von Benjamin von Wyl

Ringier-Magazin izzy mit «Mut zur Meinung» – und auch zu einer Haltung?

Der Start von izzy erfolgte einigermassen diskret. Das passt zur neuen Online-Plattform für die junge Zielgruppe aus dem Hause Ringier. Im Gegensatz zu vergleichbaren Angeboten anderer Medienhäuser pflegt izzy einen weniger effekthascherischen Journalismus, sondern will mit Meinung punkten. Als Klickmagnet dienen derweil lustige Videoclips auf Facebook.

Über die Feiertage nehmen sich viele vor, weniger Zeit auf Facebook zu verbringen. Wer startet also eine neue Social-Plattform zehn Tage vor Heiligabend? Ringier hat es getan. «Mut zur Meinung. Echt jetzt.» prangt prominent auf der Website von izzy, die seit dem 14. Dezember im Web steht. Bis heute stehen rund zwanzig Beiträge auf der Seite, viele davon vor dem Start vorproduziert.

Darunter findet sich ein Kommentar zum Sexismus und der Verharmlosung sexueller Gewalt in den Texten von Rapper Kollegah und Volksmusikant Trauffer, in einem anderen Text nervt sich ein Autor über inkompetente Taxifahrer. Auch an den vorweihnachtlichen Ladenöffnungszeiten und der grassierenden Verwendung von Denglisch arbeitet sich die Redaktion kritisch ab. In der bisher einzigen Reportage berichtet izzy von der Sexindustrie-Messe Extasia. Die Meinungsbeiträge sind pointiert – und auch die Reportage kommt meinungsstark daher. Neben geschriebenen Artikeln finden sich auf der Website Videobeiträge, meist kürzer als drei Minuten. Diese schwirren schon seit Mitte September durch die sozialen Medien. Besonders auf der Facebook-Seite des izzy-Magazins geht bereits die Post ab. Hier funktionieren vor allem kurze, witzige oder satirische Clips als Klickmagnet. Sei dies ein Fake-Werbespot für Fairtrade-Kokain, «damit Schweizer Hipster mit einem guten Gewissen eine Line ziehen können» oder Strassenumfragen zu Sex im Alter oder den Traumberufen von Kindern.

Auf der Suche nach dem Publikum der Zukunft lancieren grosse Verlage häufig Ableger für eine – unterschiedlich definierte – junge Zielgruppe. 1993 startete die «Süddeutsche Zeitung» das Jugendmagazin «jetzt». Kürzlich wurde bekannt, dass die Printausgabe von «jetzt» 2018 eingestellt wird – bereits zum zweiten Mal, nachdem das Magazin bereits 2002 aus Kostengründen nicht mehr gedruckt wurde. Einflussreiche Printprodukte mit junger Zielgruppe aus den Nullerjahren vermelden einbrechende Zahlen. Verkaufte sich eine «Neon»-Ausgabe (Gruner + Jahr) 2011 durchschnittlich 237’000 mal, kam sie im Frühjahr 2017 noch auf 86‘000. Die Verbreitung von Smartphones boten deutschsprachigen Ablegern von viral ausgerichteten US-Medien wie Buzzfeed und Vice die Möglichkeit, den Medienkonsum von unter 30-Jährigen zu verändern.

Im deutschsprachigen Raum hat längst «Bento» die Führerschaft im Kampf um das junge Online-Publikum eingenommen.

Ringier ist nicht das erste Medienhaus, das auf das veränderte Nutzungsverhalten reagiert. Tamedia mit Tilllate und AZ Medien mit Watson bieten in unterschiedlichem Umfang schon seit mehreren Jahren Information und Unterhaltung für die junge Zielgruppe an. Im deutschsprachigen Raum hat längst «Bento» (Spiegel Online) die Führerschaft im Kampf um das junge Online-Publikum eingenommen. 3,97 Millionen Unique Visitors erreicht das reichweitenstärkste Spartenmagazin für junge Menschen monatlich. Drei Monate vor «Bento» – im Juli 2015 – lancierte «Die Zeit» mit ze.tt eine eigenständige Marke. Seit Anfang 2017 mischt auch der Axel Springer-Verlag im Online-U30-Geschäft: Noizz ist bereits in mehreren osteuropäischen Ländern aktiv und erreicht mit seinem deutschen Ableger momentan ein bisschen mehr als halb so viele Leser*innen wie «Bento». Alle diese Jugendportale haben eines gemeinsam: Sie setzen hemmungslos auf Native Advertising. Während sich Spiegel Online noch 2014 klar von Branded Content distanziert hatte, war solcherlei Werbung – farbig unterlegt und als Sponsored Post bezeichnet – von Anfang an integraler Bestandteil von Bento.

