Verstehen Algorithmen Satire?
Wenn Algorithmen Fake-News identifizieren und eliminieren sollen, droht Satire mit entsorgt zu werden. Tim Wolff, Chefredaktor der «Titanic», nimmt das gelassen, obwohl die Folgen der Gleichbehandlung von Fake-News und Satire schon heute gut sichtbar sind.
Das Internet hat ein Problem: Millionen Falschnachrichten, sogenannte Fake-News, wabern durch die Untiefen des Netzes, die den politischen Diskurs vergiften und im Verdacht stehen, die US-Präsidentschaftswahl beeinflusst zu haben. So wurde eine Falschmeldung über eine angebliche Unterstützung des Papstes für Donald Trump fast eine Million Mal auf Facebook gelikt und geteilt. Facebook sieht sich seitdem wachsender Kritik ausgesetzt, nicht genügend gegen solche Falschnachrichten zu unternehmen. Nachdem der Konzern im August vergangenen Jahres sein News-Team entlassen und durch Algorithmen ersetzt hat, sind in dem Nachrichtenmodul (nur in den USA verfügbar) wiederholt Fake-News eingespielt worden. Ein Grund für die Flut an Falschmeldungen ist das lukrative Anzeigengeschäft. So verdiente in einer mazedonischen Kleinstadt eine ganze Armada von Clickworkern Geld mit frei erfundenen Nachrichten, die sich über Facebook rasant verbreiteten. Ein Geschäftsmodell, das auch andernorts zum Geldverdienen animierte.
Die Debatte um Falschnachrichten im Netz erhitzt zunehmend die Gemüter. In Deutschland riefen Unionspolitiker dazu auf, Fake-News strafrechtlich zu sanktionieren, die Bundesregierung plant, ein Abwehrzentrum gegen Falschmeldungen einzurichten, aus Angst, Desinformationskampagnen im Internet könnten den Bundestagswahlkampf beeinflussen. In Tschechien hat am 1. Januar eine 20-köpfige Behörde, die gegen Fake-News vorgehen soll, die Arbeit aufgenommen. Aber auch Facebook bleibt nicht untätig und hat ein Tool patentieren lassen, das automatisiert Fake-News identifizieren und entfernen soll. Das System soll mithilfe eines maschinell lernenden Moduls einen «Score» berechnen, der eine Wahrscheinlichkeit indiziert, mit der der Content zu beanstanden ist. Das technische Problem besteht jedoch darin, dass sich Fake-News viel schwerer identifizieren lassen als etwa Pornographie oder Hasskommentare (anhand auffälliger oder eindeutiger Hashwerte oder Schlüsselwörter).
Bevor man Falschnachrichten filtert, müsste man freilich erst mal klären, was man darunter versteht. Was ist wahr, was ist falsch? Seit der Antike streiten die Gelehrten, was Wahrheit eigentlich bedeutet. Wenn ein Tech-Konzern nun behauptet, er könne Unwahrheiten mit einem Software-Tool filtern, zeigt das, wie vermessen das ist. In der binären Logik der Algorithmen gibt es keine Graustufen. Doch was passiert, wenn die Maschine einen «Wahrheitsscore» – man fühlt sich bei derlei Begrifflichkeiten unweigerlich an Orwells Wahrheitsministerium erinnert – von 60 Prozent ausspuckt? Ist das dann wahr oder falsch? Vermag ein Algorithmus zwischen Fake-News und Satire zu differenzieren?
Die Satireseite «Der Postillon» ist bereits auf einer US-Liste für Fake-News gelandet. Der «B.S. Detector» – B.S. steht für Bullshit –, der von dem Aktivisten und Journalisten Daniel Sieradski entwickelt wurde, warnt Nutzer im Internet vor «nicht vertrauenswürdigen Quellen». Verdächtige Seiten werden mit einem Balken markiert: «Diese Webseite ist keine verlässliche Nachrichtenquelle. Grund: Verschwörungstheorie.» Die Browsererweiterung beruht nach Angaben des Entwicklers auf einer «professionell kuratierten Liste» von «nicht vertrauenswürdigen und fragwürdigen Quellen». Wer das definiert, ist unklar. Zu den klassifizierten Fallgruppen gehört neben Fake-News, Clickbait und Staatsnachrichten «repressiver Staaten» auch Satire. Das heißt, Satire wird schon von vorherein mit der Propaganda autoritärer Regime und Falschmeldungen gleichgesetzt und auf den Index gesetzt.
Wenn man sich die Seite des «Postillon» ansieht, fällt vor allem der sprachliche Witz in den Überschriften auf. Diese lauten zum Beispiel: «Nafri, EHu, Peng-Peng: Das ist die Geheimsprache der Polizei». Oder: «Mindestlohn steigt um 34 Cent: Neureiche Friseurin weiss gar nicht, wohin mit all dem Geld». Der Postillon hat mit dieser humoristischen Berichterstattung bei den Lesern Erfolg, gerade in Zeiten, wo es in den Nachrichten herzlich wenig zu lachen gibt. Die Beiträge werden auf Facebook regelmässig zehntausendfach geteilt.
