von Nick Lüthi

Christof Moser: «Ich bin bereit, Erwartungen zu enttäuschen»

Der Mitgründer zieht Zwischenbilanz: Christof Moser von der «Republik» blickt mit gemischten Gefühlen auf das erste Jahr seines neuen Mediums zurück. Obwohl er vieles für gelungen hält, sieht er auch die Mängel des Projekts. Als neuer alter Chefredaktor wird Moser künftig wieder verstärkt ins journalistische Tagesgeschäft eingreifen.

MEDIENWOCHE:

Du hast den Termin für dieses Gespräch mehrmals verschoben, weil du erst dann «auch wirklich News» zu berichten hättest. Nun bin ich gespannt: Was gibt es Neues von der «Republik»?

Christof Moser:

Das Projekt ist jetzt gut ein Jahr alt. Da haben wir etwas nachjustiert, wie wir den Laden organisieren. Wir sind zum Schluss gekommen, dass die Gründer wieder näher ans Tagesgeschäft ran müssen. Es hat sich gezeigt, dass es wichtig ist, die Ur-Idee nicht nur im Verwaltungsrat einzubringen, sondern auch im operativen Geschäft. Daher werde ich aus dem Verwaltungsrat ausscheiden und als Chefredaktor zusammen mit einem Team die Redaktionsleitung übernehmen. Das sind die News.

MEDIENWOCHE:

Bei den News dachte ich auch an den Personalabbau. Habt ihr Leute entlassen?

Christof Moser:

Es war klar, dass wir das Projekt für das zweite Jahr basierend auf den Erfahrungen des ersten Jahres anpassen werden. Das heisst unter anderem, dass wir das Budget von 6,9 Millionen Franken auf 5,9 Millionen reduziert haben. Das ging auch daher ohne massive Einschnitte, weil wir Luft im Budget hatten. Um eine Entlassung sind wir aber nicht herumgekommen.

MEDIENWOCHE:

Um wen handelt es sich?

Christof Moser:

Das kann und will ich nicht sagen. Wir werden zum gegebenen Zeitpunkt öffentlich informieren. (Wie die «Republik» nach Publikation dieses Interviews mitteilte, wurde Textchef Ariel Hauptmeier entlassen.)

MEDIENWOCHE:

Hast du das Kündigungsgespräch geführt?

Christof Moser:

Ja, das war meine Aufgabe. Das ist natürlich eine neue Situation. Aber es war von Anfang an klar, dass das zu meinem Aufgabenprofil gehört. Da musste ich hineinwachsen. Es sind sicher nicht die angenehmsten Momente. Gleichzeitig gehört es dazu. Wenn man so etwas auf die Beine stellt, dann muss man sich zumindest mental auf eine solche Situation einstellen. Ich würde sogar noch weitergehen. Mental habe ich mich im letzten Jahr darauf vorbereiten müssen, dass wir gegebenenfalls mehrere Personen entlassen müssen, wenn das Projekt im letzten Jahr nicht so zum Fliegen gekommen wäre. Wir sind immer noch ein Unternehmen, das jeden Tag, jede Woche, jeden Monat darum kämpft, dass es langfristig erfolgreich ist. Daher kam die Entlassung für mich nicht völlig überraschend. Aber klar: Leute anzustellen, ist schöner.

MEDIENWOCHE:

Wie geht es der «Republik» finanziell?

Christof Moser:

Im ersten Publikationsjahr haben wir im Monat durchschnittlich 470’000 Franken ausgegeben und 430’000 eingenommen. Für das erste Jahr ist das eigentlich sehr gut. Die zweite entscheidende Kennzahl ist die Erneuerung der Abos. Wir haben 66 Prozent bei den Unterstützerinnen der ersten Stunde angestrebt, 50 Prozent als Minimum budgetiert und schliesslich 61 Prozent erreicht. Jetzt ist entscheidend, wie das Jahr weitergeht.

