von Nick Lüthi

Ohne Geheimrezepte in die digitale Zukunft: Simon Bärtschi zu seinem neuen Job als BZ-Chefredaktor

Die Aufgabe ist anspruchsvoll, aber nicht unlösbar: Simon Bärtschi (49) muss als neuer Chefredaktor der «Berner Zeitung» mit voller Kraft die digitale Transformation vorantreiben, wenn der Tamedia-Titel eine Zukunft haben soll. Obwohl Bärtschi im Gegensatz zu seinen Vorgängern nur noch die regionale Berichterstattung des Blatts in der Bundesstadt verantwortet, sieht er sich nicht als halber Chefredaktor.

MEDIENWOCHE:

Du bist in den 1970er-Jahren in der Region Bern aufgewachsen. Welches sind deine ersten Erinnerungen an die «Berner Zeitung»?

Simon Bärtschi:

Meine früheste Erinnerung an die BZ ist ein Käppi mit dem roten Schriftzug. Der Nachbarsbub trug ein solches beim Fussballspielen. Sie wurden damals vermutlich zum Start der neuen Zeitung 1979 verteilt.

MEDIENWOCHE:

Wann hast du als Zeitungsleser die BZ erstmals wahrgenommen?

Simon Bärtschi:

Meine Eltern hatten den «Bund» abonniert. Spontan in den Sinn kommt mir aber der verlorene Cupfinal der Young Boys gegen Sion 1980, da war ich im Wankdorf dabei. Die BZ war schon damals die YB-Zeitung.

MEDIENWOCHE:

Seit Anfang 2019 bist du Chefredaktor der BZ. Als Abonnent und Leser habe ich keine Veränderungen bemerkt. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Simon Bärtschi:

Das ist ein gutes Zeichen. Weil die Positionierung der BZ seit längerem stimmt. Davon bin ich überzeugt. Das Konzept «die Region zuerst» stammt von meinem Vorvorgänger Michael Hug. Für mich heisst der Slogan auch «das Naheliegende zuerst». Wir vertiefen dieses Konzept jetzt systematisch. Meine Vorgänger haben gute Arbeit geleistet. In dem Sinn ist deine Reaktion auch ein Kompliment für sie.

MEDIENWOCHE:

Was hat dir dein Vorgänger Peter Jost mit auf den Weg gegeben?

Simon Bärtschi:

Ein super Team, ganz starke und motivierte Leute, die mich offen empfangen haben. Pesche und ich machten eine gut strukturierte Übergabe. Geheimrezepte waren leider keine dabei.

«Mein Interesse für alles vor der Haustüre ist angeboren. Das Unmittelbare hat mich immer sehr gereizt.»

MEDIENWOCHE:

Du bist Chefredaktor einer Regionalzeitung geworden, obwohl du keine Erfahrung im Lokaljournalismus hast. Wie ist das möglich?

Simon Bärtschi:

Eine Redaktion zu leiten, folgt nach meinem Dafürhalten stets ähnlichen Kriterien. Man muss die eigenen Leute motivieren können, klare Regelungen vereinbaren und sagen, was einem wichtig ist und was nicht. Hart in den Prozessen, freundlich im Ton. Ob das in Zürich, Burgdorf oder Bern ist, spielt keine Rolle. Mein Interesse für alles vor der Haustüre ist angeboren. Das Unmittelbare hat mich immer sehr gereizt. Das merkte ich auch beim Umzug mit meiner Familie von Zürich nach Bern. Ich sauge wie ein Schwamm auf, was um mich herum läuft. Das gehört zum Beruf als Journalist. Aber es ist auch ein privates Interesse.

MEDIENWOCHE:

Wie verstehst du deine Rolle als Chefredaktor?

Simon Bärtschi:

Ich will präsent, zugänglich, verbindlich sein. Bei mir ist die Türe immer offen – schon darum, weil ich gar kein eigenes Büro habe. Bei der BZ ist mir die Rolle als «Innenminister» besonders wichtig. Damit mich die Leute spüren und sie merken, was mir wichtig ist. Gleichzeitig bin ich «Aussenminister» und derzeit viel unterwegs. So etwa kürzlich in Aarberg, wo ich beim lokalen Rotary Club die BZ vorstellen durfte und so auch die Sicht der Menschen aus dem Seeland erfahren habe. Es ist wichtig, dass ich den Puls fühlen kann.

MEDIENWOCHE:

Wie weit siehst du die BZ noch als Chronistin und wie stark willst du eigene Akzente setzen in der Berichterstattung?

Simon Bärtschi:

Mit unserem täglichen Schwerpunkt auf den Seiten zwei und drei rücken wir zwangsläufig von der Chronistenrolle ab. Wir sind aber weiterhin präsent an den Schauplätzen in den Regionen, das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir vermelden aber nicht mehr jeden Entscheid aus jeder Gemeinde.

