Die Chefredaktorin sieht im Studioumzug fast nur Vorteile
Die SRG kriegt bald weniger Geld und prüft darum, das Radiostudio Bern aufzulösen und die Inforedaktionen zum Fernsehen nach Zürich zu verlegen. Obwohl noch nichts entschieden ist, favorisiert Radio-Chefredaktorin Lis Borner einen Umzug. Sie sagt: «Ich spare lieber Mauern als Menschen.»
Medienwoche:
Sind die Tage des Radiostudios Bern gezählt?
Lis Borner:
Die Antwort kann ich wirklich erst Ende Juni geben, wenn der Verwaltungsrat der SRG entschieden hat. Jetzt kann ich einfach sagen, dass wir abklären, ob sie gezählt sind oder nicht.
Medienwoche:
Werden bis zum Entscheid im Juni auch noch andere Varianten evaluiert als nur ein Umzug der Radioinformation von Bern nach Zürich?
Lis Borner:
Wir überprüfen die Anzahl der Studiostandorte. Die SRG muss insgesamt 100 Millionen Franken sparen. Das trifft uns bei SRF mit einem Drittel. Das ist wirklich viel. Mir scheint es logisch, dass wir zuerst abklären, ob wir die Standorte reduzieren können und erst dann, ob es sonst noch Sparpotenzial geben könnte. Wir evaluieren jetzt, ob es möglich ist, die Radioinformation an den Leutschenbach zu verschieben.
Medienwoche:
Wie waren die ersten Reaktionen hier im Studio?
Lis Borner:
Die Leute waren erst einmal überrascht und sind erst dabei, sich eine eigene Meinung zu bilden. Bei unserer Informationsveranstaltung am Mittwoch hatte ich den Eindruck, dass viele mindestens nachvollziehen können, was unsere Überlegungen sind. Auch danach waren die Reaktionen insgesamt sachlich. Ich stelle auch ein realistischeres Verhältnis zum Geld, zu den Ressourcen, fest. Ich glaube, viele verstehen, was es heisst, zehn Millionen Franken zu sparen mit einem Standortwechsel anstatt mit Programm- und Personalabbau. Aber klar: Der lange Arbeitsweg macht vielen Sorgen.
Medienwoche:
Gegenwärtig wird im TV-Studio Leutschenbach ein neuer Newsroom gebaut. Hat man dabei eingeplant, dass noch die ganze Radioinformation dazukommen könnte?
Lis Borner:
Nein. Aktuell ist der neue Newsroom so ausgelegt, dass das Fernsehen und die Online-News Platz haben. Für die ganze Radioredaktion hätte es aber – Stand jetzt – keinen Platz. Darum müssen wir das alles noch einmal anschauen und prüfen, wo die Radioredaktionen sinnvollerweise platziert werden könnten.
Medienwoche:
Wie geht ihr dabei vor?
Lis Borner:
Als Erstes überlegen wir, wo Kooperationen sinnvoll sind, besonders bei den Schnittstellen zu unserem Online-Angebot. Ich sehe auch Potenzial bei der Themenrecherche, beim Faktenchecking. Genauso überlegen wir, wo es nichts bringt, wenn Radio- und TV-Leute zusammenarbeiten. Aufgrund dieser Erkenntnisse definieren wir, wo das Radio positioniert werden müsste. Dabei achten wir besonders darauf, die Vorteile zu nuten, die ein «Campus Leutschenbach» bringen könnte. Wir wären mit den grossen Radioprogrammen von SRF 1 und 3 unter dem gleichen Dach. Diesen Vorteil würden wir natürlich schon nützen wollen. Gerade am Morgen hat SRF 1 einen hohen Informationsanteil und es wäre für die Abläufe natürlich viel einfacher, wenn wir am gleiche Ort wären.
Medienwoche:
Gleichzeitig gibt es die alte Sorge der Radioleute, vom Fernsehen marginalisiert zu werden. Solche Befürchtungen sind nun auch wieder im Studio Bern zu hören. Was sagst du dazu?
Lis Borner:
Das ist tatsächlich ein Punkt, den wir sehr genau im Auge behalten müssen. Es ist klar, dass die Qualität unserer Informationssendungen durch den Umzug nicht leiden dürfte. Gleichzeitig muss man sich vor Augen halten, dass da nicht ein paar wenige Radioleute zum Fernsehen nach Zürich ziehen, sondern ein paar hundert Personen. Der Leutschenbach würde ein anderer Ort als heute, wenn das Radio mitsamt seinen Standards, Kompetenzen und dem ganzen Selbstbewusstsein dort einzöge.