Trotzdem scheinen nicht alle Leser die Ironie zu erkennen. In den Leserkommentaren entstehen zum Teil regelrechte Shitstorms empörter Wutbürger, weil sie das, was sie lesen, für bare Münze nehmen. Das ist zum Beispiel die Meldung «30 Millionen Krawallmacher wegen nächtlicher Ruhestörung festgenommen», eine Anspielung auf die feucht-fröhliche Silvesternacht. Streng genommen handelt es sich hier um eine Falschmeldung, die sich leicht falsifizieren liesse. Die Ironie entwickelt sich erst im Lauf der Meldung. Man merkt, dass die Überschrift ironisch gebrochen ist («Krawallmacher» als Echo auf die Polemik über das polizeiliche Codewort «Nafri» für Nordafrikaner). «Bei Grosseinsätzen im gesamten Bundesgebiet ist es der Polizei gelungen, in der Nacht vom 31.12. auf den 1.1. rund dreissig Millionen Krawallmacher festzunehmen», heisst es in dem Satirebeitrag. «Ein Sprecher der Polizei erklärte, dass schon zuvor den ganzen Tag über vereinzelte Explosionen zu vernehmen gewesen seien: «Da hatten wir schon so ein Gefühl, dass uns eine unruhige Nacht bevorsteht. Als dann gegen 23:45 Uhr immer mehr laut grölende Menschen auf die Strasse traten, wurde schnell deutlich, dass die von 22 bis 6 Uhr geltende Nachtruhe in Gefahr war.» Teile der Meldung sind frei erfunden, aber doch komisch. Das zeigt, dass die Grenze zwischen Fake-News und Satire fliessend ist. Doch wenn der Mensch schon Probleme hat, Satire zu erkennen, und die Öffentlichkeit wochenlang darüber streitet, ob Jan Böhmermanns Gedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan nun ein Schmähgedicht oder Satire oder gar ein Hybrid (so die These des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen) darstellt, wie soll dann eine Maschine diese Nuancen erkennen? Algorithmen kennen keine Ironie.
Satire hatte es schon immer schwer, doch in Zeiten automatisierter Faktencheckportale, die Texte in ihre Einzelteile zerlegen und damit jeglicher Ambivalenz berauben, droht sie ins Räderwerk der Maschinen zu geraten. Wenn Facebook nun den Staubsauger anwirft, würden Meldungen wie die des «Postillon» mitaufgesaugt und als Unrat entsorgt. Das zeigt, dass die Anti-Fake-News-Agenda, der sich Facebook und andere Technologie-Konzerne verschrieben haben, autoritär und antiaufklärerisch ist. Durch die Verbannung von Falschnachrichten immunisiert man sich gegen jeglichen Diskurs. Normen werden nicht mehr ausgelegt, sondern mathematisch festgesetzt.
Die Tendenz geht dahin, dass Industriegiganten die Deutungshoheit über Satire bekommen und Nachrichten mit einer Art Gütesiegel zertifizieren. Nach dem Motto: Das darf man lesen, das nicht. Man kann das bereits bei Fotos beobachten. Facebook hat in der Vergangenheit wiederholt Fotos wegen Nacktheit zensiert, etwa Gustave Courbets Gemälde «Der Ursprung der Welt», Nickt Uts preisgekrönte Fotografie des Napalm-Mädchens aus dem Vietnamkrieg oder jüngst das Bild einer Neptun-Statue in Bologna. Ein ungeheuerlicher Vorgang: Private Unternehmen disponieren über Grundrechte und legen deren Grenzen fest. Ironischerweise produzieren automatisierte Systeme durch die erratische Blockierung von Satireseiten selbst Falschnachrichten, weil die Prüfung ein Ergebnis suggeriert, das unwahr ist.
Bei den Machern der Satireseiten sieht man die Entwicklung dennoch gelassen. Auf die Frage, ob er befürchte, dass Inhalte durch Facebooks neues Anti-Fake-News-Tool zensiert werden, antwortet Tim Wolff, Chefredakteur der Satirezeitschrift «Titanic», auf Anfrage der MEDIENWOCHE: «Befürchten? Nein. Wir hatten letztens schon unseren Spass mit der erratischen Facebook-Zensur und würden uns über weitere Auseinandersetzungen freuen.» Es werde spannend, ob erst der Mensch oder die Maschinen Ironie ohne grössere Verluste verstehen werden, so Wolff. «Meine Erfahrung lässt mich vermuten: die Algorithmen werden das Rennen machen.» Immerhin: Den Humor haben die Satiriker noch nicht verloren.