von Benjamin von Wyl, Matthias Eberl

Fast alle Schweizer Medien liefern freiwillig Daten an Facebook

Die MEDIENWOCHE hat untersucht, welche Schweizer Medien Daten ihrer Leserschaft an Facebook liefern. Fast alle tun es. Daran wird auch die Login-Allianz, die explizit gegen Facebook gerichtet ist, vorerst nichts ändern.

Fast alle Schweizer Medien lassen ihre Leser*innen von Facebook tracken. Das heisst: Wenn jemand auf einer News-Seite Artikel liest oder Videos schaut, kann Facebook das Nutzungsverhalten registrieren. Möglich machen es Dienste aus dem Facebook-Business-Portfolio, allen voran das sogenannte Facebook-Pixel. Dieses besteht aus ein paar Zeilen Javascript-Programmiercode, die auf den jeweiligen Medienseiten eingebettet werden und dann registrieren, wie sich die Nutzer auf der Seite bewegen.

Die mit dem Facebook-Pixel gewonnenen Daten ermöglichen eine detaillierte Auswertung darüber, wer welche Texte liest.

Man nutze das Facebook-Tracking, um «unseren Nutzern eine gute Produkt-Erfahrung über viele Plattformen zu vermitteln», heisst es bei CH Media. Es diene der «Abogewinnung (Retargeting), da Facebook in dieser Hinsicht einen effizienten Marketingkanal darstellt», teilt Tamedia auf Anfrage mit. Auch die NZZ nutzt das Facebook-Pixel zur zielgerichteten Werbung für potenzielle Neukund*innen: «Bestehende NZZ-Abonnentinnen und -Abonnenten werden so (…) ausgeschlossen.»

Die mit dem Facebook-Pixel gewonnenen Daten ermöglichen eine detaillierte Auswertung darüber, wer welche Texte liest, egal auf welchem Gerät. Weiter kann Werbung auf präzise Zielgruppen ausgespielt werden – ausgewertet nach zehntausenden unterschiedlichen Interessen. Mit dem Facebook-Pixel helfen die Verlage Facebook aktiv dabei, ihre Datensätze zu verbessern. Für die Medienhäuser lohnt sich das also zumindest kurzfristig. Ob das Facebook-Pixel auch im Sinne der Nutzer*innen ist, bleibt zumindest zweifelhaft.

Zwar können Tamedia und die NZZ dank dem Facebook-Pixel jene Leser*innen rausfiltern, die bereits ein Abo gelöst haben, im Gegenzug geben sie die URL («Internetadresse») jedes gelesenen Artikels mit einer personenbezogenen Nummer an Facebook weiter. Daraus kann der Social-Media-Konzern umfangreiche Interessenprofile erstellen; Missbrauch der Daten ist nicht ausgeschlossen.

«Es ist recht unheimlich und unangenehm, dass sich Facebook in unserem Webseiten-Code festgesetzt hat.»
Lukas Tobler, Co-Chefredaktor «Das Lamm»

In vielen Fällen kann Facebook die Seitenaufrufe einem Facebook-Profil und damit einer echten Person zuordnen – auch Monate, nachdem sich diese dort das letzte Mal eingeloggt hat, solange die Person ihre Cookies im Browser nicht löscht. Auch wer nicht bei Facebook angemeldet ist, entkommt der Verfolgung nicht: Diesen Nutzer*innen wird einfach eine Nummer zugewiesen, mit der sie Facebook trackt.

Während das Tracking durch Facebook bei den grossen Medienhäusern ein bewusster Entscheid ist, hat die MEDIENWOCHE-Anfrage manche kleine und unabhängige Medien überrumpelt. Es sei «recht unheimlich und unangenehm, dass sich Facebook in unserem Webseiten-Code festgesetzt hat», schreibt etwa Lukas Tobler, Co-Chefredaktor des Online-Magazins «Das Lamm». Am Abend vor dem Erscheinungstag dieses Artikels hat «Das Lamm» das Facebook-Pixel schliesslich entfernt. «Unser Anspruch ist es, journalistische Inhalte auf eine simple Website zu laden und allen Interessierten unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund zugänglich zu machen. Ohne Schnickschnack, ohne Big Data.» Laut Tobler hatte «Das Lamm» überhaupt keine Vorteile aus dem Facebook-Pixel gezogen.

