von Marcel Bernet

Digitalisierung und Automatisierung

Der «Zwang» der Digitalisierung intensiviert sich: Grosse Datenbanken und Automatisierung prägen die nächste Stufe. Politische Propaganda, Organisationskommunikation und Journalismus werden automatisiert – mit Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Alles Digitale stört, und das schon seit… sagen wir 1996. Damals habe ich meine erste Website gebaut. Noch heute begleitet mich die digitale Spannung zwischen «Muss das sein?» und «Das will ich ausprobieren!» Auf dem Weg zwischen Last und Lust begleiten mich drei Referate des HarbourClub Symposiums vom 22. November 2016.


Kampagnen: Mensch und Maschine
Hat Trump dank automatisierter Tweets gewonnen? Vielleicht wäre er auch so gewählt worden. Doch der Blick auf die digitale Wahl-Propaganda zeigt die neue Macht der Maschinen. Die Universität Oxford hat nach dem ersten TV-Duell neun Millionen Tweets ausgewertet: Ein Drittel aller Pro-Trump-Kurztexte wurden von Computerprogrammen oder Bots abgesetzt (PDF). In einem Grundsatzpapier erklären zwei der Autoren, dass Algorithmen und Automation die nächste Phase der Digitalisierung prägen. Ein Drittel aller Inhalte auf dem Internet stammt von «bösen» Bots, weiss der Journalist und Blogger Richard Gutjahr.

Wenn Roboter schreiben
Automaten chatten auf Facebook mit Kunden. Das Reiseportal Hipmunk reagiert auf die Nachricht «Was ist die beste Zeit, um von A nach B zu fliegen?» mit einer präzisen Antwort – angepasst auf das Profil des Absenders. Ein «Hallo» an den Epytom-Stylisten liefert Bekleidungsvorschläge, angepasst auf die Jahreszeit, das Geschlecht und den Standort des Absenders.

Hätte ein Bot diesen Beitrag schreiben können? Vielleicht in fünf Jahren, zumindest als Entwurf. Heute schon produziert die NWZ Mediengruppe mit Sitz in Oldenburg Veranstaltungstipps, Wetter- und lokale Fussballtexte automatisch. Victor Deditius, Produktmanager Online, ersetzt damit keine Journalisten: «Texte werden auf den Nutzer zugeschnitten, in noch kürzeren Zeitabständen publiziert und sie decken mehr Spiele ab.» Big Data und lernende Software ermöglichen diese Entwicklung, skizziert im Guardian für die USA oder auf Horizont für Deutschland.

Fazit: Big Data, Bots, Netzwerk
Wer kommunikative Strategien entwickelt, wird tiefer in drei Bereiche vordringen müssen:
1. Pflege grosser Datenmengen
2. Entwickeln von individualisierten, automatischen Abfragen
3. laufende Evaluation von Bots, Bot-Netzwerken, Social-Media-Plattformen für die Einbindung.

Der Zwang wächst. Lust kommt auf, wenn man in diesen Bereichen Zusatznutzen sieht und Ressourcen gezielt einsetzt.

Technologie fordert die Gesellschaft
Raus aus der Kommunikations-Blase führte an diesem Tag Anke Domscheit-Berg. Die Politikerin und Unternehmerin vertritt pointierte Thesen zu den Auswirkungen der Technologie auf unsere Gesellschaft. Da bleibt kein Stein auf dem anderen: Wissen, Energie, Mobilität und Produktion werden dezentral. Veränderungen durchdringen Märkte schneller, wie diese komplexe Grafik illustriert.

Mit ihren Szenarien war sie dem Publikum wohl um ein paar Jahre voraus, wie einige Echos zeigten. Klar wurde für mich, dass digitale Disruption nicht nur Taxiunternehmer, Hoteliers oder Verleger stört. Sie betrifft Väter, Mütter, Kinder. Zwei Drittel aller Grundschüler werden nach Domscheit-Berg in Berufen arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt. Für unsere westliche Gesellschaft sieht sie Vollbeschäftigung als ein politisches Mantra, das sich nicht erfüllen lässt. Was heisst das für ein Zusammenleben von vermögenden und zumindest erwerbstechnisch verlorenen Menschen?

Wer sich verloren fühlt, will Sicherheit. Da kommen Politiker mit einfachen Versprechen gerade richtig – verbreitet in hochkomplexen Kampagnen. Dass die Realität dann nicht so einfach ist, das erleben Bürger und Organisationen, wenn sie sich zwischen Zwang und Lust dem Wandel stellen.

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