von Adrian Lobe, Nick Lüthi

Nutzer wünschen ein Medienbuffet zum Pauschalpreis, Verleger rümpfen die Nase

Was Netflix und Spotify für Film und Musik möglich machen, wünschen sich Mediennutzer zunehmend auch für journalistische Online-Angebote. Schweizer Verlage sind skeptisch. Auch darum kommen zwei unabhängige Flatrate-Plattformen mit heimischen Zeitungen und Zeitschriften nicht zum Fliegen.

Das Lamento über die grassierende Gratismentalität als Grundübel der Medienkrise greift zu kurz. Mediennutzer und -nutzerinnen sind sehr wohl bereit, Geld auszugeben für Nachrichtenmedien. Allerdings wollen sie das so tun, wie sie es von ihrem Film- und Musikkonsum gewohnt sind: mittels einer sogenannten Flatrate. Das heisst, sie wollen gegen einen fixen Monatsbetrag eine schier unbegrenzte Auswahl nutzen.

Dieses Bedürfnis eruierte erst kürzlich eine Studie der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Demnach wünschen sich Nachrichtenkonsumenten ein Spotify oder Netflix für Journalismus. Was die Zahlungsmodalitäten betrifft, hätten solche Flatrate-Angebote «in vielerlei Hinsicht Standards und Anker gesetzt, die von vielen Nutzerinnen und Nutzern auch im Bereich des Journalismus erwartet werden», heisst es in der Studie. Nicht nur hinsichtlich des Preises von monatlich um die 10 bis 15 Euro, sondern auch hinsichtlich der Vertragskonditionen mit einer anbieterübergreifenden Bündelung von Inhalten, transparenter und leicht verständlicher Preisgestaltung sowie kurzer Vertragslaufzeit.

Während die NZZ-Gruppe ihre Zeitungen auf Blendle und Pressreader bereitstellt, hält sich Tamedia von Flatrate-Anbietern fern.

Es gibt bereits verschiedene Plattformen, die gegen ein monatliches Entgelt den unbeschränkten Zugang zu Zeitungen und Zeitschriften gewähren. Allerdings weisen alle Anbieter Lücken im Angebot auf, da längst nicht alle Verlage bereit sind, ihren Titel auf diese Weise zu kommerzialisieren. Die bekanntesten Flatrate-Anbieter im deutschsprachigen Raum sind Blendle und Readly, wobei sich Readly auf Zeitschriften konzentriert. Der älteste Anbieter ist Pressreader. Das kanadische Unternehmen, das heute 500 Mitarbeitende beschäftigt, ist bereits seit 2003 auf dem Markt. Kunden können entweder einzelne digitale Zeitungsausgaben kaufen oder erhalten für 29,95 Dollar im Monat den vollen Zugriff auf über 7000 Zeitschriften und Zeitungen aus der ganzen Welt.

Anders als die jüngeren Start-up-Unternehmen Blendle und Readly schreibt Pressreader schwarze Zahlen. Den Verlagen schüttete Pressreader im vergangenen Jahr 5,5 Millionen Dollar an Tantiemen aus. Blendle hat laut einem Bericht des Nieman Lab in den fünf Jahren seines Bestehens bislang acht Millionen Euro an Verlage ausbezahlt. Verglichen mit den Milliardenumsätzen, die allein Amazon mit seinem Subskriptionsdienst Prime macht (knapp zehn Milliarden Dollar), sind das Peanuts. Die grossen Geldtöpfe lassen sich bei solchen Diensten also nicht erschliessen. Das Angebot an Medien aus der Schweiz hält sich denn auch in überschaubaren Grenzen. Während die NZZ-Gruppe ihre Zeitungen auf Blendle und Pressreader bereitstellt, hält sich Tamedia davon fern.

«Statt mit mir oder jemand anders aus der Schweiz etwas zu machen, wollen die wohl lieber warten, bis Apple News hier die Rahmenbedingungen diktiert.»
Fredy Künzler, Internet-Unternehmer

Die fehlende Möglichkeit, eine breite Palette an Schweizer Medien gegen einen Abo-Pauschalbetrag nutzen zu können, brachte findige Unternehmer auf die Idee, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Einer davon ist Fredy Künzler. Der Winterthurer Internet-Unternehmer entwickelte 2017 ein Konzept namens Twopenny, ein Flatrate-Modell, das ohne eigene Plattform auskommt. Die Idee: Der Kunde registriert sich auf der Website einer Zeitung und zahlt dort ein Monatsabo für 14,90 Franken. Damit bekommt er Zugang zum digitalen Angebot aller Medien, die im twopenny-Netzwerk zusammengeschlossen sind. 70 Prozent der Einnahmen würden an die Verlage ausgeschüttet. Wenn der Abonnent einen Artikel auf einer der Websites abruft, bekommt der Verlag einen Betrag gutgeschrieben, der zwischen zwei und vier Rappen variieren kann. Bezahlt wird nach Klicks. Künzler legte seiner Kalkulation zugrunde, dass der Leser durchschnittlich elf Artikel pro Tag liest. Die Verlage bekundeten anfänglich Interesse: Künzler konnte sein Konzept bei Tamedia vorstellen. Das Medienhaus, so berichtet Künzler gegenüber der MEDIENWOCHE, habe ihm attestiert, dass er das Projekt mit seiner Erfahrung als Internet-Unternehmer stemmen könne. Doch dann sei die Sache versandet, und Tamedia meldete sich nicht mehr bei ihm. Auch der Verlegerverband habe nach anfänglichem Interesse abgewinkt. «Statt mit mir oder jemand anders aus der Schweiz etwas zu machen, wollen die wohl lieber warten, bis Apple News hier die Rahmenbedingungen diktiert.»

