Das Breitbart-Paradox
Wie kommt es, dass so viele Schweizer Firmen auf dem Trump-nahen Nachrichtenportal breitbart.com Anzeigen schalten? Sie machen das nicht, weil sie die politischen Ansichten der Plattform teilen, sondern lassen ihre Werbung überall dort anzeigen, wo sich potenzielle Kunden aufhalten. Die Verantwortung für die Werbeauslieferung an zweifelhafter Stelle liegt im Grunde beim Betrachter selbst.
«hallo CALIDA, ihr macht werbung beim rechtsextremen haterportal breitbart? das ist unschön. sehr», empört sich ein Schweizer Konsument in einem Facebook-Post. Er stösst sich daran, dass die traditionsreiche Schweizer Marke auf der Trump-freundlichen Faktenschmiede breitbart.com wirbt und damit deren Gedankengut vermeintlich unterstützt.
Einige bekannte Marken, wie etwa Kellogg’s, sahen sich aufgrund ähnlicher Proteste ihrer Käufer verpflichtet, ihre Banner von der hetzerischen Plattform abzuziehen und sich von deren Werten klar zu distanzieren. Das führte unweigerlich zu einem Gegenboykott breitbartiger Gesinnungsgenossen, munter angestachelt von Breitbart selbst.
Aber warum in aller Welt schalten Firmen Werbung auf einer Plattform, die nicht zu ihren Werten passt? Warum missachten sie die alte Werberegel «the medium is the message», wonach das Werbeumfeld ein bedeutender Teil der Werbebotschaft selbst darstellt?
Man könnte mutmassen, dass profithungrige Werbetreibende sich einfach um ethische Bedenken foutierten, wenn die Zahlen stimmen. Man könnte es vielleicht auf die Unbedachtheit einzelner Mitarbeiter schieben, die zu unerfahren sind, qualitative Aspekte in der Streuplanung angemessen zu gewichten. Oder man könnte, wie Rainer Stadler in seinem Artikel in der NZZ, die Haltung vertreten, dass Werbeboykotte «… grundsätzlich fragwürdig» sind und dass ein Unternehmen «seine Marketingziele auch auf Websites zu verfolgen hätte, welche allenfalls politisch oder moralisch missliebige Artikel publizieren.» Dem zufolge wäre es unmoralisch, Breitbart werblich zu schneiden.
Der Hund liegt aber ganz woanders begraben. Die Werbeeinblendungen auf Breitbart folgen in Wahrheit nur in geringem Masse menschlichen Entscheidungen. Die treibende Kraft dahinter ist das so genannte Programmatic Advertising und namentlich das Remarketing. Und um es auf einen Firmennamen zu reduzieren: Es geht um Google.
Der grösste Werbekonzern der Welt hat nämlich bewiesen, dass im digitalen Werberaum die Maschine bessere Planungsarbeit leisten kann als der Mensch. Dieser ist allein schon von der Quantität möglicher Werbeträger im Web überfordert, aber noch mehr von der Geschwindigkeit der digitalen Kommunikationsströme. Googles Algorithmen hingegen sind in der Lage, in Sekundenschnelle Werbebotschaften zur rechten Zeit am rechten Ort auszuliefern und das zum tiefstmöglichen Preis. Dieser wird nämlich nicht wie in alten Tagen in einer Preisliste festgelegt, sondern in Echtzeit über ein automatisches Bieterverfahren gemäss Angebot und Nachfrage ermittelt (Realtime Bidding).
Alle Intelligenz und Dateneinsicht dieser Maschinerie zielen auf die messbare und gleitend optimierte Werbeeffizienz der ihr anvertrauten Werbemittel ab. Google erreicht mit seinem Displaynetzwerk über 90 Prozent der Internetnutzer weltweit. Wen wundert es da, dass Werbetreibende sich diesem System anschliessen – und es einfach machen lassen? So wie auch die Plattformen selbst damit ihre Werbeplatzvermaktung bequem an Google auslagern können.
Natürlich ist es immer noch der Mensch, der die Maschine bedient und die Leitplanken setzt. Es ist immer noch möglich, mit menschlichen Ideen die leidenschaftslosen Algorithmen zu überschreiben, zum Beispiel indem man der Maschine verbietet, Breitbart in den Verteiler zu nehmen. Die meisten Google-Kunde sind sich heute aber gar nicht mehr bewusst, wo sich ihre digitale Werbung so rumtreibt.
Bei Breitbart werblich aufzutauchen, ist also nicht mit einem politischen Statement des Werbetreibenden gleichzusetzen. Eher mit dessen Unterlassung, das apolitische Google-Programm zu beeinflussen. Aber warum schickt der ach so schlaue Algorithmus ein Schweizer Pyjama auf eine amerikanische Polit-Bühne?
Die Verantwortung für die Werbeauslieferung an zweifelhafter Stelle liegt im Grunde beim Betrachter selbst. Er hat sich vermutlich Tage zuvor irgendwo im Web über Pyjamas informiert. Google erkennt, dass das Thema für den Nutzer wichtig ist, und schickt ihm im Auftrag der werbetreibenden Calida entsprechende Anzeigen hinterher, egal wohin er sich gerade bewegt im Web. Also auch nach Amerika in ein für Pyjamas eher raues Werbeumfeld. Was umgekehrt auch heisst: Wer sich nicht für Pyjamas interessiert, sieht auch keine Calida-Werbung auf breitbart.com.