MEDIENWOCHE:

Damit ihr so weitermachen könnt wie geplant, braucht ihr pro Monat 675 Neuabonnenten. Erreicht ihr die?

Christof Moser:

Im ersten Jahr haben wir im Schnitt 578 neue Jahresmitgliedschaften pro Monat erreicht. Wir haben 2018 mit unseren Anstrengungen ganz auf die Community fokussiert, also ins Halten derjenigen Mitglieder, die wir schon haben. Im zweiten Jahr investieren wir gezielt in die Gewinnung neuer Jahresmitgliedschaften und Monatsabonnenten. Daher halten wir durchschnittlich 675 Neuabonnenten pro Monat durchaus für realistisch. Im Januar lagen wir mit rund 1500 deutlich darüber, im Februar darunter, da lagen wir bei etwa 250.

MEDIENWOCHE:

Warum der Einbruch?

Christof Moser:

Auf Ende Jahr hin haben wir ein bisschen an Dynamik verloren. Das hatte eine ganze Reihe von Gründen. Wir haben sehr intensiv auf den Start hingearbeitet. Als das Ding mal so weit war, ging es jeden Tag weiter und wir mussten jeden Tag liefern. Wir waren darum auch etwas müde nach einem Jahr. Das hat den Laden etwas gebremst. Der Enthusiasmus ist einer gewissen Furcht gewichen. Aus dieser Delle kommen wir jetzt wieder heraus. Ich muss auch sagen: Hätte ich die Kurve des Verlaufs zeichnen müssen vor dem Start, hätte ich eine solche Delle etwa in dieser Phase prognostiziert. Wir werden noch einige Phasen haben, in denen wir wahnsinnig stark sind und dann wieder eine schwächere Phase folgt. Wichtig ist, dass im Hintergrund immer gearbeitet wird.

«Wir wollten den Journalismus zum direkten Treiber unseres Mediums machen.»

MEDIENWOCHE:

Wie reagiert der Lesermarkt auf eure Berichterstattung?

Christof Moser:

Wenn die Redaktion gute Leistungen erbringt, ausserordentliche Geschichten macht, dann sehen wir das sehr direkt bei den Verkäufen. Das ist der zentrale Punkt: Wir wollten den Journalismus zum direkten Treiber unseres Mediums machen. Das heisst, wenn unsere Leute einen guten Job machen, dann sichern sie sich damit auch ihren eigenen Job. Das halte ich grundsätzlich für eine gute Mechanik. Dass dies auch negative Auswirkungen haben kann, ist nicht zu vermeiden. Ich habe vielleicht etwas unterschätzt, wie sich dieser Druck auswirken kann. Aber ich glaube, das ist auch ein Gewöhnungsprozess.

MEDIENWOCHE:

All die positiven Entwicklungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass 7000 Personen nach einem Jahr abgesprungen sind. Aus welchen Gründen haben sie die «Republik» verlassen?

Christof Moser:

Es gab drei Hauptgruppen. Die erste erwartete ein Angebot, das näher an einer Tageszeitung ist. Das sind wir aber nicht. Wir versuchen eine gewisse Aktualität mit geschickten Formaten aufzufangen. Das ist der richtige Weg. Aber wenn jemand eine Tageszeitung verlangt, weil er wissen will, was am Vortag im Parlament los war, sind wir nicht das richtige Medium. Die zweite Gruppe, die uns verlassen hat, waren die, die lieber auf Papier lesen. Das kann ich gut nachvollziehen. Wir haben sehr viel investiert, nah an ein Magazin-Feeling zu kommen, das man auch auf Papier hat. Die dritte Gruppe waren jene, die uns als «Alternativ-Medium» sahen – in dem Sinn, dass sie eine Vorstellung von der Welt haben, wo alles von den Amerikanern kontrolliert wird und die Pharmaindustrie Impfstoffe verbreitet, die Kinder töten. Diese Weltsicht befriedigen wir nicht. Aber das wollen wir auch gar nicht.

«Lange Artikel sind ein Markenzeichen der ‹Republik›.»

