von Adrian Lobe

Die Medien reiten auf der Google-Welle

Fast eine halbe Milliarde Dollar investiert Google in den Journalismus. Die Medienunternehmen nehmen das Geld gerne. Ihre kritische Nähe zu Google ist aber kaum ein Thema.

Es gibt ein paar wenige Medienunternehmen weltweit, die Wellen erzeugen, und all die anderen reiten sie – oder gehen darin unter. Das schreibt der Medien- und Technologiekritiker Ken Auletta. Google macht Wellen, grosse Wellen und die Verlage schwimmen mit. Gleichzeitig schuf Google ein Meer von Informationen, in dem Verlage und Mediennutzer gleichermaßen zu ertrinken drohen. Entsprechend vertrackt ist das Verhältnis zwischen Google und den Verlagen. Bis heute suchen die Medienunternehmen nach juristischen Mitteln, den übermächtigen Mitbewerber in die Schranken zu weisen – bislang vergeblich.

«Wir sitzen im gleichen Boot.»
Google-Chef Sundar Pichai über das Verhältnis zu den Medien

Um das angespannte Verhältnis zu verbessern, hat der Internetriese im März dieses Jahres seine «Google News Initiative» gestartet. Das Projekt wird in den kommenden drei Jahren mit 300 Millionen Dollar (rund 270 Millionen Euro) ausgestattet. Die «Google News Initiative» ist eine Fortsetzung des vor drei Jahren aufgelegten Fonds «Digital News Initiative» DNI, in dessen Rahmen 559 journalistische Projekte mit insgesamt 115 Millionen Euro gefördert wurden. «Unser Ziel ist es, Qualitätsjournalismus auf allen unseren Plattformen erkennbar zu machen, damit diese Inhalte für Nutzer leicht auffindbar sind und Nachrichtenpartner von der Erstellung der Inhalte profitieren», heisst es zur «Google News Initiative» auf der offiziellen Webseite. Google-Chef Sundar Pichai wird dort mit den Worten zitiert: «Journalismus geht uns alle an. Wissen zu teilen ist wichtig, um das Leben für alle Menschen zu verbessern – dies ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Philosophie von Google, sondern spiegelt auch die Mission von Verlagen und Webpublishern, sowie Journalisten weltweit wider. Einfach gesagt: Wir sitzen im gleichen Boot.»

Zu den von Google bisher im Rahmen der «Digital News Initiative» geförderten Projekten in der Schweiz gehört unter anderen «Comment View» von Tamedia sowie «Oyez» der AZ Medien. Bei letzterem geht es um die einer digitalen Plattform für Schweizer Gemeinden, mit deren Hilfe amtliche Publikationen editiert und publiziert werden können. In der fünften Finanzierungsrunde, in der insgesamt 21 Millionen Euro ausgeschüttet werden, sind auch Prototypen von zwei Schweizer Unternehmen zum Zug gekommen. Zum einen Wepublish von Hansi Voigt und Olaf Kunz. Sie wollen eine intelligente Produktions- und Publikationsplattform für kleine und mittlere Medienunternehmen bauen. Das andere Unternehmen ist die Wirtschaftsagentur AWP, die ein Tool zum automatisierten Reporting erstellen will. Beide erhalten zusammen 93’000 Euro aus dem Google-Programm.

«Die Unterstützung von Google ist bei der Umsetzung innovativer Projekte sehr hilfreich, weil das Risiko geteilt und damit kleiner wird.»
Javier Vázquez, Leiter Produktmanagement AZ Medien

Die Frage stellt sich, wie nachhaltig die aus der DNI finanzierten Projekte sind. Bei AZ Medien heisst es dazu: «Die finanzielle Unterstützung ist projektbezogen und dauert darum genau so lange, wie das Projekt dauert, das von der Google DNI unterstützt wird.» Die Erfahrung nach drei Projekten zeige, dass DNI-Projekte bei AZ Medien in der Regel sechs bis zwölf Monate dauern, teilt Produktmanagement-Leiter Javier Vázquez auf Anfrage mit. Alle abgeschlossenen Projekte, die mit der DNI realisiert wurden, seien in der Zwischenzeit «in den Alltagsbetrieb überführt» worden und arbeiteten erfolgreich. Innovationen bergen immer das «Risiko, dass sie nicht funktionieren, Ideen, Geld und Zeit damit verschwendet werden», so Vázquez. «Insofern ist die Unterstützung von Google mit der Digital News Initiative bei der Umsetzung innovativer Projekte sehr hilfreich, weil das Risiko geteilt und damit kleiner wird.» Auch bei Tamedia bewertet man die Förderung positiv. «Wir begrüssen grundsätzlich alle Initiativen, die sich mit dem Einsatz von Technologie für die Entwicklung von Inhalten beschäftigen und sich der Weiterentwicklung des digitalen Journalismus widmen», teilt Unternehmenssprecherin Nicole Bänninger mit. Google habe mit der Digital News Initiative eine «spannende Plattform» geschaffen, deren Entwicklung man «sehr interessiert» verfolge.