MEDIENWOCHE:

Verstehen das die Leserinnen und Leser?

Simon Bärtschi:

Mir ist nicht bekannt, dass es deswegen in jüngster Zeit Reaktionen gegeben hätte.

«Ich renne nicht weg bei Gegenwind und habe einen langen Schnauf, das wissen meine ehemaligen Crews in Zürich.»

MEDIENWOCHE:

Bei Tamedia hast du dich kontinuierlich nach oben gearbeitet. War es dein Karriereziel, einmal im Leben Chefredaktor zu werden?

Simon Bärtschi:

Nach oben arbeiten tönt nach ellböglen, das ist überhaupt nicht mein Ding. Es hat sich einfach immer Neues im selben Medienhaus ergeben. Ich renne nicht weg bei Gegenwind und habe einen langen Schnauf, das wissen meine ehemaligen Crews in Zürich. Oft sind es Zufälle im Leben, die einen irgendwohin tragen und weiterbringen.

MEDIENWOCHE:

War es das erste Mal, dass du dich für einen Chefredaktorenposten beworben hast?

Simon Bärtschi:

Man kann auch ganz charmant angefragt werden …

MEDIENWOCHE:

Nach fast 20 Jahren in Zürich bist du nach Bern zurückgezogen mit deiner Familie und hast dich in der Agglomeration niedergelassen. Wegen dem BZ-Job?

Simon Bärtschi:

Wir haben entschieden, Zürich zu verlassen, weil wir als Familie mehr Platz suchten. Den fanden wir hier. Es war ein privater Entscheid, nach Bern zurückzukommen. Aber natürlich ist die Nähe zu den Leserinnen und Lesern ein Vorteil für den Job.

«Was heisst ‹nur› regionale Berichterstattung? Das ist die DNA der BZ!»

MEDIENWOCHE:

Die BZ-Redaktion bestreitet nur noch die regionale Berichterstattung im Alleingang. Alles andere kommt aus der Tamedia-Zentralredaktion. Eigentlich bist du nur ein halber Chefredaktor.

Simon Bärtschi:

Merci für das Kompliment. Ernsthaft: Die Bezeichnung gälte ja heute für über ein Dutzend Chefredaktoren in der Deutschschweiz. Und was heisst «nur» regionale Berichterstattung? Das ist die DNA der BZ! Dazu gehört alles, was bei uns zuoberst steht und das ist für die Leserschaft doppelt so wichtig, weil es die eigene Lebenswelt betrifft. Welche Seiten der Zentralredaktion wir wo im Blatt platzieren, entscheiden wir selbst. Heute kamen beispielsweise 7 von 32 Zeitungsseiten aus der Zentralredaktion, wo notabene auch Leute aus Bern mitarbeiten.

MEDIENWOCHE:

Was machst du aber, wenn dir – um eine aktuelles Beispiel zu nehmen – die magere Berichterstattung der Zentralredaktion zu den Wahlen im Kanton Tessin nicht genügt und du mehr bringen möchtest in der BZ?

Simon Bärtschi:

Im tagesaktuellen Geschäft bleibt oft nicht viel Zeit. Wir müssen die Weichen vorher stellen und unsere Bedürfnisse anmelden. Da ich ja selber Blattmacher im Newsroom der Zentralredaktion in Zürich war, kenne ich die Prozesse und die Verantwortlichen. Das erleichtert den Austausch. Aber das Mantelmodell, wie wir es heute haben, ist gegeben. Es funktioniert gut, es gibt qualitativ keinen besseren Mantel. Es bringt nichts, den früheren Komplettzeitungen nachzutrauern.

MEDIENWOCHE:

Du kennst die Sitten und Gepflogenheiten der Zürcher Medien, nun bist du seit drei Monaten in Bern. Welche Unterschiede zeigen sich im Redaktionsalltag?

Simon Bärtschi:

Ich stelle keine grossen Unterschiede fest. Auf Zürcher Redaktionen arbeiten ja auch Bündner und Berner. So hört man auch auf der BZ-Redaktion Ostschweizer Dialekte. In Bern ist der Umgang miteinander etwas charmanter, nicht nur im Redaktionsalltag. Dennoch kommuniziert man auch hier klar und deutlich. Was aber sicher nicht stimmt: dass die Berner langsamer sind.

«Ich führte schon vor dem Antritt viele Gespräche und habe allen die Hand geschüttelt. Kennenlernen ist ein Prozess.»

MEDIENWOCHE:

Anders als deine Vorgänger hast du keine Vergangenheit auf der BZ-Redaktion. Ist man dir darum mit Skepsis begegnet?

Simon Bärtschi:

Eine gewisse Skepsis war sicher vorhanden, insbesondere vor meinem Stellenantritt. Aber das gehört doch dazu. Ich führte schon vor dem Antritt viele Gespräche und habe allen die Hand geschüttelt. Kennenlernen ist ein Prozess.

