von Redaktion

«Wir wollen mehr Wertschätzung für den Journalismus»

Das zehnköpfige Zürcher Start-up-Projekt R will die Schweizer Medienwelt umkrempeln oder ihr mit dem digitalen Magazin Republik zumindest etwas entgegensetzen. Geschäftsführerin Susanne Sugimoto, Community-Verantwortlicher Richard Höchner und Kampagnenmanagerin Andrea Arezina verraten im Gespräch, wie sie das Projekt ohne Werbung finanzieren, wie viel Mitspracherecht Geldgeber haben und welche Rolle die Community spielt.

Das Crowdfunding für Projekt R hat in den ersten Stunden und Tagen Rekorde gebrochen. Nach zwei Wochen zählen Sie nun über 11 000 Mitglieder und haben über 2,8 Millionen Franken gesammelt. Haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
SUSANNE SUGIMOTO: Nein, wir zuletzt. Als ich kurz nach dem Start des Crowdfundings eine Medienmitteilung schrieb, musste ich ständig die Zahlen anpassen. Unser Adrenalin-Pegel stieg, als wir sahen, wie die Zahlen rasend schnell nach oben kletterten.
RICHARD HÖCHNER: Am ersten Tag hatten wir auf unserer Website über 300 Refreshes auf dem Statuszähler – pro Sekunde! Wir waren baff und mussten das erstmal verarbeiten. Hand aufs Herz: Keiner von uns hat mit diesem Start gerechnet. Der Erfolg schafft uns in vielerlei Hinsicht Raum, hat ein bisschen Druck aus allem genommen, packt diesen aber auf andere Art wieder drauf. Dieser Zuspruch ist zugleich Auftrag und Verantwortung, ein Mandat, das wir erfüllen wollen.

Haben Sie keine Angst, dass das ein einmaliger Anfangs-Hype war, der wieder abflauen könnte?
SUGIMOTO: Natürlich macht man sich auch solche Gedanken. Wissen können wir nicht, wie sich alles weiterentwickeln wird. Es gibt auch Leute, die abwarten. Dort liegt noch Potenzial für die Zukunft. Durch den Crowdfunding-Erfolg haben wir vorerst eine kleine Sicherheit. Weitere Sicherheit ergibt sich aus unserer Organisation.

Diese besteht aus Genossenschaft und AG. Wie soll die Zusammenarbeit aussehen?
SUGIMOTO: Die AG produziert und vertreibt das Magazin, das sich auf dem freien Markt beweisen muss. Die Genossenschaft ist gemeinnützig. Sie ist für die Weiterentwicklung des Journalismus und allgemeine Debatten rund um Medien zuständig. Die Genossenschaft besitzt maximal 49 Prozent der Republik-AG-Aktien. Somit sind die, die nun Mitglied bei der Genossenschaft werden, gewissermassen an der AG mitbeteiligt. Die restlichen Anteile besitzen Gründer sowie Mitarbeitende, und maximal 20 Prozent gehören den Investoren.

Wie viel Einfluss haben die Investoren?
SUGIMOTO: Praktisch keinen. Sie tätigen ihre Investitionen ohne Gewinnabsicht und stellen uns ihr Geld zur Verfügung. Sobald Republik selbsttragend ist, starten wir mit der Rückzahlung der Investitionen.

Und wie viel Mitspracherecht haben die Abonnenten, von denen jeder Mit-Verleger ist?
SUGIMOTO: Die Redaktion ist grundsätzlich unabhängig. Inputs von Lesern werden wir aber ernst nehmen. Unser Community-Management, das in der Genossenschaft stattfindet, ist weiter gefasst als in anderen Medien.

Wie sieht dieser andere Community-Ansatz aus?
HÖCHNER: Wir sehen Leser nicht nur als User, sondern als Menschen, mit denen wir Begegnung auf Augenhöhe wollen. Vor uns liegt eine Spielweise, auf der wir Interaktionsformate austesten können, sowohl digital wie auch offline. Unsere Ideen gehen weit über klassische Kommentarspalten hinaus. Wir wollen einen regen Austausch im Netz, aber auch vor Ort mit der Community. In den nächsten Wochen gehen wir raus, um mit Menschen über unser Projekt zu sprechen und einen Eindruck davon zu bekommen, was die Leute bewegt, was sie möchten, welche Fragen sie haben.

Das Communitybuilding scheint bisher gut zu funktionieren. Auch das eine Überraschung?
HÖCHNER: Es freut uns wahnsinnig, dass die Community jetzt schon so stark ist. Mit dem Crowdfunding hatte jeder die Gelegenheit, ein Statement zu veröffentlichen und sein Foto hochzuladen. Über 3000 haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. 3000 Fragen, Wünsche, Inputs, Bemerkungen – ein starkes Signal und für uns wertvolles 
Arbeitsmaterial.

