Champions League im Pay-TV: Fernsehen wird zum Luxusgut
Hat das öffentlich-rechtliche TV-Modell ausgedient? Im Sport- und Unterhaltungsbereich sind die Zeichen der Machtverschiebung nicht zu übersehen: Pay-TV statt Free TV. Am Ende profitieren auch hier die Technologie-Konzerne wie Google, Facebook Amazon.
Wer künftig die Champions League sehen will, muss tiefer in die Tasche greifen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der Bezahlsender Sky und der kostenpflichtige Streamingdienst DAZN die «Königsklasse» ab der Saison 2018/2019 exklusiv übertragen werden. Damit fliegt in Deutschland die Champions League aus dem Free TV. In den kleineren Märkten der Schweiz und Österreich bleibt vorerst alles beim Alten, SRF und ORF zeigen in der nächsten Saison europäischen Spitzenfussball. Beim ZDF hingegen, gucken die Sportfreunde in die Röhre. Das öffentlich-rechtliche Programm unterlag im Bieterwettbewerb um die Senderechte. «Bis an die Schmerzgrenze» sei man laut ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann gegangen. Nach Informationen von «Bild» ist der Sender in der Vergaberunde für 2018/19 bis 2020/21 bei einem Gebot von 70 Millionen Euro ausgestiegen.
Nun kann man sich generell fragen, ob es zum Grundangebot eines öffentlich-rechtlichen Senders gehört, Spiele der Champions League im TV zu zeigen und ob man mit Gebührengeldern die Show von Ronaldo und Co. finanzieren sollte. Ist das Wegfallen der Champions League ein Verlust für das Gebührenfernsehen? Oder kommt nur zusammen, was zusammengehört, Kommerzfussball zu Kommerzfernsehen? Interessanterweise kommen die kritischen Töne aus dem Fussball selbst.
Andreas Rettig, Geschäftsführer des Zweitligisten FC St. Pauli, dessen Anhänger und Trainer Ewald Lienen dem linken Milieu zuzurechnen sind, sagte in einem Interview mit der Fachzeitschrift «Kicker»: «Ich sehe die Entwicklung unter gesellschaftspolitischen Aspekten mit grosser Sorge. (…) Die Gruppe der unter 20-Jährigen wird kleiner, die der über 60-Jährigen grösser. Langfristig werden sich viele ältere Fans den ‹Luxus Fussball› im TV schlicht und einfach nicht mehr erlauben können, Stichwort Altersarmut.» Braucht es analog zum Mindestlohn eine Mindestsendezeit von Fussball im Fernsehen? Eine Art Basispaket?
Der Rechtepoker ist inzwischen sogar ein Wahlkampfthema geworden, da es längst auch um Politik geht, zumal in den Rundfunkräten bzw. im Fernsehrat auch Vertreter des Bundes und des Länder vertreten sind. «Hohe Pflichtgebühren fürs TV + trotzdem kein #Fussball? #ChampionsLeague Übertragung muss für alle gesichert werden!», twitterte die Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht. In einem Interview mit der «Welt» legte die Politikerin nach: «Fussball ist der populärste Sport in Deutschland, und auch Menschen, die sich kein Pay-TV leisten können oder wollen, möchten den europäischen Spitzenfussball sehen.» Der Ausschluss von Zuschauern sei «nur durch die fortschreitende Privatisierung des Fernsehens möglich». Dass die Ligaverbände diese Privatisierung des Fernsehens durch eine hemmungslose Vermarktung – erinnert sei hier an den milliardenschweren TV-Rechte-Deal in der Premier League – selbst betrieben haben, hat Wagenknecht in ihrer Kalkulation nicht eingepreist. Fussballklubs wie Bayern München bieten ihren Fans schon seit Jahren ein eigenes, bezahlpflichtiges Vereins-TV mit Hintergrundberichten und Live-Spielen. Doch in Begriffen wie «Ausschluss» und «Luxus Fussball» scheint im Kleinen auf, was sich im Grossen vollzieht: Dass sich in der Fernsehlandschaft ähnlich wie im Stadion segregierte «Nutzungsklassen» herausbilden, wo eine zahlungskräftige Kundschaft bereit ist, für ein «Premiumprodukt» draufzuzahlen.