Auch die unabhängigen Online-Medien «Infosperber» und «tsüri.ch», das Magazin «Surprise», die Lokalzeitungen «Bieler Tagblatt» und «Schaffhauser AZ» wussten nicht, dass ihren Plattformen ein Einfalltor für Facebook eingebaut war. Die Datenweitergabe an Facebook haben sie in Folge der MEDIENWOCHE-Anfrage bereits unterbunden oder den Stopp mindestens fest eingeplant. Das Online-Portal «Zentralplus» teilt mit, dass sie Tracking-Technologien im Zuge der laufenden Überarbeitung der Community-Strategie «kritisch überprüfen».

Die Medien, die das Facebook-Pixel integriert haben, sind sich der Datenweitergabe fast immer bewusst.

Nicht in jedem Fall ist das sogenannte Facebook-Pixel die Ursache fürs Tracking: Mal lag es an der Kommentarfunktion, mal an einem automatisierten Facebook-Feed auf der Homepage. In der Tabelle am Ende des Artikels bietet die MEDIENWOCHE eine Übersicht darüber, welche Medien das Facebook-Pixel integriert haben – und bei welchen andere Facebook-Dienste dafür sorgen, dass individualisierte, sogenannte «c_user-Cookies» an den Social-Media-Konzern gehen. Im Verlauf der Recherche zeigte sich, dass sich die Medien, die das Facebook-Pixel integriert haben, der Datenweitergabe fast immer bewusst sind.

Die wenigen Medien, die ihre Leser*innen bereits bisher vor dem Zugriff durch Facebook geschützt haben, sind: WOZ, «Republik», die SRG, «Tele Bärn» und der «Blick». Damit ist die Zeitung eine Ausnahme innerhalb von Ringier, beziehungsweise Ringier Axel Springer Schweiz. Andere Medien aus demselben Unternehmen, etwa «Radio Energy», das «Izzy-Magazin», aber auch die «Glückspost» und der «Beobachter» gestatten Facebook den Zugriff auf die Nutzungsdaten. Auf Anfrage heisst es bei der Ringier Axel Springer AG, dass «datenbezogene Aspekte stets mit besonderer Sorgfalt hinterfragt würden». Auch Tamedia und CH Media nutzen ähnliche Formulierungen in ihren Antworten auf die Fragen, ob eine Abschaffung des Facebook-Trackings geplant sei. Ein grundsätzliches Umdenken bleibt aus.

Ungeachtet aller Kontroversen entscheiden sich Medienunternehmen weiterhin dazu, ihre Zusammenarbeit mit Facebook auszuweiten.

Noch immer. Schon 2011 gab es eine erste Debatte, weil die damaligen «Like»-Buttons auf Nachrichtenseiten Facebook das Speichern jedes Seitenaufrufs ermöglichten – unabhängig davon, ob man «Like» geklickt hat oder nicht. Die meisten Nachrichtenseiten haben damals reagiert und den Button überarbeitet. In den acht Jahren seither ist nicht nur das datenschützerische Bewusstsein in der Bevölkerung gestiegen, sondern Facebook immer wieder in der Kritik gestanden: seine mögliche Verantwortung als Katalysator für Fake News, seine Zusammenarbeit mit Big-Data-Firmen wie Cambridge Analytica.

Laut der «Republik»-Journalistin Adrienne Fichter soll Facebook selbst Wahlen und Abstimmungen in 66 Ländern beeinflusst haben. Dazu kommen Vorwürfe der internationalen Gemeinschaft und von Menschenrechtsorganisationen, dass das Social Media-Unternehmen in Ländern wie Myanmar, Sri Lanka und auf den Philippinen versagt hat, über Facebook lancierte Volksverhetzung und Gewalt zu stoppen. Im Falle der antimuslimischen Hetze und den ethnischen Säuberungen in Myanmar hat Facebook eine Mitverantwortung auch zugegeben.

Doch ungeachtet aller Kontroversen entscheiden sich Medienunternehmen weiterhin dazu, ihre Zusammenarbeit mit Facebook auszuweiten. Die NZZ nutzt den Facebook-Pixel nach eigenen Angaben erst seit November 2017. Ein Jahr nach der Wahl von Donald Trump entschied man sich an der Zürcher Falkenstrasse für die Einführung des Analyse- und Trackingtools. Das zeigt: Obwohl die Social Media-Plattform oft totgesagt worden ist, bleibt Facebook für Medienhäuser relevant – wohl nur schon wegen der schieren Masse an Nutzer*innen. Im Juni diesen Jahres loggten sich in der Schweiz noch immer 3,61 Millionen Menschen in ihr Profil ein, fast die Hälfte der Bevölkerung.

In Deutschland fordern Datenschützer bereits Bussgelder gegen Seitenbetreiber, die ihre Nutzer*innen unzureichend über die Datenweitergabe an Dritte informieren.