In der Romandie sollte mit dem Start-up Timoty gar «Das Schweizer Spotify für Nachrichten» entstehen, wie die Handelszeitung vor einem Jahr schrieb. Obwohl der Start für Herbst 2018 angekündigt wurde, wartet man bis heute vergeblich auf ein Lebenszeichen. Hinter dem Projekt stehen die FDP-Nationalräte Fathi Derder (Genf) und Philippe Nantermod (Wallis). Der dritte Mitgründer, Start-up-Spezialist Gregory Logan, ist nicht mehr mit an Bord. «Wir hatten die Unterstützung von Ringier und Tamedia», erklärt Derder auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Kleinere Verlage wollten allerdings nicht mittun. «Das ist natürlich problematisch», so Derder, der als Journalist und ehemaliger Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «L’Agefi» die Medienwelt gut kennt. Gestorben sei Timoty aber noch nicht. «Aber leider etwas verzögert.» Man suche nun nach einem internationalen Partner, «um die Anwendung in ein globales Angebot zu integrieren.» Mehr könne man dazu nicht sagen. «Aber offensichtlich scheint das Modell das richtige zu sein», glaubt Derder und verweist – gleich wie Künzler – auf den im Frühjahr erfolgten Start von Apple News.

Die Chancen, dass Twopenny oder Timoty doch noch einmal abheben, stehen indes schlecht. Tamedia, der grösste Zeitungsverlag der Schweiz, sieht Flatrate-Plattformen äusserst kritisch. «Die Erfahrungen mit Leseflatrates waren ernüchternd und die Lösung für Tamedia schlussendlich zu wenig interessant, da die Nachfrage der Leser zu gering war und damit auch die Einnahmen», teilt Sprecher Roman Hess auf Anfrage mit. Bereits 2011 hatte Tamedia seinen «Tages-Anzeiger» aus dem Angebot von Pressreader zurückgezogen. Bei Flatrate-Plattformen spiele die Masse eine Rolle, so Hess weiter. «Und die ist in der Schweiz nicht gegeben.» Tamedia setzt derweil auf die Vermarktung der eigenen Digital-Abos.

«Bei den Abos sind nach unserer Ansicht die Möglichkeiten noch nicht ausgereizt.»
Stefan Heini, Sprecher CH Media

Bei CH Media, der Regionalmedienzusammenschluss von AZ Medien und NZZ Gruppe, teilt man die Skepsis der Zürcher Konkurrenz. Man beobachte die verschiedenen Entwicklungen und unterschiedlichen Anbieter, teilt Sprecher Stefan Heini auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Bestehende Flatrate-Systeme wie Blendle oder Readly seien bisher «nicht wirklich erfolgreich». Wie Tamedia legt auch CH Media den Fokus auf die Vermarktung von Digital-Abos für die eigenen Titel. «Bei den Abos sind nach unserer Ansicht die Möglichkeiten noch nicht ausgereizt», findet Sprecher Heini.

Ungeachtet der Kritik und Zurückhaltung aus der Schweiz machen sich die grossen Player der Plattformökonomie daran, eigene Flatrate-Lösungen aufzubauen. So hat Amazon 2017 seinen Digitalkiosk «Newsstand» lanciert, bei dem Kunden Digitalausgaben direkt auf die Kindle-Lesegeräte laden können. Amazon-Prime-Kunden haben zudem kostenlosen Zugang zum Digitalangebot der «Washington Post», die seit 2013 Amazon-Chef Jeff Bezos gehört. Über den Lesedienst Prime Reading, der in die Prime-Mitgliedschaft integriert ist, können Mitglieder die neuesten Ausgaben des «Spiegel», «Focus» oder anderer Zeitschriftentitel wie auch E-Books kostenlos lesen. Amazon kassiert von den Verlagen eine Marge von 30 Prozent der Umsätze in den ersten zwei Jahren, in den darauffolgenden Jahren dann 15 Prozent.

Im vergangenen März zog Apple mit seinem Abo-Dienst Apple News nach, das als «Netflix für Nachrichten» apostrophiert wurde. Für 9,99 Dollar Monatsgebühr erhalten Nutzer Zugriff auf Magazine wie «New Yorker», «The Atlantic», «National Geographic» und «Men’s Health». Die 300 Titel, die Apple im Portfolio hat, würden monatlich als einzelne Abonnements insgesamt 8000 Dollar kosten. Apple behält dem Vernehmen nach 50 Prozent der Erlöse und schüttet die andere Hälfte nach einem Schlüssel aus, der sich nach der Zahl der gelesenen Seiten richtet.