Frank Steffel, Obmann der CDU im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, forderte nach dem Aus des ZDF als Champions-League-Sender ein Umdenken. «Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten die freien Gelder und Sendezeiten für andere Sportarten nutzen. Weiterhin hauptsächlich auf Fußball zu setzen, wäre fahrlässig und naiv», sagte er. «Wer internationale Topstars will, muss diesen finanziellen Wahnsinn mitgehen oder abschalten.» Diese Ansicht läuft im Ergebnis jedoch darauf hin, dass die Volkssportart Fußball in einer Teilöffentlichkeit stattfindet und damit zum Elitesport bzw. Marketing-Event verkommt.
Das Fernsehen war zu seiner Anfangszeit eines der demokratischsten Medien überhaupt. Jung und Alt, Arm wie Reich starrten in den Schwarz-Weiss-Flimmerkasten und sahen die gleichen Sendeinhalte in bescheidener Qualität. Es gab nur zwei oder Programme, nach Sendeschluss flimmerte das EBU-Testbild. Ende der 1960er Jahre setzte sich das Farbfernsehen durch, ehe mit dem Kabelfernsehen und Pay-TV das erste Bezahlfernsehen kam. Das lineare Fernsehen, bei dem sich das Publikum Samstagabends zur Primetime vor dem Fernseher in der heimischen Wohnstube versammelte, verliert zunehmend an Bedeutung. In den Mediatheken lassen sich Sendungen 24/7 (mit Einschränkungen bei der Sportberichterstattung) abrufen. Den Sendeschluss gibt es so nicht mehr. Vor allem die jüngeren, digitalaffinen Nutzer streamen Inhalte und basteln sich ihr eigenes, massgeschneidertes Programm zusammen.
Bei den fiktionalen Inhalten hat sich Netflix als erste Adresse etabliert. Mit beliebten Serien wie «House of Cards» gräbt die Streamingplattform den historischen TV-Sendern nicht nur das Publikum ab, sondern wirbt ihnen auch zunehmend Schauspieler und Produzenten ab, wie jüngst die Irin Tara Flynn. Allein in diesem Jahr plant Netflix über 70 neue Produktionen. Das «Wall Street Journal» nannte den Streaming-Dienst darum das «Monster, das Hollywood auffrisst». Doch Netflix ist nicht allein. Neben dem Platzhirsch finden sich eine ganze Reihe weitere populäre Bezahldienste wie HBO Now, Showtime oder Hulu. Grosse Player sind dabei mehr als nur eine Abspielplattform für zusammengekaufte Filme und Serien. Sie produzieren die Inhalte selbst. So feierte Amazon Prime mit der Serienproduktion «You Are Wanted» von und mit Matthias Schweighöfer einen durchschlagenden Erfolg.
Prognosen der Analysefirma Zenith zufolge nähern sich die Kurven von TV- und Internetnutzung immer stärker an. 2020 könnte die Internetnutzung erstmals den TV-Konsum überflügeln – wobei zu fragen wäre, was eigentlich noch genuin TV ist. Die Generation «Zero TV» ist auf dem Vormarsch. In den USA wurden bereits 2013 in fünf Millionen Haushalte kein klassisches Fernsehen mehr geschaut (der Begriff «Zero TV» ist etwas missverständlich, weil 75 Prozent dieses Haushalte tatsächlich noch ein Empfängergerät besitzt, es jedoch ausschließlich für DVDs, Videospiele oder Streaming nutzt und daher nicht in die klassische Kategorie der Fernsehnutzung fällt). Doch laut einer jüngsten Erhebung des Amts für Energiestatistik (U.S Energy Information Administration) ist die Zahl der Fernsehgeräte in den USA zurückgegangen. Waren in US-Haushalten 2009 durchschnittlich noch 2,6 Fernsehgeräte installiert, sank die Zahl 2015 auf nur noch 2,3. Das Smartphone- und Tablet-Display wird zur neuen Mattscheibe. Technologie killt das klassische TV.