Rechtlich ist das Tracking durch Facebook unbedenklich – zumindest bei allen Angeboten, die sich an Nutzer*innen in der Schweiz richten. Während die Datenschutzgrundverordnung DSGVO den Bürger*innen in der Europäischen Union ein Mittel zur digitalen Selbstverteidigung zur Hand gibt, gilt in der Schweiz noch immer das «veraltete Schweizer Datenschutzgesetz (DSG) aus dem Jahr 1992» (NZZ).

In der EU bewegt sich in dem Feld juristisch, politisch, aber auch unternehmerisch mehr: In Österreich gibt es anscheinend einen Markt für ein trackingfreies Online-Abo «StandardPur». In Deutschland fordern Datenschützer bereits Bussgelder gegen Seitenbetreiber, die ihre Nutzer*innen unzureichend über die Datenweitergabe an Dritte informieren. Unlängst hat «Zeit Online» das Facebook-Tracking gestoppt – laut eigenen Angaben eine Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH: Seitenbetreiber müssen die Einwilligung ihrer Nutzer*innen aktiv suchen. Zusätzlich müssen sie prüfen, ob Facebook Auskunftsrechte erfüllen kann. Das ist bei Facebook mit den extern gesammelten Daten offenbar nicht möglich.

Auch in der Schweiz schien es zunächst so, als ob bei den grossen Medienkonzernen der Wille besteht, sich aus der Abhängigkeit von Facebook zu lösen. Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Die Login-Allianz, in der sich CH Media, NZZ, Tamedia, Ringier und die SRG zusammengeschlossen haben, trat in diesem Herbst an, um die Leser*innen davon zu überzeugen, sich auf den Newsplattformen zu registrieren. Noch sind die Logins untereinander nicht kompatibel, aber ein einheitliches Pflicht-Login ist geplant. Nicht zuletzt zielt das Login darauf ab in «persönliche Beziehung mit den Nutzerinnen und Nutzern» zu treten und mit der dadurch «verbesserten Datenbasis» personalisierte Werbung zu schalten. Also endlich unabhängig und gutschweizerisch das tun zu können, wozu man bisher die internationalen Tech-Giganten brauchte.

Die Allianz versteht sich als «notwendige Massnahme, um die Position der Medienunternehmen im Wettbewerb mit den amerikanischen Technologiekonzernen zu stärken». Denn «in der Schweiz haben Schätzungen zufolge alle Schweizer Medienunternehmen zusammen einen Anteil von ungefähr einem Viertel am gesamten Online-Werbeumsatz. Der grosse Rest fliesst bereits zu Google, Facebook oder zu ausländischen Medienunternehmen.» Die Ankündigung wirkte wie ein grosser Befreiungsschlag.

Ein konsequentes Abschirmen gegen Facebook wäre das beste Argument für die Registrierung bei der Login-Allianz gewesen.

Doch die Login-Allianz will die Datenweitergabe an internationale Konzerne bis auf weiteres nicht stoppen. Zwar sei das Tracking laut CH Media «im Rahmen der Login-Allianz breit diskutiert worden». Aber die Login-Allianz werde ihren Mitgliedern das Setzen von Tracking-Pixeln nicht untersagen, heisst es auch bei Tamedia. Mit ein Grund dafür könnten auch immer strengere Standardeinstellungen in den Browsern sein, die das Tracking von Dritten wie Facebook erschweren. Mit dem Login könnten diese Standardeinstellungen umgangen werden. Die NZZ bestätigt, dass es innerhalb der Allianz keinerlei Vorgaben zum Tracking durch Dritte gebe: «Die Schweizer Digital Allianz versteht sich als Login-Allianz – und nicht als Tracking-Allianz.» Selbst wenn die Aussicht auf noch mehr personalisierte Werbung die wenigsten Leser*innen frohlocken lässt: Ein konsequentes Abschirmen gegen Facebook wäre das beste Argument für die Registrierung bei der Login-Allianz gewesen.

Tabelle: Facebook-Tracking in der Schweizer Medienlandschaft
Das Facebook-Tracking in der Schweizer Medienlandschaft zeigt ein ungewohntes Bild: Alle rotmarkierten Medien, darunter alle Tageszeitungen ausser «Blick» und «20 Minuten», setzen auf das Facebook-Pixel, um von Facebooks Genauigkeit in der Zielgruppenauswertung zu profitieren.