Was haben Sie mit den gesammelten Daten vor?
SUGIMOTO: Die demografischen und geografischen Daten sowie die Aussagen sind ausschliesslich für den internen Gebrauch gedacht. Wir werden sie in den nächsten Wochen systematisch auswerten. Sie liefern uns wichtigen Input.

Können Sie ohne diese Auswertung bereits sagen, wer die Menschen sind, die Project R und Republik unterstützen?
HÖCHNER: Wir haben eine heterogen aufgestellte Community mit unterschiedlichen Meinungen. Diese Diversität freut uns sehr. Wir sehen uns schliesslich als Initiatoren von Debatten.

Haben Sie ein Beispiel für Input von aussen?
SUGIMOTO: Gewisser Input ist nicht angenehm, aber wertvoll. So wurde uns schon vorgeworfen, dass wir eine elitäre Haltung einnehmen, dass wir den Journalismus neu erfinden wollen. Wir kritisieren das System – und nicht die zahlreichen guten Journalisten, die sich in diesem bewegen.

Wie sollte sich das herrschende Mediensystem in Ihren Augen verändern?
HÖCHNER: Uns geht es darum, wieder mehr Wertschätzung für den Journalismus zu schaffen. Wie in der Musik- und Filmindustrie hat auch in der Medienbranche die Digitalisierung in einem ersten Schritt zu einer Erosion des Markts geführt. In den gesamten Produktionsprozess wollen wir nun wieder mehr Wert bringen, vor allem die prekären Produktionsbedingungen sind ein Thema, das auf den Tisch gehört. Der Rücklauf beim Crowdfunding zeigt doch, dass Menschen bereit sind, für guten Journalismus Geld zu bezahlen.

Also werden Sie keine schlecht bezahlten Praktikanten engagieren?
SUGIMOTO: Wir bieten nicht die klassischen Praktikumsplätze an, sondern Ausbildungsplätze. Die Auszubildenden bekommen die Hälfte des Einheitsgehalts, das im Moment alle Mitarbeitenden bekommen. Qualität soll ihren Preis haben, und das fängt schon bei den Auszubildenden an.

Andere Medien bieten auch Qualitätsjournalismus, und trotzdem erleiden sie finanziell massive Einbussen. Warum wird das der Republik nicht passieren?
HÖCHNER: Wir haben ein Geschäftsmodell, das so bis jetzt in der Schweiz nicht existiert. Wir werden ein digitales Magazin sein mit tiefen Vertriebskosten und müssen keiner Werbelogik entsprechen. So kann der Grossteil der Einnahmen direkt in den Journalismus fliessen. Wir haben einen Business-Plan, wir haben Kapital – und wir finanzieren uns über die Leserinnen und Leser. Wenn wir einen guten Job machen, werden diese uns hoffentlich auch weiterhin unterstützen.
SUGIMOTO: Niemand kann heute sagen, wie sich die Preise für digitale Medien entwickeln werden. Entwickeln sich die Preise negativ, habe wir durch die Genossenschaft im Hintergrund eine gewisse Sicherheit. Ob das funktioniert? In einem Jahr wissen wir mehr. Im Januar kommen wir mit unserem Produkt auf den Markt, dort muss es sich beweisen.

Nicht alle können ein neues Magazin mit neuen Strukturen schaffen. Was sollten diejenigen, die Sie als Lenker des Systems kritisieren, Ihrer Meinung nach anders machen?
SUGIMOTO: In die Publizistik investieren! Und in neue Technologien. Die Leser sollten Königinnen und Könige sein, nicht die Werbekunden. Natürlich machen das manche bereits.
Höchner: Die Geschwindigkeit müsste gedrosselt werden, Leser werden heute mit Schnellfutter überflutet. Die Komprimierungsleistung und die Reflektionsansätze fehlen.

Was würden Sie selbst tun, wenn die Abozahlen stark sinken würden?
SUGIMOTO: Darauf können wir jetzt noch keine Antwort geben. Wir müssen uns die Flexibilität erhalten, situativ entscheiden zu können. Wachstum ist immer asymptotisch, jeder Marketingzyklus geht irgendwann auch nach unten. Wir werden uns sicher noch Marketingkompetenz ins Boot holen und das Angebot eventuell ausweiten, sei das mit einem vertieften Wirtschaftsteil oder mit Veranstaltungen. Auf jeden Fall werden wir unseren Grundsätzen treu bleiben.

Was müsste geschehen, damit Sie sagen: Das Vorhaben ist gescheitert?
SUGIMOTO: Wir haben keine Kristallkugel, darum ist eine seriöse Antwort schwierig.

Sie haben verkündet, in den nächsten Jahren 22 000 Abonnenten gewinnen zu wollen. Wie sieht Ihr Marketingkonzept aus, um das Projekt langfristig unter die Leute zu bringen?
ANDREA AREZINA: Das Marketingkonzept wird langfristig sein mit herausragenden Inhalten, das übergeordnete Ziel und somit den Journalismus als vierte Gewalt im Staat zu stärken. Um an das Ziel zu kommen, läuft die Kampagne unterstützend, im Moment mit Fokus auf das Crowdfunding. Der Schwerpunkt liegt zurzeit klar bei der Community und ihrer Partizipation.