Medienwoche:
Die Radioinformation in Bern pflegt aber auch eine eigene Kultur, die lokal gewachsen ist und über das Personal auch das Programm prägt. Die ginge in Zürich verloren.
Lis Borner:
Diese ganz spezielle Radiokultur, unser Identität, müssen wir versuchen mitzunehmen. Das kann man am besten, indem man Teams bestehen lässt und nicht einfach alle nur in Grossredaktionen umsiedelt. Deshalb haben wir ja auch beschlossen, dass wir im Fall eines Umzugs die Chefredaktionen TV und Radio getrennt lassen.
Medienwoche:
Die Berner Eigenart ginge doch verloren. Nach einem Umzug der Radioinformation zum Fernsehen würde das Personal künftig aus dem Grossraum Zürich rekrutiert.
Lis Borner:
Das Thema Rekrutierung müssten wir sehr sorgfältig angehen. Es kann nicht sein, dass in er Radioinformation nur Leute aus Zürich und Umgebung arbeiten. Aber wenn man sich das Personal von SRF 1 in Zürich anschaut, ist das ja auch gar nicht so. Dort finden sich zahlreiche Bernerinnen oder Walliser.
Medienwoche:
Seit wann arbeitet ihr an der Standortüberprüfung, die ihr nun bekannt gegeben habt?
Lis Borner:
Seit wir intensiver für Online arbeiten, habe wir auf der Ebene der Chefredaktionen von Radio, TV und Online schon ein paar mal festgestellt, dass vieles einfacher wäre, wenn wir alle am gleichen Ort arbeiten würden. Seit der Bundesrat die Plafonierung der Gebühren auf 1,2 Milliarden Franken pro Jahr beschlossen hat, war allen klar, dass wir ein gröberes Problem haben. Dieser Diskussionsprozess über Sparmassnahmen läuft daher schon länger. Ob wir auch Standorte überprüfen sollten, diskutieren wir konkret seit etwa Anfang Jahr. Ernsthaft prüfen können wird es aber erst, seit die «No Billag»-Initiative abgelehnt wurde.
Medienwoche:
Wie ergebnisoffen kann eine solche Standortevaluation erfolgen unter diesen klaren Sparvorgaben?
Lis Borner:
Unsere Prüfung soll wirklich ernsthaft erfolgen. Niemand hat ein Interesse daran, eine Hauruck-Übung durchzuziehen und am Schluss ist alles kaputt. In dem Sinn ist das wirklich eine ernsthafte Prüfung, wo der Ausgang nicht jetzt schon feststeht. Gleichzeitig, und das ist mir schon wichtig, stehen wir vor der Wahl, entweder zehn Millionen zu sparen mit Immobilien oder den gleichen Betrag bei Programm und Personal. Da ist für mich klar, dass ich die Immobilien wähle. Ich spare lieber Mauern als Menschen.
Medienwoche:
Nun wird in Bern Protest laut gegen eine Schwächung des Medienstandorts. Was entgegnest du dieser Kritik?
Lis Borner:
Ich bin stark verbunden mit Bern. Mir tut die Vorstellung weh, dieses Radiostudio aufzugeben. Aber mich schmerzt noch mehr, wieviele Leute wir entlassen und Sendungen und Programme einstellen müssten, wenn wir hier bleiben würden. Ausserdem bliebe ja die Bundeshausredaktion, das Regionaljournal, ein Teil der Inlandredaktion und Swissinfo in Bern. Und die SRG-Generaldirektion würde mit einem Umzug von der Giacomettistrasse ins heutige Radiostudio näher ans Zentrum rücken.
Medienwoche:
Was wäre das Positive an einem Umzug für das Programm?
Lis Borner:
Natürlich stehen auch publizistische Überlegungen hinter den Umzugsplänen. Die Zusammenarbeit zwischen Radio, TV und Online würde verbessert. Doppelspurigkeiten bei gewissen Arbeitsabläufe liessen sich vermeiden, Synergien nutzen, so dass am Ende unsere Ressourcen wirklich dort einsetzen können, wo sie dem Programm am meisten nützen. Auch für die Diskussion einheitlicher publizistischer Standards wäre räumliche Nähe ein Vorteil.
Medienwoche:
In Basel entsteht gerade ein neuer Studiokomplex für die Abteilung Kultur von SRF. Das passt nicht ganz zur geplanten Zentralisierung der Standorte.