Google ist im Journalismus gross im Geschäft. Der Konzern betreibt mit dem News Lab eine eigene interne Forschungsabteilung zum Thema. Google entwickelt Produkte und organisiert Konferenzen. Auf der jährlich stattfindenden Konferenz «Newsgeist», die ein Debattenforum für der Journalismus sein soll, sprachen unter anderem Kai Diekmann und Jeff Jarvis. Richard Gingras, der Chef von Google News, ist auf allen Kanälen, um über die Zukunft des Journalismus zu diskutieren. Die Frage ist, welche Interessen der Suchmaschinenriese mit seiner News Initiativ verfolgt. Google ist kein öffentliches Institut zur Förderung des Journalismus – auch wenn das die Rhetorik suggerieren soll –, sondern ein profitorientierter Konzern, der sein Geld mit Werbung verdient.

«Dogmatische Printjournalisten, die meinen, dass sie in den nächsten 20 Jahren nichts mehr dazulernen müssen, sind in diesem Programm fehl am Platz»
Stephen Weichert zu einen von Facebook finanzierten Studiengang an der Hamburg Media School.

Auch Facebook hat ein eigenes Journalismus-Projekt (Facebook Journalism Project) ins Leben gerufen, bei dem es neben der gemeinsamen Entwicklung von Nachrichtenprodukten auch Schulungen und Tools für Redaktionen anbietet. «Wir haben gemeinsam mit einigen der zukunftsorientiertesten Organisationen Initiativen entwickelt, um zur Förderung der Nachrichtenkompetenz beizutragen, die Verbreitung von Falschmeldungen zu verringern und Schulungen und Tools für Journalisten zu entwickeln», heisst es auf der Webseite. Facebook ist zudem seit 2017 offizieller Förderer der Hamburg Media School, die in diesem Jahr ein von Facebook unterstütztes Weiterbildungsprogramm für Journalisten (Digital Journalism Fellowship) ausgeschrieben hat. «Dogmatische Printjournalisten, die meinen, dass sie in den nächsten 20 Jahren nichts mehr dazulernen müssen, sind in diesem Programm fehl am Platz», sagte Studiengangleiter Stephan Weichert im Interview mit «Meedia». Der Konzern steht in der Kritik, nicht genügend gegen die Verbreitung von Fake-News zu tun. Insofern dient ein Projekt zur Unterstützung des Journalismus auch der eigenen Imagepflege. Flankiert wird dies von ganzseitigen Entschuldigungs-Anzeigen, die Facebook in englischen und deutschen Zeitungen schaltet.

Facebook und Google gehören mit ihren vielfältigen Aktivitäten in dem Bereich zu den grössten Sponsoren des Journalismus weltweit. Laut «Columbia Journalism Review» haben die beiden Konzerne in den vergangenen drei Jahren mehr als drei Milliarden US-Dollar in verschiedene journalistische Programme und Medienpartnerschaften investiert – technischen Support bei Instant Articles oder Google AMP nicht mitgerechnet. Der Marketing-Professor Scott Galloway argumentiert, dass Player wie Facebook und Google längst zu Medienunternehmen avanciert sind, obwohl sie sich beharrlich jeder presserechtlichen Verantwortung verweigern. Insofern sind die Journalismusförderung auch eine Investition fürs eigene Geschäft.

Google hat ein strategisches Interesse an der Integrität des Nachrichtenwesens. Wo nur noch Fake-News flottieren, ist die Glaubwürdigkeit beschädigt.