MEDIENWOCHE:

Ein Kritikpunkt, den man bis heute immer wieder hört, hast du nicht genannt. Die ellenlangen Texte. Gab es auch darum Kündigungen?

Christof Moser:

Es ist interessanterweise ein Punkt, der zwar als Kritik immer wieder geäussert wurde, aber nicht unbedingt als Begründung für Kündigungen. Wir haben Ende Jahr eine Leserumfrage gemacht und ich fand die Ergebnisse sehr interessant. Es war ein sehr kleiner Teil, zirka 15 Prozent, der fand, die Texte seien zu lang. Weitere rund 30 Prozent empfanden unsere Texte «manchmal» als zu lang. Der Rest, also mehr als die Hälfte, fanden es gut wie es ist. Für uns ergibt sich daraus kein Anlass, die Umfänge der langen Texte grundsätzlich zu reduzieren. Kommt dazu, dass die langen Texte im ersten Jahr auch stärker auffielen, weil es weniger kurze Formate gab. Von unserem Konzept her suchen wir eigentlich die Polarität: Entweder kurz oder dann ganz lang. Wir haben sicher auch ein paar Artikel veröffentlicht, die insofern als zu lang wahrgenommen wurden, weil sie nicht gut genug redigiert waren. Es hat niemand gesagt, die Baukartell-Recherche sei zu lang gewesen. Der Text umfasste 130’000 Zeichen. Niemand sagte, der Artikel zur An-Nur-Moschee sei zu lang mit seinen 48’000 Zeichen. Wenn wir unser Handwerk gut machen, wenn die Geschichte trägt, dann ist das gut. Lange Artikel sind ein Markenzeichen der «Republik».

MEDIENWOCHE:

Die Recherche zum Bündner Baukartell habt ihr auch als gedruckte Zeitungsbeilage herausgegeben und im Kanton Graubünden verteilt. Wird es weitere Print-Ausgaben geben?

Christof Moser:

Papier stand von Anfang an in unserem Konzept. Nun ist es einfach so, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann. Mein Wunsch wäre es gewesen, dass wir auf Ende Jahr hin ein gedrucktes Best-of produziert hätten für unter den Weihnachtsbaum. Aber schau, da muss ich halt manchmal auch einsehen: Die Leute können nicht mehr als arbeiten. Wir haben auch ohne Papierausgabe schon wahninnig viel umgesetzt im letzten Jahr. Wir haben jeden Tag versucht, das Beste zu geben und gleichzeitig das Produkt weiterzuentwickeln, inklusive der Trägerstruktur mit dem Project R. Das sind alles Investitionen in die Zukunft. Für eine Papierausgabe fehlte dann einfach irgendwann die Zeit. Aufgrund der Rückmeldungen aus dem Publikum werde ich mich dafür einsetzen, dass wir das Papier nicht vergessen.

MEDIENWOCHE:

Dass sich die «Republik» auch kurz fassen kann, zeigt sie in verschiedenen Formaten, etwa «Briefing aus Bern», den «Eidgenössichen Randnotizen» oder «Was diese Woche wichtig war». Welche Bedeutung haben diese Kurzformate?

Christof Moser:

Strategisch gesehen sind diese Kurzformate enorm wichtig. Sie sind der Bühnenboden, auf dem unsere Autoren auftreten können und aussergewöhnliche Sachen machen. Wir arbeiten an weiteren solchen Formaten. Wir müssen es aber von den Ressourcen her ins richtige Verhältnis setzen. Kurz heisst ja nicht weniger Arbeit. Ein «Briefing aus Bern» ist eminent wichtig für die Leser, eine Gewohnheit zu schaffen, auch das Gefühl zu haben, über das Wichtigste informiert zu werden. Wir haben wirklich viele Leserinnen, die sich von den etablierten Medien verabschiedet haben – und damit meine ich nicht Verschwörungstheoretiker, sondern Leute, die nicht auf einem Online-Portal im Minutentakt den Stand des Brexit-Verfahrens nachschauen wollen. Die sind sehr froh über ein «Briefing aus Bern». Gleichzeitig ist auch klar, dass diese Kurzformate nicht herumgereicht werden als die grosse journalistische Leistung. Es ist ja auch nicht das, was unsere Journalisten selbst lesen, weil sie das alles schon wissen, weil sie gut informiert sind und jeden Tag drei Zeitungen lesen. Wir müssen dem Publikum zuhören, von den Lesern her denken, ohne ihnen nach dem Mund zu schreiben.

