Journalisten ohne Bodenhaftung?
Fast ausnahmslos lehnen Journalisten die von Journalisten der Konsumentenmagazine K-Tipp und «Saldo» eingereichte Volksinitiative «Pro Service Public» ab. Auch wenn es sachliche Gründe für ein Nein gibt, überrascht die eindeutige Positionsnahme. Damit bewegen sich die Medien im Gleichschritt mit Parlament, Parteien, Gewerkschaften und Verbänden. Haben die Journalisten den Draht zur Bevölkerung verloren, wo das Anliegen zur Stärkung von Post, SBB, Swisscom grosse Sympathien geniesst?
«Der Schnauf geht aus: Kampagne gegen die Service-public-Initiative zeigt Wirkung», schrieb die Neue Zürcher Zeitung in ihrer gestrigen Ausgabe. Diese Kampagne haben aber nicht nur die Politiker geführt, die fast geschlossen eine Einheitsfront gegen die Volksinitiative bildeten, sondern auch die Medien. Als Beispiel die sich selbst als liberal verstehende NZZ; sie schreibt also auch über sich selbst.
Dass der Service public hierzulande früher viel schlechter war, das hat wohl tatsächlich nur Heinz Karrer von der Economiesuisse so in Erinnerung. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. Mai 2016 erinnert er sich an eine konservative PTT, die Tastentelefonen misstraute und an SBB-Züge, die im Hochsommer zu «Backöfen» wurden. Heute dagegen sei das nicht mehr so: «All diese Verbesserungen ereigneten sich parallel mit der schrittweisen Liberalisierung von Post, SBB und Swisscom.» Mal naiv gefragt: Wäre der Fortschritt vielleicht auch so gekommen?
Als Liberaler habe ich selbstverständlich überhaupt nichts gegen Liberalisierungen. Privatunternehmen sollen alles übernehmen, was sie genau so gut ausführen können wie der Staat oder ein staatsnaher Betrieb. Die Furcht von Linken vor der Privatisierung rentabler Bereiche ist unberechtigt. Rentable Bereiche müssen privatisiert werden! Aber es besteht eben ein Anspruch des Schweizer Bürgers auf eine möglichst perfekt funktionierende und dennoch bezahlbare Infrastruktur – übrigens eines der Erfolgsgeheimnisse der Schweiz. Bei der Einschätzung der Qualität dieser Infrastruktur gibt es ganz offenbar Stimmbürger, die unzufrieden sind mit den aktuellen Zuständen.
Gegen verdreckte Züge, geschlossene Poststellen oder eine falsch ausgerichtete SRG wird diese Initiative auf kurze Frist nichts ausrichten, das sollte allen klar sein, die den Initiativtext gelesen haben. Doch auch wenn die Initiativbefürworter von den Medien als kleingeistige, dem Populismus verfallene Gruppe von Stänkerern dargestellt werden, denen nicht gewahr ist, dass sie in paradiesischen Zuständen leben, gibt es eben Stimmbürger, die finden, dass Angestellte staatsnaher Betriebe nicht mehr verdienen müssen als Staatsangestellte. Und die sich Service-Public-Betriebe wünschen, die einen echten Service Public liefern – und nicht sich unternehmerisch gebärdende Staatsbetriebe. Ob sie der Initiative zu einer Mehrheit verhelfen, wird sich am 5. Juni zeigen.
Explizit stark gemacht für «Pro Service Public» haben sich nur eine Handvoll liberale Journalisten: Zum Beispiel Roger Köppel in der Weltwoche oder Markus Somm in der Basler Zeitung. Die Zeiten, in denen sich populäre linke Journalisten wie ein Roger Schawinski im Kassensturz des Schweizer Fernsehens für die Konsumenten gegen die Grossbetriebe eingesetzt haben, sind offenbar vorbei. Die Neue Luzerner Zeitung und dann am Tag darauf auch der Tages-Anzeiger und der «Bund» fragten immerhin, ob es erlaubt sein soll, dass zwei Millionen Schweizer Haushalte eineinhalb Wochen vor der Abstimmung das Kundenmagazin der Post erhalten, in dem für die Ablehnung der Initiative geworben wird.