MEDIENWOCHE:

Du schreibst als Chefredaktor regelmässig Kommentare und Leitartikel. Bisher zwei Mal pro Monat. Wann greifst du in die Tasten?

Simon Bärtschi:

Wenn es mich juckt und wenn ich finde, dass es hier die Meinung des Chefredaktors braucht. In den letzten Jahren in Zürich hatte ich einen ganz anderen Fokus, das Schreiben kam zu kurz. Ich will in den Kerndossiers wie Finanz-, Steuerpolitik oder Verkehrs- und Umweltpolitik präsent sein. Ich werde aber auch weiterhin die Dossier-führenden Redaktorinnen und Redaktoren kommentieren lassen. Wichtig ist ja, dass wir redaktionsintern über die Themen und die Haltung dazu reden.

«Wir sind keine Weltwoche, ich will diesen Pluralismus weiter pflegen.»

MEDIENWOCHE:

Die BZ ist eine klassische Forumszeitung. Sie versucht, das relevante Meinungsspektrum abzubilden in ihrer Berichterstattung. Bleibt das so oder willst du das Blatt stärker politisch positionieren?

Simon Bärtschi:

Wir sind keine Weltwoche, ich will diesen Pluralismus weiter pflegen. Wir sind sicher etwas lauter als unsere direkte Konkurrenz vom «Bund», wir sind bunter als der Tages-Anzeiger. Im Grundsatz versteht sich die BZ als fortschrittlich bürgerlich, sie steht stets für effiziente Lösungen ein. Das ist der grobe Rahmen. Ich habe dabei den aktiven, eigenverantwortlichen Bürger vor dem inneren Augen, wie ihn Rousseau einst beschrieb. Wir sind aber nicht stramm-bürgerlich, sondern wollen auch überraschen können.

MEDIENWOCHE:

Das Schicksal der beiden Tamedia-Zeitungen in Bern, «Bund» und BZ, ist eng miteinander verknüpft. Wenn die Auflage der beiden Blätter unter 100’000 sinke, werde fusioniert, sagte Tamedia-Verleger Pietro Supino kürzlich. Jetzt sind wir bei 124’000. Spürst du das Damoklesschwert schon im Nacken?

Simon Bärtschi:

Eigentlich sind wir bei 405’000 Leserinnen und Lesern, gemäss Total-Audience-Studie der Wemf. Die Leserzahl ist für uns wesentlich wichtiger als die Auflage. Ich kann zur Aussage des Verlegers nicht Stellung nehmen und halte mich klar an die Losung: BZ ist BZ, «Bund» ist «Bund». Wir machen möglichst gut unseren Job. That’s it.

MEDIENWOCHE:

Die Zukunft der Zeitung liegt im Netz. In den letzten Jahren hat die Zahlungsbereitschaft spürbar zugenommen. Reicht der Aufwärtstrend im Digitalen, um die unaufhaltsame Erosion im Print aufzufangen?

Simon Bärtschi:

Es ist eine Wette auf die Zukunft, dass wir in einigen Jahren die BZ allein aus den digitalen Erlösen machen können. Ob es dann noch eine gedruckte Zeitung geben wird, weiss ich nicht.

«Eines ist sonnenklar: Wir müssen die digitalen Abos steigern.»

MEDIENWOCHE:

Wie viele Digital-Abos hat die BZ gegenwärtig?

Simon Bärtschi:

Ich nenne keinen Zahlen. Nur so viel: Wir haben ein gutes Wachstum im Digitalgeschäft, allerdings noch auf einer etwas tieferen Stufe als die Schwesterzeitungen in Zürich oder Genf. Eines ist aber sonnenklar: Wir müssen die digitalen Abos steigern.

MEDIENWOCHE:

Wie macht ihr das?

Simon Bärtschi:

Wir zerlegen den Berg in Einzelteile. Es laufen verschiedene Projekte. Eine Idee verfolgen wir beispielsweise im Regionalfussball. Da wollen wir die Resultate möglichst clever aufs Smartphone bringen. Dort helfen uns Spezialisten aus dem Verlag. Der Vorteil des Digitalen ist die Messbarkeit, es gibt keine Blindflüge wie im Print. Im laufenden Jahr wollen wir diese Projekte mit viel Schub vorwärts bringen. Vor Kurzem hatten wir übrigens erstmals eine animierte Karikatur von BZ-Zeichner Max Spring auf der Website. Er ist ein klassischer Print-Cartoonist, neu gibts bei der BZ auf dem Smartphone zuweilen Spring-Zeichnungen, die sich bewegen. Das Wichtigste in diesem Jahr wird «mobile first» sein. Wir wollen unsere Angebote dort zuerst ausspielen, wo die Leute sind. Und das ist auf dem Smartphone.