Lis Borner:
In Basel sind wir mit einem langfristigen Vertrag eingemietet. Dort haben wir nun Arbeitsräume mit einer Open-Space-Umgebung, wo wir den Raum optimal nutzen können. Es steht nicht zur Debatte, Basel aufzuheben. Auch weil wir finden, dass der Kulturstandort Basel erhalten bleiben soll. So wie es Argumente gibt für eine Trennung von Radio und TV im Informationsbereich gibt es auch Argumente für die Zusammenlegung von Kultur- und Informationsjournalismus. Doch darum geht es jetzt nicht.
Medienwoche:
Ist es nicht etwas frustrierend, trotz «No Billag»-Erfolg ein wichtiges Studio zu verlieren?
Lis Borner:
Klar ist das ernüchternd. Im Gegensatz zu meinen Leuten hatten wir von der Chefredaktion einen längeren Vorlauf, um uns an den Gedanken eines Umzugs zu gewöhnen. Wir wussten schon vor der «No Billag»-Abstimmung, dass auch bei einer Ablehnung heftige Sparmassnahmen mit grossen Konsequenzen folgen werden.
Medienwoche:
Die «No-Billag»-Initiative wurde deutlich abgelehnt. Ihr habt lange gezittert, weil nicht klar war, wie es ausgeht. Wie gross war die Erleichterung?
Lis Borner:
Riesig. Ich habe extra eine Hut mitgenommen, um ihn vor meinen Leuten zu ziehen am Abstimmungstag. Ich habe das wirklich von Herzen gemacht. Das war echt schwierig, über die eigene Abschaffung in einem sachlichen Ton zu berichten. Die Erleichterung, dass ein so grosser Teil der Schweizer Bevölkerung findet, es lohne sich, für unsere Arbeit zahlen, hat mich total erleichtert. Die Anspannung war gross zuvor.
Medienwoche:
Du bist seit sieben Jahren Chefredaktorin von Radio SRF. Würdest du das auch nach einem Umzug zum Fernsehen bleiben?
Lis Borner:
Jesses Gott! Ich kann total gut strategisch vorausdenken, wenn es ums Radio geht. Wenn es aber um meine Person geht, ist es schwieriger. Für mich ist klar, dass ich sicher jetzt nicht abspringe. Jetzt braucht es jemand, der den Prozess anführt. Aber was danach kommt, weiss ich nicht.
Lahor Jakrlin 10. April 2018, 16:10
Bitte, tut es, zieht ab!
Ein Hauptthema in der No Billag-Diskussion war die schwere Adipositas bei SRF: Zu viele Sender, zu viele und zu verschwenderisch besoldete Mitarbeitende, von allem viel zu viel.
SRF darf und muss wie ein Unternehmen geführt werden, und Rationalisierungen sind dem Steuerzahler (pardon, „Gebührenzahler“) geschuldet. Zudem herrscht in ZH mehr Konkurrenz und Wettbewerb, das hat auch Wirkung auf die Qualität Medienarbeit. Gerade Gefässen wie dem Echo täte etwas mehr Realitätssinn und Weltwirklichkeit nur gut. Also: Goodbye Radiostudio Bern!
Bruno Froehlich 11. April 2018, 00:25
Ueberzeugende, auch menschlich beeindruckende Antwort der Chefin. Kompliment.
Wülsi 14. April 2018, 10:48
So hart es tönt, das ist die sinnvollste Lösung wenn man sparen muss. Das TV nach Bern zu zügeln wäre auch eine Möglichkeit, aber viel kostspielieger. Zudem verbleiben ja Regi und Bundeshausredaktion in Bern. Ich denke, dass auch zukünftig vielmehr auf mobile Studio Lösungen zurückgegriffen werden muss; bei Bildagentur Keystone ist das schon einige Jahre der Fall… obwohl auch ich dem dortigen Fotilabor etwas nachtrauere; vorallem den „fluchenden Kollegen wenn sie auf dem Lichtpult mit dem Vergrösserungsglas die geschossenen Bilder auf dem Negativstreifen anschauten….
Wülsi 14. April 2018, 11:02
Ja das ist ein sehr guter Vorsatz wenn man sparen muss. Ich denke zukünftig müsse es sowieso mehr mobile, externe Studios geben. Bei der Bildagentur ist das ja auch schon einige Jahre der Fall. Obwohl auch ich ab und zu wehmütig an’s Fotilabor zurückdenke. Speziell an die jeweils fluchenden oder freudig quitschenden Kollegen, wenn sie als erstes nach dem Auftrag auf dem Lichtpult mit der Lupe die Bildli auf den Negativstreifen begutachten….