Gemäss der neusten GfS-Umfrage im Auftrag der SRG wollen 69 Prozent der grünen Wähler die Initiative annehmen und 48 Prozent der SP-Wähler. Eine ablehnende Mehrheit gibt es mit 54 Prozent nur bei den FDP-Wählern – eine Auswirkung der vielen Contra-Artikel in der NZZ? Einen Pro-Artikel habe ich keinen gefunden in dieser Zeitung. Die GfS-Umfrage erkennt einen «Elite/Basis-Konflikt: Während die politischen Eliten (Bundesrat, Parlament und Parteien) dem Vorhaben eine deutliche Abfuhr erteilt haben, steht das Stimmvolk hinter der Service-public-Initiative.»
Journalist Peter Salvisberg, der Kampagnenleiter der Initiative, wundert sich denn auch über die ablehnende Haltung der Journalisten, vor allem aber über ihr Desinteresse: «Drei Jahre lang interessiert sich niemand unsere Initiative, dann plötzlich springen alle auf. Wie gute Beobachter der Alltagssorgen der Bevölkerung sind Journalisten eigentlich?» Die SRF-«Arena» bespricht die Initiative denn auch heute Abend, und das, obwohl sie sie bereits vor zwei Wochen schon mal besprochen hatte. Auch sonst hält sich Salvisberg, der in einigen Porträts durchaus wohlwollend dargestellt wurde, nicht zurück mit Kritik an den Medien. WOZ und «Beobachter» hätten ohne vorherige Konfrontation Vorwürfe verbreitet. In anderen Medien wurden Salvisbergs Aussagen entschärft, «wohl aus Angst, die Werbekunden zu verärgern», schliesslich seien Post, Swisscom und SBB gute Anzeigenkunden.
Argumente gegen die Initiative gibt es einige, am ehesten krankt sie an der unklaren Neuformulierung des Verfassungsartikels. Die Chancen eines «Ja» dazu schätze ich dennoch als intakt ein. Die Gegenkampagne kommmt konservativ und erschreckend fantasielos in einer Art moderatem SVP-Stil der 1990er-Jahre daher. Und auch die im Bundesbüchlein abgedruckten Gegenargumente treffen nicht. Der Bundesrat lehnt die Initiative allen Ernstes ab, weil «die Vorgaben zu den Löhnen und Honoraren» für staatsnahe Betriebe «die Attraktivität der Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt mindern». Zur Erinnerung: Gefordert wird, dass «die Löhne und Honorare der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Unternehmen nicht über denjenigen der Bundesverwaltung liegen». Als hätten sichere und gut entlöhnende Arbeitgeber wie der Staat, die Post oder die SBB irgendwelche Attraktivitätsprobleme auf dem Arbeitsmarkt. Der Service Public, also die staatsnahen Unternehmen, werden nicht geschwächt, wenn man sie auf ihre tatsächlichen Aufgaben zurückbindet. Sondern eben gestärkt. Diese Unternehmen haben in erster Linie einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen. Wenn sie privat sein und eigenverantwortlich geschäften wollen, dann sollen sie auf Gebührengelder und Steuergelder verzichten und sich in der Marktwirtschaft bewähren – so ein Verzicht hätte Freiheit zur Folge: die Befreiung vom öffentlichen Auftrag.
Offenlegung: Ronnie Grob hat für die Volksinitiative «Pro Service Public» gestimmt, pflegt aber keine Verbindungen zu den Initianten.
Fred David 28. Mai 2016, 11:14
Roger Köppel und Markus Somm sind keine „liberalen Journalisten“.
Frank Hofmann 28. Mai 2016, 18:52
Schon klar, wer nicht links ist erstens kein Liberaler und erst recht kein Journalist. Dass sich die Alt-68er mit dem BGE und anderen Hobbys beschäftigen, ist für die Medien nur von Gutem.
Oli Pfeffer 30. Mai 2016, 14:51
– Das Medien-Verschwörungs-Argument ist wirklich langsam ausgelutscht.
– „Habe nichts gegen Liberalisierung“: Das zeigt doch genau das eigentliche Ziel dieser Initiative auf.
– „am ehesten krankt sie an der unklaren Neuformulierung des Verfassungsartikels“: Wie wenn das ein kleines unwichtiges Nebendetail wäre. Was ist den der Sinn einer Initiative? Die Verfassung zu ändern. Nur darum geht es. Das „Marketing“ und das „Zeichensetzen“ und was man sonst noch alles damit verknüpft und anscheinend wichtiger als der Verfassungstext ist, wird nicht in der Verfassung stehen.