Mitdiskutieren!
Der Schweizer Presserat macht sich Gedanken zu seiner zukünftigen Positionierung und seinem zukünftigen Profil. Dazu wurden verschiedene Medienbeobachterinnen und -beobachter eingeladen, drei Fragen zu beantworten. Dabei geht es um Wahrnehmung und Rolle des Presserats im Mediendiskurs. Meine Antworten:
- Wie nehmen Sie den Schweizer Presserat heute wahr?
Ich vermute, dass ich den Presserat nur deshalb wahrnehme, weil ich mich als Medienjournalist von Berufes wegen mit seiner Arbeit befasse. Den Gegenbeweis kann ich freilich nicht antreten – abgesehen von vagen Erinnerungen an meine Zeit als Jungjournalist als der Presserat in meinem Berufsalltag tatsächlich keine Rolle gespielt hatte. - Wie sehen Sie die aktuelle Rolle des Presserats im öffentlichen Mediendiskurs?
Gemessen an seiner eminenten Funktion als Selbstkontrollorgan der Branche spielt der Presserat eine viel zu unbedeutende Rolle im öffentlichen Mediendiskurs. Diese relative Bedeutungslosigkeit hat sich der Presserat auch selbst zuzuschreiben. Mit seinen Stellungnahmen provoziert er zwar regelmässig Widerspruch, insbesondere dann, wenn sie die Journalisten als problematisch oder praxisfremd empfinden. Aber dieser Widerspruch findet keinen Adressaten und verpufft im Leeren. - Sind Sie der Meinung, der Presserat sollte in viel diskutierten Fällen in die medienethische Debatte eingreifen (Bsp: Vorfall Rupperswil oder Germanwings-Absturz)? Wenn ja, auf welche Weise?
Nicht nur in «viel diskutierten Fällen», sondern ganz generell soll sich der Presserat in die medienethische Debatte einmischen. Es reicht nicht, nur Stellungnahmen zu verschicken. Die Mitglieder des Presserats und seiner Trägerschaft sollen aktiver als Ansprechpartner auftreten. Dazu müssen sie sich zuerst einmal öffentlich zu erkennen geben, zum Beispiel mit einem entsprechenden Hinweis in ihren Online-Profilen, wie dies bis jetzt nur das jüngste Mitglied des Presserats löblicherweise getan hat. In die «Debatte eingreifen» geht dann ganz einfach: mitdiskutieren, wo bereits diskutiert wird.
Vinzenz Wyss 23. Oktober 2016, 17:44
Meine Antworten:
Wie nehmen Sie den Schweizer Presserat heute wahr?
Der Presserat macht eine Arbeit sorgfältig. Er greift jedoch zu wenig von sich aus eigenständig strukturbezogene Themen auf, die für eine Diskussion in der breiten Öffentlichkeit relevant wären. Ein Beispiel dafür war das Zögern, den Fall Geri Müller von sich aus zu bearbeiten. Das Selbstkontrollorgan ist für die Entfaltung seiner Wirkung auf (mediale) Öffentlichkeit angewiesen. Hier zeigen aber Analysen, dass längst nicht alle Medien bereit sind, wichtige Entscheide des Presserates zu veröffentlichen. Das jüngste Beispiel betrifft den Entscheid zum Fall Hürlimann/Spiess-Hegglin, der von Ringier nicht thematisiert wurde. Der Presserat sollte aktiver und auf allen ihm zur Verfügung stehenden Kanälen die öffentliche Debatte anstossen. Das bedeutet in erster Linie eine aktive Kommunikation nicht nur über Medienmitteilungen, sondern auch über Social Media Kanäle. Die Form der Vermittlung sollte den neuen Formen im Social Web angepasst werden. Dafür reichen die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht aus. Es sollte auch medienpolitisch darauf hingearbeitet werden, dass die Ressourcen des Presserates ausgebaut werden können, ohne dass seine Unabhängigkeit gefährdet wird.
2. Wie sehen Sie die aktuelle Rolle des Presserats im öffentlichen Mediendiskurs?
Der Presserat hat in der öffentlichen Debatte nicht den Stellenwert, den er haben müsste, um mit seiner Fremdbeobachtung verantwortliche Medienorganisationen zur öffentlichen Selbstbeobachtung und Rechtfertigung zu zwingen. Ein Totschweigen ist für manche Redaktionen noch immer zielführend. Die mangelnde Aufmerksamkeit des Presserates in der Öffentlichkeit betrifft nicht nur die Thematisierung seiner Entscheide. Auch die Funktion und Legitimation des Presserates sollte in der Öffentlichkeit klarer kommuniziert werden. Das Verständnis seiner wichtigen Rolle als Selbstkontrollorgan in einem freien Mediensystem sollte in der Medienbildung (Medienkompetenz) ebenfalls gefördert werden.
3. Sind Sie der Meinung, der Presserat sollte in viel diskutierten Fällen in die medienethische Debatte eingreifen (Bsp: Vorfall Rupperswil oder Germanwings-Absturz)? Wenn ja, auf welche Weise?
Der Presserat sollte stärker seine Wächterfunktion wahrnehmen und von sich aus medienethisch heikle Fälle aufgreifen. In manchen Fällen haben Publikum und Betroffene resigniert und nehmen fatalistisch das Treiben der kommerziellen und ideologischen Medien zu Kenntnis. Da ist gefährlich und fördert die Wahrnehmung des Medienmainstream und der Lügenpresse. Der Presserat sollte aber nicht zu einem allgemeinen medienkritischen Akteur unter manchen werden. Er sollte die ihm zur Verfügung stehenden Mittel (Identifizieren einer kontroversen medienethischen Debatte; Eintretensentscheid; Analyse in zuständiger Kammer; Urteil, Veröffentlichung) auch genauso bei von ihm aufgegriffenen Fällen anwenden; allerdings in der Lage sein, rasch zu reagieren. All dies, bzw. der Ausbau dieser aktiven Funktion verlangt nach mehr Ressourcen.