«Wir haben schon treue Anhänger. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das blinde Fans sind.»

MEDIENWOCHE:

Die «Republik» hat viele Fans, die euch mit Lob überschütten. Verstellen solche Liebesbekundungen manchmal den Blick auf unangenehmere Kritik?

Christof Moser:

Ich sehe das nicht wirklich als Problem. In der letzten Phase haben wir sogar eher das Gegenteil erlebt. Jener Teil des Publikums, der nicht so zufrieden war, meldete sich fast lauter zu Wort. Ich glaube nicht, dass wir zu viel auf das Lob geben. Journalisten sind ja durchaus auch selbstzweifelnde Leute und gewichten deshalb Kritik tendenziell höher als das Lob. Unter dem Strich gleicht sich das dann wieder aus. Wir haben schon treue Anhänger. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das blinde Fans sind, sondern Leute, die sich durchaus auch kritisch zu Wort melden, wenn sie nicht zufrieden sind.

MEDIENWOCHE:

Ein konkretes Beispiel: Das Porträt von SVP-Nationalrat Alfred Heer erhielt einerseits viel Lob, aber es gab auch einzelne sehr kritische Stimmen, die davor warnten, Rechtsaussen-Politik zu verharmlosen mit solchen People-Geschichten. Du hast darauf sehr pikiert reagiert.

Christof Moser:

Man kann diesen Vorwurf erheben. Aber die unterschwellige Aussage, die mitschwingt, dass wir mit Rechten nicht reden sollen, dagegen stemme ich mich sehr entschieden. Ich finde das eine gefährliche Haltung. Ich finde es richtig, darüber nachzudenken, welche Verantwortung wir tragen als Medium, ob wir gewisse Haltungen unbewusst verstärken. Wir heissen aber nicht zufällig «Republik». Das heisst auch ein Ringen um das beste Argument, also das Gegenteil davon, mit gewissen Leuten nicht zu reden. Wir halten nicht irgendwelchen Populisten das Mikrofon unter die Nase und rapportieren im Sekundentakt ihre Äusserungen ohne Einordnung. Ich halte die Dämonisierung der SVP und die Darstellung ihrer Protagonisten als ganz böse Menschen für einen journalistisch falschen Ansatz. Es gibt dieses Schwarz-und-weiss nicht. Oder nur ganz selten. Und es ist für eine Demokratie gefährlich, wenn der Journalismus in Feindbildern zu denken beginnt. Darum habe ich auf die entsprechende Kritik zurückgefragt, wer denn entscheiden sollte, mit wem wir sprechen sollen und mit wem nicht und wer sympathisch erscheinen darf und wer nicht.

MEDIENWOCHE:

Die Forderung, nicht mit Rechten zu reden, kommt insbesondere von jenem Teil des Publikums, der euch als linkes Medium wahrhaben will. Wie geht ihr damit um?

Christof Moser:

Diese Anspruchshaltung erlebe ich, seit ich Journalist bin. Das hat nichts mit der «Republik» zu tun. Gewisse linke Kreise erwarten, dass die Medien ihnen helfen, ihre politischen Ideen zu verbreiten und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist eine falsche Erwartung an den Journalismus. Bei der «Republik» ist es sicher so, dass manche erwarten, dass wir ein linkes Medium sind. Gleichzeitig sehen uns auch die Grünliberalen als ihr Medium. Die haben wir nun auch verschreckt, weil wir fragten, ob sie denn so sozialliberal sind, wie sie sich geben. Es folgte ein Riesenaufschrei. Natürlich gibt es Erwartungen an uns. Aber ich bin absolut bereit, Erwartungen zu enttäuschen. Oder sogar sehr bewusst zu bekämpfen.