Was ist an dieser Kampagne besonders?
AREZINA: Jede Kampagne birgt das Risiko, sie zu verlieren – und die Chance auf einen Sieg. Was diese Kampagne und auch andere erfolgreiche Kampagnen auszeichnet, ist das Team dahinter. Wenn es gelingt, das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist schon viel geschafft.

Der Aufbau einer Marke beginnt ja weit vor einer Kampagne. Wie war Ihre Herangehensweise?
SUGIMOTO: Der Markenaufbau war ein gutes Stück Arbeit, die wir intern sehr ernst genommen und mit externen Partnern diskutiert haben. Zum Glück haben viele schon in der einen oder anderen Form an solchen Marken-Prozessen mitgearbeitet. Wir haben viel debattiert. Jetzt sind wir alle verliebt in das, was wir gemeinsam geschaffen haben. Etwa unsere Schrift namens Republik.Serife.
HÖCHNER: Wir haben bewusst eine Schrift gewählt, die aneckt, die nicht stromlinienförmig daherkommt.

Und wie lief die Namensfindung ab?
SUGIMOTO: Wir haben lange diskutiert und immer mehr verdichtet, bis noch sechs Namen zur Auswahl standen. Der Prozess hat mehrere Monate in Anspruch genommen.
Höchner: Wir haben auch Experten um Rückmeldung gebeten, denn der Name «Republik» ist nicht ganz unverfänglich. Das alles abzuklären, brauchte Zeit.
Sugimoto: Beim Design, bei der Logo-Kreation war es ähnlich. Tobias Peier von Bodara hat an vielen Sitzungen mit verschiedenen Campaignern teilgenommen. Mit dem Manifest war der Ablauf ähnlich. Wir haben geschrieben, diskutiert, bis wir alle sagen konnten: «Ja, jetzt stimmt es, jetzt fühlt es sich einfach richtig an.»

Nicht nur die Marke haben Sie selbst aufgebaut. Auch im technischen Bereich gehen Sie neue Wege. Warum ist dafür ein eigenes CMS nötig?
HÖCHNER: Freiheit in der Darstellung journalistischer Inhalte ist für uns zentral. Auch weil wir unsere Community anders mit einbeziehen möchten, müssen wir technische Möglichkeiten haben, die es so ab der Stange nicht gibt. Ausserdem lebt der Brand vor allem im Netz, daher haben wir hohe Ansprüche an die Qualität. Da ist auch die User Experience immens wichtig: Vier Clicks sind oft drei zu viel.
SUGIMOTO: Dass die IT und die Redaktion besonders eng zusammenarbeiten sollen, war von Anfang an klar. Ein wichtiger Punkt ist das Sichtbarmachen von Daten, das wird auf Republik.ch eine grosse Rolle spielen.

Trotzdem viel Aufwand…
HÖCHNER: Wir fühlen uns dem Open-Source-Ansatz verpflichtet, darum müssen wir auch nicht ganz bei null anfangen. Im Gegenzug stellen wir unsere Entwicklungen anderen zur Verfügung. Wir sind auch im Gespräch mit anderen Klein-Medien, wie man die technischen Möglichkeiten für alle nutzbar machen könnte.

Sie haben verkündet, Ihr Team nun erweitern zu wollen. Wie sehen die nächsten Schritte aus?
SUGIMOTO: Wir stellen zunächst weitere IT-Entwickler ein. Das Redaktionsteam formiert sich selbstständig, dort beginnen die Gespräche im Sommer. Die ersten Journalisten werden im Oktober starten. Wir wollen das Team nicht von heute auf morgen vergrössern, sondern Schritt für Schritt, damit wir die Neuen gut integrieren können.

Wie gehen Sie die Wachstumswelle an?
SUGIMOTO: Wenn ein Unternehmen wächst, gehören Wachstumsschmerzen dazu. Bis jetzt waren wir im Start-up-Modus, das wird sich ändern.
Höchner: Man sollte bewusst zwischen Zeiten unterscheiden, in denen man aufmacht, Gedanken sammelt, diskutiert und solchen, in denen man zumacht und jeder sich auf seinem Fachgebiet spezifischen Aufgaben widmet.

Zu guter Letzt: Wie bewertet die Konkurrenz Ihren Erfolg?
SUGIMOTO: Wir hatten letztens ein Treffen mit anderen kleinen Medien, und die bestätigen uns, dass wir in erster Linie keine Konkurrenz sind, sondern der gesamten Medienlandschaft Schub verleihen.
HÖCHNER: Genau, wenn wir es schaffen, dass Menschen für guten Journalismus Geld bezahlen, kommt das den Medien insgesamt zugute.

Interview: Nora Dämpfle / Ann-Kathrin Schäfer. Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Werbewoche vom 19. Mai 2017.