Während ein Digitalabo der «New York Times» in den USA 15 Dollar im Monat kostet, verlangt Apple für seinen News-Dienst gerade einmal zehn Dollar – mit Zugriff auf eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen.

Zwar versprechen Plattformen von Amazon und Apple eine grosse Reichweite. Doch begeben sich Medienunternehmen damit in eine gefährliche Abhängigkeit. Mark Thompson, CEO der «New York Times», warnte, dass Verlage bei einer solchen Kooperation die Kontrolle über ihr Produkt verlieren könnten. Thompson äusserte zudem Bedenken, dass Medien ihre Inhalte verramschen und ihre Markenidentität verlieren. Während ein Digitalabo der New York Times in den USA 15 Dollar im Monat kostet, verlangt Apple für seinen News-Dienst gerade einmal zehn Dollar – mit Zugriff auf eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen. Das Flaggschiff der US-Publizistik will darum seine Digitalinhalte lieber selbst vermarkten, als dies Plattformkonzernen wie Apple zu überlassen. «Würde ich einen amerikanischen TV-Sender leiten, hätte ich mir zweimal überlegt, ob ich meine ganze Bibliothek Netflix gebe», sagte Thompson.

Die Zahlungsbereitschaft für Online-News ist im Gegensatz zu Musik oder Filmen deutlich geringer.

Das grosse Problem von Leseflatrates besteht darin, dass die Inhalte nivelliert werden. Ein Artikel aus der Boulevardzeitung «Sun» kostet faktisch gleich viel wie ein Artikel aus der «New York Times», obwohl der Aufwand dahinter ganz unterschiedlich ist. Im Gegensatz zur Musik, wo ein Album seit jeher unabhängig vom Künstler dasselbe kostet, gibt es bei Printprodukten erhebliche Preisunterschiede. Ein Magazin für Architektur kostet deutlich mehr als ein Boulevardblatt. Daher lässt sich das Flatrate-Modell nur bedingt für den Journalismus adaptieren.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahlungsbereitschaft für Online-News im Gegensatz zu Musik oder Filmen deutlich geringer ist. Was auch damit zu tun hat, dass man einen Artikel einmal liest, während man die gleiche Musik immer wieder hört. Gemäss dem aktuellen Digital News Report des Reuters Institute bezahlen in der Schweiz lediglich 11 Prozent der Mediennutzer für Online-News (in der Westschweiz liegt der Anteil bei 15 Prozent). In Deutschland und den USA liegt die Quote gar nur bei mageren 8 Prozent. Zum Vergleich: In den USA zahlen 23 Prozent der Verbraucher für Video-Content.

Nic Newman, Journalismusforscher am Reuters Institute for the Study of Journalism, befürchtet eine Kannibalisierung. «Obwohl Flatrate-Angebote neue Abonnenten bringen können, besteht das Risiko, den bestehenden wertvollen Kundenstamm zu kannibalisieren», so Newman im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Um dieses Risiko zu vermeiden, müssen Verlage neue Inhalte generieren, etwa indem sie Podcasts anbieten. «Verlage müssen wachsam sein, dass sie nicht das Geschäft der Plattformen auf Kosten ihrer langfristigen eigenen Interessen betreiben», warnt Newman.

In Zukunft könnten Tech-Konzerne mit ihren Flatrate-Angeboten den Druck auf kleinere und schwächere Konkurrenten verstärken und so ihre Marktposition ausbauen. Damit wächst wiederum der Druck auf die Verlage, ihre Angebote bei Apple News oder Amazon Newsstand einzustellen – auch wenn die Konditionen alles andere als attraktiv sind. Nur globale Marken wie die New York Times können wohl einstweilen auf solche Kooperationen verzichten und den Vertrieb ihrer eigenen Digitalabos vorantreiben. Für die restlichen Verlage bedeutet das: Vogel friss oder stirb.

Leserbeiträge

jürgen Böhm 14. September 2019, 23:53

Viel Gerede um den heissen Brei herum in diesem Artikel, Studien über Studien die allesamt am Kern vorbei gehen und letzten Endes nur eines beweisen: dass es zuviele Studien gibt.

In meinem Fall scheitert das Bezahlen an zwei einfachen Dingen:

Erstens sind die bisher angebotenen Bezahlmethoden nicht diejenigen, die ich akzeptiere. Dabei gibt es sie und es könnte so einfach sein … aber die Verlage wollen halt nicht.

Zweitens sind mit die Inhalte inzwischen viel zu tendenziös, manipulativ, einseitig und beeinflussend. Ich will neutral informiert werden. Und mir dann meine Meinung selbst bilden. Das jedoch scheint nicht mehr gewollt sein.

Deshalb werde ich bis auf Weiteres nichts bezahlen (können). Und Werbeblocker sind und bleiben für mich oberstes Gebot. Sonst schaue ich das Angebot gar nicht erst an. Tut mir leid … Abhilfe : siehe oben