von Adrian Lobe

Weiterbildung für die «redaktionelle Gesellschaft» in der Reporterfabrik

Die neue Online-Akademie «Reporterfabrik» will nicht nur Medienschaffende aus- und weiterbilden, sondern auch Bürgerinnen und Bürgern Medienkompetenz vermitteln.

Der Journalismus steckt in einer tiefen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise. Selten war das Meinungsklima so vergiftet wie heute. Dazu trägt der Journalismus mitunter selbst bei. Der Fall des Reporters Claas Relotius, der mit manipulierten Geschichten die 80-köpfige Dokumentationsabteilung des «Spiegel» düpierte und für seine Fälschungen trotzdem zahlreiche Auszeichnungen einheimste, hat das Vertrauen in den Journalismus abermals geschwächt.

Die Preisfrage lautet: Was tun, um das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer zurückzugewinnen? Ein möglicher Weg führt über die Bildung, also über die Vermittlung von Medienkompetenz und den Unterricht im Journalismus-Handwerk.

Zu diesem Zweck gründete die Rechercheorganisation Correctiv eine «Reporterfabrik» als «Webakademie des Journalismus». Auf reporterfabrik.org finden sich Tutorials, Workshops und Kurse, die zum besseren Verständnis von Medien und Journalismus beitragen sollen: Zum Beispiel «Journalist – was ist das?», «Drehen mit dem Smartphone» oder «Hacken für Anfänger»: Das Angebot richtet sich an interessierte Bürgerinnen, Schüler und Journalistinnen.

Die «Reporterfabrik» versteht sich als eine Journalistenschule für alle und will nach eigenen Angaben «helfen, die Öffentlichkeit zu qualifizieren.

Das Angebot der Online-Akademie ist spendenfinanziert. Zu den Förderern und Spendern gehören unter anderen die Rudolf Augstein Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Deutsche Telekom, die Digital News Initiative von Google sowie das Omidyar Network, das in den USA die Investigativ-Plattform «The Intercept» finanziert.

Die «Reporterfabrik» versteht sich als eine Journalistenschule für alle und will nach eigenen Angaben «helfen, die Öffentlichkeit zu qualifizieren: Sie vermittelt journalistisches Wissen und Handwerk an interessierte Bürger, sie macht die Arbeit der klassischen und sozialen Medien durchschaubar und Versuche der Desinformation erkennbar».

Die Kosten für einen Kurs bewegen sich pro Teilnehmer zwischen fünf und 25 Euro, manche Workshops gibt es auch kostenlos.

Als Tutoren konnte die Akademie namhafte Medienschaffende wie Günther Jauch, Claus Kleber, Stefan Niggemeier sowie Sascha Lobo gewinnen. Das Prinzip funktioniert wie an einer Online-Universität: Man schreibt sich in einen Kurs ein und bearbeitet unter Anleitung eines Experten ein Thema. Die Kosten pro Teilnehmer belaufen sich zwischen 5 und 25 Euro, manche Workshops gibt es auch kostenlos. Zum Beispiel den Kurs «Drehen mit dem Smartphone»: Im Einführungskapitel erklärt der langjährige TV- und Videojournalist Kai Rüsberg in einem fünfminütigen Tutorial die Grundlagen eines Videoschnitts: Bildmaterial zusammentragen, Sprechertexte aufnehmen, Tonstücke über Clips legen. In diesem Online-Kurs ist das Selbstverständnis der «Reporterfabrik» gut erkennbar: Wir alle halten journalistische Werkzeuge in der Hand. Doch um sie zu nutzen, braucht es technisches Know-how. Dieses Wissens zu vermitteln, kostet Zeit und Geld.

Vor dem Start der «Reporterfabrik» waren auch kritische Stimmen zu vernehmen. So gab etwa der Autor Wolfang Michal zu bedenken, dass es bereits ein «Übermass an Journalistenausbildung» gebe. Neben all den Hochschullehrgängen, Journalistenschulen und «privaten ‹Was mit Medien›-Akademien» brauche es nicht auch noch eine «Reporterfabrik». Zudem sei nicht ganz klar, ob die Journalistenschule das Volk erziehen oder den Journalismus demokratisieren wolle. Auch der Datenjournalist Lorenz Matzat störte sich am belehrenden Ton der Einrichtung, in der sich der «Dünkel von ‹Qualitätsjournalisten› Bahn breche und die einen «schalen Beigeschmack nach Erziehungsanstalt» hinterlasse (wobei das Urteil sehr pauschal ausfällt, weil zu dem Zeitpunkt das Angebot noch gar nicht zur Verfügung stand).

«Die redlichen Zweifler müssen wir durch mehr Transparenz von journalistischer Redlichkeit überzeugen. Leser müssen teilhaben können an dem, was wir für Wahrheitssuche halten.»
Cordt Schnibben, Leiter «Reporterfabrik»

Trotz anfänglicher Kritik: Die Resonanz auf das Angebot der «Reporterfabrik» ist positiv. «Bisher haben wir über 4000 Einschreibungen in die Kurse, täglich kommen etwa 60 hinzu», teilt Cordt Schnibben, Leiter der «Reporterfabrik», auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. In der Hälfte der Workshops werde in Foren diskutiert, vor allem über die Aufgaben. Der langjährige «Spiegel»-Journalist ist auch Mitbegründer des Reporter-Forums, das den renommierten «Deutscher Reporterpreis» vergibt, den auch Claas Relotius mehrmals erhalten hatte.