«Bezüglich Multimedia sind wir sicher noch nicht so weit, wie wir sein wollen.»

MEDIENWOCHE:

Euer Angebot ist sehr textlastig. Multimedia gibt es nur als Einsprengsel. Warum macht ihr nicht mehr?

Christof Moser:

Ich würde widersprechen, dass wir Multimedia nur als Einsprengsel haben. Zum Beispiel werden wir sehr gelobt für den Podcast von Thomas Bächli. Der Pianist interpretiert und kommentiert musikalische Miniaturen. Multimedia ist für mich, wenn eine Geschichte von Grund auf anders erzählt wird. So wie unsere Schnee-Geschichte, wo man interaktiv schauen konnte, in welchen Skigebieten es 2035 oder 2060 noch Schnee geben wird. Wir sind sicher noch nicht so weit, wie wir sein wollen. Im ersten Jahr haben wir sehr viel Programmierarbeit in das Grundgerüst investiert. Jetzt werden aber in der IT Ressourcen frei, die nun vermehrt in Geschichten einfliessen können.

MEDIENWOCHE:

Mit dem Talk «An der Bar» von Roger de Weck habt ihr ein aufwändiges Videoformat produziert. In Zukunft wollt ihr das Gespräch nur noch als Audio-Podcast bringen. Ist das eine Sparmassnahme?

Christof Moser:

Nein, ist es nicht. Die Produktion einer Folge von «An der Bar» kostet 9000 Franken. Das ist ein Spitzenpreis für die Qualität dieses Formats. Das heisst aber auch, dass wir zwei bis drei Folgen am gleichen Tag aufzeichnen mussten, damit wir den Preis so tief halten konnten. Es würde sofort viel teurer, wenn man für jedes einzelne Gespräch die ganze Infrastruktur neu aufstellen müsste. Das schränkt uns natürlich ein, wenn wir die Talks vorproduzieren. Wir können ja die Interviews, wenn wir sie abgedreht haben, nicht einfach wegwerfen, wenn sie von der Aktualität überholt werden. Wir wollen für das Wahljahr daher ein Format, mit dem wir schneller reagieren können. Das ist der Grund für den Wechsel von Video auf Audio.

MEDIENWOCHE:

Als Autor liest man dich kaum noch. Was machst du eigentlich?

Christof Moser:

Mein aktueller Arbeitstag besteht vor allem aus Gesprächen, Sitzungen und Treffen. Seit zwei, drei Wochen bin ich wieder näher an der Redaktion. Ich werde aus dem Verwaltungsrat austreten aus Gründen der Governance und weil ich zurück in die Chefredaktion wechsle. Und dann sieht mein Tagesablauf so aus, wie der Job von andern Journalistinnen und Journalisten, die in einer Redaktion Verantwortung tragen. Du kommst mal am Morgen, leitest die wichtigsten Sitzungen, bist Ansprechpartner für alle Probleme. Irgendetwas brennt immer. Aber ich vermisse das Schreiben schon. Gleichzeitig kann ich dem Laden in meiner Position als Chefredaktor eine Linie vorgeben, Schwerpunkte setzen, und habe so den grösseren Einfluss auf den Erfolg der «Republik», als wenn ich einzelne Artikel schreibe. Das ist jetzt einfach eine Notwendigkeit.

«Etwa 10 Prozent unserer Arbeitszeit sollten in die Kommunikation und den Dialog mit den Leserinnen und Lesern fliessen.»

MEDIENWOCHE:

Du schreibst zwar fast keine Artikel mehr, dafür hast du dich bisher fast 300-mal vor der Community zu Wort gemeldet im Kommentarbereich. Wie und wann machst du das?