Indem sie die ganze Wertschöpfungskette übernehmen, bedrohen Streaming-Dienste das Geschäftsmodell traditioneller TV- und Kinoproduktionen. Damit verbunden ist nicht nur ein Abfluss von Werbegeldern sondern auch eine Machtverschiebung. Die Technologie-Konzerne bestimmen zunehmend, was auf Sendung geht. Und was gezeigt wird.
So hat Google vor wenigen Wochen über seine Tochter Youtube den Dienst «Youtube TV» lanciert, der auf einem Abo-Modell basiert und komplementär zur Videoplattform läuft. Für 35 Dollar im Monat kann man – vorerst in den USA – verschiedene Sender wie ABC, EPSN (zu Disney gehörend), NCs (Comcast), Fox News und National Geography empfangen. Mit Youtube TV will Google den TV-Sendern zusätzliche Reichweite bieten gegen eine Beteiligung an den damit erzielten Werbeeinnahmen. Für die Sender ist das Angebot verlockend, weil sie über Youtube jüngere Zuschauer erreichen als über ihre bisherigen Kanäle.Es birgt aber auch die Gefahr, dass sich Medienkonzerne in Abhängigkeiten zu dem Tech-Giganten begeben. Turner-CEO John Martin sagte, dass Youtube TV seine Offerte ausschlug. Der Sender CNN, das Teil der Turner-Gruppe ist, kann vorerst nicht über Youtube TV abgerufen werden. Was auch eine Zeitenwende ist. CNN galt einst als Katalysator der Globalisierung, das seine oft lärmigen News aus aller Welt in die Wohnstuben trug. Gründer Ted Turner konzeptualisierte die Globalisierung als «Vorspultaste», die es in Zeitlupe zu analysieren gelte. Im CNN Center in Atlanta waren die Mitarbeiter stolz darauf, binnen 24 Stunden Fernsehteams mit umfassendem Equipment an jeden Punkt der Erde schicken zu können. Doch die alten Medienspieler werden zunehmend von Streaming-Diensten und sozialen Netzwerken überholt, die Informationen viel schneller über den Globus jagen.
Springer, das mit seinem Online-Flaggschiff Bild.de bei der Vergabe der Bundesligarechte ab der Saison 2017/18 dem Streamingdienst DAZN unterlag, bezieht dank einer Kooperation Sportvideos vom Konkurrenten, die allerdings erst nach dem Fussballwochenende in der Nacht zu Montag um 0.00 Uhr online gehen dürfen – was zeigt, dass Verlage noch Schwierigkeiten bei der Monetarisierung von Inhalten haben und in der Verwertungskette eher das letzte Glied sind.
Der Vormarsch der Streaming-Dienste könnte das Ende des Free TV besiegeln – wobei das auch immer eine Illusion war, weil sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk über Gebührengelder, die faktisch eine Zwangsabgabe sind, finanziert und die Privatsender sich über Werbung finanzieren. Durch die Umstellung des in Deutschland verbreiteten digitalen Antennenempfangs auf den neuen Standard DVB-T2 werden allerdings auch Privatsender kostenpflichtig.
Der doppelt codierte Leitspruch «Information wants to be free», der sowohl als Informations- als auch als Kostenfreiheit derselben verstanden werden konnte, scheint nur noch mit Einschränkungen zu gelten. Während einst die billigen Plätze vor der Glotze waren, sind sie heute in den algorithmischen Endlosschleifen auf Facebook oder Youtube. Die Bezahlschranke wird zum sozialen Selektionskriterium. Wer sich die Zusatzgebühr für die Zaubertricks von Messi und Co. nicht leisten kann oder will, schaut am Ende in die Röhre.