Aber auch andere Facebook-Einbindungen, wie etwa «Like»-Buttons, Kommentarfunktionen oder Feeds, beliefern Facebook mit Nutzungsdaten, die der Social Media-Konzern personenbezogen auswerten kann. Plattformen mit solchen Einbindungen sind orange markiert.

Grün gelistet sind jene Medien, die schon bisher kein Tracking durch das Social Media-Unternehmen zugelassen haben. Die Medien in der Spalte «In Überarbeitung» haben das Facebook-Tracking zwischenzeitlich gestoppt oder hegen die feste Absicht, es zu stoppen. Nur bei Telebasel geschieht dieser Stopp unabhängig von der MEDIENWOCHE-Anfrage.

Verlage

CHM = CH Media RING = Ringier
TAM = Tamedia RASCH = Ringier Axel Springer
Medium Verlag Facebook-Pixel Facebook-Cookie Kein Tracking In Überarbeitung
20 Minuten TAM
3 Plus CHM
Aargauer Zeitung CHM
Annabelle
Basler Zeitung TAM
Beobachter RASCH
Berner Zeitung TAM
Bieler Tagblatt
Blick RING
bz Basel CHM
cash.ch RASCH
Das Lamm
Der Bund TAM
Energy Schweiz AG RING
Finanz und Wirtschaft TAM
Freiburger Nachrichten
Glückspost RASCH
Handelszeitung RASCH
Infosperber
Izzy-Magazin RING
Landbote TAM
Luzerner Zeitung CHM
NZZ
NZZ am Sonntag
persoenlich.com
Prime News
Radio Argovia CHM
Radio FM+Today CHM
Republik
Schaffhauser AZ
Schweizer Illustrierte RASCH
SRF
St. Galler Tagblatt CHM
Südostschweiz
Surprise
Tages-Anzeiger TAM
Tele Bärn CHM
Tele Bielingue
Tele M1 CHM
Tele Züri CHM
Telebasel
tsüri.ch
watson
Weltwoche
WOZ
Zentralplus

Update 4.12.: In einer früheren Version stand geschrieben, dass Somedia auch Teil der Login-Allianz sei. Das stimmt nicht. «Wir planen zwar mitzumachen, aber aktuell sind wir noch nicht dabei», teilt Somedia-CEO Thomas Kundert mit.

Leserbeiträge

Angelo Zehr 04. Dezember 2019, 10:09

Ein kleines Addendum: Mittels Browser-Plugins wie z.B. Ghostery kann man das Tracking von Facebook & Co. teilweise unterbinden. Leider bitten oder zwingen einen immer mehr Verlage, den Ad-Blocker zu deaktivieren. Man kann im Plugin aber auch nur die Verbindung zu Facebook verhindern und andere zulassen.

Luca 05. Dezember 2019, 14:04

Das Tracking ist ganz leicht dauerhaft zu unterbinden. Es ist nämlich in Javascript implementiert. Javascript erlaubt so viele Informationen auszulesen, dass sich Identifikationsmöglichkeiten ergeben (Browserfingerabdruck), so dass Javascript sowieso allenfalls deaktiviert sein muss. Wenn Javascript deaktiviert ist und Cookies sowieso, funktioniert der Facebook Tracking Code nicht.Dann noch ein Anonymisierungsdienst wie Tor oder Jondonym mit anonymisiertem Browser und nicht nur Facebook sondern die meisten Trackingmöglichkeiten sind ausgeschlossen. Tracking über die IP Adresse kann man nur über solche Anonymisierungsdienste verhindern. Weil die IP Adresse kann, wegen des Zwangs uns Staat und Telekomunternehmen gegenüber zu identifizieren, immer zum Tracking benutzen, wenn kein Anonymisierungsdienst dazwischen geschaltet ist.

Silas 05. Dezember 2019, 15:52

Facebook trackt unser Surfverhalten aber Microsoft trackt mit Windows alles was wir machen und stiehl alle Daten auf unseren Computern: https://www.heise.de/newsticker/meldung/BSI-untersucht-Sicherheitseigenschaften-von-Windows-10-4227139.html

Facebook können wir blocken, indem wir Java Script blocken. Micsoroft Windows können wir nur blocken, indem wir Linux benutzen und alles von Microsoft löschen.

Matthias Giger 14. Dezember 2019, 07:29

Vielleicht habe ich es überlesen, aber trackt mich die Medienwoche eigentlich auch?

 

Wegen Windows: Zumindest privat kann man ja ein Betriebssystem nutzen, das auf Linux aufsetzt, um zu verhindern, dass man getrackt oder ausgeschnüffelt wird.

 

 

Nick Lüthi 15. Dezember 2019, 14:39

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