In der Eröffnungsrede zur Preisverleihung des Reporterpreises 2017 formulierte Schnibben 18 Thesen zur redaktionellen Gesellschaft (nachzusehen bei Youtube): «Möglicherweise können wir Leute, die in uns die Lügen- oder Lückenpresse sehen, nicht überzeugen. Aber die redlichen Zweifler müssen wir durch mehr Transparenz von journalistischer Redlichkeit überzeugen. Leser müssen teilhaben können an dem, was wir für Wahrheitssuche halten. Sie brauchen ein Verständnis von unserem Bemühen um Recherche, Unabhängigkeit, Handwerk.» Von diesem Geist ist die «Reporterfabrik» getragen.

«Wir benutzen den Terminus ‹redaktionelle Gesellschaft›, um die Entwicklung zu beschreiben, dass sich immer mehr Leute in den sozialen Medien quasi journalistisch betätigen.»
Cordt Schnibben

Fragt sich, ob redaktionelle Kulturtechniken nicht viel eher in Familie, Schule, Vereinen vermittelt werden sollten. Oder ist es die Aufgabe von Journalisten, über die Berichterstattung hinaus, selbst die Grundlagen einer deliberativen Demokratie zu vermitteln? Und wenn man sich die Kommentarspalten von Facebook ansieht – ist die redaktionelle Gesellschaft nicht eine arg idealistische Vorstellung? Schnibben meint dazu: «Wir benutzen den Terminus ‹redaktionelle Gesellschaft›, um die Entwicklung zu beschreiben, dass sich immer mehr Leute in den sozialen Medien quasi journalistisch betätigen, etwa als Blogger, Kommentatoren, Betreiber von Websites, Fotografen, Youtuber, dass sich also neben der Vierten Gewalt eine Fünfte Gewalt entwickelt, die einen immer grösseren Einfluss auf die Öffentlichkeit hat. Die Reporterfabrik soll das Medienwissen, das in der Familie oder in der Schule vermittelt wird, ergänzen, zum Beispiel durch unser Schulprojekt Reporter4you.»

Im Rahmen dieses Projekts besuchen Reporter Schulen und sprechen mit Schülern über Themen wie Fake News oder Unabhängigkeit des Journalismus. «Medienkompetenz ist heute für Jugendliche so wichtig wie Biologie und Mathematik», heisst es in einem Informationsblatt zu «Reporter4you». «Darum ist es wichtig, bereits Schülerinnen und Schüler für die Mechanismen und Fallstricke der öffentlichen Kommunikation zu sensibilisieren.»

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der dem Kuratorium der «Reporterfabrik» angehört, fordert in seinem 2018 erschienenen Buch «Die grosse Gereiztheit» die Einführung eines Schulfachs für Medienmündigkeit: «Dieses lässt sich als eine Art Labor der redaktionellen Gesellschaft begreifen, als ein geschützter, aber doch von der aktuellen Medienwirklichkeit geprägter Raum, in dem die Mechanismen des Öffentlichen studiert werden könnten, abseits privater Geschäftsinteressen, ohne Echtzeit-Hektik, aber in dem Versuch, die moralische Fantasie und das publizistische Vermögen aller Beteiligten zu schulen.»

«In der redaktionellen Gesellschaft der Zukunft müssen Journalisten ihr Verhältnis zum aktiv und medienmächtig gewordenen Publikum grundsätzlich überdenken.»
Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler

Die Utopie der «redaktionellen Gesellschaft», die Pörksen als Bildungsziel ausgibt, besteht darin, dass in der Redaktion bestimmte kommunikative Spielregeln angelegt sind, die als Bauprinzip für die Gesellschaft dienen. Auch das Rollenverständnis von Journalisten ändert sich dadurch: «In der redaktionellen Gesellschaft der Zukunft müssen Journalisten ihr Verhältnis zum aktiv und medienmächtig gewordenen Publikum grundsätzlich überdenken, dieses anders entwerfen, sich von der arroganten Simulation von Allwissenheit, der Rolle des Predigers, des Pädagogen und Wahrheitsverkünders verabschieden, zum Zuhörer und Moderator und gleichberechtigten Diskurspartner werden.» Mehr Demut tue Not.

Die «Reporterfabrik» reflektiert in ihren Workshops den Beruf des Journalisten offen und transparent. Die Seminare kommen nicht schulmeisterlich und schon gar nicht volkspädagogisch daher. Im Gegenteil: Man begegnet den Dozenten auf Augenhöhe. Etwas irritierend ist, dass der Workshop «Wie man mit Sprache Politik macht» mit Elisabeth Wehling (online ab 26.4.2019) nach wie vor auf dem Kursplan steht – die Linguistin hatte mit ihrem umstrittenen Framing-Papier für die ARD für heftigen Wirbel gesorgt. Begriffe wie «moralisches Framing», die in dem Gutachten erwähnt werden, wecken beim Publikum möglicherweise doch den Eindruck, hier werde ein Erziehungsauftrag verfolgt, auch wenn das vielleicht gar nicht stimmen mag. Die Personalie sollte aber nicht über das vielfältige und überaus instruktive Kursangebot hinwegtäuschen. Vielleicht würde es so manchem Reporter selbst nochmal gut tun, die virtuelle Schulbank zu drücken.

Leserbeiträge

Robert Weingart 13. März 2019, 12:59

Der Name Reporterfabrik suggeriert schon fast, welches Geiste Kind das Ganze sein könnte. Daher: Nein Danke!