von Nick Lüthi

«Play Suisse»: Warum die SRG auf eine Login-Pflicht setzt

Die neue Videoplattform der SRG wird nur mit einem persönlichen Login zugänglich sein. Mit «Play Suisse» will die SRG das Nutzungsverhalten analysieren, um der einzelnen Zuseherin Empfehlungen zu machen. Der Mehrwert für das Publikum könnte grösser sein, findet der Professor. Ohne News und Sport im Angebot dürfte es die Plattform schwer haben, sagt ein Big-Data-Spezialist.

Geht gar nicht! So reagieren viele spontan, wenn sie erfahren, dass die SRG einen Teil ihres Online-Angebots hinter eine Login-Schranke stellen will. Was nerven wir uns täglich ob der Anmeldeaufforderung auf den Websites von Tamedia, CH Media, NZZ und Ringier. Und nun geht ausgerechnet die SRG den gleichen Weg. Dabei gehört doch der freie und direkte Zugang zu den Programmen zum Kern des Service public.

Das gilt nicht mehr im Internet. Provider und Plattformen haben sich längst zwischen Medienunternehmen und Publikum geschoben. Sie bestimmen massgeblich, was wir zu sehen (und zunehmend auch zu hören) kriegen. Dabei profitieren sie von den Daten, die wir als angemeldete User hinterlassen.

Wenn Facebook und Google das tun, warum dann nicht auch wir? Als Antwort auf diese Frage schlossen sich im Herbst 2018 die vier grossen Schweizer Verlagshäuser zusammen mit dem Ziel, eine Login-Pflicht für ihre Online-Medien einzuführen. Mit dabei ist auch die SRG. Anders als die privaten Medienunternehmen darf die SRG die Daten nicht kommerziell nutzen. Doch auch für sie sind verlässliche Messzahlen wichtig für den Erfolg.

Ganz im Geiste der Login-Allianz wird nun die SRG im November die Videoplattform «Play Suisse» an den Start bringen. Filme, Serien und Dokumentationen gibt es nur hinter einer Login-Schranke zu sehen. «Als Basis für das Login dienen E-Mail und Passwort», erklärt SRG-Sprecher Edi Estermann. Die Nutzung gewisser Dienste erfordert zusätzliche Angaben zur Person.

Sämtliche Filme und Serien auf «Play Suisse» stehen dreisprachig zur Verfügung – allerdings nur den angemeldeten Nutzerinnen und Nutzern.

«Das Login spielt eine zentrale Rolle, wenn wir unser Angebot personalisiert an das Publikum herantragen wollen», sagte einer der Verantwortlichen, als das Projekt intern vorgestellt wurde. Die Anmeldepflicht will die SRG primär dazu nutzen, der einzelnen Zuseherin, passend zu ihren Vorlieben, weitere Inhalte empfehlen zu können. Schliesslich will man das Publikum möglichst lange bei sich halten. Weiter kann der eingeloggte User seine Videos nahtlos über unterschiedliche Geräte hinweg abspielen; Filmstart auf dem Smartphone im Zug, Showdown zu Hause auf der Grossleinwand. Zudem könne man «auch aus dem Ausland auf diese Plattform zuzugreifen. Das war bisher nicht möglich», erläuterte SRG-Generaldirektor Gilles Marchand kürzlich in der NZZ einen weiteren Nutzen des Logins.

Der Aufbau einer Videoplattform, die den Zugang zu Film und Video über die Sprachgrenzen hinweg ermöglicht, geniesst strategische Priorität bei der SRG. «Play Suisse» soll als «Entdeckerplattform» funktionieren, so die interne Sprachregelung. Gespeist wird das verfügbare Angebot von den SRG-Sendern in den drei grossen Sprachregionen, also von SRF, RTS und RSI. So liessen sich «Programme aus der ganzen Schweiz entdecken. Und dies erst noch in der eigenen Sprache – sei es mit Untertitelung oder Synchronisation». Sämtliche Filme und Serien auf «Play Suisse» stehen dreisprachig zur Verfügung – allerdings nur den angemeldeten Nutzerinnen und Nutzern.

Auch Service-public-Medien in anderen Ländern setzen auf eine stärkere Personalisierung des Angebots.