Auch in der Schweiz existiert seit Anfang 2016 mit Tilllate.ch – das zu «20 Minuten» gehört und früher der Party-Ableger der Gratiszeitung war – eine Online-Plattform, die auf eine vergleichbare Zielgruppe schielt. Vergleichbar allerdings nur begrenzt, denn die Artikel von Tillate.ch brillieren mit einer Stumpfsinnigkeit, die sogar Noizz, den jungen Ableger der «Bild»-Zeitung, in den Schatten stellt. Titel wie «Welche Vergewaltiger sind in deinem Lieblingsfilm?» und «Bist du auch bald Pornostar?» sprechen für sich. Die beiden Beispielartikel von Tilllate.ch beziehen sich zwar beide auf die #metoo-Debatte, aber begnügen sich damit ohne starke Positionierung durch die Debatte zu labern. Am Ende ist ihre Daseinsberechtigung der Titel.

In diesen Videos zeigt sich das Potenzial von izzy: Klare Beitragkonzepte, Verzicht auf voyeuristische Blicke und eine Nähe zur Zielgruppe.

Als die #metoo-Debatte richtig anlief, wurde ein izzy-Video, in dem junge Schweizerinnen von sexuellen Übergriffen berichten, in Teilen auch bei «10 vor 10» und auf Tele Züri gezeigt. Izzy ging aber noch weiter und holte drei Tage später Männer vor die Kamera, die selbstkritisch berichten, dass sie in der Vergangenheit bei sexuellen Übergriffen nicht eingeschritten sind. In diesen Videos zeigt sich das Potenzial von izzy und dessen Claim «Mut zur Meinung. Echt jetzt.»: Klare Beitragkonzepte, Verzicht auf voyeuristische Blicke und eine Nähe zur Zielgruppe, die das Social Media-Medium anscheinend TV-Sendern voraus hat.

Das grösste Publikum erreichte bisher ein Sketch-Video zu nervigen Callcenter-Anrufen und eine lustige Story zur Manor-Werbung, die ganz nach Branded Content aussieht, aber rein redaktionell entstanden ist. Auch weitere Lifestyle-Inhalte von izzy zeugen von einer gewissen Nähe zu kommerziellen Marken: Starbucks, der Zürcher Club Hive und Popstar Taylor Swift.Noch herausragender im Hinblick auf das kommerzielle Interesse Dritter ist eine Strassenumfrage zum Aussehen des Bestseller-Autors Rolf Dobelli. Am Ende des Videos wird sogar Werbung für sein aktuelles Buch aufgeschaltet und in der Beschreibungszeile auf Facebook steht «In Zusammenarbeit mit dem Bestseller-Autor Rolf Dobelli.» Laut Florian Scholl, bei izzy für das Marketing zuständig, handelt es sich dabei aber nicht um ein Native Ad, sondern um eine rein redaktionelle Zusammenarbeit. Selbstverständlich wolle man in Zukunft aber auf Branded Content setzen – und diesen klar als Werbung markieren. Trotz der Bekräftigung einer klaren Ausweisung als Werbung bleibt die Frage, ob Branded Content den «Mut zur Meinung» – sprich: die klare Positionierung – des Video getriebenen Debattenmediums nicht verwässert.

In der Redaktion trifft eine Menge Social Media-Erfahrung aufeinander.

Die Gesamtleitung hat Storyfilter-Gründer Bernhard Brechbühl; in der Redaktion trifft eine Menge Social Media-Erfahrung aufeinander. Dass diese mit der Positionierung in gesellschaftlichen Debatten ausgeschöpft wird, ist aber wohl für einige neu. Redaktor*innen sind unter anderem Anne-Sophie Keller (ehemals Migros-Magazin) und Miriam Suter (ehemals Annabelle). Beide bringen und brachten sich lautstark in feministische Debatten ein. Izzy-Redaktor Lorenz König (ehemals NZZ) bezeichnet sich in seiner Twitter-Bio immerhin als «Berufsfrauenversteher».

Langfristig muss sich zeigen, ob sich izzy glaubwürdig als Medium mit gesellschafts

    liberaler Grundhaltung positioniert. Meinungen gibt es in der Social Media-Sphäre viele, Haltung ist seltener. Meinung gibt immer guten Traffic – für Haltung muss man ab und an die Denkmuster des Viralmarketings ablegen.

    Anmerkung: In einer früheren Version hat es fälschlicherweise geheissen, dass es sich bei der Strassenumfrage zu Rolf Dobelli um ein Native Ad handelt.