Diese Technik nennt man Retargeting oder auch Remarketing. Google und andere Anbieter erlauben es den Werbetreibenden, Ihre Anzeigen an das User-Verhalten zu knüpfen. Den meisten Internet-Nutzern ist schon aufgefallen, dass sie von bestimmen Produkteanzeigen über Wochen regelrecht verfolgt werden, nur weil sie einmal kurz auf der Herstellerseite herumgeklickt haben. Google verwertet bei der Anzeigenauslieferung aktuelle Verhaltensmuster und angehäufte Nutzer-Informationen bis hin zu Handy-Bewegungsprofilen und stellt seinen Kunden entsprechende Targeting-Optionen zur Verfügung. Im Retargeting geht es nicht darum, für eine Anzeige ein inhaltlich passendes Umfeld zu finden. Sondern den passenden User im passenden Moment. So umstritten diese Methode in Datenschutzkreisen ist, so wirkungsvoll ist sie auch, weil sie den Streuverlust minimiert
Klassische Verlagstitel setzen auch im digitalen Raum immer noch darauf, dass Werbetreibende für ihre Botschaften ein hochwertiges redaktionelles Umfeld und affine Themen suchen und buchen. Digitalmarketer aber geben sich mit käuflichen Aussparungen auf redaktionellen Flächen nicht mehr zufrieden und wollen auf die Segnungen des Programmatic Advertisings nicht verzichten. Vielleicht wäre es für die Verlage eine gute Idee gewesen, selber algorithmische Raffinessen in ihr Werbeinventar zu stecken, bevor Technologiekonzerne ihnen die Butter vom Brot nehmen. Sie hätten 20 Jahre Zeit dazu gehabt.
Update: 23.3.2017
Nachdem sich Anzeigenkunden beschwert hatten, dass ihre Anzeigen neben extremistischen Videos auf Youtube eingeblendet werden, scheint Google das Problem erkannt zu haben und will reagieren. «Wir wissen, dass Anzeigenkunden ihre Werbung nicht neben Inhalten sehen wollen, die mit ihren Werten nicht im Einklang stehen», schreibt Google-Manager Philipp Schindler. Darum hat das Unternehmen angekündigt, seinen Kunden die Möglichkeit bieten, besser kontrollieren zu können, wo ihre Werbung angezeigt wird.
christian röthlisberger 22. März 2017, 21:25
sehrguter beitrag. zwei punkte fehlen:
#1 der hinweis, dass man blacklisten kann kommt nur zwischen den zeilen zum ausdruck. es gibt dafür bei adwords eine seite: https://support.google.com/adwords/answer/2454012?hl=de
#2 der hinweis zu sleeping giants, einer mittlerweile weltweit agierenden aktivisten gruppe, die firmen via twitter höflich darauf hinweisen, dass ihre werbung – unbeabsichtigt – bei breitbart erscheint. allein in der schweiz haben durch solche hinweise mehr als 100 werbetreibende breitbart geblockt. so u.a. die ubs, die post, baloise-group, biella, coop u.v.a. mehr. europaweit sind es 600+ und insgesamt 1500+ firmen, die dank sleeping giants die breitbarthetzer geblockt haben. und sich bei den giants jeweils freundlich für den hinweis bedanken. hier die eindrückliche liste: https://docs.google.com/spreadsheets/d/1i9o8CR_kjJ6mBd44k6CRZEhlXuZqq-XCCOoj-e8RJ7Q/edit#gid=0
die giants findet man bei facebook und twitter.
Markus Gabriel 23. März 2017, 13:15
Danke @christian
Gute Ergänzungen. Ich befürchte nur, dass allein Google Breitbart den Hahn zudrehen kann, es aber nicht tut. Das Blacklisting nützt nur, wenn alle mitmachen. Es gibt noch so viele unbedachte Unternehmen, die weiterhin unwissentlich Breitbart subventionieren. So gesehen helfen Boykott-Aufrufe an die User mehr. Denn Geld gibt’s nur für Traffic.
Gruss: @jaegi
christian röthlisberger 23. März 2017, 19:06
@jaegi da hast du wohl recht, direkt wird diese aktion breitbart nicht in die knie zwingen. leider.
aber ich finde die giants – vermutlich nicht mehr als 3 dutzend leute weltweit, die sich über twitter gefunden haben – trotzdem sehr beeindruckend und wirkungsvoll. sie haben firmen sensibilisiert, die vorher gar keine ahnung hatten, wo ihre werbung erscheint. diese haben dann wohl bei google direkt reklamiert, was dein update erahnen lässt. ferner haben sie die medien sensibilisiert, wie das beispiel von #10vor10 zeigt: http://www.srf.ch/news/schweiz/erste-schweizer-firmen-stoppen-werbung-auf-google-und-youtube – worauf prompt schon einige firmen reagiert haben. ein ende dieser entwicklung ist noch nicht abzusehen. und das ist gut so.