Den Schritt zu einem loginpflichtigen Angebot begründet die SRG mit der Konkurrenz durch internationale Streaming-Plattformen. Einen Teil des Erfolgs von Netflix, Amazon oder Youtube macht die Personalisierung aus. Um den Anschluss an die übermächtigen Mitbewerber nicht weiter zu verlieren, geht nun auch die SRG diesen Weg. Und sie ist damit nicht allein.

Auch Service-public-Medien in anderen Ländern setzen auf eine stärkere Personalisierung des Angebots auf ihren Online-Plattformen mittels obligatorischer Anmeldung. «Es ist nicht nur legitim, sondern für ein zeitgemässes Online-Angebot von Service-public-Medien notwendig und wichtig, personalisierte Nutzungsangebote auf Basis von Logins zu entwickeln», teilt Professor Leonhard Dobusch auf Anfrage mit. Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler äussert sich regelmässig zur digitalen Weiterentwicklung der Service-public-Medien.

Dobusch hält allerdings eine Login-Pflicht für überzogen. Anbieter wie die SRG sollten «das Publikum durch neue, gern auch soziale Features, vom Mehrwert eines Logins überzeugen, statt sie dazu zu zwingen», gibt er zu bedenken. Die SRG hält dem entgegen, dass sämtliche Inhalte, die auf «Play Suisse» stehen, auch weiterhin auf den Websites von SRF, RTS und RSI ohne Login zu sehen sind. Das gebietet auch das Gesetz.

«Für den Bundesrat ist die allgemeine Zugänglichkeit der Inhalte eine Grundvoraussetzung des Service public der SRG.»

Ob sichergestellt sei, dass die Angebote der SRG weiterhin ohne Login in vollem Umfang zugänglich sind, wollte der grüne Nationalrat und Medienpolitiker Michael Töngi im letzten Herbst vom Bundesrat erfahren. Die Antwort liest sich unmissverständlich: «Für den Bundesrat ist die allgemeine Zugänglichkeit der Inhalte eine Grundvoraussetzung des Service public der SRG.»

Einzig Mehrwerte oder Zusatzdienste, wie etwa die Personalisierung, dürfe die SRG anmeldepflichtig anbieten. Ob die Untertitelung auch unter diese Ausnahmen fällt, liess der Bundesrat in seiner Antwort auf die Interpellation offen. Wobei Untertitel eher als integraler Bestandteil des Programms zu sehen sind und weniger als Zusatzdienst.

Man kann sich fragen, ob eine solche Plattform ohne News und Sport ausreichend Zugkraft aufbringt.

Weil die SRG die neue Videoplattform mit ihren Zusatzdiensten nicht für sich allein sprechen lassen will, um die Leute von einem Login zu überzeugen, muss sie nun die Login-Pflicht erklären und das Publikum dafür sensibilisieren. Vor einer vergleichbaren Aufgabe stand vor fünf Jahren der französischsprachige Rundfunk Belgiens RTBF. Dessen Audio- und Videoplattform «Auvio» sollte mittelfristig auch nur noch mit Login zu nutzen sein. Anfänglich erforderten nur einzelne Funktionen wie die Teilnahmen an einem Wettbewerb oder das Abo eines Newsletters das Login. «Das ging aber nicht sehr schnell voran», sagt Pierre-Nicolas Schwab, damals beim RTBF für Big Data verantwortlich. Danach stellte der Sender einzelne beliebte Programme hinter die Login-Schranke, etwa Casting-Shows und Fussball. Anfang 2018 folgte schliesslich die Anmeldepflicht für das gesamte Angebot auf «Auvio». «Heute sind 70 Prozent der französischsprachigen Belgier angemeldet», berichtet Schwab, der inzwischen den RTBF verlassen hat und als Unternehmensberater arbeitet. Ein wichtiger Moment für die massenweise Anmeldung von neuen Usern sei die Fussball-WM 2018 gewesen. Damals hätten sich an einzelnen Tagen bis zu 10’000 Personen angemeldet – die meisten davon, um die «Roten Teufel» in Russland spielen zu sehen. Und dank dem Login konnten das die Belgierinnen und Belgier nun auch in ihren Ferien im Ausland tun. Dass die SRG auf «Play Suisse» keinen Sport zeigen wird, findet Schwab darum «keine so gute Idee». Überhaupt kann man sich fragen, ob eine solche Plattform ohne News und Sport ausreichend Zugkraft aufbringt.

