoretiker, Spieleinlader, Gruppenhinzufüger und «Zu-allem-was-sagen-Müsser» ebenso.
Mit einer entrümpelten Timeline macht Facebook deutlich mehr Spass. Das Netzwerk ist meine tägliche Presseschau, ist private Pinwand, Inspiration und Zeitvertreib. Und der wichtigste Booster für die Onlinetexte des Schweizer Eltern-Magazins, das ich leite.
Höchste Zeit, mal danke zu sagen für viele kluge, witzige, traurige Texte und Bilder aus Blogs, deren Existenz ich bisher nicht kannte. Danke für jeden meinungsfreudigen, geistreichen Kommentar zu meinen Texten und geteilten Inhalten. Und vielen Dank für das grossartige Carpool-Karaoke-Video des britischen Komikers James Corden mit Gwen Stefani, Julia Roberts und George Clooney. Wie hätte ich je erfahren, dass der Hollywood-Beau mit seiner tiefen Stimme kaum einen Ton trifft.