Christof Moser:

Auf dieser Ebene bin ich relativ impulsiv. Ich versuche ein Vorbild zu sein und mich viel dort zu melden, weil es ein wichtiger Teil der Arbeit ist für alle von uns. Wir sagen bei der Anstellung: Etwa 10 Prozent der Arbeitszeit sollten in die Kommunikation und den Dialog mit den Leserinnen und Lesern fliessen. Ich versuche dann zu reagieren, wenn ich finde, ein Angriff ist unfair. Sonst versuche ich mich eher etwas zurückzuhalten. Ich habe eigentlich ein gutes Gefühl für den richtigen Ton in den Sozialen Medien, auf Twitter, auch im harten Schlagabtausch. So ein Dialog-Forum ist aber noch mal etwas anderes. Ich muss da noch lernen.

MEDIENWOCHE:

Wen man auch nicht mehr liest, ist dein Compagnon und «Republik»-Mitgründer Constantin Seibt. Wo steckt er?

Christof Moser:

Constantin war in letzter Zeit tatsächlich nicht mehr so präsent. Wir wollten vermeiden, dass sich um uns ein Gründerkult entwickelt und haben uns darum bewusst auch etwas zurückgezogen. Er hat sich mit mir zusammen im Verwaltungsrat um strategische Fragen gekümmert. Gleichzeitig ist er auch eine wichtige Arbeitskraft im Marketing. Bei uns heisst das, gute Newsletter schreiben, wo wir das Projekt erklären. Dafür hat er eine unverwechselbare Stimme. Das ist auch Schreibarbeit. So gesehen, hat er sogar sehr viel geschrieben. Jetzt ist er auch noch Vater geworden und ist in die Kinderbetreuung eingespannt. Das führt dazu, dass er in letzter Zeit tatsächlich nicht so sichtbar war. Wir vermissen ihn sehr und freuen uns, wenn er wieder mehr im Magazin präsent ist.

MEDIENWOCHE:

Im letzten Sommer verliessen zwei Gründungsmitglieder und die Geschäftsführerin frühzeitig das Unternehmen. Warum?

Christof Moser:

Alle drei haben im Mandat für uns gearbeitet und es war von Anfang an klar, dass es nicht ihre Stelle fürs Leben sein wird. Sie halfen vor allem, die «Republik» auf die Beine zu stellen. Dafür waren sie absolut unverzichtbar. Innovation, Teambuilding und Businessplan waren essenziell in der Anfangsphase. Es hat sich dann aber relativ schnell gezeigt, dass wir auf das journalistische Produkt fokussieren müssen, sobald es da war. Die Abgänge kamen vielleicht eine Spur zu früh, aber sie waren trotzdem richtig. Es gab auch Reibereien, logischerweise. Aber es ist kein Bürgerkrieg ausgebrochen. Ich kann allen noch in die Augen schauen.

MEDIENWOCHE:

Wenn du noch einmal an den Start zurückgehen könntest, was würdest du anders machen?

Christof Moser:

Den grössten Fehler, den Constantin und ich gemacht haben, war wahrscheinlich, dass wir zwar ein absolutes Spitzenteam zusammengestellt haben, wirklich gute Leute, die etwas können – aber wir hätten mehr darauf achten müssen, dass das Verhältnis stimmt zwischen jenen, die draussen unterwegs sein wollen und jenen, welche die Redaktionsarbeit machen. Das hat uns im Startjahr etwas Probleme bereitet. Wir hatten dann zwar gute Leute, die unterwegs oder an etwas Grossem dran waren – aber für den Alltag waren plötzlich zu wenig Ressourcen da. Das würde ich heute anders machen. Die Pointe ist: Wir haben vor dem Start in anderen Bereichen – zum Beispiel Campaigning und Marketing – Profis um Rat gefragt. Bei der Redaktion, beim Journalismus, sahen Constantin und ich uns als die Profis, und wir dachten, wir sind super kompetent, da brauchen wir keine Hilfe. Das war eher nicht so klug.

Das Gespräch fand am 14. März in Zürich statt.

