von Peter Stäuber

Ende der Schonzeit? Digitalsteuer für Techno-Konzerne in Europa

Google, Amazon, Facebook und andere Internet-Giganten sollen mehr Steuern zahlen. Das ist inzwischen eine Forderung, die in Europa von links bis rechts Unterstützung findet. Ein Teil der so eingenommenen Gelder könnte in die Medienfinanzierung fliessen. Kritiker warnen vor bedeutungslosen Erträgen und der erwartbaren Retourkutsche aus den USA.

Als der britische Finanzminister Philip Hammond vergangene Woche seinen Haushaltsplan für das kommende Jahr präsentierte, sorgte vor allem eine Ankündigung für Überraschung: Er stellte eine Digitalsteuer in Aussicht, um grosse internationale Internet-Konzerne stärker zur Kasse zu beten. Dass gerade ein konservativer Schatzkanzler eine solche Abgabe ins Auge fasst, ist insofern bemerkenswert, als die britische Regierung in den vergangenen Jahren kaum als Vorreiterin der Steuergerechtigkeit auffiel.

Namen nannte er keine, aber offensichtlich nimmt der britische Schatzkanzler Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon ins Visier.

Versuche der EU, die Steuerpolitik zu harmonisieren, wurden von den Briten stets blockiert. Lange Zeit wehrte sich London zudem dagegen, britische Überseeterritorien wie die Cayman-Islands als Schattenfinanzzentren einzustufen. Und grosse Internetkonzerne konnten sich bisher sicher sein, dass ihnen die britische Steuerbehörde nicht zu sehr auf die Pelle rückt: Nachdem der tiefe Steuersatz für Google in die Kritik geraten war, handelte der Fiskus 2016 einen Deal aus, wonach der Konzern für die vorhergehenden Jahre 130 Millionen Pfund nachzahlte – was einem Steuersatz von 3 Prozent entspricht. Andere Technologiekonzerne kommen ebenso glimpflich davon. Amazon UK beispielsweise versteuerte 2017 gerade mal 4.6 Millionen Pfund, bei einem Gewinn von fast 80 Millionen Pfund. Zum Vergleich: Der Sänger Ed Sheeran nahm im letzten Jahr 27 Millionen Pfund ein, gab davon aber 5.3 Millionen Pfund an Steuern ab.

Diese Privilegierung der Internet-Unternehmen soll jetzt zu Ende gehen: Laut Hammonds Vorschlag werden Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Online-Marktplätze, die weltweit mehr als 500 Millionen Pfund Umsatz machen, ab 2020 zu einer Abgabe von 2 Prozent verpflichtet werden. Namen nannte er keine, aber offensichtlich nimmt er damit Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon ins Visier.

Die Internet-Riesen hätten kein Problem, die zusätzliche Steuer zu zahlen, kleine, innovative, britische Firmen hätten dagegen Mühe.

Allerdings meldete die Londoner Gründerszene gleich Bedenken an, dass die Steuer auch kleinere Unternehmen treffen und abschreckend auf Start-ups wirken könnte. Die Internet-Riesen hätten kein Problem, die zusätzliche Steuer zu zahlen, während innovative, kleinere britische Firmen Mühe hätten, global zu wachsen, sagte etwa Dom Hallas von der Lobbygruppe «Coalition for a Digital Economy». In der Politik hingegen stiess Hammonds Vorschlag weitgehend auf Zustimmung.

Seine Richtungsänderung hat einerseits innenpolitische Gründe: Nach bald einem Jahrzehnt der Sparpolitik sind die Briten des Sozialabbaus überdrüssig und fordern verstärkt Investitionen in die öffentlichen Dienste. Angesichts der ächzenden Infrastruktur, des kriselnden Gesundheitswesens und der anhaltenden Wohnungsnot haben viele Bürgerinnen und Bürger wenig Verständnis dafür, dass multinationale Unternehmen Millionen scheffeln, ohne etwas zum Gemeinwesen beizutragen.

In dieser Hinsicht ist die Tory-Regierung auch unter Druck seitens der Opposition: Premierministerin Theresa May hat seit ihrem Amtsantritt mehrere Vorschläge von Labour übernommen, die sie noch vor einigen Jahren als linken Unsinn abgetan hatte – etwa eine Obergrenze für Stromrechnungen. Auch die Idee einer Digitalsteuer brachte Labour-Chef Jeremy Corbyn bereits im Sommer vor: Technologiefirmen wie Facebook und Netflix sollen eine Abgabe zahlen, die einen Beitrag zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen BBC leisten würde. Auch würde der Ertrag aus der Digitalsteuer in die Finanzierung von lokalem und investigativem Journalismus fliessen, insbesondere dort, wo das öffentliche Interesse gross ist – etwa wo es um Menschenrechte, Umwelt oder Wohnungspolitik geht. Branchenverbände wie die International Federation for Journalists haben die Vorschläge begrüsst; die Tories hingegen warnen, dass eine «Internet-Steuer» zu höheren Kosten für die Verbraucher führen würde.