Wenn sich Google nun als Retter des Journalismus geriert, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie, weil die Tech-Konzerne das Anzeigen-Geschäft, auf dem das Geschäftsmodell des Journalismus fust, disrumptiert haben. Neun von zehn ausgegebenen Anzeigendollars landen mittlerweile in den Kassen von Google und Facebook. Der Journalist Steven Waldman, Gründer der Organisation Report for America, leitet daraus eine Verpflichtung ab: Dafür, dass Google und Facebook den Werbemarkt absorbiert haben und kostenlos Content verwerten, müssten sie Milliarden in den Journalismus investieren. Waldman schwebt eine Art Entschädigungsfonds vor, mit dem journalistische Projekte gefördert werden. Die Journalismusprofessorin Emily Bell glaubt, dass der Journalismus langfristig nur zu retten ist, wenn Tech-Konzerne ihre Rolle als Medienunternehmen annehmen und eigene Redaktionen aufbauen – was freilich heikel ist, weil dann hochprofessioneller Branded Content produziert werden könnte. Gewiss, Google hat ein strategisches Interesse an der Integrität des Nachrichtenwesens. Wo nur noch Fake-News flottieren, ist die Glaubwürdigkeit beschädigt, schalten Anzeigenkunden keine Werbung. Dem hält der Datenjournalist Nicolas Kayser-Bril entgegen, wonach es Google nicht um Journalismus gehe, sondern bloss um Content. Google könne neben Fakes und Fiktion genauso gut Anzeigenplätze verkaufen wie heute neben Fakten.

Philanthropenkapitalismus, dass Unternehmen gesellschaftlich Gutes tun, ist im Journalismus kein neues Phänomen. So sponsert die Bill and Melinda Gates Foundation die französische Zeitschrift «Le Monde Afrique» mit rund einer halben Million Dollar jährlich sowie das Portal «The Conversation France»1. Amazon-Chef Jeff Bezos hat für 250 Millionen Dollar die «Washington Post» gekauft, Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanziert das Investigativ-Portal «The Intercept». Dass jedoch Plattformen wie Google und Facebook, die für viele Nutzer inzwischen die Hauptinformationsquelle sind, journalistische Inhalte sponsern, ist ein neues Phänomen. Die Frage ist: Nach welchen Kriterien werden Projekte gefördert? Nachdem Facebook zu Beginn des Jahres seinen Newsfeed-Algorithmus modifiziert hat, werden verstärkt lokale Nachrichten priorisiert. Heisst das, dass man mit den Fördergeldern verstärkt lokaljournalistische Projekte unterstützt? Anders formuliert: Determinieren technische Voreinstellungen die journalistischen Produktion?

Die Google-finanzierte New America Foundation feuerte im vergangenen Jahr einen Mitarbeiter, nachdem dieser sich in wettbewertbsrechtlichen Studien kritisch über Googles Monopolstellung äusserte.

Den Verlagen steht es natürlich frei, die Gelder aus den Fördertöpfen von Google oder Facebook anzunehmen. Doch aus der Kooperation resultieren auch Interessenkonflikte. Wie soll man zum Beispiel kritisch über eine Technologie wie AMP berichten, wenn man selbst darauf zurückgreift? Wie soll man über kartellrechtliche Probleme von Google berichten, wenn man vom Suchmaschinenriesen gefördert wird? Man beisst bekanntlich nicht die Hand, die einen füttert. Die Google-finanzierte New America Foundation feuerte im vergangenen Jahr den verdienten Wissenschaftler Barry Lynn, nachdem er sich in wettbewertbsrechtlichen Studien kritisch über Googles Monopolstellung äusserte. Wenn Chefredaktorinnen und Herausgeber der begünstigten Medien teils selbst in Googles Förder-Gremien sitzen, dann hat das einen faden Beigeschmack. Auch wenn die Medienmacher im konkreten Fall in den Ausstand treten, bleibt die Anscheinproblematik bestehen.

Wo immer sich die Medien hinbewegen, Google ist heute immer auch schon da. So fällt auf, dass in der fünften Finanzierungsrunde der DNI zahlreiche Audio-Projekte gefördert werden: FAZ Audio oder Text-to-Speech-Tools bei Handelsblatt und Wirtschaftswoche. Es ist wohl kein Zufall, dass Google unlängst eine eigene Podcast-App für Android-Smartphones lanciert hat. Da sind attraktive Inhalte willkommen; dasselbe gilt für das Smartspeaker-System Google Home. Die Gefahr ist, dass geschlossene Ökosysteme entstehen, wo Plattformanbieter die Bedingungen diktieren und Medien zu reinen Content-Lieferanten degradiert werden. Facebook und Google haben Dienste wie Nachrichten, Messaging, Videos und Audios nach und nach auf ihre Plattform geholt. Zeitungen könnten bald folgen.