Foto: project-r.construction für republik.ch

Leserbeiträge

Yves Seiler 22. März 2019, 09:17

Tolles Interview, Kompliment. Wie die letzte Antwort, so habe ich das Medium auch wahrgenommen. Zu viele Häuptlinge aber keine Indianer. 
Man kann es nicht allen Zielgruppen recht machen, was in der Politik nicht geht, geht auch bei einer Online-Zeitung nicht. darum empfehle ich eine klare Positionierung. Das macht Herr Köppel auch, da weiss man als Leser welche Ideologie verfolgt wird. Mit wischi-waschi vergrault man irgendwann die Leser die man eigentlich wollte. 
Die Führung sollten die beiden Herren abgeben. Gute Schreiber sind nicht automatisch gute CEOs oder brillante Unternehmer. Der CEO muss nicht ein genialer Jurnalist sein, der braucht ganz andere Stärken und um die Texter zu führen, gibt es den Chefredakteur. Wenn sich alle auf Ihre Stärken konzentrieren, dann wird automatisch alles besser. Viel Glück.

Lahor Jakrlin 22. März 2019, 09:57

Hervorragende Fragen, enttäuschend nichtssagende Antworten. Hätten von einer x-beliebigen PR-Abteilung kommen können, z.B. der Post.

Bis auf die Sequenz, wo Moser sich zur politischen Positionierung äussert. Dort sagt er eindeutig nicht die Wahrheit.
Und zwar in einer Klarheit, die als zuverlässige Information dient.

Deshalb ein wertvolles Interview.

Victor Brunner 22. März 2019, 18:53

Es gibt eine 4. Gruppe vo Leuten die abgesprungen sind, dazu gehöre ich! Ich hatte genug von der Selbstbeweihräucherung der REPUBLIK-Macher. Ich hatte genug von Storys die eigentlich gut waren aber aufgebläht waren bis zum geht nicht mehr. Ich hatte genug von den Storys des Daniel Binswanger die mehr Literaturverzeichnis oder Buchempfehlungen waren als lesbar, hatte davon schon im TA Magazin genug! Ich hatte genug von der Selbstüberschätzung der REPUBLIK-Macher die meinten nur sie können Journalismus. Endgültig genug hatte ich als RdW auftauchte und REPUBLIK zu einem Sammelbecken von ehemaligen TA Journalisten wurde! Diesen Filz und Einheitsbrei wollte ich nicht mitfanzieren!

Peter Brunner 23. März 2019, 10:23

 

Ich teile Ihr Votum mit vier Ergänzungen:

– Die Kritik, zusammengefasst im letzten Satz, trifft im besonderen Masse auf das Feuilleton zu

– Es gab auch einige herausragende Leistungen („Auf lange Sicht“ oder die Wochenzusammenfassungen, ein paar Reportagen ) die allein schon ein Unterstützung rechtfertigen

– Einem so mutigen Projektanfang muss mindestens drei Jahre lang eine narrenfreie Unterstützung gewährt werden, bevor man ein endgültiges Urteil fällen kann. Der Prozess der Identitätsfindung hat ja erst begonnen und man darf immer noch hoffen, dass sich nicht das Rudel der selbstverliebten Zeitgeistsurfer, sondern die nüchternen Jungs und Mädels in der Redaktion durchsetzen

– Vermutlich lassen sich mit einer entsprechenden, notwendigen Schärfung des Projektprofils auch die 10-20% im Budget einsparen, die für eine realistische Finanzplanung nötig sind. Betrachtet man die Nutzun der Leserschaft wird das ziemlich schnell klar.

Alex Schneider 26. März 2019, 10:35

Warum gibt es keine Verleger, die in eine echte Forumszeitung investieren wollen? Ich meine eine Forumszeitung, bei der Pro und Contra auch bei den Kommentaren und Abstimmungsempfehlungen gleichwertig zum Ausdruck gebracht werden können. Die SRG-Programme sind nun wahrlich keine Alternativen dazu.