Stärkste Verfechterin einer Digitalsteuer ist Frankreich: Präsident Emmanuel Macron setzt sich für eine EU-weite Lösung ein.

Doch die Bestrebungen, die digitalen Riesen stärker an die Kandare zu nehmen, beschränken sich nicht auf Grossbritannien. Auch im Rest der EU kommt «Big Tech» immer stärker unter Druck. Die spanische Regierung unter Pedro Sánchez (Sozialisten) beispielsweise will Online-Werbung sowie den Verkauf von Nutzerdaten mit einer Abgabe von 3 Prozent besteuern. Stärkste Verfechterin einer Digitalsteuer ist Frankreich: Präsident Emmanuel Macron setzt sich für eine EU-weite Lösung ein, die möglichst noch vor den EU-Parlamentswahlen im nächsten Jahr eingeführt werden soll. Die EU-Kommission schliesst sich solchen Vorschlägen an: Sie schlägt vor, dass Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook in den Ländern, in denen die Nutzer ansässig sind, drei Prozent ihres Umsatzes als Steuer abgeben müssen; auf lange Frist schwebt der Kommission eine Regelung vor, bei der eine «digitale Präsenz» wie eine physische Betriebsstätte behandelt und entsprechend besteuert wird.

Die Diskussion wird auch in der Schweiz geführt. Die SP schlug bereits 2013 vor, auf jeden über Werbung eingenommenen Franken – sowohl Print als auch Online – einen kleinen Prozentsatz als Steuer zu erheben. Das Geld soll in einem Fonds für Medienförderung angelegt werden. Heute drängt die SP darauf, dass sich die Schweiz bei der Digitalsteuer der EU anhängt. Die Schweiz solle eine Vorreiterrolle spielen und sich jenen anschliessen, die mit der Digitalsteuer vorwärtsmachen wollten, wie Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien, sagte SP-Präsident Christian Levrat im März gegenüber dem «Blick». Finanzminister Ueli Maurer (SVP) will davon aber nichts wissen. Er verweist auf ähnlich gelagerte Bestrebungen der OECD. Das aber ginge der SP zu langsam.

Ausserhalb der Politik taucht die Forderung nach einer Besteuerung von Google & Co. auch in den Medienwissenschaften auf. Mark Eisenegger, Präsident des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (Fög), hält eine Digitalsteuer für eine mögliche Finanzierungsquelle der darbenden Medien. Der Zürcher Medienprofessor sieht die Medienqualität durch Unternehmen wie Google gefährdet, weil die Suchmaschine einen Grossteil der Werbegelder aufsaugt: Von insgesamt 2.1 Milliarden Franken an Schweizer Online-Werbeeinnahmen steckt Google laut Zahlen des Fög 1.4 Milliarden ein – mehr als die gesamte Presse. Das Geld aus einer Digitalsteuer könnte gezielt für die Förderung des Informationsjournalismus eingesetzt werden, sagt Eisenegger.

Länder wie Luxemburg oder Irland sorgen sich, dass eine Digitalsteuer ihr Tiefsteuer-Modell, mit dem sie Tech-Unternehmen anlocken, zerstört wird.

Doch einer Umsetzung stehen einige politische Hindernisse im Weg, insbesondere auf europaweiter Ebene. Während Länder wie Frankreich, Spanien und neuerdings Grossbritannien eine Digitalsteuer begrüssen, ist Deutschland vorsichtiger: Einerseits befürchtet die Regierung Vergeltungsmassnahmen der USA, wo die meisten Technologiekonzerne ansässig sind. Andererseits hat die Exportwirtschaft Sorgen, dass das Prinzip, wonach der Verkauf von Daten im Ausland besteuert wird, auch in anderen Branchen zur Anwendung kommen könnte, etwa bei «smarter» Technologie in Autos, die umfangreiche Nutzerdaten sammelt. Andere Länder wie Luxemburg oder Irland sorgen sich, dass eine Digitalsteuer ihr Tiefsteuer-Modell, mit dem sie Tech-Unternehmen anlocken, zerstört wird. Eine internationale Koordination wäre jedoch nötig, damit das System greifen kann.

In Grossbritannien stellt sich zudem die Frage, ob der Vorschlag ambitioniert genug ist: Laut Hammond wird die Techno-Steuer jährlich 400 Millionen Pfund einbringen. Diese Summe, so merkt der «New Statesman» trocken an, ist fast so gross wie der Betrag, den Grossbritannien in den ersten vier Monaten des Jahres für die Ausbesserung von Schlaglöchern auf seinen Strassen ausgegeben hat – aber nur fast.