Für Service-public-Medien muss eine weitreichende Transparenzpflicht gelten, was den Umgang mit den Nutzerdaten angeht.

In erster Linie wird das Angebot darüber entscheiden, ob die Plattform ankommt. Für die Akzeptanz der Login-Pflicht wird aber auch der Umgang mit den Personendaten eine Rolle spielen. Die SRG hat im Zusammenhang mit der neuen Videoplattform mehrfach betont, dass sie weder Daten mit anderen teilen werde, noch anderweitig einen kommerziellen Nutzen daraus zu ziehen gedenke. Um den Goodwill des Publikums nicht zu verspielen, muss die SRG von sich aus und transparent über die Verwendung der Daten informieren. Für Service-public-Medien muss eine weitreichende Transparenzpflicht gelten.

Besonders die Empfehlungsalgorithmen sollte die SRG offenlegen. Der Zuschauer muss nachvollziehen können, warum ihm die Plattform welche Inhalte empfiehlt. «Die SRG wird das Empfehlungs-System in einer für alle zugänglichen Sprache transparent erklären», verspricht SRG-Kommunikationschef Edi Estermann. In Belgien hat man das so gelöst, dass die Funktionsweise der Empfehlungsalgorithmen im «Contrat de Gestion», vergleichbar mit der Konzession der SRG, festgeschrieben steht. Demnach müssen die Algorithmen «die Empfehlung von Inhalten fördern, die vielfältiger sind als die, die normalerweise vom Benutzer konsumiert werden». Ausserdem dürften die Empfehlungen nicht nur maschinell errechnet werden, sondern müssen auch redaktionell erfolgen.

«Play Suisse» ist eine souveräne Infrastruktur, wie das einst die Radio- und TV-Sendeanlagen auch waren.

Wenn der öffentliche Rundfunk mit der aus dem Internet erwachsenen Konkurrenz einigermassen mithalten will, kann er nicht umhin, selbst auch zur Plattform zu werden. Bis jetzt hat die SRG vor allem digitale Formate entwickelt, die auf Youtube, Instagram oder Facebook gut funktionieren, um so einen Fuss in die neue Welt zu kriegen. Damit stärkte die SRG aber auch die Plattformbetreiber. Mit «Play Suisse» geht die SRG einen Schritt weiter und baut eine eigene Plattform auf, die nach der Logik der grossen Player funktioniert. Das ist ein wichtiges Signal. «Play Suisse» ist eine souveräne Infrastruktur, wie das einst die Radio- und TV-Sendeanlagen auch waren.

Die Videoplattform gehört im Prinzip der Öffentlichkeit, die sie vollumfänglich finanziert. Nur ist das Publikum zur Passivität verdammt. Denn es fehlt ihm an Kommunikationsmöglichkeiten. «Soziale Funktionen sind derzeit noch nicht vorgesehen», teilt dazu der SRG-Sprecher mit. Medienexperte Prof. Dobusch sieht aber gerade hier Potential: «Warum nicht den Beitragszahlenden das Einrichten eines öffentlichen Profils erlauben, wo sie ihre persönlichen Lieblingsformate oder thematische Videolisten mit anderen Menschen teilen können?» Spätestens für «Play Suisse» 2.0 muss die SRG diese Frage beantworten. Mit Ja.

Leserbeiträge

Edi Estermann 17. Juni 2020, 13:33

Eine Präzisierung gerne noch zu den Sozialen Funktionen auf der neuen Plattform: Ein Community-Management (mit allen herkömmlichen sozialen Funktionen und Interaktionen) rund um die Plattform ist vorgesehen und geplant. Was momentan (noch) nicht vorgesehen ist, sind soziale Funktionen innerhalb der Plattform, also wenn der User eingeloggt ist (kommentieren, teilen, empfehlen, etc.).

Jonny 07. November 2020, 08:50

Typisch SRG mit dem Login. Es muss ja jeder Gebüren zahlen. Dennoch will SRG ein Login aufdrücken. Total daneben. Nur dass SRG hier die Zuschauer auch noch mit „Fischers Bettwaren“ schikanieren kann. Einmal mehr daneben, genau so wie das abkanzeln der beliebtesten Sendungen. Ich habe die Hoffnung aufgegeben.